Country reports
Der Thessaloniki-Gipfel
Die auf dem sog. Thessaloniki-Gipfel ausgesprochene Einladung an die Länder des westlichen Balkans, Mitglieder der Europäischen Union werden zu können, hat historische Bedeutung. Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte des Balkans besteht die Chance auf eine dauerhafte Befriedung der Region und die Schaffung von demokratischen und stabilen Gesellschaften, in denen die rechtsstaatlichen Prinzipien garantiert sind und implementiert werden. Trotz aller Rückschläge und Risiken muss die Gesamtbilanz auch für Serbien und Montenegro cum grano salis positiv ausfallen. Vier Jahre nach Einsetzung der UNMIK-Regierung im Kosovo, drei Jahre nach der demokratischen Revolution und Beendigung des Milosevic-Regimes in Serbien, sechs Monate nach Umsetzung des sog. Belgrader Abkommens und der Schaffung der Staatengemeinschaft von Serbien und Montenegro (auch spöttisch Solania genannt)
sind Weichenstellungen und Grundvoraussetzungen für eine Stabilisierung kurzfristig noch tragfähig. Es bedarf jedoch dringend zukunftsweisender Entscheidungen, um das Risiko eines Rückfalls in die Vergangenheit dauerhaft zu eliminieren. Hier sind die nationalen Kräfte ebenso gefragt wie die internationale Gemeinschaft, die sich selber durch ihre Entscheidungen in die Pflicht hat nehmen lassen und dieser Pflicht jetzt auch nachkommen muss.
Nach der Ermordung von Zoran Djindjic
Der Mord an Ministerpräsident Zoran Djindjic am 12.März 2003 hat der serbischen Bevölkerung schmerzhaft vor Augen geführt, dass mit der Entmachtung Milosevic’s und seiner Auslieferung an das Hager Tribunal nicht automatisch auch die kriminellen Parallelstrukturen verschwunden sind. Nach den vorliegenden Informationen kamen die Mörder aus dem Umfeld des organisierten Verbrechens und einer militärischen Spezialeinheit, den “Red Berets”, die in schwere Kriegsverbrechen verwickelt sind. Die “Red Berets”, mittlerweile aufgelöst, waren eng mit Milosevic, seiner Frau Mira Markovic und dem Führer der Serbisch Radikalen Partei, Vojislav Seselj, liiert. Die Bereitschaft und späte Entschlossenheit von Zoran Djindjic, mit dem Kriegsverbrechertribunal zusammenzuarbeiten und die kriminellen Parallelstrukturen, mit Verstrickungen bis in die höchsten staatlichen Ebenen, aufzubrechen, wurden ihm zum Verhängnis. Mit der Einsetzung des Ausnahmezustandes und durch Massenverhaftungen insbesondere von Mitgliedern des für den Mord verantwortlichen Zemun Clans reagierte die Regierung entschlossen auf den politischen Mord. Mehr als 10000 vorübergehende Festnahmen führten zur Aufdeckung von 28 Morden, 23 versuchten Mordanschlägen, 45 Erpressungsversuchen, 15 Entführungen, zur Aufdeckung von Drogenhändlerringen etc. etc. Fast 3000 der Festgenommenen müssen sich vor Gericht verantworten. Eigens eingerichtete Sondergerichte werden im Herbst die Prozesse eröffnen. Die Europäische Union honorierte das schnelle und konsequente Vorgehen gegen den Angriff auf die junge Demokratie mit der Aufnahme Serbiens und Montenegros in den Europarat.
Die Operation “Schwert” machte das bereits bekannte Phänomen noch einmal deutlich, dass sich in den Strukturen der serbischen Polizei, Armee und in den Sicherheitsdiensten Verquickungen mit dem organisierten Verbrechen auf höchster Ebene finden lassen.
Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen nach Versäumnissen aus der Vergangenheit, trotz der vorliegenden Erkenntnisse nicht gehandelt zu haben, und als politisch motiviert zurückgewiesene Verhaftungen und Anschuldigungen gegen einzelne Personen, lassen mittlerweile den Eindruck erwecken, dass es mehr darauf ankommt, parteipolitisches Kapital aus dem Verbrechen zu ziehen, denn die Säuberung konsequent fortzuführen. Das gilt insbesondere auch für die Nichteinhaltung des Versprechens, der Wirtschaftskriminalität den Kampf anzusagen.
