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Country reports

Reformbestrebungen in Frankreich

Reformen der Einwanderungspolitik und im Schul- und Ausbildungssystem

Nach den Unruhen in den Pariser Vororten und den Banlieues anderer französischer Großstädte , ist die Regierung gefordert, eine grundlegende Reform ihrer inwanderungspolitik und eine Reform im Schul- und Ausbildungssystem durchzuführen.

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Die Unruhen in den Pariser Vororten und den Banlieues anderer französischer Großstädte im vergangenen Monat haben die französische Regierung vor eine große Herausforderung gestellt. Die Verhängung des Notstandsrechts per Dekret am 8. November und die Verlängerung des Ausnahmezustands um weitere drei Monate bis Mitte Februar konnten nur eine temporäre Maßnahme sein, um die Unruhen vorübergehend einzudämmen. Um langfristige Lösungen für die den Ausschreitungen zugrundeliegende tiefere soziale Problematik zu finden, ist die Regierung nunmehr gefordert, eine grundlegende Reform ihrer Einwanderungspolitik und ebenso eine Reform im Schul- und Ausbildungssystem durchzuführen.

Einen Monat nach Beginn der Unruhen hat Premierminister de Villepin ein Konzept vorgelegt, das die Fragen der Einwanderung neu regeln und Anfang 2006 in eine umfassende Gesetzesänderung münden soll. Dies beinhaltet im wesentlichen folgende Elemente:

  • Erschwerte Familienzusammenführung

    Künftig sollen in Frankreich lebende Einwanderer zwei Jahre warten (bisher ein Jahr) bis sie einen Antrag auf Familienzusammenführung einreichen können. Zudem wird das Beherrschen der französischen Sprache stärker in den Vordergrund gestellt (Sprach- und allgemeine Staatskundetests). Auch das Verbot der Polygamie im Sinne des französischen Gesetzes ist in Zukunft von den französischen Behörden strikt anzuwenden.

  • Verstärkte Kontrolle von im Ausland geschlossenen Ehen

    Im Ausland geschlossene Ehen sollen künftig nicht automatisch, sondern erst nach Ablauf einer gewissen Frist von den französischen Behörden anerkannt werden. Dem muß nunmehr eine Prüfung auf Rechtmäßigkeit durch die zuständigen Konsulate vorausgehen. Die Zahl hat sich von 13. 000 (1995) der im außereuropäischen Ausland geschlossenen Ehen auf 34.000 (2004) erhöht. Um Scheinehen zu verhindern, sollen Ausländer, die einen Franzosen geheiratet haben und in Frankreich leben, nun erst nach vier und nicht wie bisher nach zwei Jahren eingebürgert werden. Lebt das Paar nicht in Frankreich, soll die Einbürgerung erst nach fünf Jahren (bisher drei Jahre) erfolgen.

  • Striktere Auswahl ausländischer Studenten

    Studenten können in Zukunft nicht mehr ausschließlich mit einer Immatrikulationsbescheinigung einreisen, sondern müssen sich jetzt der Prüfung durch das CEF (Centre pour les études en France) unterziehen. Diese Agentur existiert bereits in China, im Senegal, in den Maghreb Staaten und in Vietnam. Hinzu kommen sollen Niederlassungen in Mexiko, Südkorea, Libanon, Kamerun, Türkei und Madagaskar.

Die Auswahl der Studenten erfolgt durch die Universitäten. Ihr Studentenvisum gilt als Aufenthaltsgenehmigung. Diejenigen unter ihnen, die ein Diplom (mindestens Master) vorweisen können, dürfen nach ihrer Ausbildung weitere sechs Monate zur Arbeitssuche bleiben. Diejenigen, die ein mit ihrem Studium in Zusammenhang stehenden Arbeitsplatz bekommen, erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung.

  • Verkürzung der Bewerbungsfristen für Asylbewerber/ Beschleunigung der Asylverfahren

    Die Präfekturen haben jetzt nur noch 15 Tage Zeit, um eine provisorische Aufenthaltgenehmigung auszustellen oder abzulehnen, die es dem Antragsteller dann ermöglicht, sich an Ofpra (Office français de protection des réfugiés et apatrides) zu wenden. Die Zahlung der Unterstützung ist für den Asylbewerber nicht mehr automatisch, sollte dieser die vorgegebene Unterbringung ablehnen. Sollte der Antrag auf Asyl abgelehnt werden, hat der Antragsteller 15 Tage (und nicht mehr einen Monat), um Einspruch einzulegen.

  • Abschiebung von 25.000 illegalen Einwanderern

    Zwischen 80.000 und 100.000 illegale Einwanderer lassen sich - einer Einschätzung des französischen Innenministeriums zufolge - jährlich in Frankreich nieder. Da es sich um einen destabilisierenden Faktor innerhalb der Gesellschaft handelt, hat der Innenminister die den Illegalen zugestandenen Rechte – vornehmlich die Sozialleistungen, die Ausländer ohne Aufenthaltspapiere in Anspruch nehmen können - in Frage gestellt. Sarkozy ist bestrebt, den Kampf gegen illegale Arbeit zu einem seiner Hauptthemen zu machen und hat eine systematische Rückführungspolitik angekündigt.

