Country reports
Chile hat gewählt: nach rund einem Drittel der Amtszeit des Präsidenten Lagos wurden die 120 Abgeordnetensitze (auf 4 Jahre) sowie die Hälfte der Senatssitze (auf 8 Jahre) ermittelt.
Die Wahl vom 16. Dezember stand ganz im Zeichen der rückläufigen Konjunkturdaten, des Wahlkampfes, der sich im Grunde mit nur wenigen Pausen seit der Präsidentschaftswahl im Dezember 1999 über die Kommunalwahl 2000 bis zu diesem Datum hingezogen hatte, und einer politischen Perspektive, die auf die nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2005 gerichtet war und ist.
Nach dem äußerst knappen Ergebnis der Präsidentschaftswahl 1999/2000 und den deutlichen Zugewinnen der Opposition bei der Kommunalwahl 2000, stand die Regierungskoalition "Concertación" vor der Herausforderung, ihre Mehrheit in der Abgeordnetenkammer (70:50) zu halten und das Stimmengleichgewicht im Senat ebenfalls zu halten oder ggf. leicht auszubauen.
Für die Opposition war das Ziel, eindeutig den Abstand zur Regierungskoalition in der Abgeordnetenkammer zu verringern und im Senat die Patt-Situation zu konsolidieren.
Diese Perspektiven sind vor dem Hintergrund des chilenischen binominalen Wahlsystems zu sehen, auf dessen Grundlage sich die erzielten Stimmenanteile nicht notwendigerweise in gleichen Ausmaß und Anteil auch in der Sitzverteilung widerspiegeln.
Gewählt wurde in 60 Bezirken für die Abgeordnetenkammer (mit je zwei zu wählenden Abgeordneten pro Bezirk) und in neun Bezirken für den Senat (es handelte sich um die Bezirke in den ungeraden Regionen, wobei die V., VII. und IX. Region jeweils aus zwei Wahlbezirken besteht und die Región Metropolitana zu den geraden Regionen gezählt wird), bei denen auch jeweils zwei Senatoren pro Distrikt gewählt wurden.
Zum Wahlrecht ist ferner anzumerken, daß mit erreichter Volljährigkeit das Recht (nicht die Pflicht) besteht, sich in die Wählerlisten eintragen zu lassen. Nach der Eintragung besteht dann allerdings Wahlpflicht.
Von den 8.053.062 (Anm. 1 - am Kapitelende) in diese Wählerlisten eingetragenen wahlberechtigten Bürgern gaben am 16.12. bei der landesweiten Abgeordnetenwahl 6.991.504 ihre Stimmen ab, wovon 6.107.140 (=87.35%) als gültig anerkannt wurden. Der Anteil der gültigen Stimmen erhöhte sich demzufolge gegenüber der Wahl 1997 um 311.367 Stimmen bzw. 5,1%. Insgesamt ergibt dies auf der Basis der formal wahlberechtigten Bürger eine Wahlenthaltung von 24,16%.
Damit blieb das teilweise befürchtete Phänomen der Politikverdrossenheit aus, was bei der letzten Kongresswahl in Argentinien zutreffend als "voto bronca" bezeichnet wurde.
Hinsichtlich der tatsächlichen Stimmenthaltung muss jedoch berücksichtigt werden, dass das Wählerpotential bei rund 9,5 Millionen liegt (8 Millionen formal wahlberechtigte zuzüglich der volljährigen nicht in die Wählerlisten eingetragenen Bürger). Dieser Anteil hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. In der Altersgruppe der 18-29-jährigen hat der Anteil derer, die im Wahlregister eingetragen sind von 36% (1988) auf 14,96% (2001) abgenommen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich bei den erwähnten gültigen Stimmen eine de facto - Enthaltung von rund 37%.
