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Country reports

Sozialpolitik auf dem Prüfstand

Armut und Verstädterung in der Mongolei

Im folgenden Länderbericht wird aufgezeigt, wie das mongolische Sozialsystem aufgebaut ist und welche Lösungsansätze es für die Probleme gibt.

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Sozialpolitik

Von Dr. Daniel Schmücking und Janine Nowak

Seit dem erkämpften Systemwechsel im Jahr 1990 haben sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Mongolei stark verändert: Die Mongolei hat sich für ein demokratisches System entschieden und hat seitdem große wirtschaftliche Gewinne verzeichnen können. Trotz dieser Erfolge lebt eine überproportionale Anzahl der Mongolen in Armut. Das explosionsartige Wachstum von Ulaanbaatar hat zu einer Verschärfung der sozialen, gesundheitlichen und infrastrukturellen Probleme in den Stadtrandgebieten geführt. Auf der politischen Ebene gibt es bei allen etablierten Parteien kaum Strategien, um die sozialen Probleme im Land zu lösen. Viele Menschen leiden deshalb unter prekären Lebensverhältnissen.

Armut und Verstädterung in der Mongolei

In den Jahren zwischen 1990 und 2010 betrug die Armutsrate der Mongolei noch 35% . Der Rohstoffreichtum bescherte dem Land einen wirtschaftlichen Aufschwung. So konnte auch die allgemeine Armut reduziert werden. Die Bertelsmann-Stiftung hebt die Mongolei auf der Grundlage ihres Transformationsindex (BTI) 2016 sogar als eines der wenigen Länder hervor, in denen „die soziale Ungerechtigkeit im Verlauf der vergangenen zehn Jahre deutlich abgenommen hat“ . Trotz einer deutlichen Verbesserung der sozialen Lage lebt heute fast ein Viertel der mongolischen Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Für einen von fünf Mongolen bedeutet das nicht über die nötigen Mittel zu verfügen, um sich ein Minimum des täglichen Bedarfs zu leisten. Hinzu kommt, dass beinahe die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter arbeitslos ist. Besonders betroffen von Armut sind kinderreiche Familien, Alleinerziehende, Waisen und alleinstehende alte Menschen.

Etwas anders als die Bertelsmann-Stiftung bewertet die Asian Development Bank die Entwicklung des Verhältnisses von Arm und Reich in der mongolischen Gesellschaft. Auf der Grundlage des Household Socio-Economic Survey 2014 des Statistikamtes der Mongolei verweist sie auf ein signifikantes Auseinanderdriften von Arm und Reich und eine beständige gesellschaftliche Ungleichheit mit großen Unterschieden im Konsumverhalten. Die wirtschaftliche Situation in der Mongolei hat sich seit 2012 stetig verschlechtert und die hohe Inflation führt zu steigenden Lebensmittelpreisen, unter denen besonders die arme Bevölkerung und die Mittelschicht leiden, die letztere wiederum anfällig für Armut macht.

Die ländlichen Gebiete der Mongolei sind immer noch am stärksten von Armut betroffen. Die schlechten Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten auf dem Land verursachen eine zunehmend starke Land-Stadt-Migration. Heute wohnt bereits die Hälfte der drei Millionen Einwohner der Mongolei in der Hauptstadt und das bei einer Landesfläche die 4,5mal so groß ist wie Deutschland. Die Landflucht hat in den vergangenen zehn Jahren zu einem explosionsartigen Wachstum der Stadtrandgebiete geführt, was dort wiederum eine Verschärfung der infrastrukturellen und sozialen Probleme verursacht hat, während das Stadtzentrum schon längst zu einem Ort des Wohlstands herangewachsen ist. Die Bevölkerungszahl dieser informellen Siedlungsgebiete am Stadtrand von Ulaanbaatar wird auf 800.000 geschätzt, was 60% der Stadtbevölkerung und 30% der Landesbevölkerung ausmacht.