Hinzu kommt ein Reformprojekt im Ausbildungs- und Schulwesen, im Rahmen dessen der Premierminister beabsichtigt, mit einem „5-Punkte-Plan für Chancengleichheit“ einen Schritt weg von einer globalen hin zu einer personalisierten Erziehung der Schüler in „besonders sensiblen städtischen Gebieten“ zu gehen:

  • Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit

    Ein Gespräch beim Arbeitsamt, das dann innerhalb von drei Monaten einen Vorschlag für ein Praktikum, eine Ausbildung oder eine Arbeitsstelle macht, soll fortan jedem Jugendlichen aus den „sensiblen städtischen Gebieten“ (Zones Urbaines Sensibles) ermöglicht werden. Der sogenannte „contrat jeune“ der eigentlich Jugendlichen mit Abitur vorbehalten war, wird auf alle Jugendlichen ausgedehnt.

  • Verträge zur elterlichen Verantwortung

    Um v.a. gegen das chronische Fehlen der Jugendlichen im Unterricht anzukämpfen, wird ein „contrat de responsabilité parentale“ mit den Eltern geschaffen. Diejenigen, die diesen nicht einhalten, riskieren Geldstrafen, oder den Entzug von praktischen sowie entgeltlichen Vergünstigungen. Diejenigen Eltern, die sich in den entsprechenden Programmen engagieren, können von Sprachkursen, sozialer Begleitung oder von Angeboten, wie z.B. Hausaufgabenbetreuung, profitieren.

  • Förderung der Lesefähigkeit ab der 2. Klasse

    Eine Verbesserung der Schreib- und Lesefähigkeit, die eine gezielte, persönliche Förderung von Schülern mit Lernschwierigkeiten ermöglichen soll, wird für die Jahrgangsstufe 2 angestrebt. Statistiken belegen, dass mehr als 100.000 Schüler beim Eintritt in die 5. Klasse nicht lesen können, in den ZEP liegt die Rate bei 30%.

  • Ausbau der ZEP (Zones educatives prioritaires)

    Die 900 Schulen in den ZEP werden Ziel einer Umverteilung der Finanzhilfen sein - je nach Grad der Bedürftigkeit der Schule. Zudem wird es eine spezielle Ausbildung für den Unterricht in den ZEPs geben – Lehrern werden Anreize zugesichert, dort zu unterrichten, wie z.B. Prämien (Bezahlung/ Aufstiegschancen).

  • „Junior-Lehre“

    Ohne die offizielle Schulpflicht in Frage zu stellen, können Jugendliche jetzt bereits ab dem 15. Lebensjahr eine Lehrstelle antreten. Ab dem 14. Lebensjahr soll es möglich sein, berufliche Praktika zu absolvieren.

Hinzu kommt, dass ein Dienst zur Hilfesteltung und verbesserten Orientierung während der schulischen Laufbahn geschaffen werden soll. Die bisherige Informationspolitik hat sich als unzureichend erwiesen und muss schülerfreundlich neu orientiert werden. Der Zugang der benachteiligten Schüler zu den Grandes Ecoles wird weiter ausgebaut.

Was die Kehrtwende in der Integrationspolitik betrifft, so ist eine Annäherung der Positionen von de Villepin und Sarkozy festzustellen. Das Konzept der „integration choisie“, der „gewählten Integration“ soll die „integration subie“, d.h. die „erlittene Integration“ gänzlich ablösen. Sarkozy sieht sich hinsichtlich seines Konzepts der „positiven Diskriminierung – politisch für diejenigen mehr zu tun, die weniger haben – zur Erreichung tatsächlicher Chancengleichheit bestätigt.

ne ähnliche, allerdings überraschende „Einigkeit“demonstrierten der Premierminister und sein Innenminister - der gleichzeitig auch der Präsident der Regierungspartei ist - bei einer außerordentlichen Sitzung des „bureau politique“ der UMP am 6. Dezember, bei der einmütig eine Statutenänderung zur Ermöglichung einer Mitgliederbefragung zum Präsidentschaftskandidaten beschlossen wurde: „Le Bureau politique de l’UMP a approuvé la modification des statuts portant sur: le choix du candidat soutenu par l’UMP aux élections présidentielles par le Congrès (somme des adhérents) en janvier 2007“, d.h., das Führungsgremium der Partei hat beschlossen, dass es im Januer 2007 eine Urabstimmung aller inzwischen ca. 200.000 Parteimitglieder über einen „von der UMP unterstützen Präsidentschaftskandidaten“ geben soll. Im Vorfeld dieses Formelkompromisses hatte es heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Partei zwischen den Chiraquisten und Sarkozysten gegeben. Die Anhänger Chiracs und de Villepins hatten eine UMP-Statutenänderung unter Berufung auf die Grundpfeiler der V. Republik („Nur das Volk wählt den Präsidenten“) strikt abgelehnt; selbst aus dem Sarkozy-Lager wurden kritische Stimmen laut, das möglicherweise mit der Initiierung von „Vorwahlen“ der Wahlkampf zu früh beginnen würde und dies ebenfalls zu Spaltungen im konservativen Lager führen könnte. De Villepin selbst hatte sich für die Erhaltung des Status quo ausgesprochen: „Dans nos institutions de la Vième République et compte tenu de mon engagement et ma conviction gaullistes, l’élection gaullistes, l’élection présidentielles, c’est la rencontre entre un homme et un peuple, a-t-il affirmé. Je souhaite que ce rencontre soit préservée en ce qui concerne ma famille politique.”