Anmerkungen:
(1)Siehe -www.electoral.cl-
Wahlkampf
Bedingt durch das chilenische Wahlsystem konzentriert sich der Wettbewerb in jedem Wahlbezirk in erster Instanz auf die Konkurrenz innerhalb der Bündnisse, da ja in der Regel die jeweils stärksten Kandidaten aus den stärksten Koalitionen gewählt werden.(2)
So war es auch nicht verwunderlich, dass die heftigsten Debatten und auch handfesten Auseinandersetzungen zwischen Unión Demócrata Independiente (UDI) und Renovación Nacional (RN) auf der einen Seite und Partido Demócrata Cristiano (PDC) und Partido por la Demócracia (PPD) bzw. Partido Socialista (PS) auf der anderen Seite erfolgten.
Trauriger Höhepunkt war der Tod eines Wahlkampfhelfers der RN, der in einem Handgemenge mit Aktivisten der UDI ums Leben kam.
Auf der anderen Seite war das Wortgefecht zwischen den Senatskandidaten Aldo Cornejo (PDC) und Nelson Ávila (PPD) in Valparaiso vor laufenden TV-Kameras ebenso ein bedauerliches wie exemplarisches Schauspiel, welches offenbarte, wie das Wahlsystem koalitionsinterne Auseinandersetzungen induziert.
Ansonsten war der Wahlkampf weitestgehend von einem erschreckenden Mangel an Kreativität und Identität geprägt. Die -wieder einmal- massive Plakatierung der Großstädte mit austauschbaren, freundlich lächelnden Gesichtern der Kandidaten, bei denen durchweg der Hinweis auf die parteipolitische Identität fehlte, waren ein durchgehendes Merkmal.
Auch die staatlich finanzierte Fernsehwerbung (franja electoral), bei der den Parteien ein zeitlicher Rahmen zugeteilt wird, der proportional dem letzten Wahlergebnis entspricht, wurde überwiegend unkreativ genutzt. Langweilige und wieder austauschbare Statements der Kandidaten standen im Vordergrund. Davon hoben sich lediglich eine düstere Szenarien heraufbeschwörende Kampagne der UDI sowie nach Popsongs (Macarena) tanzende Kandidaten der Partido Radical Social Demócrata (PRSD) und Rap-Melodien der PS ab.
Hinsichtlich der chilenischen Medien war festzustellen, dass erstmals mehrere Studien das Verhalten derselben im Wahlkampf untersuchte. Hier ist besonders ein von der Konrad-Adenauer-Stiftung und PARTICPA durchgeführtes 2-monatiges Monitoring der wichtigsten Nachrichten in Radio, TV und Printmedien, welche zwar keine grobe parteipolitische Parteinahme oder Manipulation der Medien nachweisen konnte, wohl aber deutliche Favorisierungen prominenter Kandidaten in den Medien, einige punktuelle Diskriminierungen v.a. im Fernsehen und allgemein eine wenig professionelle Presselandschaft aufzeigte, die sich mehr an Schauveranstaltungen der Kandidaten, denn an Hintergründen und Fakten orientierte.(3)
Ein weiteres Merkmal des Wahlkampfes war die "Präsidentialisierung" dieser Parlamentswahl.
Dies erfolgte in erster Instanz durch die "Alianza por Chile", deren Kandidaten sich fast alle für die Plakatwerbung mit dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Joaquín Lavin (UDI) ablichten ließen und unter dem Motto warben: "Ein Parlamentarier für avín". Dies erfolgte offensichtlich mit der Erwartung den Effekt des erfolgreichen (und nur knapp verlorenen) Wahlkampfes der Präsidentschaftswahl 199/2000 und damit den Lavín-Bonus (unter dem Motto CAMBIO, d.h. Wechsel)auch in diese Parlamentswahl zu übertragen.
Erst spät reagierte die Concertación auf diese Kampagne mit eine stärkeren Präsenz des Staatspräsidenten Lagos in der Kampagne (vor allem bei den Kandidaten der PPD und des PS) sowie der argumentativen Gegenoffensive, dass "ein Bürgermeister (gemeint war Lavín) kein Parlament benötige" und dass die Parlamentarier letztendlich "Parlamentarier für Chile und nicht für eine Person seien".
