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Country reports

Schmierkampagnen und Demonstrationen – die Ukraine im Vorfeld der Präsidentschaftswahl

by Dr. Manfred Lohmann
Anläßlich des 189. Geburtstages des Nationaldichters Taras Schewtschenko am 9. März versammelten sich mehrere zehntausend Demonstranten in mehr als 100 ukrainischen Städten, um gegen das autoritäre Regime von Präsident Leonid Kutschma und die anhaltende Wirtschaftsmisere im Land zu protestieren. Dabei schlossen sich unterschiedliche politische Kräfte wie Kommunisten, Sozialisten, der Block Timoschenko und das Wahlbündnis von Viktor Juschtschenko „Nascha Ukraina“ zusammen und kanalisierten so ihren Unmut erstmals gemeinsam. Wie bereits bei den letzten Demonstrationen im September 2002 geschehen, hielt sich der Präsident wieder im Ausland auf und ging so dem unvermittelten Volkszorn aus dem Weg. Doch die Botschaft der Demonstrationen war deutlich: „Kutschma muß weg!“

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Auf der Hauptkundgebung in Kiew prangerten die Oppositionsführer Julia Timoschenko, Viktor Juschtschenko, Oleksandr Moros und Petro Simonenko vor etwa 50.000 Versammelten die Entwicklung des politischen Systems in der Ukraine zu einer Diktatur an und konstatierten einen zunehmenden Autoritarismus. Ferner machten sie Kutschma für die verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik und Eingriffe in die Pressefreiheit verantwortlich.

Der Führer der Parteienallianz der Mitte, Juschtschenko, erklärte: „Nascha Ukraina setzt sich zum Ziel, bei der kommenden Präsidentschaftswahl das Regime abzulösen und das politische System grundlegend zu ändern.“ Um dies zu erreichen, sei es notwendig, dass sich die Vierer-Opposition auf einen „einheitlichen Präsidentschaftskandidaten“ einige. Andernfalls werde man wie bereits bei der Präsidentschaftswahl 1994 und 1999 eine Niederlage erleben. Die anderen Oppositionsvertreter schlossen sich dem an und forderten darüber hinaus die Aufhebung der politischen Zensur und die Annahme eines neuen Wahlgesetzes, das den Übergang zur Verhältniswahl vorsieht.

Bereits eine Woche zuvor hatten sich die vier Oppositionsparteien zu einem gemeinsamen Parteienkongreß getroffen, auf dem eine Reihe von gemeinsamen Zielen festgelegt wurden: So sei es notwendig, die Verflechtung von staatlicher Macht und Kapital (Oligarchen- und Finanzclans) zu trennen, eine gerechte Justiz aufzubauen, unabhängige Medien zu schaffen sowie kleine und mittlere Unternehmen zu fördern. Diese Ziele könnten nur durch einen Machtwechsel erreicht werden.

Zwiespältige Rolle Juschtschenkos

Diese beiden Ereignisse zeigen: Die Opposition setzt alles daran, um bei der Präsidentschaftswahl 2004 eine erneute Niederlage zu vermeiden und bemüht sich um Kooperation. Die Rolle von Viktor Juschtschenko ist dabei zwiespältig: Einerseits möchte er Präsident werden und den Wandel in der Ukraine herbeiführen, andererseits verweigert er sich radikaler Reformrhetorik und kritisiert Kutschma nur moderat. Strukturreformen in der Politik und Wirtschaft zu fordern, ohne den Präsidenten direkt zu kritisieren – so lautet nach Ansicht in- und ausländischer Beobachter seine derzeitige Maxime. Deutlich wurde dies auch auf dem Oppositionskongreß, bei dem er nur als Gast auftrat, nicht aber als Mitinitiator. Laut Presseberichten verspricht Juschtschenko sich von einem solchen janusköpfigen Verhalten, auch die Wähler im Osten und Süden des Landes zu gewinnen, wo die Opposition schwach ist. Denn nur mit den Stimmen der – im Westen und partiell auch im Zentrum des Landes zahlreichen – Oppositionsanhänger allein lassen sich keine Wahlen gewinnen. Dabei nimmt Juschtschenko eine Profilschwäche in Kauf, die ihm in Teilen der Bevölkerung und der Medien bereits angelastet wird. Trotz seiner immer noch hohen Popularität bei ca. 23% der Bevölkerung läuft er somit Gefahr, bei den Protestwählern gegenüber den anderen Oppositionsführern wie Timoschenko und Moros an Profil zu verlieren.