Das Gebiet ist gekennzeichnet durch eine ungeplante Besiedlungsstruktur, überwiegend unbefestigte Straßen, das Fehlen von sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen und von Wasser-, Abwasser- und Heizungsanlagen. Die fehlenden sanitären Anlagen und eine mangelhafte Müllentsorgung verursachen extrem unhygienische Lebensbedingungen und führen zu einer zunehmend starken Bodenverschmutzung. Die Luftverschmutzung während der Wintermonate, in denen die Temperatur bis -40°C sinken kann, wird überwiegend durch Haushaltsbeheizung mit fossilen Brennstoffen und auch ungeeigneten Materialien wie Autoreifen verursacht. Die Luftverschmutzung in Ulaanbaatar ist weltweit eine der schlimmsten. Es ist sogar eine Zuspitzung der Situation zu erwarten, da bis 2022 mit einem Bevölkerungszuwachs von 400.000 Menschen gerechnet wird. Die aktuelle Situation in der Stadt ist bereits jetzt katastrophal. Ein Bevölkerungswachstum stellt unter den momentanen Bedingungen eine ernsthafte Gefahr für die Umweltbedingungen und die Gesundheit der Bewohner dar und könnte zu einem Zusammenbruch der Infrastruktur, wie des Verkehrs, der Abwasser- und Elektrizitätsversorgung, führen.

Die Wohnsituation der Menschen in den informellen Siedlungsgebieten ist sehr schlecht. Viele leben in Jurten, den traditionellen Zelten der Nomaden, die landesweit den Menschen als übliche Behausung dienen, was auch der Grund für die Bezeichnung Jurtenviertel ist. Andere, die schon länger dort siedeln und über entsprechende Mittel verfügen, haben sich bereits Häuser gebaut. Die Menschen leben ohne fließendes Wasser und mit Toiletten im Hof, die nicht viel mehr als Erdlöcher sind. Diese Situation ist besonders für alte und behinderte Menschen problematisch. Auch das Siedeln an den Hügelketten, die die Stadt umgeben, stellt ein Risiko dar, da es bei Regen nicht selten zu Überschwemmungen und Erdrutschen kommt. Im Allgemeinen ist der Anteil derer, die am oder unterhalb des Existenzminimums leben, arbeitslos sind oder sich in einer prekären Beschäftigung befinden, in den Jurtenvierteln am höchsten.

Das soziale Sicherungssystem der Mongolei und seine Hindernisse

Während der Planwirtschaft in der Mongolei vor 1990, bezahlten die Menschen ihre soziale Absicherung mit ihren Freiheitsrechten. Der soziale Sektor, wie Bildung, Gesundheit und das soziale Sicherungssystem wurden dank sowjetischer Subventionen vom Staat finanziert. Die Gesundheitsversorgung war für alle universell zugänglich. Alle Bereiche der Gesellschaft waren durch das Rentensystem abgesichert und der Staat versorgte seine Bürger mit einer umfassenden Bandbreite an Sozialleistungen für Familien, Kinder und andere gefährdete Gruppen. Mit der Beendigung der finanziellen Unterstützung durch die Sowjetunion, musste die mongolische Regierung drastische Einschnitte bei den Gesundheitsausgaben und der Sozialfürsorge vornehmen. Nach dem politischen Umbruch der Mongolei initiierte die Regierung Schritte zur Veränderung des Sozialfürsorgesystems von einem universellen Zugang hin zu einem mehr zielorientierten Unterstützungssystem.

Heute gibt es das Amt für Sozialversicherung, das Amt für Sozialfürsorge, die nationale Behörde für Kinder und die Behörde für Menschen mit einer Behinderung, die alle dem Ministerium für Bevölkerungsentwicklung und Sozialfürsorge, das im Jahr 2012 neu gegründet und vom Ministerium für Arbeit getrennt wurde, unterstellt sind. Ziel der öffentlichen Dienste und Sozialhilfeleistungen ist die Sicherung der Lebensgrundlage gefährdeter Gruppen, wie der als arm geltenden Bevölkerung und derjenigen, die ohne Sozialhilfe nicht überleben könnten, wie etwa kranke und behinderte Menschen. Gesetzlich verankert ist die Sozialfürsorge im Gesetz für Sozialhilfe, im Gesetz der Sozialhilfe für ältere Menschen und im Gesetz für behinderte Menschen.