Rein sachlich ist anzumerken, dass die nächste Präsidentschaftswahl, bei der Lavín antreten könnte erst 2005 stattfindet und dann wieder mit einer Parlamentswahl zusammenfällt. Die Amtszeit der jetzt gewählten Abgeordneten kann somit gar nicht mit einer potentiellen Amtszeit Lavín (sofern er dann tatsächlich gewählt wird) zusammenfallen, es sei denn sie stellten sich dann erfolgreich einer Wiederwahl.
Der Marketing-Effekt war jedoch geschickt konstruiert. Bei den Christdemokraten stand der Wahlkampf unter dem gemeinsamen Motto "Juntos por el trabajo" (Gemeinsam für die Arbeit), wobei gerade hier auch auffiel, dass die PDC in der Werbung fast vollständig auf ihr traditionelles Parteisymbol verzichtete.
Die Kandidaten wurden bei ihren Auftritten von den beiden Expräsidenten Patricio Aylwin (aktueller Parteivorsitzender) und Eduardo Frei (amtierender stellvertretender Vorsitzender der PDC und der IDC) begleitet und unterstützt.
Wie schon bei den letzten Kommunal- (2000) und Parlamentswahlen (1997) wurde auch diesmal völlig auf massive Wahlkundgebungen verzichtet.
Anmerkungen:
(2) Ausnahme dieser Regel ist der Fall, wenn der Stimmenanteil einer Koalition den der zweitstärksten Koalition verdoppelt. In diesem Fall werden die ersten beiden Kandidaten dieser stärksten Koalition gewählt.
(3) Näheres siehe "Medios de Comunicación y Politica". Studie KAS/Participa dez. 2001, u.a. in -www.participa.cl-.
Ergebnisse
Nach der Schließung der Wahllokale wurde auch diesmal wieder vorbildlich schnell und ohne nennenswerte Zwischenfälle ausgezählt.
Bereits kurz nach 19.00 Uhr gab der Staatssekretär des Innenministeriums erste Ergebnisse auf der Basis von 10% der ausgezählten Stimmen bekannt. Dies wiederholte sich gegen 21.00 Uhr mit über 80% der Stimmen. Bemerkenswert auch diesmal wieder, dass die Zahlen sofort per Internet für alle Beteiligten und interessierte Bürger in jedem Wahlbezirk einzusehen waren.
Die vorläufigen amtlichen Endergebnisse (4) mit den Vergleichszahlen der vorangegangenen Wahlen 1997 (Diputados) bzw., 1993 (Senadores) lauten:
Wahl zur Abgeordnetenkammer in Chile:
2001 | 1997 | |||||
Stimmen | % | Sitze | Stimmen | % | Sitze | |
PDC | 1.155.597 | 18,92 | 24 | 1.331.745 | 22,98 | 38 |
PPD | 777.278 | 12,73 | 20 | 727.293 | 12,55 | 16 |
PS | 611.305 | 10,01 | 10 | 640.397 | 11,05 | 11 |
PRSD | 247.576 | 4,05 | 6 | 181.538 | 3,13 | 4 |
Unabh. Liste E | 134.044 | 2,19 | 3 | 46.719 | 0,81 | 0 |
Gesamt Concertacion | 2.925.800 | 47,91 | 63 | 2.927.692 | 50,51 | 69 |
UDI | 1.538.835 | 25,20 | 31 | 837.736 | 14,45 | 17 |
RN | 840.568 | 13,76 | 17 | 971.903 | 16,77 | 23 |
Unabh. Liste C | 324.298 | 5,31 | 8 | 270.940 | 4,67 | 6 |
Gesamt Alianza | 2.703.701 | 44,27 | 56 | 2.080.579 | 35,9 | 46 |
Partido Comunista | 318.638 | 5,22 | 0 | 398.588 | 6,88 | 0 |
Partido Humanista | 69.265 | 1,13 | 0 | 168.597 | 2,91 | 0 |
Partido Liberal | 3.453 | 0,06 | 0 | 0 | 0 | 0 |
