Country reports
Ende Januar begannen sich vier aussichtsreiche Bewerber um das höchste Staatsamt von den restlichen 13 Konkurrenten abzusetzen: der mittlerweile in aller Welt bekannte Fujimori-Herausforderer der Betrugswahlen 2000 Alejandro Toledo, der wie Phoenix aus dem politischen Asyl zurückgekehrte und vielfach umjubelte ehemalige sozialistische Staatspräsident Alan García, der Veröffentlicher des ersten Montesinos-Bestechungsvideos Fernando Olivera und schließlich die ebenso bekannte wie unbescholtene christdemokratische Politikerin Lourdes Flores Nano. Unsicherheit bestand eigentlich nur noch in der Frage, welcher der drei letztgenannten Kandidaten, die in den Januar-Umfragen alle bei 12 bis 15 Prozent landeten, in der Stichwahl gegen den mit weitem Abstand führenden Alejandro Toledo antreten würde.
Vier Wochen später ist es plötzlich wieder spannend geworden: Ist Toledo wirklich so unverletzbar? Eine von der bekannten und angesehenen "Universität Lima" durchgeführte und am 16. Februar veröffentlichte landesweite Meinungsumfrage prognostizierte ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Toledo (27,3%) und Lourdes Flores (23,2%)! García und Olivera mussten sich mit 12,9% bzw. 7,6% zufrieden geben.
Die eigentliche Überraschung aber versteckte sich hinter der Frage, wie die einzelnen Kandidaten gegen den quasi "gesetzten" Toledo im zweiten Wahlgang abschneiden würden: Hier gewann einzig Lourdes Flores mit 45,6% gegen Toledo mit 41% (im Vergleich die anderen Paarungen: Toledo 53,4% : García 22,5%; Toledo 48,6%: Olivera 31,2%). Am 17. und 18. Februar wurden diese Ergebnisse von fünf weiteren Umfrageinstituten, die allerdings nicht mit den gleichen umfangreichen Datenbasen arbeiten wie die Universität Lima, weitgehend bestätigt.
Zum jetzigen Zeitpunkt - fünf Wochen vor den Wahlen - hieße der neue Staatspräsident Perus also nicht Alejandro Toledo, sondern Dr. Lourdes Flores Nano. Die 41-jährige ledige Christdemokratin und Anwältin, deren Christliche Volkspartei PPC bei den Kongresswahlen im vergangenen Jahr nicht einmal antreten konnte, weil sie die notwendigen 450.000 Unterschriften für die Eintragung ins nationale Wahlregister nicht zusammenbrachte, könnte damit als erste gewählte Staatspräsidentin eines südamerikanischen Landes überhaupt in die Geschichte Amerikas eingehen.
Mit diesen Entwicklungen ging ein Qualitätsverlust des Wahlkampfstils - insbesondere der einzelnen Kandidaten untereinander - einher. Mittlerweile sind inhaltliche Aussagen und der Wettstreit politischer Konzeptionen, die das Land dringend benötigt, gegenseitigen Beschuldigungen und persönlichen Angriffen gewichen. Wichtiger Streitpunkt bleiben in diesem Zusammenhang die sogenannten "Vladivideos" ("v" wird im Spanischen fast als "b" ausgesprochen), die etwa 2000 Videocassetten also, die in den Geheimdienst-Archiven des ehemaligen engsten Präsidentenberaters Vladimiro Montesinos sichergestellt worden waren und eine noch nicht bekannten Zahl von Personen des öffentlichen Lebens kompromittieren.
Nachdem es in den vergangenen Wochen zu überraschenden Veröffentlichungen von Gesprächsmitschnitten zwischen Montesinos und zum Teil als höchst integer geltenden Politikern gekommen war, hat das ohnehin tiefe Misstrauen der Bevölkerung in das gesamte politische Establishment einen nochmaligen Wachstumsschub erhalten: Den Politikern der früheren Regierungsbewegungen wird deswegen nicht mehr getraut, weil auch viele derer, von denen man es nicht angenommen hat, in dunkle Geschäfte verstrickt waren oder sich für die üblen politischen Charaden und Machenschaften eines Montesinos hergegeben hatten. Und den Vertretern der ehemaligen Oppositionen kann nicht mehr vertraut werden, weil von diesen viele schlichtweg korrumpierbar und käuflich waren und eben nicht den ethischen Grundsätzen folgten, die sie lauthals propagierten.
Die spannendste Frage lautet derzeit: Wessen Video wird morgen gesendet? Kein Wunder also, dass keiner der vier aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten bisher von den Folgen eines Vladivideos verschont worden ist, denn die "Verräter" und Überläufer finden sich in allen politischen Bewegungen. Und in einer derartig vergifteten Atmosphäre sehen einige Kandidaten ihre beste Verteidigungsstrategie darin, die anderen Kandidaten möglichst nahe in den Ruch einer wie auch immer gearteten Montesinos-Nähe zu bringen. Ob und wie lange die peruanische Bevölkerung diesem Treiben noch zusieht, bleibt abzuwarten. Zumindest wäre es typisch für das Land, wenn am 8. April ein Kandidat zum Staatspräsidenten gewählt würde, der bei den bisherigen Umfragen noch nicht einmal über den Tellerrand der namentlichen Nennung blicken konnte.