Positive Entwicklungen
Einige positive Entwicklungen sollen nicht verschwiegen werden. Die Kooperation mit dem Hager Tribunal hat sich gebessert, immer noch aber werden 16 Personen, unter ihnen Karadzic und Mladic, namentlich gesucht und Carla Del Ponte sah sich erneut Ende Juni genötigt, eine bessere Unterstützung anzumahnen.
Mit einer Reform der Sicherheits- und Intelligenzdienste und personellen Veränderungen hat der Reformprozess in den Sicherheitsdiensten endlich begonnen. Weitere Reformen und eine Reduktion der Streitkräfte sind in Vorbereitung, so dass sich Serbien und Montenegro bis Ende des Jahres für den Beitritt zu Partnership for Peace qualifizieren dürften. Am 7. August wurde gemeldet, dass 20 Generäle und 300 Offiziere entlassen wurden.
Ebenso muss anerkennend festgehalten werden, dass eine Fülle von Gesetzesvorhaben in der Zeit zwischen Mitte Mai und Mitte Juli verabschiedet wurden, einschließlich eines Parteienfinanzierungsgesetzes.
Grundübel Korruption
Das alles in allem aber noch nicht gefestigte Rechtsstaatssystem mit schwachen Institutionen, nicht genügend qualifizierten Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten und einem unterentwickelten Rechts- und Rechtsstaatsbewusstsein in der Bevölkerung, ist mit einem weiteren Problem konfrontiert: der Korruption. Neben der kriminellen Parallelstruktur hat sich in der Zeit des Sozialismus - besonders negativ in den Jahren der Wirtschaftsblockade - eine Wirtschaftsoligarchie entwickelt, die über eine unkontrollierte finanzielle Machtfülle verfügt und vor Korruption nicht haltmacht. Auch wenn in der Regel die Beweise zu den offen geäußerten Beschuldigungen und Anklagen nicht gleichzeitig vorgelegt werden, gelten die Wirtschaftsvergehen Korruption, Geldwäsche und Schmuggel gemeinhin als Grundübel in der serbischen und montenegrinischen Gesellschaft. Gegen den montenegrinischen Ministerpräsidenten Djukanovic läuft seit geraumer Zeit ein Auslieferungsgesuch seitens der italienischen Justiz wegen des Vorwurfs, in Zigarettenschmuggel involviert zu sein.
Aufsehen erregt auch der Korruptions- und Geldwäschevorwurf des früheren Nationalbankpräsidenten Mladjan Dinkic gegen zwei führende Regierungsbeamte, Zoran Janjusevic, Sicherheitsberater des amtierenden Ministerpräsidenten Zivkovic, und Nemanjar Kolesar, Direktor der staatlichen Bankenprivatisierungsagentur und früherer Kabinettschef bei Ministerpräsident Djindjic. Da die Beschuldigungen auf einem offiziellen Polizeidokument der ungarischen Polizei basieren, hat die Auseinandersetzung andere Qualität als andere unbelegte Behauptungen. Druck auf Zoran Zivkovic auch seitens des staatlichen Antikorruptionsrates und kleinerer Koalitionsparteien hat mittlerweile dazu geführt, dass Janjusevic um seine Entlassung gebeten hat, der auch stattgegeben wurde.
Politisch brisant ist der Vorfall darüber hinaus, weil er zeitlich mit der Entlassung von Dinkic als Zentralbankpräsident einhergeht. Dinkic wurde im Oktober 2000 als Wirtschaftsexperte und Mitglied der Expertengruppe G17 in das Amt berufen und übte diese Funktion erfolgreich aus. Die Währung stabilisierte sich in den vergangenen Jahren, die Währungsreserven stiegen an, das Bankensystem wurde reformiert, Vertrauen in Banken wiederhergestellt. Trotz allseits zugestandener erfolgreicher Arbeit, musste Dinkic den Posten räumen, da er nach einem neu geschaffenen Zentralbankgesetz die formalen Einstellungskriterien für einen Zentralbankpräsidenten nicht erfüllt. Dass Dinkic gleichzeitig Vizevorsitzender der neu gegründeten Partei G17+ ist, lässt die Spekulation zu, dass er letztlich aus diesem Grund seinen Job aufgeben musste, zumal seine persönlichen Umfragewerte an der Spitze eines Politbarometers lagen.