Unabhängige | 86.283 | 1,41 | 1 | 95.122 | 1,64 | 2 |
Sonstige | 0 | 0,00 | 0 | 56.373 | 0,97 | 1 |
UCCP | 0 | 0,00 | 0 | 68.822 | 1,19 | 2 |
GESAMT | 6.107.140 | 100,00 | 120 | 5.795.773 | 100,00 | 120 |
Daraus ergibt sich folgende Gewinn- und Verlust-Rechnung:
Gewinn-Verlust-Rechnung | 1997-2001 | ||
Stimmen | % | Sitze | |
PDC | -176.148 | -4,06 | -14 |
PPD | 49.985 | 0,18 | 4 |
PS | -29.092 | -1,04 | -1 |
PRSD | 66.038 | 0,92 | 2 |
Unabh. Liste E | 87.325 | 1,38 | 3 |
Gesamt Concertacion | -1.892 | -2,60 | -6 |
UDI | 701.099 | 10,75 | 14 |
RN | -131.335 | -3,01 | -6 |
Unabh. Liste C | 53.358 | 0,64 | 2 |
Gesamt Alianza | 623.122 | 8,37 | 10 |
Partido Comunista | -79.950 | -1,66 | 0 |
Sonstige | -229.913 | -4,11 | -4 |
Bei der Teilerneuerung des Senats wurden folgende Ergebnisse erzielt:
2001 | 1993 | |||||
PARTEIEN | Stimmen | % | Sitze | Stimmen | % | Sitze |
PDC | 392.372 | 22,85 | 2 | 378.987 | 20,22 | 4 |
PPD | 217.024 | 12,64 | 3 | 275.727 | 14,71 | 2 |
RS | 252.622 | 14,71 | 4 | 238.405 | 12,72 | 3 |
PRSD | 18.960 | 1,10 | 0 | 119.459 | 6,37 | 0 |
Unabh. Liste E | 0 | 0,00 | 0 | 27.253 | 1,45 | 0 |
Gesamt Concertacion | 880.978 | 51,31 | 9 | 1.039.831 | 55,48 | 9 |
UDI | 260.071 | 15,15 | 3 | 190.283 | 10,15 | 2 |
RN | 340.619 | 19,84 | 4 | 279.580 | 14,92 | 5 |
UCCP | 0 | 0,00 | 0 | 46.455 | 2,48 | 1 |
Unabh. Liste C | 155.316 | 9,05 | 2 | 130.587 | 6,97 | 1 |
Gesamt Alianza | 756.006 | 44,03 | 9 | 600.450 | 32,04 | 9 |
Partido Comunista | 45.339 | 2,64 | 0 | 65.073 | 3,47 | 0 |
Partido Humanista | 6.384 | 0,37 | 0 | 8.528 | 0,46 | 0 |
Partido Liberal | 1.398 | 0,08 | 0 | 0 | 0,00 | 0 |
Unabhängige | 26.837 | 1,56 | 0 | 58.251 | 3,11 | 0 |
Sonstige | 0 | 0,00 | 0 | 55.539 | 2,96 | 0 |
GESAMT | 1.716.942 | 99,99 | 18 | 1.874.127 | 100,00 | 18 |
Auch hier wieder die Gewinn- und Verlust-Rechnung (5).
Gewinn-Verlust-Rechnung | 1993-2001 | ||
Stimmen | % | Sitze | |
PDC | 13.385 | 2,63 | -2 |
PPD | -58.703 | -2,07 | 1 |
PS | 14.217 | 1,99 | 1 |
PRSD | -100.499 | -5,27 | 0 |
Unabh. Liste E | -27.253 | -1,45 | 0 |
Gesamt Concertacion | -158.853 | -4,17 | 0 |
UDI | 69.788 | 5,00 | 1 |
RN | 61.039 | 4,92 | -1 |
Unabh. Liste C | 24.729 | 2,08 | 0 |
UCCP | -46.455 | -2,48 | 0 |
Gesamt Alianza | 155.556 | 11,99 | 0 |
Partido Comunista | -19.734 | -0,83 | 0 |
Partido Humanista | -2.144 | -0,09 | 0 |
Partido Liberal | 1.398 | 0,08 | 0 |
Unabhängige | -31.414 | -1,55 | -2 |
Sonstige | -55.539 | -2,96 | -1 |
Nach dieser Teilerneuerung setzt sich der Senat wie folgt zusammen:
Partei | Sitze | Vorher | Differenz |
PDC | 12 | 14 | -2 |
PS | 5 | 4 | +1 |
PPD | 3 | 2 | +1 |
PRSD | 0 | 0 | 0 |
Gesamt Concertacion | 20 | 20 | +-0 |
UDI | 9 | 8 | +1 |
RN | 7 | 6 | +1 |
Unabhängige | 2 | 3 | -1 |
UCCP | 0 | 1 (1)* | -1 |
Gesamt Alianza | 18 | 18 | +-0 |
Designierte Senatoren | 9 | 9 | |
Senatoren auf Lebenszeit | 2 (1)* | 2 (1)* | |
Gesamt | 49 | 49 |
* in Klammern suspendierte Senatoren.