Gleichwohl wissen alle: Alleine hat kein Oppositionskandidat eine Chance gegen den – noch nicht nominierten – Kandidaten des Präsidenten, der auf jeden Fall mit der Machtfülle des Präsidialapparats und der präsidententreuen Gouverneure ausgestattet sein wird. Die entscheidende Frage im Vorfeld der Präsidentschaftswahl lautet somit: Können sich die vier Oppositionsparteien wirklich auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen?

Viele Beobachter sind der Meinung, dass diese Chance angesichts unterschiedlicher Ideologien und Zielsetzungen besonders zwischen den nationalpatriotischen Kräften von „Nascha Ukraina“ und den Kommunisten gering ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Kommunistenchef Simonenko, der sich im Umfeld von Juschtschenko und Timoschenko unwohl fühlt, selber kandidieren. Ob nun Juschtschenko der Spitzenkandidat der Dreier-Opposition wird, hängt vermutlich davon ab, ob sich die Drei auf eine Konstellation - Juschtschenko Präsident, Timoschenko Ministerpräsidentin und Moros Parlamentspräsident – einigen können.

Präsidentschaftswahlkampf hat angefangen

Die im Herbst 2004 anstehende Präsidentschaftswahl wirft damit ihre Schatten voraus. Den Auftakt zum Vorwahlkampf bildete bereits vor zwei Wochen eine Schmierkampagne, die die Entzweiung der Oppositionsführer Juschtschenko und Timoschenko zum Ziel hatte. So wurden im Westen der Ukraine, wo der Zuspruch beider Politiker am stärksten ist, etwa eine Million Flugblätter verbreitet, die in Juschtschenkos Namen sein Verhältnis zu Timoschenko diskreditieren sollten. Eine daraufhin angesetzte Parlamentsanhörung mit Innenminister Smirnow, Generalstaatsanwalt Piskun, Geheimdienstchef Radtschenko und dem Direktors der Staatspost „Ukrposhta“ – die die Postwurfsendung zustellte – konnte wenig Licht ins Dunkel bringen: die Urheber blieben unbekannt.

Die Reaktion Juschtschenkos darauf war sehr kritisch: „Ich habe Belege dafür, wer diese Aktion angeordnet hat. Nur habe ich wenig Glauben daran, dass diese Belege als adäquate Beweismittel berücksichtigt werden. Die Ermittler werden zu politischen Geiseln der Sozialdemokraten, die sich mit Ihrer Hilfe im ganzen Land durchsetzen wollen“. Mit diesem Hinweis wollte Juschtschenko verdeutlichen, dass er den Leiter der Präsidialverwaltung Medwedtschuk – zugleich Chef der Sozialdemokraten – für diese Verleumdungskampagne verantwortlich macht.

Als mögliche Kandidaten des Präsidentenlagers gelten zur Zeit neben Medwedtschuk der neue Präsident der Nationalbank, Tyhypko (bis vor kurzem Chef der Oligarchenpartei "Werktätige Ukraine"), und der jetzige Premier Viktor Janukowytsch. Der letztere hat wohl die besten Aussichten: Hinter ihm steht der einflußreiche Donezker Clan, der Politik und Wirtschaft in erheblichem Umfang beinflußt. Das Regierungsprogramm, das Janukowytsch Mitte März der Öffentlichkeit präsentiert hat, ist nach ersten Experteneinschätzungen zu populistisch, versucht alle gesellschaftlichen Aspekte gleichzeitig anzusprechen und eignet sich eher als Programm für einen Präsidentschaftskandidaten. WenKutschmaaus diesem "Terrarium der Gleichgesinnten" als seinen Nachfolger unterstützen wird, ist noch unklar. Das Fehlen eines geeigneten Kandidaten, der sowohl gegen den Oppositionskandidaten gewinnen kann als auch dem Präsidenten selbst ausreichende Immunität nach dessen Abgang garantiert, zwang Kutschma, seine alte Initiative vom August 2002 – den Übergang von einem präsidial-parlamentarischen zu einem parlamentarisch-präsidialen System mit eingeschränkten Präsidentenvollmachten – erneut aufzugreifen.

