Country reports
HINTERGRUND
Präsidialdemokratie: Starker Präsident, schwaches Parlament
Senegal, seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 eine Präsidialdemokratie, wird seit 2012 von Macky Sall regiert. Die Stellung des Präsidenten ist herausgehoben, er wird direkt vom Volk gewählt, ernennt den Premierminister sowie das gesamte Kabinett und hat nach französischem Vorbild erhebliche Befugnisse sowie eine besondere Sichtbarkeit im politischen Alltagsgeschäft. Mit der Verfassungsänderung 2016 wurde die Amtszeit des Präsidenten von sieben auf fünf Jahre verkürzt, diese Regelung gilt ab der Präsidentschaftswahl 2019 – auch wenn Macky Sall im Wahlkampf 2012 noch versprach, bereits seine erste Amtszeit auf nur fünf Jahre auszulegen. Der amtierende, seit der Unabhängigkeit vierte, Staatspräsident dominiert mit seinen Reformen sowohl die politische Agenda als auch die mediale Berichterstattung des Landes.
Multidimensionale Außenpolitik
Macky Sall hat das internationale Engagement Senegals intensiviert und eine multidimensionale Außenpolitik etabliert. In der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO/ECOWAS, in der Afrikanischen Union (AU) und in den Beziehungen zur Europäischen Union (EU) nimmt das Land eine verlässliche und kooperative Haltung ein. Senegal ist zudem eines von fünf Ländern, das unter der deutschen G-20-Präsidentschaft als Partnerland des „Compact with Africa“ für Investiti-onspartnerschaften ausgewählt wurde. Ein Beleg für seine in Afrika erkannten Entwicklungspotentiale.
Innenpolitischer Reformeifer
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche innenpolitische Reformen angestoßen. Macky Sall initiierte einen Senegalesischen Entwicklungsplan (frz. Plan Sénégal Émergent, PSE) und förderte durch Investitionen im Infrastruktur- und Energiebereich die Modernisierung des Landes – zumindest in städtischen Regionen mit Erfolg. Über den seit Anfang der 1980er Jahre währenden Konflikt in der Casamance wird bei einem Friedensprozess erfolgreich verhandelt. Wesentliche Grundrechte wie Meinungs-, Presse-, und Religionsfreiheit werden durch den senegalesischen Staat garantiert.
Zahlreiche Herausforderungen bleiben
Dennoch ist die (Jugend-) Arbeitslosigkeit weiterhin extrem hoch. Die Ungleichheit zwischen Stadt und Land steigt weiter an und Investitionsprojekte leiden unter intransparenten Vergabeverfahren. Die Reduzierung von Fluchtursachen mag nicht gelingen – nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurden bis Juni 2017 in Italien mehr Menschen aus dem Senegal registriert, als im gleichen Zeitraum 2016.
Dezentralisierung zu zögerlich
Der institutionell stark auf die Hauptstadt Dakar ausgerichtete Staatsapparat des Landes sollte durch innenpolitische Reformen, wie dem 2013 beschlossenen dritten Reformpaket der Dezentralisierungsreform (Acte III de la Decentralisation), weiter entschlackt werden. Kommunale Gebietskörperschaften sowie die 14 Regionen und 45 Departements des Landes sollten in ihrer politischen Selbstständigkeit gestärkt werden. Die Umsetzung der Dezentralisierungsreform verläuft allerdings nur zögerlich und am tatsächlichen Status-quo hat sich nur wenig geändert – auch wenn im Septem-ber 2016 mit der Schaffung des Hohen Rates der Gebietskörperschaften eine neue, den Senat ersetzende, Institution im Kontext der Dezentralisierung ge-schaffen wurde. Dem „Haut Conseil des localités territoriales“ gehören 150 Mitglieder an, 80 sind durch allgemeine Wahl gewählt und weitere 70 direkt vom Staatspräsidenten ernannt. Es bleibt abzuwarten, welche eigenen Akzente diese neu geschaffene Institution setzen wird.