Demnach scheint die mongolische Gesellschaft gesetzlich und institutionell sozial gut abgesichert zu sein. In der Praxis gibt es jedoch viele Hindernisse, die den Zugang zu Sozialleistungen erheblich erschweren oder sogar unmöglich machen. Die Asian Development Bank identifizierte im Jahr 2008 folgende hindernde Faktoren, die bis heute bestehen: Wie etwa, dass die Umsetzung all dieser Sozialgesetzte durch ein zu geringes Budget erschwert wird, dass das Sozialwesen stark zentralisiert ist und nicht alle Bedürftigen Zugang zu den benötigten Institutionen haben, dann etwa, wenn sie abgelegen wohnen und auf Transportmittel angewiesen sind, was für Betroffene oftmals mit hohen Kosten verbunden ist. Sowie die mangelnde Kontrolle darüber, ob alle Sozialhilfeempfänger tatsächlich leistungsberechtigt sind. Demnach sei es möglich, dass Leute, die über genügend finanzielle Mittel verfügen, staatliche Unterstützung beziehen, für Andere, wirklich Bedürftige hingegen, waren die Renten lange Zeit viel zu niedrig, um davon leben zu können. Ein lückenhaftes Einwohnermeldewesen in der Hauptstadt führt dazu, dass jene, die vom Land kommen und keine Personaldokumente besitzen, auch keinen Zugang zu Sozialleistungen und Schulbildung erhalten. Ein weiteres Hindernis besteht für jene, die im informellen Arbeitssektor tätig sind und deshalb nicht in das Sozialversicherungssystem einzahlen.

Lösungsansätze und Zukunftsperspektiven der Sozialpolitik

Auf der politischen Ebene kommt die Bertelsmann-Stiftung zu einer positiven Bewertung der Sozialleistungen der mongolischen Regierung und begründet, dass es der Mongolei besser als den meisten vergleichbaren Volkswirtschaften gelinge, für den sozialen Schutz ihrer Bürger zu sorgen. Dies wird auf den Angaben der Regierung von 2013 begründet, wonach die Mongolei im Vergleich einen höheren Prozentsatz ihres Bruttoinlandsproduktes für Sozialleistungen in Form von direkten Transferzahlungen an ihre Bürger ausgab als die meisten anderen Schwellen- und Entwicklungsländer. Die Asian Development Bank, die den Ausbau des sozialen Sektors der Mongolei mit Millionenzahlungen unterstützt, beschreibt dennoch große Hindernisse bei der Umsetzung von Gesetzten für den sozialen Sektor und begründet diese in der politischen Willkür, sowie in der mangelhaften Zusammenarbeit der zuständigen Ministerien. Es wird von einem Widerstand auf politischer Ebene gegen die Umsetzung von Reformen berichtet und dabei beispielhaft von willkürlichen Kürzungen des Parlaments in den Sozialversicherungsbeiträgen, ohne vorherige Rücksprache mit dem zuständigen Ministerium, gesprochen. Ein weiteres Problem sieht die Asian Development Bank in der Tatsache, dass das Ministerium für Bevölkerungsentwicklung und Sozialfürsorge mit der Verwaltung von 71 Sozialfürsorgeprogrammen betraut ist. Daraus ergebe sich eine Fragmentierung dieser Programme und Duplizierungen von Sozialleistungen, sowie hohe Verwaltungs- und Umsetzungskosten. Manche Sozialleistungen werden durch verschiedene Ministerien und Institutionen verwaltet, was eine Fokussierung auf die Hilfsbedürftigen der Gesellschaft erschwert.

Im Jahr 2013 verabschiedete das Parlament den überarbeiteten Masterplan Stadtentwicklung 2020. Der Masterplan schließt seitdem auch die Stadtrandgebiete und ihre Entwicklung mit ein und erkennt die Gebiete als wichtiges Element für die künftige Stadtentwicklung an. Die Kommunalverwaltung von Ulaanbaatar hat mit der finanziellen Unterstützung der Asian Development Bank einen Entwicklungsplan für die Stadtrandgebiete entworfen und im Zuge dessen eine Agentur für die Entwicklung der Stadtrandgebiete gegründet, die der Aufsicht des stellvertretenden Bürgermeisters unterstellt ist. Ziel des Projekts ist die Verlegung eines Abwassersystems und der Ausbau der urbanen Infrastruktur und öffentlicher Dienstleistungen in zwei Stadtrandgebieten (Selbe und Bayankhoshuu) von Ulaanbaatar. Die tatsächliche Umsetzung der Bauarbeiten hat dieses Jahr begonnen und die Ergebnisse dieses 10-Jahresplans sind abzuwarten. Auch lässt sich eine Bebauung der Gebiete nicht umstandslos umsetzen, da Eigentumsrechte von Siedlern betroffen sind und Verhandlungsgespräche nötig machen.