Anmerkungen:
(4) Siehe: -www.elecciones.gov.cl-. Angemerkt sei, daß in 2 Wahlbezirken Anfechtungen vorliegen, über die das oberste Wahlgericht (TRICEL) mittels Nachzählungen zu entscheiden hat. Die hier aufgeführten Ergebnisse beruhen auf den bis zum 20.12. veröffentlichten Zahlen.
(5) Hier ist anzumerken, daß sich die Zahl der aktuellen Senatoren durch gerichtliche Verfahren reduziert hat. Dies betrifft zum einen den designierten Senator Augusto Pinochet und den gewählten Senator der UCCP Francisco Errazuriz, die derzeit ihrer Ämter enthoben sind. Von daher ergibt sich bei der Gewinn und Verlustrechnung in der Addition ein Sitz weniger.
Reaktionen und Bewertung
Die Feststellung der Gewinner und Verlierer ist bei dieser Wahl auf den ersten Blick vergleichsweise einfach und war demzufolge auch an den Reaktionen der Betroffenen abzulesen.
Während bei der UDI die Sektkorken knallten und man dort den eindeutigen Wahlsieg als stärkste Partei, mit dem stärksten Zuwachs und der stärksten Fraktion im neuen Parlament feierte, erkannte Patricio Aylwin bei den Christdemokraten die deutliche Wahlniederlage im Rahmen einer Pressekonferenz an: "Der PDC bleibt nichts anderes übrig als traurig und unzufrieden zu sein mit dem Stimmenanteil und der Anzahl der gewählten Abgeordneten".
In der Tat trifft vor allem der Verlust von insgesamt 14 Abgeordneten und zwei Senatoren die PDC hart, wenn auch angefügt werden muss, dass die PDC in der aktuellen noch amtierenden Abgeordnetenkammer mit ihren 38 Abgeordneten (entspricht 31,6% der Gesamtzahl) weit über dem 1997 erzielten Stimmenanteil von 22,98% vertreten war. Zusätzlich ist jedoch festzustellen, dass auch der reale Stimmenanteil nochmals um 4% bzw. rund 176.000 Stimmen gegenüber 1997 zurückgegangen ist und somit der Abwärtstrend aus den letzten Wahlen nicht gestoppt werden konnte.
Wenn auch die nackten Zahlen der Gewinn- und Verlust-Rechnung diese einfache Gewinner-Verlierer-Schlussfolgerung zulassen, greift eine so oberflächliche Analyse zu kurz. Neben den großen Gewinnern und Verlierern sind noch die kleinen Gewinner und Verlierer zu sehen.
Hier wäre auf der Seite der Verlierer die RN zu sehen, die eindeutig Stimmenanteile (3,01%) und Sitze (minus 6) an die UDI verloren hat (wenn dies auch bei den Sitzen in kleinerem Rahmen als bei der PDC blieb) und bei den kleinen Gewinnern sind die PPD und die PRSD zu nennen, die zwar prozentual und bei den tatsächlichen Stimmen kaum zulegten, dafür jedoch die Zahl ihrer Abgeordneten deutlich steigern (PPD plus 4, PRSD plus 2) konnten.