64 von 150 Abgeordneten sind Frauen
Die Legislaturperiode des senegalesischen Parlaments, der eigentlichen Herzkammer jeder Demokratie, beträgt fünf Jahre. Die bisher 150 Abgeordneten werden in freier und geheimer Wahl gewählt, 2012 lag die Wahlbeteiligung allerdings bei lediglich 36,76 Prozent. Aufgrund eines 2010 verabschiedeten Gesetzes zur gleichberechtigten Vertretung der Ge-schlechter in öffentlichen Einrichtungen waren in der 12. Legislaturperiode 64 der 150 Abgeordneten Frauen. Gleichzeitig ist der Anteil der ansonsten stark benachteiligten Analphabeten im Par-lament im afrikanischen Vergleich hoch. Dies betrifft vor allem Kenntnisse der französischen Amtssprache. In der auslaufenden Legislaturperiode waren knapp ein Drittel der Volksvertreter Analphabeten.
Schwache Bilanz der 12. Legislaturperiode
Die Bilanz der auslaufenden Legislaturperiode ist ernüchternd. Das Resultat von fünf Jahren, 234 Plenar- und 220 Kommissionssitzungen waren 156 verabschiedete Gesetze, allerdings nur ein einziges Gesetz auf Initiative des Par-laments. Das Gesetz Nr. 13/2015, das die Mindestanzahl der Abgeordneten zur Gründung einer Fraktion regelt, wurde von den Abgeordneten selbst in den Gesetzgebungsprozess eingebracht und verabschiedet. Es wurde beschlossen, dass zukünftig mindestens 15 – nicht wie bisher 10 – Abgeordnete eine Fraktion bilden können. Alle anderen Gesetze wurden von der Regierung eingebracht und im Parlament lediglich vor der Verabschiedung diskutiert.
Lokalsprachen im Parlament gestärkt
Parlamentspräsident Moustapha Niasse, einer der bedeutendsten Politiker des Landes, der bereits zu Zeiten des ersten Präsidenten Leopold Sedar Senghor politisch aktiv wurde, betont jedoch die Erfolge der Legislaturperiode. So habe es erstmals regelmäßige und institutiona-lisierte Fragestunden des Parlaments mit dem Premierminister und weiteren Regie-rungsmitgliedern gegeben und es sei eine Simultanübersetzung der Parlaments-debatten in die sechs Lokalsprachen des Landes eingeführt worden. Tatsächlich ist die Abbildung der Debatten in Lokalsprachen jenseits der Amtssprache Französisch gerade für die nicht alphabeti-sierten Abgeordneten, aber auch für die interessierte Bevölkerung, von Bedeutung. Die Übersetzung der Gesetzestexte und der Beschlüsse in Lokalsprachen blieb jedoch aus.
Parlament kommt Aufgabe nicht nach
Das Parlament kommt bisher seiner Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion praktisch nicht nach. Gesetzentwürfe der Regierung werden in der Regel ohne große Änderungen übernommen und eigene Initiativen bleiben aus. Dies hat gewiss mit der Kenntnis der Abgeordneten über Aufgaben und Befugnisse zu tun, allerdings auch mit der mangelnden Ausstattung zur Ausübung ihres Mandats. Die Abgeordneten sind ohne Büro und Mitarbeiter auf sich alleine gestellt und können dem Verwaltungsapparat eines Ministeriums in realiter nichts entgegenhalten.
Wenn der Regierung bzw. dem Präsidenten an einer tatsächlichen Mitbestimmung des Parlaments gelegen ist, muss in der kommenden Legislaturperiode über die finanzielle und personelle Ausstattung der Nationalver-sammlung als dringendste Angelegenheit beraten werden. Nur dann kann von einer Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion des Parlaments – gemeinsam mit der Budgetaufstellung einer der wesentlichen Hoheitsaufgaben eines Parlaments – auch tatsächlich gesprochen werden.
Ein schwaches Parlament wird vergrößert – warum?
