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In den ersten drei Wahlrunden, die allesamt am 15. Januar 2003 auf der Prager Burg durchgeführt wurden, konnte sich keiner der vier Kandidaten durchsetzen. Der nächste Wahltermin ist noch nicht festgelegt, muss aber verfassungsgemäß innerhalb der nächsten 30 Tage stattfinden.
Nach der erwarteten verheerenden Niederlage des Kandidaten der Sozialdemokraten wird mit großer Wahrscheinlichkeit statt Jaroslav Bures der ehemalige Ministerpräsident und einstige Vorsitzende der CSSD,Milos Zeman, an dessen Stelle kandidieren. Er wird gegen seinen Konkurrenten, den ehemaligen Vorsitzenden der ODS und einstigen Ministerpräsidenten,Václav Klaus, antreten. Dieser gilt als „Gewinner“ des ersten Wahltages.
Petr Pithart, Kandidat der KDU-CSL, dem wenige Tage vor den Wahlen die besten Erfolgschancen zugetraut wurden, blieb hinter den Erwartungen zurück. Er will nun nur dann wieder antreten, wenn die gesamte Regierungskoalition seine Kandidatur unterstützt.
Kompetenzen des Staatsoberhauptes
In Tschechien verfügt der Staatspräsident über wesentlich mehr Einfluss als in den westlichen Demokratien. Er hat ein wesentliches Mitspracherecht in der Außenpolitik. Aber auch innenpolitisch verfügt der Staatspräsident über eine starke Position. Er kann sein Veto gegen die Gesetzesvorlagen des Parlaments einlegen. Er nominiert den Ministerpräsidenten und die Regierungsmitglieder. Ohne das Einverständnis der Regierung kann er die Richter des Verfassungsgerichtes, des Obersten Gerichtshofes und den Bankenrat der Tschechischen Nationalbank ernennen.
Auch schützt den Staatspräsidenten die Verfassung vor der Absetzung. Zudem kann er nur durch das Verfassungsgericht strafrechtlich belangt werden, wenn eine Klage des Senats vorliegt. Der Staatspräsident hat das Privileg, Rechtsurteile aufzuheben oder abzumildern.
Der scheidende Staatspräsident
Nach dreizehn Jahren wird Havel am 2. Februar 2003 sein Amt niederlegen. Er war im Dezember 1989 zum tschechoslowakischen Staatspräsidenten gewählt und im darauf folgenden Juli für zwei Jahre bestätigt worden. Seine erneute Wiederwahl am 3. Juli 1992 scheiterte am Widerstand slowakischer Abgeordneter. Vorzeitig trat er am 20. Juli 1992 als tschechoslowakischer Staatspräsident zurück. Im Januar 1993, nach der Teilung der Tschechoslowakei, wurde er zum tschechischen Staatsoberhaupt gewählt und am 20. Januar 1998 wiedergewählt. Mit Beendigung der zweiten fünfjährigen Amtszeit ist eine Wiederwahl verfassungsrechtlich nicht möglich.
Das Wahlsystem und die Ergebnisse der Präsidentenwahl
Gewählt wird mit den Stimmen des Abgeordnetenhauses und des Senats in höchstens drei Runden. Die Wahlen sind geheim. Hätte ein Kandidat bereits in der ersten Runde 101 Stimmen der Parlamentsabgeordneten (von 200) und 41 Stimmen (von 81) der Senatoren erlangt, so wäre er bereits gewählt gewesen.
In die zweite Runde gelangen die beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen entweder im Senat oder im Abgeordnetenhaus erlangen. Wer über die Hälfte der Stimmen der anwesenden Senatoren und ebenfalls der anwesenden Abgeordneten für sich gewinnen kann, gilt als gewählt. Falls dies nicht der Fall ist, gehen die Wahlen in die dritte Runde. Hier treten die gleichen Kandidaten an. Die Stimmen der Senatoren und Abgeordneten werden jedoch nicht als einzelne Gruppen gewertet, sondern in der Summe. Insgesamt aber muss ein Kandidat mehr als die Hälfte aller Stimmen für sich gewinnen. Führt auch die dritte Runde zu keinem Ergebnis, müssen die Präsidentschaftswahlen wiederholt werden. Die Parteien haben dabei die Möglichkeit einen neuen Kandidaten aufzustellen.