Stimmungsbarometer und Parteienentwicklung
Die Regierung stützt sich auf eine hauchdünne Mehrheit. Neuwahlen liegen turnusgemäß spätestens Ende 2004 an. Zwischenzeitlich war gemutmaßt worden, dass positive Umfragewerte für die DOS (Demokratische Opposition Serbiens) Regierungskoalition nach der Ermordung von Zoran Djindjic zu Neuwahlen führen könnten. Da sich zwischenzeitlich die Umfragewerte verschoben haben, werden vorgezogene Wahlen unwahrscheinlicher. Letzte Umfragen von Ende Juli, durchgeführt von Strategic Marketing, sehen Vojislav Kostunica’s Demokratische Partei von Serbien (DSS) bei 16 Prozent, G17+ mit einem Zugewinn von vier Prozent bei 15,9 Prozent und die Demokratische Partei (DS) des Ministerpräsidenten Zivkovic bei nurmehr 15,5 Prozent. Die Gruppe der Unentschlossenen liegt über 30 Prozent und ist als Indiz für allgemeine Parteienverdrossenheit und schwache Parteien zu interpretieren. Insbesondere lassen sich keine Aussagen über die vielen kleinen Parteien der Regierungskoalition (siehe Anlage) machen, die in der Regierung überrepräsentiert vertreten sind und Gefahr laufen, nach den anstehenden Wahlen vom politischen Erdboden zu verschwinden. Niedrige und zurückgehende Umfragewerte für die nationalistischen Rechtsparteien von Milosevic und Seselj, die beide in Den Hag vor Gericht stehen, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach wie vor ein großes Wählerpotential für nationalistische Parteien geben dürfte. Eine für europäische Verhältnisse hohe Analphabetenrate, eine stagnierende Wirtschaft auf niedrigem Niveau mit hoher Arbeitslosigkeit und sich ausbreitender Armut sowie die Direktübertragungen aus dem Hager Gericht mit der Selbstverteidigung seitens Milosevic, sind ein gefährlicher Nährboden für extreme Strömungen.
Über das Wahlsystem für die kommenden Wahlen wird noch gestritten. Das bestehende proportionale System mit einer Sperrklausel von 5 Prozent ohne Vertretungsgarantie für Minderheiten wird keinen Bestand haben. Diskutiert werden eine Kombination aus proportionalem und Mehrheitssystem, eine Beibehaltung des proportionalen Wahlsystems mit der bisherigen Sperrklausel, von der aber Minderheiten ausgenommen bleiben sollen, sowie ein Mehrheitssystem. Unabhängig vom Wahlsystem wird sich die politische Landschaft in Serbien verändern. Die Parteien der Demokratischen Opposition Serbiens waren als Anti-Milosevic-Koalition angetreten, ohne ein konkretes Regierungsprogramm entwickelt zu haben. DOS wurde in den ersten Jahren durch die DS und Ministerpräsident Djindjic dominiert, der Wille zum Machterhalt hielt die Koalition auch in kritischen Phasen zusammen. Auch Parteiwechsel und Übertritte einzelner Abgeordneter innerhalb der Koalition gefährdeten letztendlich den Zusammenhalt nicht.
Bereits heute zeichnet sich ab, dass DS, DSS und G17+ die tragenden politischen Stützpfeiler des politischen Serbien sein werden. Nicht zuletzt durch die Annäherung dieser drei Parteien an europäische Parteienfamilien (DS an die Internationale Sozialdemokratie, DSS und G17+ an die Europäische Volkspartei) besteht die Chance einer Stabilisierung und demokratischen Festigung der Parteienlandschaft. Positiv ist festzustellen, dass trotz zum Teil erheblicher programmatischer Unterschiede und zum Teil wütender persönlicher Attacken und Diffamierungen gegeneinander zumindest im Vorfeld alle die Bereitschaft zu einer Koalition nach den Wahlen mit den übrigen proeuropäischen Parteien erkennen lassen.
DS und G17+ gelten als Reformparteien, DSS ist stärker in Tradition und national geprägter Rückwertsorientierung verhaftet. Dies gilt für Fragen der Vergangenheitsbewältigung ebenso wie für die Gestaltung der zukünftigen Staatsordnung. Kostunica ist ein entschiedener Verfechter der Beibehaltung der Staatengemeinschaft zwischen Serbien und Montenegro und einer auch weiterhin bestehenden staatlichen Anbindung des Kosovo an Serbien.