Michele Alliot-Marie, die Chirac-nahe Verteidigungsministerin, die auch vor einiger Zeit bekundet hat, in 2007 ein Rolle spielen zu wollen, hat den Vorschlag von „Primarien” ebenfalls als Angriff auf den Geist der V. Republik öffentlich kritisiert.

Es blieb de Villepin am 6. Dezember nur die Wahl, entweder der Sitzung des obersten Führungsgremiums der Partei fernzubleiben und Sarkozy das Terrain gänzlich zu überlassen oder aber teilzunehmen und zu versuchen, die Veranstaltung, in seinem Interesse zu lenken. Schließlich hat er es vorgezogen, bei der Sitzung als der „rassembleur“ aufzutreten, mit dem eindringlichen Appel, die Spaltung der Partei zu vermeiden. In einem Pressestatement am Folgetag verkündete der Premier „dass es seine Pflicht als Regierungschef gewesen sei, durch seine Präsenz, seine politische Formation zu einen, Verantwortung gegenüber der französischen Bevölkerung auszuüben, mit dem Ziel, das Jahr 2006 gänzlich in den Dienst der Franzosen zu stellen“.

Durch seine überraschende Teilnahme an der Sitzung des Führungsgremiums der UMP hat de Villepin seinen Anhängern ein deutliches Signal für eine eigene Mobilmachung und Kandidatur im Hinblick auf 2007 gegeben.

Theoretisch bedeutet die „Einigung“ semantischer Natur (Statt von „Vorwahlen“ spricht man nun von „Unterstützung“ eines Kandidaten) lediglich eine zeitliche Verschiebung der direkten Konfrontation zwischen Sarkozy und de Villepin auf Januer 2007. De facto indes hat Sarkozy mit dieser Statutenänderung, mit der er die Hoffnung verbindet, sich in direkter Wahl von den Parteimitgliedern zum Präsidentschaftskandidaten küren zu lassen, bereits die erste Runde des Wahlkampfes eingeleitet. Der größte Schwachpunkt de Villepins für 2007 ist nach wie vor, dass er selbst nie aus einer Wahl hervorgegangen ist und nicht auf die Partei zurückgreifen kann, wie Sarkozy es von langer Hand vorbereitet hat. Die letzten Tage zeigen ihn immer öfter bei Reisen in die Regionen, im Sinne eines verstärkten Werbens um die Mitglieder und die Mandatsträger der UMP – eigentlich die Hochburg von Sarkozy.

Was die aktuellen Umfrageergebnisse betrifft, so hat sich der Premierminister seit seinem Amtsantritt in den Meinungumfragen behaupet, seine Regierungsarbeit wird überwiegend als positiv bewertet. Allerdings ist Sarkozy – entgegen der anfänglichen öffentlichen Kritik an seiner Wortwahl und radikalen Vorgehensweise in den banlieues - ebenfalls gestärkt aus den Unruhen in den französischen Vorstädten hervorgegangen. Sein „Durchgreifen“ nach dem Motto „zero tolérance“ wird als positiv bewertet.

Staatspräsident Chirac indes geht seit den andauernden Niederlagen - gescheitertes Referendum, Krankenhausaufenthalt, mangelnde politische Präsenz während der Krise in den Vorstädten – zunehmend geschwächt aus den Umfragen hervor. In einer Umfrage Ende November hatten 66% der Befragten geäußert, dass der Einfluss des Präsidenten auf die innenpolitischen Entwicklungen und die internationale Politik „schwach“ seien. Das vernichtende Ergebnis einer Umfrage des Instituts IFOP von Mitte Dezember belegt, dass nur 1 % der Franzosen es wünschen, dass Jaques Chirac sich in 2007 zur Wiederwahl stellt.

Das Jahr 2005 neigt sich dem Ende, Frankreich steht vor großen politischen Herausforderungen – insbesondere hinsichtlich der wirksamen Umsetzung der angestrebten Reformen in der Integrationspolitik und im Hinblick auf die Fortführung der Reformen im Arbeitsmarktsektor. Ein geschwächter Staatspräsident und die beiden um die Macht in 2007 konkurrierenden Protagonisten - Premierminister und Innenminister- machen die Aufgabe nicht leichter.

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Dr. Nino Galetti

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Leiter des Auslandsbüros Italien

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