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Jetzt feiern und lachen sie wieder in Manila. Mit der ureigenen philippinisch-fröhlichenVariante eines Volksaufstandes, hier "People Power" genannt, haben die Filipinos ihren korrupten Präsidenten Joseph Estrada gewaltlos aus dem Amt gejagt. Seine Regierungszeit wäre eigentlich erst im Jahre 2004 abgelaufen. Vor zwei Wochen musste er aber nach einer chaotischen zweieinhalbjährigen Amtszeit durch die Hintertür aus dem Palast schleichen, verlassen von fast allen Getreuen. Am Vordereingang rüttelten die Gegner, bereit, seiner Selbstbedienung an Staatsgeldern ein Ende zu bereiten.
Estradas Nachfolgerin, Gloria Macapagal-Arroyo, tritt ein schweres Erbe an. Ihre ersten Stellungnahmen klingen wie die vieler ihrer Vorgänger. Jetzt sei die Zeit gekommen, im Dienste einer gemeinsamen Sache zusammenzurücken, heißt es da etwa lapidar. Natürlich will auch die neue Präsidentin das Vertrauen der Wähler in die Politik wiederherstellen und die Korruption beenden. Und natürlich: der Vorgänger habe ihr leider nur leere Kassen hinterlassen.
Dennoch sprüht Arroyo vor Tatendrang. Den wird sie auch gebrauchen können, werden doch von ihr wahre Wundertaten erwartet. Schon einmal befand sich eine Präsidentin der Philippinen in der gleichen Lage. Genau 15 Jahre ist es her, im Februar 1986, als Corazon Aquino nach der ersten People-Power-Revolte den Diktator Ferdinand Marcos beerbt hatte. Damals erwartete das In- und Ausland auch mit einem Schlag die Lösung aller politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes.
Probleme der Philippinen liegen tiefer
Gloria Arroyo macht sich einstweilen die Sache einfach. Als persönlich Schuldigen an der gesamten Misere des Landes präsentiert sie den Leuten kurzentschlossen ihren Vorgänger. Dies greift jedoch zu kurz. Sicher haben Estradas Griff in die Kassen, seine eigenartige Handhabung von Regierungsgeschäften, der höchst eigenwillige Regierungsstil, der dunkle Freundeskreis und seine privaten Affären den Ruf des Landes erheblich erschüttert und der Wirtschaft schweren Schaden zugefügt. Jedoch liegen die politischen und wirtschaftlichen Probleme der Philippinen viel tiefer.
Wie Arroyo den strukturellen Defiziten beikommen will, bleibt unklar. Während des Protestes gegen Estrada, hielt sie sich mit deutlichen Botschaften zurück. Ein Grund dafür könnte gewesen sein, dass sie mit klaren politischen Vorgaben die seltsam anmutende Anti-Estrada-Koalition aus reichen Geschäftsleuten, Universitätsabsolventen, der katholischen Kirche, politisch Versprengten und Vertretern kommunistischer Organisationen nicht hatte torpedieren wollen. Auf den weiteren Bestand und die tatkräftige Unterstützung dieses merkwürdigen Paktes wird sie wohl nicht länger zählen können.
Politik als Machtkampf zwischen Eliten
Die weitverbreitete Korruption im Land zu bekämpfen - dies ist vorrangig und eine gigantische Aufgabe. Jedoch ist es nicht damit getan, dass eine neue Präsidentin das Ruder in die Hand nimmt und Transparenz verspricht.
Politische Strukturen, familiäre Beziehungen und Patronage müssen unter die Lupe genommen werden, um wirkliche Fortschritte zu erreichen. Philippinische Politik in der Vergangenheit hieß fast immer Machtkampf zwischen Eliten, zwischen weit verzweigten Familienclans. Die philippinische Gesellschaft wird gerne als "Anarchie von Familien" beschrieben. Nie in der Geschichte des Inselstaates spielten Ideologien und Programme eine Rolle. Immer waren Personen entscheidend. Die jeweiligen Parteiführer stehen an der Spitze einer Machtpyramide. Der Unterbau besteht aus loyalen Anhängern, solange diese sich Zuwendungen sicher sein können.
Politische Parteien werden auch noch heute durch Familienbande zusammengehalten und sind von einem sehr starken Parteiführer-Gefolgschaft-Verhältnis geprägt. Persönlicher Reichtum war und ist unverzichtbare Grundlage im Kampf um politische Posten. In einer Analyse aus dem Jahr 1968 hieß es bereits: "Im großen und ganzen werden Ämter und Führungspositionen als lukrative und prestigefördernde Preise angesehen. Diese werden im Ringen zwischen Personen vergeben, die vermögend genug sind, sich um führende Positionen zu bewerben."