Ergebnis der 1. Wahlrunde
Abgeordnetenhaus
Klaus = 92 Stimmen
Pithart = 20 Stimmen
Kríenecký= 44 Stimmen
Bure = 39 Stimmen
Senat
Klaus = 31 Stimmen
Pithart = 35 Stimmen
Kríenecký = 2 Stimmen
Bures = 7 Stimmen
Ergebnis 2. Wahlrunde
Abgeordnetenhaus
Klaus = 77 Stimmen
Pithart = 46 Stimmen
Senat
Klaus = 32 Stimmen
Pithart = 43 Stimmen
Ergebnis 3. Wahlrunde
Senat und Abgeordnetenhaus
Klaus = 113 Stimmen
Pithart = 84 Stimmen
Der Favorit der letzten Tage vor den Wahlen, Petr Pithart, blieb in allen drei Runden hinter Václav Klaus zurück. Bereits in der ersten Runde erhielt Klaus92 Stimmen allein von dem Abgeordnetenhaus, d.h. er konnte 34 Stimmen über die Zahl der ODS-Mandatsträger hinaus erlangen. Bures hingegen erzielte 31 Stimmen weniger als die CSSD Abgeordnete hat. Pithart bekam nur 39 Stimmen. Immerhin ist anzunehmen, dass alle 31 Abgeordneten der KDU-CSL und US/DEU ihn unterstützt haben.
Auch in der zweiten und dritten Runde lag Klaus deutlich vor Pithart, der lediglich elf Stimmen Vorsprung in der zweiten Runde durch den Senat erlangen konnte.
Die Kandidaten
Václav Klaus, Kandidat der ODS (Bürgerlich-Demokratische –Partei), geb. 19. Juni 1941, studierte Ökonomie und arbeitete viele Jahre am Prognostischen Institut in Prag. Im Dezember 1989 wurde er Finanzminister in der ersten nachrevolutionären tschechoslowakischen Regierung. Von 1992-1998 war er Ministerpräsident Tschechiens. Von April 1991 bis Dezember 2002 war er Vorsitzender der ODS, von 1998 bis 2002 Vorsitzender des Abgeordnetenhauses.
Petr Pithart, Kandidat für die KDU-CSL, geb. 2. Januar 1941, studierte an der Rechtsfakultät in Prag. Er arbeitete an der Tschechoslowakischen Akademie. Nach Unterzeichnung der Charta 77 betätigte er sich als Gärtner und Nachtwächter. Von 1990 bis 1992 war er Parlamentsabgeordneter im Tschechischen Nationalrat und tschechischer Regierungschef. Seit 1996 Senator und Vorsitzender des Senats, der oberen Kammer des tschechischen Parlaments.
Jaroslav Bure, Kandidat der CSSD (Sozialdemokratie), geb. 8. Mai 1954, studierte Jura. Nach der Revolution arbeitete er am Obersten Gericht und wurde dessen Vorsitzender. In der Regierung Zeman (CSSD) war er Justizminister. Heute ist er stellvertretender Justizminister. Mit Unterstützung des stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Stanislav Gross, wurde er Präsidentschaftskandidat.
Miroslav Krísenecký, Kandidat der KSCM (Kommunisten), geb. 1. Juni 1946, studierte an der Rechtsfakultät in Prag, arbeitete als Militärstaatsanwalt. Seit 1994 eigene Anwaltskanzlei. Von 1978 bis 1989 war er Mitglied der KSC. Heute ist er parteilos.
