Die zweitgrößte Fraktion wird die regierende Demokratische Partei (PDM) stellen können -dank eines 2017 entgegen den Warnungen der EU und Venedig-Kommission und trotz der Kritik von Opposition und Zivilgesellschaft neu eingeführten Wahlsystems, bei dem die 50 Mandate über nationale Parteilisten und die weiteren 51 Mandate im Parlament über Direktmandate in Wahlkreisen mit einfacher Mehrheit vergeben werden. Denn obwohl die PDM landesweit mit knapp 24 Prozent der Stimmen erst auf dem dritten Platz landete, konnte sie 17 Direktmandate gewinnen. Hingegen kam zwar das pro-europäischen Wahlbündnis der bürgerlichen Opposition ACUM mit 26 Prozent der Stimmen auf den zweiten Platz, konnte aber nur 12 Direktmandate gewinnen und wird insgesamt 26 Abgeordnete stellen. Ins Parlament zieht erstmals die nach dem Bürgermeister der Stadt Orhei Ilan Shor benannte Partei (Partei „Shor“ – PPS), die mit gut 8 Prozent der Stimmen und 2 Direktmandaten auf insgesamt 7 Sitze im Parlament kommen wird. Hinzu kommen 3 parteilose Kandidaten, die ebenfalls Direktmandate erhielten, aber als der PDM bzw. Shor nahe stehend gelten.
Noch am Sonntagabend sprach Maia Sandu, Vorsitzende der Partei Aktion und Solidarität (PAS) – die zusammen mit der Partei Plattform Würde und Wahrheit (PDA) das Bündnis ACUM bildet – von der „undemokratischsten Wahl in der Geschichte des Landes“. Dabei geht es nicht nur um den Wahltag selber, sondern auch um die demokratischen Rahmenbedingungen, die einen fairen Wahlkampf ermöglichen sollten, in der Moldau jedoch aufgrund der Konzentration von Medien und Ressourcen im Umfeld der regierenden PDM bzw. deren Vorsitzenden Vlad Plahotniuc nicht vorausgesetzt werden können. Die Kluft zwischen den finanziellen Ressourcen der einzelnen Parteien wird selbst von den offiziellen Zahlen zu Ausgaben im Wahlkampf offenbart. Die PDM gab hierfür umgerechnet 3 Mio. Euro aus, die Partei „Shor“ gut 1 Mio. Euro und ACUM nur ca. 100.000 Euro. Nach den Berichten zivilgesellschaftlicher Wahlbeobachter sind diese Finanzangaben aber wohl nur für die Oppositionsparteien weitgehend verlässlich. Aufgrund der neu eingeführten Direktmandate wäre ein flächendeckender Wahlkampf erforderlich gewesen, den sich die Opposition jedoch nicht leisten konnte. Auch die Praxis der Heranziehung sog. „administrativer Ressourcen“ wird insbesondere in den Wahlkreisen der PDM geholfen haben. Hinzu kommt, dass der ganz überwiegende Teil der Massenmedien der PDM nahe steht und bereits seit Monaten effektiv für die Regierungspartei und gegen die Opposition geworben hat. Insofern geben die offiziellen Angaben zu Ausgaben im Wahlkampf ein eher verzerrtes Bild der Realität: vielmehr dürfte das Verhältnis der eingesetzten Ressourcen zwischen PDM und ACUM noch um ein vielfaches weiter auseinanderfallen als das aus den offiziellen Zahlen zu erschließende Verhältnis von 30:1.
Die zwei Vorsitzenden der ACUM-Mitgliedsparteien Maia Sandu (PAS) und Andrei Năstase (PDA) mussten außerdem einer monatelangen, von den regierungsnahen Medien intensiv betriebenen, Diskreditierungskampagne standhalten. So wurde ihnen u.a. Hochverrat vorgeworfen, wofür im Parlament der Republik Moldau sogar ein Untersuchungsausschuss gegründet wurde, der angebliche Verbindungen zu russischen Geheimdiensten konstruierte. Wie schon in früheren Wahlkampagnen war die Opposition daher weitgehend auf die Kommunikation über soziale Netzwerke angewiesen. Allerdings sahen sie sich besonders auch bei diesen Parlamentswahlen einer massiven Fake News-Kampagne auf Facebook ausgesetzt. Facebook selbst löschte in diesem Zusammenhang aufgrund von Beschwerden allein 28 Seiten und 168 Profile, von denen einige konkret Mitarbeitern der Regierung zugeordnet werden konnten.
Besonders Shor trat durch eine aggressive Sprache gegenüber der Opposition hervor. Dabei gilt Shor im In- und Ausland als Hauptdrahtzieher des berüchtigten sog. „Jahrhundertraubs“ – einer Veruntreuung von Bankengeldern in hoher dreistelliger Millionenhöhe im Jahr 2014 – und ist 2017 deswegen erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt worden. Er erhielt aber problemlos die für die Kandidatur bei der Parlamentswahl notwendige Integritätsbescheinigung, sodass in der Öffentlichkeit vermutet wird, dass Shor in Abstimmung mit der Regierungspartei agieren dürfte.