Die Verabschiedung des Zentralbankgesetzes und die Ernennung der früheren Ministerin für Energie und Bergbau, Kori Udovicki, lassen erkennen, dass DS und Zoran Zivkovic den staatsinterventionistischen Kurs von Zoran Djindjic fortsetzen, während Mioljub Labus und G17+ sich für starke und unabhängige Institutionen einsetzen. Die anstehende Verfassungsreformdebatte wird unterschiedliche Positionen deutlicher pointieren. Aufgrund der staatlichen Neuordnung des zerfallenen Jugoslawien ist eine Verfassungskommission unter dem Vorsitz von Justizminister Batic einberufen worden, die die Vorlage eines Verfassungsentwurfs bis zum Frühherbst in Aussicht gestellt hat. Neben Fragen der Stellung des Staatspräsidenten und des Wahlmodus - zwei Anläufe für die Wahl des Staatspräsidenten sind am Quorum gescheitert, so dass das serbische Volk seit nunmehr fast einem Jahr nicht mehr durch einen gewählten Präsidenten vertreten wird – oder der Änderung der staatlichen Grundstruktur basierend auf der Idee der Dezentralisierung, muss die Verfassung auch Position zur Kosovofrage beziehen.
Die Kosovo-Frage
- UN-Resolution 1244 hat die Statusfrage offen gelassen. Damit ist Kosovo-Metojia nach wie vor völkerrechtlich Teil Jugoslawiens, das nicht mehr in der Staatsform des Jahres 1999 existiert.
- Das sog. Belgrader Abkommen, das mit Hilfe der EU zustande gekommen ist und eine Staatengemeinschaft Serbien-Montenegro kreiert hat, überträgt die politische Verantwortlichkeit für die ehemalige autonome Region Kosovo nicht auf die Staatengemeinschaft, sondern belässt sie bei Serbien.
- Im Rahmen der Übertragung von Kompetenzen auf lokale Institutionen wurden freie Wahlen durchgeführt, ein Parlament hat sich konstituiert und eine Regierung ist im Amt. Aber: “Man konzediert dem Land ein freigewähltes Parlament - versagt ihm aber den Parlamentarismus ”(Ernst Koehler, in FAZ vom 25.Juli 2003).
- “Standards vor Status” heißt die vom ehemaligen UNMIK-Beauftragten Michael Steiner geprägte Formel, die den Kosovaren die Verpflichtung überträgt, serbischen Rückkehrern Sicherheit zu geben, freie Bewegung zu garantieren, kurz: als Mindestvoraussetzungen die Rechte der serbischen Minderheit zu wahren und sicherzustellen. Die Formel eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit der von den Kosovaren geforderten Selbstbestimmung auf Unabhängigkeit.
- “Kosovo darf und soll nie wieder serbisch werden, aber auch nicht nur albanisch (Bischof Artemije, Bischof von Raska und Prizren)”. Würden alle Akteure sich auf diese Formulierung verständigen können, und der Bischof in seinem Wirkungsumfeld aktiv eine Umsetzung beginnen, wäre eine gute, wenngleich minimale Voraussetzung für Lösungsansätze gegeben. Die Fronten sind jedoch nach wie vor verhärtet. Die unterschiedlichen Vorschläge greifen das gesamte mögliche Spektrum der Extremlösungen oder Grenzverschiebungen oder Zwangsumsiedlungen ab.
Belgrad wird wahrscheinlich auf einer Position des integralen Bestandteils des Kosovo von Serbien bestehen, Pristina wird die Forderung nach Unabhängigkeit nicht fallen lassen. Die Bandbreite der Argumente gegen die Unabhängigkeit ist schier unermesslich: Fehlende Garantien, Präzedenzfall für weitere nach Unabhängigkeit strebende Gebiete, Gefahr eines Großalbanien. Ebenso ist die Bandbreite für einen Verbleib bei Serbien schier unerschöpflich: Terrorismusgefahr, Dominanz von serbischer Mehrheit über Minderheiten und serbischer Minderheit über die kosovoalbanische Mehrheit, Versagen des weltweit verbrieften Rechtes auf Selbstbestimmung, etc. etc.
Eine Lösung kann nur dann gefunden werden, wenn Serbien die Freigabe der früheren autonomen Region Kosovo und Metohija aus dem alten gemeinsamen Staatengebilde leichter gemacht wird. Dies könnte darin bestehen, dass für die serbische Bevölkerung internationaler Schutz in den serbischen Gebieten erhalten bleibt, dass auf Reparationsforderungen – im übrigen auch ein Problem in den Beziehungen zu den übrigen Teilstaaten - verzichtet wird, dass Eigentumsfragen gelöst werden und vor allem, dass Serbien eine zügige Aufnahme in die Europäische Union eröffnet wird. Dieser zügigen Aufnahme könnte aber gerade die Europäische Union in der Montenegro-Frage im Wege stehen, ein weiteres offenes Problem mit nicht unerheblicher Bedeutung für die internationale Staatengemeinschaft.