Die neue alte Initiative des Präsidenten

In seiner Fernsehansprache an das ukrainische Volk vom 5. März entwickelte Präsident Kutschma seine Vorschläge vom 24. August 2002 weiter. Nun schlägt er der Werchowna Rada vor, das Recht des Präsidenten, Minister zu ernennen, einzuschränken. Der Präsident soll demnach nur noch den Verteidigungs-, Außen- und Innenminister sowie den Minister für Katastrophenschutz ernennen. Nicht zufällig handelt es sich dabei um jene Ministerien, die wie in Rußland den Zugriff auf sämtliche Ordnungskräfte ermöglichen. Der Ministerpräsident soll ebenfalls von der Parlamentsmehrheit ernannt werden, doch behält der Präsident das Vorschlagsrecht. Die übrigen Minister und Leiter der Exekutivorgane kann das Parlament allein ernennen.

„So wird jeder verstehen, wer wofür im Staat verantwortlich ist“, erklärte der Präsident. Ferner erhält er das Recht, das Parlament aufzulösen, wenn sich keine Mehrheit bzw. Regierung im Laufe einer durch die Verfassung noch festzusetzenden Frist bildet, sowie der Staatshaushalt nicht fristgerecht verabschiedet wird. Die Gouverneure sollen jedoch weiterhin vom Präsidenten ernannt werden – diesmal jedoch auf Vorschlag des Ministerkabinetts. Des weiteren sollen die Wahlen zur Werchowna Rada und den Kommunalparlamenten zeitlich getrennt durchgeführt werden. „Damit sich die Ukraine aber nicht in einen Staat mit permanentem Wahlkampf verwandelt“, so Kutschma, müßten diese alle fünf Jahre durchgeführten Wahlen ebenso wie die Präsidentschaftswahl innerhalb von zwölf Monaten stattfinden.

Aus dem umstrittenen Referendum von 2000 übernimmt Kutschma erneut die Forderung nach einem Zweikammer-Parlament, in dem sich das Oberhaus aus je drei Vertretern aus den 27 Verwaltungseinheiten (Oblasts) der Ukraine und das Unterhaus aus 300 Vertretern politischer Parteien, die nach der Verhältniswahl gewählt werden sollen, zusammensetzen. Der Kammer der Regionen (Oberhaus) sollen zusätzlich auch die ehemaligen Präsidenten der Ukraine angehören. Der Wunsch Kutschmas, auf diese Weise eine lebenslange Immunität zu genießen, ist dabei nicht zu verkennen.

„Die vom ukrainischen Präsidenten vorgeschlagenen Verfassungsänderungen bestätigen die Vermutung, dass die jetzige Regierung keine Aussicht hat, die Präsidentschaftswahl 2004 zu gewinnen und deswegen neue Regeln erfindet, um die alten Akteure weiterhin im Spiel zu belassen“, so Viktor Juschtschenko. Die politischen Reformen, auf deren Notwendigkeit Nascha Ukraina bestehe, dürften wohl kaum vom Präsidenten ausgehen, dessen Vertrauen beim Volk gerade mal 8,6% betrage.

Zusätzlich machte Frau Timoschenko darauf aufmerksam, dass eine zeitliche Zusammenlegung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen eine Verschiebung der Präsidentschaftswahl auf das Jahr 2006 und folglich die Verlängerung der Amtszeit für Kutschma um weitere zwei Jahre bedeute.

Vor diesem Hintergrund sowie bedingt durch die anhaltende internationale Isolation besteht die Gefahr, dass sich die Staatsführung die weitere politische Unterstützung Rußlands durch eine stärkere wirtschaftliche Abhängigkeit erkauft. Davon zeugt die Wahl Kutschmas zum Ratsvorsitzenden der GUS Ende Januar 2003 sowie die Vereinbarung der Präsidenten Rußlands, der Ukraine, Weißrußlands und Kasachstans zur Bildung einer einheitlichen Freihandelszone. Diese Vereinbarung soll bis September 2003 von den vier Regierungen unterzeichnet werden, wobei neben dem geplanten Abbau von Zöllen auch die Einführung einer gemeinsamen Währung denkbar ist.

Wie korrespondiert dies mit dem offiziellen Wunsch der Ukraine, Mitglied der EU zu werden? Möchte Kutschma wirklich eine Verlängerung seiner Amtszeit bis 2006? Das sind entscheidende Fragen, auf die von offizieller Seite noch keine klare Antwort gegeben wurde


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Gabriele Baumann

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