Mit der bevorstehenden Parlamentswahl werden erstmals 165 Abgeordnete gewählt. Die Nationalversammlung wird in der 13. Legislaturperiode um 15 Abgeordnete erweitert. Die 15 Abgeordneten entstammen allesamt aus der Diaspora und sollen die im Ausland lebenden Senegalesen vertreten. Hierzu wurden 8 Departements weltweit geschaffen, die entsprechend ihrer senegalesischen Bevölkerung Abgeordnete in das Parlament in Dakar entsenden werden. Die meisten Diaspora-Abgeordneten werden mit je sechs Sitzen aus Europa und Staaten in Afrika entsandt. Drei aus Westeuropa, drei aus Südeuropa, drei aus Westafrika, zwei aus Zentralafrika und ein Abgeordneter aus Südafrika. Je ein Diaspora-Abgeordneter wird zukünftig zu Parlamentssitzungen aus Nordafrika, Asien und Amerika anreisen.
Zukünftig 15 Diaspora-Abgeordnete
Die Entscheidung, das Parlament zu vergrößern und 15 Abgeordnete aus aller Welt in die senegalesische Nationalversammlung zu integrieren, sorgte in weiten Teilen der Zivilgesellschaft für Unmut. In der Tat ist nur schwer nachvollziehbar, weshalb die immensen Summen, die für Flüge, Unterkunft und Aufwandsentschädigungen der aus allen Erdteilen neu zu wählenden Diaspora-Abgeordneten aufgebracht werden sollen anstatt in die Verbesserung der Infrastruktur der einheimischen Ab-geordneten zu investieren. Die stets zu Plenarsitzungen eingeflogenen Diaspora-Abgeordneten verursachen einen erheblichen finanziellen Mehraufwand.
Diaspora-Abgeordnete und Aufschwung?
Im Wahlkampf selbst wurde die Vergrößerung des Parlaments weder problematisiert noch thematisiert. Es scheint das übergeordnete Interesse vorzuherrschen, durch die Einbindung von Senegalesen im Ausland auch Investitio-nen im Senegal zu beflügeln und die Anbindung – auch finanzieller Natur – der im Ausland lebenden Senegalesen an ihr Herkunftsland aufrecht zu erhalten. Es bleibt daher abzuwarten, wie die praktische Arbeitsweise der Diaspora-Abgeordneten gestaltet und welchen Nutzen diese der senegalesischen Bevölkerung tatsächlich bringen wird.
Premieren der Parlamentswahl 2017
Neben der erstmaligen Wahl von 15 Diaspora-Abgeordneten ist diese Parlamentswahl von weiteren Besonderheiten geprägt. Das erste Mal in der senegalesischen Parlamentsgeschichte treten mit 47 Listen und insgesamt 15.040 Kandidaten so viele Parteien bzw. Koalitionen auf der nationalen Ebene und in den Departementen an, wie noch nie zuvor. Bei der Parlamentswahl 2012 trat mit 24 Listen noch knapp die Hälfte der nunmehr um einen Parlamentssitz konkurrierenden Parteien an.
Knapp 300 Parteien im Senegal
Während Einige die Vielzahl der Listen als Beleg für die Vitalität der senegalesischen Demokratie auslegen, offenbart die unübersichtliche Menge an Kandidaten und Listen vielmehr ein zentrifugales Auseinanderdriften politischer Strömungen und erschwert die Formulierung eines politischen Konsenses. Bereits heute prägen knapp 300 Parteien die politische Landschaft des Senegals mit seinen ca. 14 Mio. Einwohnern. Wie soll ein Land zukünftig verlässliche und stabile politische Mehrheiten garantieren können, wenn Abspaltungen und Neugründungen von Parteien an der Tagesordnung sind, jedoch stets der persönliche und weniger der programmatische Wettbewerb im Mittelpunkt von Parteien steht? Die Unzufriedenheit und letztendliche Abkehr vieler Bürger von Parteien wird so jedenfalls immer wahrscheinlicher.