Die Montenegro-Frage
Eine vorzeitige Unabhängigkeit Montenegros konnte nur durch Intervention der Europäischen Union verhindert werden. Nach schwierigen und langen Verhandlungen gelang es, im sog. Belgrader Abkommen, eine Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro zu gründen, die nach drei Jahren nach entsprechendem Volksentscheid wieder aufgelöst werden kann, wenn dafür eine Mehrheit zustande kommt. Das, was gerne (und stolz) als ”Ehe auf Probe” bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit besser als “Scheidung auf Raten” umschrieben. Zwar gibt es ein gemeinsames Bundesparlament und gemeinsame Außen-, Verteidigungs-, Minderheiten- und Binnenmarktministerien, die Gemeinsamkeit im praktischen und politischen Alltag verläuft jedoch holprig. Unterschiedliche Währungen und Zollbestimmungen lassen gerade an den ökonomischen Nahtstellen Trennendes und unterschiedliche Interessen erkennen. So braucht Serbien zum Schutz der eigenen Landwirtschaft und Landbevölkerung hohe Einfuhrzölle, Montenegro hingegen zur Versorgung der eigenen Bevölkerung niedrige Zölle. Dadurch wird die Erstellung eines Aktionsplans als Vorbedingung der Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen und der späteren EU-Mitgliedschaft erschwert. In langen Verhandlungen geht Zeit verloren - der Regierung von Montenegro wird ohnehin eine nachweisbare Verzögerungsstrategie vorgeworfen - Institutionen werden aufgebaut, die in drei Jahren nicht mehr benötigt werden dürften - der Anteil der für eine Unabhängigkeit votierenden Montenegriner nimmt stetig zu - kurzum, Kritiker der EU-Position sehen eine Diskrepanz zwischen der großzügigen Einladung an Serbien und Montenegro, Teil der EU werden zu können und des kleinmütigen Beharrens auf einer diese Integration verzögernden Harmonisierungspolitik. Entschiedener Kritiker der EU Position ist der Vorsitzende von G17+, Prof. Labus, seinerzeit Unterzeichner des Belgrader Abkommens, der heute eine schnellere und bessere Lösung für eine EU Mitgliedschaft von Serbien und Montenegro in getrennten Beitrittsgesuchen sieht. ”Ich meine, dass es besser wäre, wenn wir versuchen würden, in die EU vor allem als separate Staaten reinzukommen, weil die letzten sechs Monate es deutlich machten, dass dieses Modell nicht funktioniert und die Annäherung an die EU verlangsamt” (BETA vom 4.8.2003). Diese Position wird auch von der Sozialdemokratischen Partei Montenegros mitgetragen. Als Vorbild gilt das “Tschecho-Slowakische-Modell”. Die EU ist gefragt, ob das Belgrader Abkommen, das erfolgreich einen drohenden Konflikt zwischen Serbien und Montenegro mit der Gefahr des Blutvergießens verhindert hat, nicht revidiert werden muss, wenn es ungeeignet ist, eine andere Fragestellung zu lösen.
Internationaler Strafgerichtshof
Ohnehin kommt auf die EU noch eine Aufgabenfülle zu, wenn der Prozess der demokratischen und friedlichen Fortentwicklung irreversibel gemacht werden soll. Bedauerlicherweise hat das Tauziehen um den Internationalen Strafgerichtshof die Länder des westlichen Balkans in einen Konflikt gebracht, den sie nicht nur nicht ausgelöst haben, nicht wollten noch brauchen. Im Umgang miteinander ist ohnehin der Zeitpunkt längst gekommen, dass Partnerschaft und Dialog an die Stelle von Vorgaben und Bevormundung treten sollten – erinnert sei an die Androhung von Sanktionen seitens der USA und der EU in Zusammenhang mit dem internationalen Strafgerichtshof - ohne darauf zu verzichten, klare Absprachen zu treffen und bekannte und allgemein verbindliche Kriterien auf ihre Anwendung und Umsetzung zu überprüfen. Das gilt auch für Serbien und Montenegro.