"Erbfolgen" im Repräsentantenhaus
Familienbande spielen beispielsweise so auch im Repräsentantenhaus eine wichtige Rolle. Die Abgeordneten Cuenco, Cua, Lopez und Singson überließen 1998 ihren Frauen den Wahlkreis, die Herren Zubiri, Acosta, Andaya, Romualdo, Bondoc und Albano freuten sich über ihre Söhne als Nachfolger. In der Familie Teves aus Negros Oriental wurde die politische Erbfolge anders geregelt: dort "beerbte" der damals 78jährige Vater Herminio seinen Sohn Margarito - insgesamt nur einige Beispiele von vielen für politische Dynastien und Erbfolgen im südostasiatischen Inselstaat.
Eine nach europäischem Muster definierte Parteimitgliedschaft und Parteiorganisation existiert nur in rudimentären Zügen. Feste Bekenntnisse zu einer Partei, zu einem Programm sind unüblich. Wähler orientieren sich an Personen, nicht an Parteien. "Parteimitglieder" sind weit davon entfernt, formal und für längere Zeiten ihre Zugehörigkeit zu einer Partei in irgendeiner Form zu dokumentieren. Mitgliederzahlen von Parteien, die auf den Philippinen genannt werden, sind nur mit großer Vorsicht zu genießen.
Politische Parteien sind eher lockere Zufallsbündnisse, geschlossen von Provinzfürsten mit dem Zweck, einen Kandidaten an die Spitze zu hieven, der sich dann seinerseits erkenntlich zeigen muss.
Mit dem Ende eines Präsidenten verschwindet meist auch die gesamte Regierungspartei von der politischen Bildfläche. Ferdinand Marcos' "Kilusang Bagong Lipunan" (KBL) ist hierfür ein Beispiel, das gleiche Schicksal ist jetzt Estradas Koalition, "Lapian ng Masang Pilipino", (LAMP) sicher. Senatoren, Abgeordnete, Gouverneure und Bürgermeister verlassen das sinkende Schiff und sehen sich im ganzen Land nach besseren Alternativen um.
Das Los der Armen verbessern
Im Gegensatz von arm und reich auf den Philippinen liegt zusätzlicher gewaltiger Sprengstoff für die neue Präsidentin. Sie ist von den einflussreichen politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes ins Amt getragen worden, die sich nie mit dem Wahlsieger und "Außenseiter" Joseph Estrada so richtig anfreunden konnten. Über diesen schillernden Schauspieler hatten sie immer nur die Nase gerümpft. Estrada war von den armen Leuten gewählt worden, die sich von seiner Regierung ein besseres Leben versprochen hatten. Noch in den letzten Amtstagen gab es von ihnen viel Unterstützung für Estrada, den sie als "einen der ihren" betrachteten und der angeblich "von den Reichen" aus dem Amt gejagt werden sollte. Für Arroyo kommt es jetzt darauf an, die Unterstützung der einfachen Leute im Land zu erhalten. Sie muss schnelle wirtschaftliche Erfolge vorweisen, die auch das Los der Armen entscheidend verbessern.
Der Unterstützung der Eliten des Landes kann sie sich dabei sicher sein. Von der an der Harvard-Universität ausgebildeten Ökonomin erwartet man durchgreifende wirtschaftliche Reformen. Der Peso und der Aktienmarkt sind in Erwartung schneller Taten kräftig gestiegen. Diese Vertrauensbeweise können sich jedoch schnell ins Gegenteil verkehren, folgen nicht bald klare Vorgaben aus dem Präsidentenpalast.
Die im Mai anstehenden Wahlen für den Senat, das Repräsentantenhaus und kommunale Amtsträger machen dabei aber die Aufgabe für Gloria Arroyo nicht einfacher. Wirtschaftlich müssten klare Signale und Linien, schnelle Taten und Erfolge her. Der Wahlkampf wird jedoch in den nächsten Monaten alles lähmen. Dann wird sich wieder in einer einzigartigen Mischung aus Politfiesta, Klamauk und Gerüchteküche das politische Manila die Köpfe heiß reden, begleitet vom Dauergetrommel der emsigen Presse. Wichtige Zeit verstreicht so. Die Philippinen sind dabei, weiter den Anschluss an ihre erfolgreicheren Nachbarn zu verlieren.