Man kann deshalb in erster Linie von großen koalitionsinternen Verschiebungen und kleinen Verschiebungen zwischen den Koalitionen sprechen.
Dabei hat sich die UDI bei der Alianza als der eindeutig "größere Bruder" (vermutlich auf Grund der konsequenten Oppositionsstrategie gegen die Regierung sowie eines modernen und effizienteren Parteimanagements, der besseren finanziellen Ausstattung und der parteiinternen Disziplin (die allerdings öfter stark autoritäre und wenig innerparteilich demokratische Züge trägt) herauskristallisiert.
Bei der Concertación hingegen hat sich die bisherige Dominanz der Christdemokraten vor allem zu Gunsten der PPD verschoben, die nun bei den Fraktionen als fast gleichrangig erscheint.
Bei einer Analyse der einzelnen Stimmbezirke fällt auf, dass die PDC die Hälfte ihrer verlorenen Sitze (7) an die PPD abgegeben hat, wieder ein Effekt des binominalen Wahlsystems. Interessanterweise konnte die PS überhaupt nicht von diesen Verschiebungen profitieren, sondern musste ebenfalls leichte Verluste hinnehmen.
Bei einer detaillierteren Betrachtung einzelner Wahlbezirke kommt man allerdings auch zu dem Schluss, dass ein Teil der Verluste der PDC auf eine unzureichende Risikokalkulation zurückzuführen ist. Relativ starke Abgeordnete aus vormals "sicheren" Wahlbezirken wie Roberto León (Curico), Ignacio Walker (Quillota) oder Aldo Cornejo (Valparaiso) haben durch ihre Kandidatur zum Senat gegen starke "Platzhirsche" der PS und PPD (Ominami, Avila, Gazmuri) nicht nur die Wahl zum Senat verloren, sondern auch ihre sicheren Wahlbezirke auf Grund schwächerer und unbekannterer Nachfolger an den Koalitionspartner verloren.
Diese strategischen Fehler der PDC erklären einen nicht unbedeutenden Teil des Wählerrückganges, reichen aber allein als Interpretation nicht aus.In der Gesamtverteilung muss man feststellten, dass parteipolitisch die Parteien der Mitte (RN und PDC) verloren und die stärker polarisierten Parteien (UDI und PPD/PS) gewonnen haben.
Inwieweit dies zu einer nachhaltigen ideologischen Polarisierung führt oder diese Parteien auch die politischen und programmatischen Positionen der Mitte langfristig einnehmen, bleibt abzuwarten.
Eine Bewertung der Wahlergebnisse im Senat lässt keine landesweiten Schlüsse zu, da ja nur in der Hälfte der Bezirke gewählt wurde. Interessant ist hier zumindest aber die Tatsache, dass die Alianza zwar um rund 12% bei den Stimmenanteilen zulegen konnte, dies sich jedoch nicht in Sitzen auswirkte und auf der anderen Seite die Concertación gut 4% verlor, ihre Sitze aber mit einer internen Verschiebung zu Gunsten von PPD und PS sowie zu Lasten der PDC halten konnte
Bei der realen Machtverteilung im Kongress ändert sich allerdings de facto wenig. Die Concertación behält eine (wenn auch geringere) Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat bleiben die vorangegangenen Machtverhältnisse bestehen.
Dies bedeutet, dass es weder zu einem Kongress gegen Lagos gekommen ist (das wäre ja der Umkehrschluss des Mottos "Ein Parlament für Lavín") noch dass die Concertación ihre Mehrheitsverhältnisse derart ausbauen konnte, dass sie nun leichter als bisher die angestrebten legislativen Veränderungen (v.a. Verfassungsänderungen) durchführen kann.
Ausblick
Auch wenn der rein statistische Vergleich dieser Parlamentswahl streng genommen nur mit den Zahlen aus 1997 (Abgeordnete) und 1993 (Senat) erfolgen kann, müssen die politischen Ereignisse der letzten beiden Jahre ebenfalls zur Analyse herangezogen werden.