Senegalesisches Wahlsystem komplex
Das senegalesische Parteien- und Wahlsystem ist bereits heute zu komplex, um es allen Bevölkerungsschichten einfach zu vermitteln. Das Wahlsystem besteht aus einer Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht. 105 Abgeordnete (90 im Senegal) werden nach einfachem Mehrheitswahlrecht in den Departements gewählt – abhängig von der jeweiligen Ein-wohnerzahl in den Departements werden zwischen einem und sieben Abgeordneten entsandt. Die Hauptstadt Dakar mit ihren ca. 3,5 Mio. Einwohnern hat sieben Abge-ordnete. Die Partei, die in Dakar also die meisten Stimmen erhält, wird somit direkt alle sieben Abgeordnete in der Nationalversammlung stellen. Dakar ist somit – auch aufgrund der Symbolkraft als Hauptstadt – besonders umkämpft. Die weiteren 60 Abgeordneten werden nach einfachem Verhältniswahlrecht bestimmt.
Neuer Personalausweis als Wahlkarte
Eine weitere Premiere dieser Wahl bildet die erstmalige Anwendung der neuen Wahlkarte als integralem Bestandteil des neu eingeführten biometrischen CEDEAO-Personalausweises. Die Einführung des Ausweises war bereits im Vorfeld mit Prob-lemen verbunden, vor allem da der Beantragungsprozess für viele Senegalesen mehrere Wochen in Anspruch nahm. Nach Beendigung der Antragsfrist bestehen aktuell Probleme mit der Ausgabe der Personalausweise an die Bürger – etliche wahlberechtigte Senegalesen haben wenige Tage vor der Wahl noch nicht ihren sie zur Stimmabgabe berechtigenden Personalausweis. Eines von zahlreichen Wahlkampfthemen.
Erstmals kann im Senegal in 13.989 Wahlbüros die Stimme abgegeben werden. 2012 gab es noch 12.381 Wahlbüros. Offiziell sind 6.240.534 Senegalesen für die Wahl registriert. Auch hier ein Anstieg im Vergleich zur Wahl 2012.
POSITIONEN
Der Wahlkampf, der am 9. Juli offiziell begann, hat keine dominierenden Themen von herausragender Relevanz. Selbst eine Massenpanik mit 8 Toten im Fußballstadion von Dakar Mitte Juli, die kurzfristig eine Diskussion über Sicherheitsthemen entfachte, verlief sich nach wenigen Tagen ins Leere. Die Regierung wurde anfangs beschuldigt, sich nicht ausreichend um die Sicherheitsvorkehrungen gekümmert zu haben. Das Thema verpuffte jedoch schnell. Im Wesentlichen steht dem Bilanzwahlkampf der Regierungskoalition um Macky Sall, Benno Bokk Yakaar (BBY), eine Alternativkampagne der zahlreichen Oppositionsparteien gegenüber. Die Parlamentswahl gilt als Stimmungstest für die Regierung Sall und als ein Gradmesser für den möglichen Ausgang der Präsi-dentschaftswahl 2019. Es geht daher vor allem um Personen und weniger um Positionen.
Zwei wesentliche Wahlkampfthemen
Erst in den letzten zwei Wochen vor der Wahl kristallisierten sich zwei anhaltende Wahlkampfthemen heraus: Die Parlamentsmehrheit um BBY hat noch am 5. Juli in einer außerordentlichen Sitzung des Parlaments das Wahlgesetz L78 abgeändert, wonach am Wahltag nicht alle, sondern nunmehr mindestens bzw. lediglich fünf Listen mit in die Wahlkabine genommen werden müssen. Die Regierung begründet die Gesetzesänderung damit, dass aufgrund der unerwarteten Vielzahl der antretenden Listen der Wahlprozess am Wahltag verzögert würde und daher eine pragmatische Lösung gefunden werden musste. Die Opposition hingegen sieht durch diese Gesetzesänderung das Wahlgeheimnis gefährdet, da bereits vor der Stimmabgabe nachvollziehbar sei, unter welchen fünf Listen eine Auswahl ge-troffen werde. Zudem habe sich die Regierung einem unterzeichneten CEDEAO-Zusatzprotokoll widersetzt, wonach spätestens sechs Monate vor der Wahl keine Änderung des Wahlgesetzes stattfinden dürfe. Die Kontroverse um diese Gesetzesänderung hält seither an.
