Country reports
In Polen sind nur die Wahlen zu den Wojewodschaftsparlamenten von parteipolitischen Präferenzen abhängig. Auf Kreis- und Gemeindeebene richtet sich die Wahlentscheidung oft nach einzelnen Personen und den von ihnen gegründeten „Bürgerkomitees“. Politische Parteien und ihre Programme beeinflussen die Wahlentscheidung weniger. Allerdings zieht die Direktwahl des Bürgermeisters (der in größeren Städten „Stadtpräsident“ heißt) durch ihre Personalisierung – ebenso wie durch die neue Machtfülle des Amtes - die Aufmerksamkeit der Parteien auf sich. Dadurch richtet sich die Wahlentscheidung zwar weitgehend nach einzelnen Personen, die Mobilisierung und Wahlkampfgestaltung der politischen Parteien bleibt für den Wahlerfolg der Kandidaten aber unabdingbar.
Politische Bedeutung
Von besonderer Bedeutung ist die Wahl des Bürgermeisters von Warschau. Die nach einer Gemeindereform vom Frühjahr neu entstehende, deutlich vergrößerte Gemeinde Warschau bietet interessantere Gestaltungsmöglichkeiten als die Regierungsübernahme in vielen Wojewodschaften. Die Bedeutung Warschaus für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Polen bringt es außerdem mit sich, dass der neue, direkt gewählte Bürgermeister eine außergewöhnlich exponierte Stellung im öffentlichen Leben wahrnehmen wird. Beobachter ziehen den Vergleich mit der Bedeutung Jacques Chiracs als Bürgermeister von Paris heran.
Da die prominentesten Politiker der SLD in die Regierung Miller eingebunden sind und Warschau ohnehin als liberal-konservative Stadt gilt, ist die Wahl zum Bürgermeister zur Stunde der Wahrheit für die prominentesten Politiker der „bürgerlichen“ Opposition geworden. Andrzej Olechowski, der frühere Finanz- und Außenminister, Präsidentschaftskandidat und Gründer der Bürgerplattform (PO) wie auch Lech Kaczynski, der frühere Justizminister und Parteivorsitzende der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), gelten als aussichtsreichste Kandidaten. Unter Experten gilt als ausgemacht, dass die Wahlen in Warschau effektiv eine Vorentscheidung darüber sind, wer 2005 als Kandidat der Mitte-Rechten in den Präsidentschaftswahlen antritt. Da der enorm populäre Präsident Aleksander Kwasniewski nicht mehr antreten darf, sind die Chancen deutlich besser als 2000.
Gegenwärtig liegt Kaczynski (PiS) vor Olechowski, der Kandidat der SLD, Balicki, liegt auf dem dritten Platz. Für die zweite Runde stünde damit eine Stichwahl zwischen Kaczynski und Olechowski an. Laut Umfragen hätte Kaczynski mit 52% knapp die Nase vorn. Da Olechowski aber als „weicher Kandidat“ gilt, dürfte er in der zweiten Runde die Stimmen der SLD-Wähler anziehen, während Kaczynski über die konservative Wählerschaft nicht hinauskäme. Beide Kandidaten haben also gute Chancen, es steht eine knappe Entscheidung bevor.
Für die Bürgerplattform ist ein Erfolg in den Wahlen enorm wichtig. Sollte Olechowski nicht in der Lage sein, im modernen, relativ wohlhabenden Warschau zu gewinnen, hätte er nach übereinstimmenden Meinung der politischen Beobachter auch keinerlei Chancen, die Präsidentschaftswahlen 2005 für sich zu entscheiden. Die Bürgerplattform wäre damit bei einer Niederlage in Warschau führungslos, da der gegenwärtige Vorsitzende, Maciej Plazynski, umstritten ist. Für „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) wäre eine Niederlage in Warschau leichter zu verkraften. Die Brüder Kaczynski führen die Partei mit starker Hand; der Parteiaufbau gelingt besser als in der Bürgerplattform und in finanzieller Hinsicht steht PiS auf soliderer Basis als die Bürgerplattform.
In Krakau gelten die Kandidaten Majchrowski (SLD), Lassota (Freiheitsunion) und Rokita (Bürgerplattform) als aussichtsreich. Der Kandidat von PiS, Ziobro, ist relativ unbekannt. Lassota, der ehemalige Bürgermeister, gilt als aussichtsreich. Er ist in Krakau noch immer bekannt und beliebt. Sollte er es in den zweiten Wahlgang schaffen, was wahrscheinlich ist, bekäme er die Stimmen des jeweils ausgeschiedenen dritten Kandidaten, d.h. die konservativen Wähler Rokitas im Falle einer Konfrontation mit Majchrowski und die sozialdemokratischen Wähler Majchrowskis im Falle einer Konfrontation mit Rokita.