Der politische Trend in Chile, der seit der Präsidentschaftswahl 1999/2000 und über die Kommunalwahl 2000 erkennbar war, ist eindeutig: Der Abstand zwischen der Concertación und der Alianza hat sich verringert, die Parteien der politischen Mitte sind geschwächt worden.
Dies jedoch zu einem quasi automatischen Ergebnis bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2005 hochzurechnen und Lavín zum designierten Präsidenten zu erklären, hieße eine Reihe von internen Phänomenen außer Acht zu lassen.
Zum einen wird es für Lavín alles andere als einfach werden, sein derzeit positives Bild in der Öffentlichkeit weitere vier Jahre auf diesem Niveau zu halten. Erste Fehler sind ihm bereits unterlaufen (sein wenig geglückter Besuch in New York nach dem 11. September, seine Machtprobe mit RN im Rahmen des Rücktritts des RN-Vorsitzenden Piñera, bei der sein bis dahin sorgfältig geschütztes Image des über dem politischen Alltag stehenden, allezeit freundlichen Problemlösers Risse erhielt) und seine Performance als Bürgermeister von Santiago-Mitte ist bisher auch nicht von großen Erfolgen gekennzeichnet.
Zum anderen wird man die Situation bei RN im Auge behalten müssen. Ob sie sich tatsächlich treu und leise in die Rolle des Juniorpartners der Alianza fügen und damit abfinden wird oder ob sich der liberale Flügel um Piñera mittelfristig absetzt und nach Alternativen umschaut ist derzeit noch ungewiss.
Auf Seiten der Concertación ist insbesondere die Situation der PDC kritisch. Ob es der Partei gelingt sich in den nächsten wahlfreien Jahren programmatisch und personell zu erneuern, ist eine offene Frage. Das Wahlergebnis lässt jedoch an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, sodass diesbezüglich durchaus vorsichtiger Optimismus möglich ist.
Bereits jetzt sind die Diskussionen um die Nachfolge von Patricio Aylwin als Parteivorsitzendem entbrannt. Dies wird auf einem Parteitag Ende Januar 2002 entschieden werden.
Und auch im Verhältnis zu den Bündnispartnern und zur Regierung wird die PDC Entscheidungen treffen müssen. Eine stärkere Profilierung der PDC beinhaltet auch, Diskussionen und Positionen innerhalb der Regierung einzunehmen, die nicht immer deckungsgleich mit der offiziellen Linie sein können und müssen.
Gerade in diesem Punkt hat die PDC mit ihrer "Nibelungentreue" zur Concertación in der Vergangenheit eigenständiges Profil als christlich-demokratische Partei vermissen lassen, während sich gleichzeitig prominente Figuren der Bündnispartner (z.B. die Abgeordneten der PPD Girardi und Avila, die bezeichnenderweise zu den Abgeordneten mit den höchsten Stimmenanteilen zählen) immer wieder mit regierungskritischen Positionen profiliert haben.
Mit Spannung und begleitet von zahlreichen Spekulationen wird in den nächsten Wochen und Monaten eine umfassende Kabinettsumbildung erwartet, mit der Staatspräsident Lagos diese neue Periode seiner 6-jährigen Amtszeit einläuten wird. Ob bei dieser Kabinettsumbildung das bestehenden parteipolitische Kräfteverhältnis beibehalten wird, ist zumindest fraglich.
Der PDC-Vorsitzende Aylwin hat wenige Tage nach der Wahl mit einer bemerkenswerten politischen Geste (die der Autorität und des Politikverständnisses eines Staatsmannes wie Aylwin bedurfte) die Ämter aller PDC-Minister und Staatssekretäre zur Verfügung gestellt.
Lagos bedankte sich für diese Geste, ratifizierte aber vorläufig alle Betroffenen in ihren Ämtern.
Die politische Landschaft in Chile ist zweifelsohne im Umbruch. Wie sie in 3 bis 4 Jahren aussehen wird, wie die Kräfteverhältnisse der Parteien untereinander und die möglichen Allianzen sich entwickeln, ist ein Prozess, der gerade erst begonnen hat.