Ein zweites Wahlkampfthema wurde von der Koalition des früheren Staatspräsidenten Abdoulaye Wade, Mankoo Wattu Senegaal (MWS), gesetzt. Seine Koalition kritisiert, dass mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten eine Woche vor dem Wahltag noch nicht ihren neuen Personalausweis erhalten habe, die Vergabe willkürlich und zu Gunsten von Anhängern der Regierungskoalition sei und somit ein fairer Ablauf der Wahlen nicht gewährleistet werde. Abdoulaye Wade hat für den 25. Juli zu Protestmärschen vor öffentlichen Einrich-tungen, wie dem Innenministerium in Dakar, aufgerufen. Nach Vorschlägen aus der Zivilgesellschaft zeigte sich die Regierungskoalition offen dafür, bei der Wahl mit bisherigen Ausweisdokumenten oder dem Beleg der Beantragung des Personalausweises abstimmen zu können.
Programme und Vision en fehlen
Bis auf Verfahrensfragen und persönliche Angriffe bzw. gegenseitige Bezichtigungen der Inkompetenz werden keine inhaltlichen Debatten über die Zukunftsfähigkeit des Senegals geführt. Es fehlt eine Vision für das Land – we-sentliches Ziel aller Parteien ist die Machterlangung. Die Regierungskoalition BBY verweist auf die Erfolge der letzten fünf Jahre der Regierung Macky Salls (Elektrifizierung ländlicher Gebiete, PSE, Entwicklungsprojekte in der Casamance, im Norden des Landes und in Diamniado). Die Opposition um Wade und den Bür-germeister von Dakar, Khalifa Sall, verwei-sen auf die vorherrschende Vetternwirtschaft der Regierung, die intransparente Vergabe bei Großprojekten, z.B. im Zusammenhang der Erdöl- und Ergasfunde vor der senegalesischen Küste und die allgemeine Stagnation im Land.
PERSONEN
Im Wesentlichen prägen drei bis vier Personen und ihre Koalitionen den Wahlkampf.
Macky Sall und Mohamed Dionne (Benno Bokk Yakaar, BBY)
Die wichtigste Person ist Staatspräsident Macky Sall – auch wenn er selbst nicht kandidiert. Die Benennung seines Premierministers Mohamed Ben Abdallah Dionne zum nationalen Spitzenkandidaten der Koalition BBY und die eindeutige Ausrichtung des Wahlkampfs auf seine Regierungsbilanz lässt den Präsidenten omnipräsent erscheinen. Der Präsident ist in den Medien und auf Wahlbussen der BBY während des Wahlkampfs zu sehen und wirbt durch seinen Premierminister um eine erneute Parlamentsmehrheit zur Weiterführung des bestehenden Kurses bis 2019. Mit 3 Mrd. FCFA (ca. 4,5 Mio EUR) dürfte das Wahlkampfbudget dieser Koalition am größten sein. Sollte BBY erneut als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervorgehen, dürfte Macky Sall als absoluter Favorit in die Präsidentschaftswahl starten. Für Verwunderung sorgt derzeit die Wandlung des BBY-Spitzenkandidat Dionne vom ernsten Technokraten zum lebens- und angriffslustigen Wahlkämpfer. Dionne zeigt sich tanzend auf Wahlkampfveranstaltungen und reist unentwegt durch das ganze Land. Seine persönliche Zukunft dürfte ebenfalls vom Ausgang dieser Wahl abhängen.