Zusammenarbeit Plattform und PiS
Die Situation in Warschau und Krakau belegt die Konkurrenz, die zwischen Bürgerplattform und PiS herrscht. Zwar hatten die beiden Parteien im Juni verabredet, für die Wojewodschaftsparlamente gemeinsame Wahllisten zu erstellen und in den Direktwahlen zum Bürgermeister jeweils einen Kandidaten zu unterstützen, sie konnten ihre Verabredung aber schlecht einhalten.
Das Rennen zwischen Olechowski und Kaczynski in Warschau war ein schlechtes Signal, die Begehrlichkeiten und Animositäten auf regionaler und lokaler Ebene taten ihr übriges. Das Ergebnis ist, dass nur in 14 der 16 Wojewodschaften eine gemeinsame Liste (POPiS) entstand – damit entfiel den beiden Parteien die Möglichkeit, im öffentlichen Fernsehen gratis für sich zu werben – und dass nur in wenigen Städten (Breslau, Oppeln, Kielce, Gorzów/Landsberg, Rzeszów, Lodz) ein gemeinsamer Kandidat für das Amt des Bürgermeisters gefunden wurde.
Darüber hinaus gestaltet sich eine Zusammenarbeit mit den weiteren Parteien des Mitte-Rechts-Spektrums schwierig. Nur in den Vorkarpaten (Wojewodschaft Podkarpackie) ist ein breiteres Bündnis unter Einschluss von POPiS, SKL-RNP, Freiheitsunion und RS entstanden, in allen anderen Wojewodschaften konkurriert POPiS mit den kleineren Parteien der Mitte-Rechten. In Breslau (Frasyniuk), Krakau (Lassota), Warschau (Bujak) und einigen anderen großen Städten treten Kandidaten der Freiheitsunion unabhängig an. Die RS wird wohl nur in den Wojewodschaften Schlesien (Marschall Jan Olbrycht') und Kleinpolen (Marschall Marek Nawara) Achtungserfolge erzielen können. Die SKL-RNP (ParteivorsitzenderArtur Balazs) spielt keine eigenständige Rolle. Die Direktwahlen zum Oberbürgermeister in den wichtigsten Städten (Zu den Abkürzungen: SLD-UP: Bündnis der Vereinigten Linken-Arbeitsunion, PO: Bürgerplattform, PiS: Recht und Gerechtigkeit, PSL: Bauernpartei, LPR: Liga der Polnischen Familien. Die Namen der aussichtsreichsten Kandidaten sind fett gedruckt.) Bialystok: Bydgoszcz/Bromberg: Gdansk/Danzig: Katowice/Katowitz: Kielce: Lublin: Lódz/Lodz: Opole/Oppeln: Poznan/Posen: Rzeszów: Szczecin/Stettin: Wroclaw/Breslau: Die Mehrheitsverhältnisse in den Wojewodschaftsparlamenten: In Polen herrschen seit Anfang der neunziger Jahre relativ klare regionale Unterschiede in der parteipolitischen Präferenz. Während im Norden und Westen die SLD (in letzter Zeit auch die "Selbstverteidigung") dominieren, sind im Süden und Osten die konservativen und christlichen Parteien stark. Der Grund ist vor allem in der gewachsenen Bevölkerungsstruktur im Osten und Südosten zu suchen. In den vom Deutschen Reich nach 1945 übernommenen Gebieten, in denen ein gewaltiger Bevölkerungsausgleich stattfand, konnten sich die Kommunisten als Beschützer vor den revanchistischen Deutschen profilieren. Diese enge Verwurzelung der kommunistischen Partei in der Bevölkerung kommt heute der postkommunistisch-sozialdemokratischen SLD zu gute. Gleichzeitig ist die Kirchgangsfrequenz in diesen Gebieten niedriger. Ausnahme in dieser regionalen Teilung sind die Dreistadt Danzig-Zopot-Gdingen in der Wojewodschaft "Pommern" sowie Stettin in der Wojewodschaft "Westpommern". In diesen Städten, den Wiegen der Solidarnosc, sind seit 1989 liberale und liberal-konservative Parteien besonders stark. Unterstützung der Parteien nach Wojewodschaften (Daten des Meinungsforschungsinstituts CBOS) Statistiken Um die Mandate in den Gemeinden, Kreisen und Wojewodschaftsparlamenten bewerben sich insgesamt 214 000 Kandidaten, um das Amt des Bürgermeisters