Reaktionen auf die Wahlergebnisse und Bewertungen
Fast alle tschechischen Tageszeitungen bildeten am Tag nach den Wahlen einen lachenden Václav Klaus ab. Auch die Überschriften ähneln sich: „Klaus hat gewonnen, aber für den Einzug auf die Burg hat es nicht gereicht“. Tschechien hat zwar noch keinen Nachfolger für Havel, aber mit Sicherheit erwartet das Land einen nächsten spannenden Wahlgang.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Milos Zeman, ehemaliger Ministerpräsident, als neuer Kandidat für die CSSD nominiert werden. Vermutlich wird es ein Duell zwischen Zeman und Klaus, den ehemaligen „Partnern“ im Rahmen des Oppositionsvertrages, geben. Der Kandidat der KDU-CSL wird wohl kaum eine Chance haben.
Zeman äußerte sich nicht zu dem Wahlergebnis. Er merkte gegenüber der Tageszeitung „Mladá Fronta Dnes“ lediglich an, dass es die freie Entscheidung des Senats und des Parlaments gewesen sei. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt erklärte er, dass er nur in einer zweiten Wahlrunde als Bewerber zur Verfügung stehe. Das Ergebnis der ersten Wahlrunde eröffnet ihm nun die mögliche Teilnahme an den Wahlen und damit auch die Rückkehr an die Macht.
Der CSSD-Vorsitzende Vladimír Spidla sagte gegenüber der gleichen Zeitung aber, dass über einen Kandidaten für die CSSD erst verhandelt werden müsse. Er hatte sich wiederholt gegen eine Kandidatur Zemans ausgesprochen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Freiheitsunion, der kleinere Partner in der Regierungskoalition, schon mehrfach ankündigte, im Falle eines gewählten Präsidenten Zeman aus der Koalition ausscheiden zu wollen.
Ein starker Flügel in der Sozialdemokratie unterstützt allerdings den Kandidaten Zeman. Dort rechnet man mit der Unterstützung der kommunistischen Fraktion im Senat und im Abgeordnetenhaus. Ein Teil der CSSD steht allerdings hinter Spidla. Deshalb wird Zeman wohl nicht die Stimmen aller CSSD Abgeordneten und Senatoren erhalten.
Deutlich wurde, dass Klaus in der Lage ist, über die ODS-Fraktion hinaus Stimmen zu erlangen. Das hat er auch während der laufenden Wahlen bewiesen, als es darum ging, die Stimmen der Kommunisten zu erhalten – sehr zum Ärger Pitharts, der dies gegenüber der „Mladá Fronta Dnes“ scharf verurteilte. Nach Presseberichten war auch das Intervenieren Spidlas bei den Kommunisten erfolglos, ihre Stimme gaben sie Pithart jedenfalls nicht. Ein weiteres Zeichen dafür, dass ihm Zeman nicht willkommen ist als neuer Kandidat.
Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen ist weiterhin unklar. Sollte auch die zweite Wahlrunde keinen Sieger ausweisen, dann ist auch eine Direktwahl des Staatspräsidenten durch die Bürger denkbar. Dazu müsste jedoch erst die Verfassung zunächst geändert werden. Die erste Wahlrunde hat auch gezeigt, dass die Position des Parteivorsitzenden Spidla bei seinen eigenen Parteifreunden angeschlagen ist. Kein gutes Vorzeichen für den kommenden Parteitag der Sozialdemokraten im April 2003.
Den Tschechen wird zunehmend bewusst, dass die Wahl des Präsidenten auch weitreichende Konsequenzen für die Zukunft der Regierung haben kann. Sollte Zeman oder Klaus gewählt werden, könnte dies das Ende der Regierungskoalition herbeiführen. Auf diesem Umstand basieren die Hoffnungen der Christdemokraten, dass doch noch einer aus ihrem Kreis die Burg erobern wird.