Jüngste Änderungen an der Wahlgesetzgebung gegen Ende letzten Jahres haben auch die demokratische Qualität der Durchführung der Wahl per se beeinträchtigt. So wurde erstmals Wahlagitation auch am Wahltag zugelassen. Berichte über Stimmenkauf am Wahltag gab es u.a. aus den Wahllokalen, an denen Bürger aus dem abtrünnigen Landesteil Transnistrien ihre Stimme abgegeben haben. Die eigens mit Buskolonnen gebrachten Wähler sollen für ihre Stimme 20 Dollar erhalten haben. Im Internet kursierten schon am Wahltag auch entsprechende Videos. Die Reaktion der Zentralen Wahlkommission auf Anfragen in Bezug auf den Transport von Wählern zu den Wahllokalen war ein Hinweis darauf, dass dies nicht verboten sei. Dabei gewannen unabhängige, aber wohl der PDM nahe stehende Kandidaten überraschenderweise die beiden transnistrischen Direktmandate. Auch diese Tatsache deutet auf Absprachen zwischen den Machthabern in Chişinău und Tiraspol hin.
Erstmals durfte, durch eine erst kurz vor der Wahl getroffene Regierungsentscheidung, außerdem die über eine Million Menschen zählende Diaspora nur mit gültigem Reisepass ihre Stimme im Ausland abgeben. Zuvor waren stets auch abgelaufene Reisepässe dafür zulässig gewesen. Dadurch wurde eine große Anzahl von Bürgern von der Wahl effektiv ausgeschlossen, da viele Moldauer im Ausland auch über die rumänische Staatsbürgerschaft verfügen und im Alltag rumänische Identitätspapiere verwenden. Diese Aspekte wurden auch von der Beobachtungsmission der OSZE in einer Erklärung vom Tag nach der Wahl kritisiert. Darüber hinaus fand die Wahl generell in einem gesellschaftlichen Klima statt, dass von einem fehlenden Vertrauen in demokratische Rechte und Verfahren geprägt ist. Eine Anfang Februar veröffentlichte Umfrage ergab u.a., dass 41 Prozent der Befragten glauben, die meisten Moldauer hätten Angst, politische Meinungen zu äußern, während weitere 26 Prozent erklärten, „viele“ ihrer Mitbürger hätten Angst. Unterminiert wurde das Vertrauen der Bürger auch aufgrund der offenbar willkürlichen Annullierung der Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt Chişinău im Juni 2018, nachdem sie von Năstase gewonnen worden war.
Kompliziert wurde die Abstimmung am vergangenen Sonntag auch dadurch, dass die Regierung gleichzeitig zwei konsultative Volksabstimmungen durchführen ließ – ein Referendum zur Reduzierung der Anzahl von Abgeordneten von 101 auf 61 und ein weiteres zur Einführung der Möglichkeit der Entlassung von Parlamentariern, die „ihre Pflichten nicht entsprechend erfüllen“. Dadurch sollte offenbar die Regierungspartei bei den Wählern punkten. Die Opposition hingegen rief die Bevölkerung zur Nichtteilnahme an den zwei Volksabstimmungen auf. Nur knapp 60 Prozent der Teilnehmer an der Parlamentswahl gaben auch beim Referendum ihre Stimme ab. Für die Reduzierung der Anzahl der Abgeordneten votierten knapp 74 Prozent, für die Möglichkeit der Entlassung von Parlamentsmitgliedern fast 80 Prozent. Die Umsetzung beider Vorhaben ist jedoch fraglich, zumal in letzterem Fall das repräsentative Mandat von Parlamentariern grundsätzlich in Frage gestellt würde.
Wie es nun mit der Regierungsbildung in Chişinău weitergehen soll, bleibt abzuwarten. Vladimir Plahotniuc appellierte bereits am Tag nach der Wahl an alle Parteien, sich zu Verhandlungen bereit zu erklären. Am 1. März gab ein Vertreter der PDM bekannt, dass die Partei zunächst eine Koalition mit ACUM bevorzugen würde – was aber von ACUM mehrfach im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen worden war, ebenso wie eine Koalition mit den Sozialisten. Über ein Bündnis zwischen PSRM und PDM ist in der Öffentlichkeit spekuliert worden und zumindest der PSRM-nahe Staatspräsident Dodon hat ein solches Szenario nicht gänzlich ausgeschlossen. Sowohl Dodon, als auch die pro-europäische Wahlallianz ACUM haben aber auch öffentlich die Befürchtung geäußert, dass die PDM versuchen könnte, einzelne Abgeordnete unter Druck zu setzen, um sich eine Mehrheit zu verschaffen, zu der dann auch die Stimmen der Shor-Partei zu rechnen wären. Einen entsprechenden Präzedenzfall gibt es, denn nachdem die PDM bei der Wahl 2014 nur 16 Prozent der Stimmen erhalten hatte, wechselten bis Anfang 2016 ca. ein Drittel der Abgeordneten die Partei und traten der von der PDM dominierten Regierungsmehrheit bei. Dodon hat am Donnerstag angekündigt, er würde eine dadurch zustande gekommene Regierung nicht nominieren und für den Fall eines diesbezüglichen Amtsenthebungsverfahrens mit Straßenprotesten gedroht.
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