Khalifa Sall (Manko Taxawu Senegaal, MTS)
Der seit März 2017 wegen des Verdachts der Veruntreuung öffentlicher Mittel bzw. der Führung schwarzer Kassen in der Stadtverwaltung von Dakar inhaftierte Bürgermeister der Hauptstadt, Khalifa Sall, galt bereits vor seiner Inhaftierung im Frühjahr als aussichtsreichster Gegenkandidat des Präsidenten bei der Wahl 2019. Seine Inhaftierung wurde daher als politisch motiviert angesehen. Die Regierung betont jedoch die Un-abhängigkeit der Justiz und unterstreicht die Gleichberechtigung aller vor dem Ge-setz. Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Juli die Inhaftierung des landesweit be-kannten Bürgermeisters bestätigt – den Wahltag wird der Spitzenkandidat der Liste „Manko Taxawu Senegaal“ (MTS) in Haft verbringen. Da er bisher nicht rechtskräftig verurteilt ist, kann er dennoch bei der Wahl antreten.
Wahlkampf aus dem Gefängnis
Khalifa Sall, der seit 2009 Bürgermeister Dakars ist und seine politische Laufbahn in der sozialistischen Partei begann, stilisiert sich seit seiner Inhaftierung als Opfer einer politisierten Justiz und spricht vor allem ein urbanes, junges Wählermilieu an. Am 14. Juli wandte sich Sall, der seine Haft im Wahlkampf professionell und medienwirksam zu vermarkten weiß, in einem offenen Brief an die Bevölkerung. Dabei porträtiert er sich als aufrichtigen Patrioten, der zu Unrecht in Haft sei. Er beschuldigte die Regierung für die steigende Inflation und Armut sowie die Beschneidung bürgerlicher Freiheiten verantwortlich zu sein. Das Land sei durch Macky Sall in den letzten fünf Jahren „ruiniert“ und „herabgedrückt“ worden. Nur seine Koalition könne dem Parlament seine Würde zurückgeben und stünde für eine Nationalversammlung die den Willen des Volkes zum Ausdruck bringe. Die Wahlkampagne der Koalition WTS, die auch vom früheren Premiermi-nister und Bürgermeister von Thies, Idrissa Seck, und weiteren prominenten senegalesischen Politikern wie Serigne Djamil Sy mitgetragen wird, ist vollkommen auf die Inhaftierung Salls ausgerichtet. Er wird als heroischer Politiker porträtiert, der sich selbst aus dem Gefängnis um die Belange seiner Landsleute kümmere.
Abdoulaye Wade (Manko Wattu Senegaal, MWS)
Der inzwischen 91-jährige frühere Staatspräsident Abdoulaye Wade (2000-2012) ist mit seinem Bündnis „Coalition gagnante / Mankoo Wattu Senegaal“ (MWS) gewiss der Überraschungskandidat dieser Wahl. Nach langanhaltenden Spekulatio-nen ist der Vorsitzende der Demokratischen Partei Senegals (PDS), der den Beinamen „Pape du Sopi“ (Papst der Veränderung) trägt, am 10. Juli aus seinem Wohnort bei Paris nach Dakar gereist, um seine Koalition im Wahlkampf zu unterstützen. Dies ist der erste Aufenthalt Wades im Senegal seit 2015. Der frühere Präsident wurde bei seiner Ankunft mit Privatjet von tausenden Anhä-ngern frenetisch gefeiert und kritisierte scharf die Regierung seines Nachfolgers. Das Land habe sich seit seiner Abwahl 2012 nicht verändert, sein Nachfolger „keine einzige Brücke im Land gebaut“. Wade, der seit 2012 in Versailles bei Paris lebt, forderte Macky Sall zum Verlassen des Landes auf und führt seit Mitte Juli einen harschen Wahlkampf, der die Stimmung im Land anheizt.
Er ist der wesentliche Initiator der Kampagne, die eine dilettantische Vergabe der Wahl- bzw. Personalausweise anprangert. Im Rahmen seines Wahlkampfs besuchte Wade bewusst die Nähe zu den landesweit angesehenen islamischen Gelehrtenfamilien in Touba und Tivaouane und unterstrich somit, dass er die Unterstützung der islamischen Bruderschaften habe. Tatsächlich sind im sehr religiös ausgerichteten Senegal Bilder mit den Kalifen der Städte Touba und Tivaouane sehr begehrt und entfalten eine politische Wirkung. Wade repräsentiert eindeutig das alte, 2012 abgewählte Re-gime. Es wird vermutet, dass er sich deshalb so stark in den Wahlkampf einbringt, um die Präsidentschaftskan-didatur seines sich im Exil im Katar befindenden Sohnes Karim Wade für 2019 vorzubereiten.