mehr als 5 000. Es sind nahezu 47 000 Ratsmandate aller Kommunalstufen zu vergeben und 2400 Bürgermeister neu zu wählen. Die Wahlbeteiligung wird - nach Umfragen - etwa 55% betragen: ob dies angesichts der Wahlbeteiligung von 46% bei den Parlamentswahlen 2001 realistisch ist, darf bezweifelt werden. Experten schätzen, dass vor allem die Direktwahl des Bürgermeisters eine mobilisierende Wirkung haben wird. Die Stimmen werden zum ersten Mal nach dem d'Hondt'schen System ausgezählt. Dies nützt den größeren Gruppierungen. Erläuterungen zum polnischen Staatsaufbau Seit der Verwaltungsreform 1999 ist Polen eingeteilt in 16 Wojewodschaften, deren Hauptziel mit der „Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben von regionaler Bedeutung“ beschrieben wird. Politik und Verwaltung der Wojewodschaften stützt sich auf zwei Säulen. Zum einen auf die Selbstverwaltung, d.h. auf die durch Wahlen auf Wojewodschaftsebene bestimmten Organe, zum anderen auf die Verwaltung, mit dem vom Innenminister in Warschau eingesetzten Wojewoden. Der Wojewode ist dem Präfekten in einem französischen Departement vergleichbar. Seit der Verwaltungsreform 1999 gehören zu den Aufgaben der Selbstverwaltung das Bildungswesen, die Gesundheitsfürsorge, der Umweltschutz, das Straßen- und Transportwesen, sowie die öffentliche Sicherheit. Die Organe der Wojewodschaften sind das Wojewodschaftsparlament (Sejmik) und eine fünfköpfige Exekutive, d
er Wojewodschaftsvorstand. An der Spitze des Vorstandes sitzt der Marschall, ein von den Abgeordneten gewählter Vertreter.
Die Schwäche der Mitte-Rechts-Parteien kommt der SLD und der Samoobrona (Selbstverteidigung) des populistischen Bauernführers Andrzej Lepper zugute. Die „Selbstverteidigung“, die in den Umfragen gegenwärtig auf dem dritten Rang liegt, wird in vielen Städten und Gemeinden zum natürlichen Koalitionspartner für die SLD werden, da die Bauernpartei PSL nur in gewissen, ländlich geprägten Wojewodschaften Erfolge erzielen wird. Dies wird die „Selbstverteidigung“ zwar teilweise disziplinieren, gleichzeitig aber auch das gute Regieren durch die SLD erschweren. Für die polnische Demokratie wäre es sicher besser, wenn die „Selbstverteidigung“ vom Regieren fern gehalten würde und die Mitte-Rechts-Parteien eine wirkliche Opposition zur SLD darstellen würden.
Wojewodschaftsparlament, -vorstand und -marschall sind Exponenten der regionalen Selbstverwaltung. Der Wojewode hingegen stellt das oberste Organ der Regierungsadministration in der Wojewodschaft dar. Er ist verantwortlich für Polizei, Feuerwehr und Katastrophenschutz, auch für die Bauaufsicht und das Veterinärwesen. Die Zweiteilung der Verwaltung in die Selbstverwaltungs- und Verwaltungssäule stellt nach Meinung vieler Kritiker eine Schwäche der Reform von 1999 dar. Es wird vermutet, dass auf absehbare Zeit die Selbstverwaltung mehr Aufgaben aus dem Einflussbereich des Wojewoden – und damit indirekt der Zentralregierung in Warschau – erhalten wird.
Das Verhältnis zwischen Marschall und Wojewode ist in der Regel von Konkurrenz geprägt – auch wenn beide aus einem politischen Lager stammen. In der Anfangszeit der letzten Legislaturperiode waren die meisten Wojewoden bekannter als ihre gewählten Kollegen. Dies kam wohl vor allem daher, dass das Amt des Marschalls neu und seine natürliche Autorität noch nicht etabliert war.
Neben den Wojewodschaften ist Polen ferner in Landkreise und Gemeinden untergliedert. Die 65 größten Städte sind kreisfrei, d.h. sie nehmen gleichzeitig die Aufgaben der Gemeinde- und Kreisebene wahr.