Aissata Tall Sall (Osez l´Avenir)
Auffällig häufig wird im Wahlkampf auch die Rolle von Aissata Tall Sall heraus-gestellt, einer angesehenen Juristin, Politikerin der Sozialisten und Bürgermeisterin der nördlichen Stadt Podor. Sie gründete erst im Mai 2017 ihre eigene Koalition „Osez l´avenir“ und gilt auf nationaler Ebene eher als Newcomerin. Sie ist eine Kandidatin, die zukünftig – gerade im Hinblick auf eine mögliche Präsidentschaftskandidatur 2019 – noch auf sich aufmerksam machen dürfte. Bei den Parlamentswahlen dürften ihre Erfolg-saussichten eher mäßig sein.
PROGNOSEN UND EINSCHÄTZUNG
• Aufgrund des senegalesischen Wahlrechts dürfte eine erneute Parlamentsmehrheit der Regie-rungskoalition BBY wahrscheinlich sein. In weiten Teilen des Landes kann sich die Regierung auf eine erfolgreiche Bilanz stützen. Die Rolle der stärksten Oppositionskraft wird vermutlich der Koalition um Khalifa Sall (MTS) zu-kommen.
• Das Wahlergebnis bleibt vor allem in Städten spannend. In der Hauptstadt Dakar wird sich vermutlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen BBY (Macky Sall) und MTS (Khalifa Sall) abzeichnen. Sollte Khalifa Sall die sieben Sitze Dakars in der Nationalversammlung für seine Koalition entscheiden können, wäre dies ein triumphaler Erfolg für den inhaftierten Bürgermeister. Die politische Zukunft des BBY-Spitzenkandidaten in Dakar, des Finanz- und Wirtschaftsministers Amadou Ba, dürfte sich anschließend ändern. Im Falle eines Wahlverlustes der Regierungskoalition in Dakar wird eine Kabinettsumbildung erwartet.
• Es bleibt abzuwarten, wer in St. Louis und in der Regionalstadt der Casamance, Ziguinchor, die Wahl für sich wird entscheiden können. In Thies dürfte aufgrund der Prominenz Idrissa Secks (Rewmi) die Koalition um Khalifa Sall die Wahl für sich entscheiden. Mit besonderer Spannung wird erwartet, ob die Eskalationsstrategie des ehemaligen Präsidenten Wade aufgehen oder ob seine politische Ära im Senegal endgültig been-det sein wird.
• Es wird bis zum Wahlsonntag offen bleiben, ob alle und wenn ja, wie viele, Wahl- bzw. Personalausweise verteilt werden. Die Wahlbeteiligung dürfte gering bleiben und zwischen 35 bis 40 Prozent betragen.
• Nachdem 165 Abgeordnete gewählt wurden, sollte eine Diskussion über die finanzielle und administrative Ausstattung der neuen Nationalversammlung geführt werden. Die Erarbeitung eines verständlichen Parteiengesetzes sollte ebenfalls vorangetrieben werden.
• Es bleibt abzuwarten, wer die 15 Diaspora-Abgeordneten sein werden und welche Rolle sie zukünftig einnehmen werden. Es liegt im Interesse Senegals, dass sich die erheblichen finanziellen Kosten für die 15 Mandatsträger der Diaspora auch für das Land auszahlen.
• Die Parlamentswahl gilt als Stim-mungstest für die Präsidentschaftswahl 2019. Zwei Kandidaten dürften nach dieser Wahl bereits feststehen: Der Amtsinhaber Macky Sall gegen den Bürgermeister von Dakar, Khalifa Sall. Es bleibt abzuwarten, ob die Wahl einen weiteren aussichtsreichen Kandidaten hervorbringen wird.