Zu den kürzlich veröffentlichten Vorhaben der mongolischen Regierung im sozialen Sektor gehört der nationale Entwicklungsplan 2016 bis 2020, der u.a. einen Beitrag zur Nachhaltigen Entwicklungsvision der Mongolei 2030, zu den Vorschlägen zivilgesellschaftlicher Organisationen und zu internationalen Abkommen leisten möchte. Die Ziele des Regierungsplans beziehen sich auf ein breites Spektrum von Politikbereichen. Für die Sozialpolitik formuliert die Regierung einen umfassenden Zielekatalog, dazu gehören die Reduzierung der Armut und Arbeitslosigkeit, die Schaffung einer angemessenen und effizienten Infrastruktur für die Umsetzung öffentlicher sozialer Dienste, eine allgemeine Verbesserung der Lebensbedingungen und das Schaffen von gleichen Voraussetzungen für alle Bürger. Konkret sollen zum Beispiel alle Kinder Zugang zu Kindergeld bekommen und eine bessere Rechtssicherheit für alleinerziehende Eltern und Haushalte mit niedrigem Einkommen umgesetzt werden. Offen bleibt jedoch, wie die Regierung ihren umfassenden Entwicklungsplan bis 2020 umsetzen möchte. Welche konkreten Strategien und Programme wird die Regierung im Rahmen ihrer Sozialpolitik verfolgen und welche personellen und finanziellen Mittel wird sie dafür zur Verfügung stellen (können) ? Darüber hinaus bleibt unklar, welches Gesellschaftsbild die mongolische Regierung mit ihren sozialpolitischen Maßnahmen verfolgt, wie sie sich zum Beispiel in Fragen der Familienpolitik positioniert oder welche Schwerpunkte sie in der Sozialfürsorge setzt? Hierzu scheint die mongolische Regierung noch keine kohärenten Strategien entwickelt zu haben.

Fazit

Die Mongolei schneidet in Bezug auf ihre Sozialpolitik, ihre Ausgaben für den sozialen Sektor und bei der Armutsreduzierung der vergangenen Jahre zahlenmäßig vergleichbar gut ab. Beim näheren Hinsehen wird jedoch deutlich, dass es ein signifikantes Ungleichgewicht von Arm und Reich in der Gesellschaft gibt, und dass ein Großteil der Bevölkerung in prekären Lebensverhältnissen lebt. Trotz einer gesetzlich und institutionell relativ guten sozialen Absicherung bleiben das Sozialversicherungssystem und die Sozialfürsorge lückenhaft. Sie erreichen oftmals nicht jene Menschen, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Der Entwicklungsplan 2016 bis 2020 der Regierung für den sozialen Sektor formuliert zwar zahlreiche Ziele, doch gibt das Papier keinen Aufschluss über Form und Mittel zur Erreichung der benannten Ziele. Dabei könnten viele Probleme nur durch einen umfassenden Strukturwandel gelöst werden: Eine Dezentralisierung der Verwaltung, sowie eine gezielte Förderung von Nichtregierungsorganisation im sozialen Sektor wären sinnvolle Maßnahmen. Ebenso bleibt unklar, welche Strategien die Regierung verfolgt, um der Armut in den ländlichen Gebieten entgegenzuwirken. Eine Verbesserung der Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten in den Provinzen wäre dringend notwendig, um den Verstädterungsprozess abzumildern. Zudem sollten Anreize geschaffen werden, um eine Migration in andere mongolische Städte zu ermöglichen. Damit könnte der Druck auf die sich verschärfenden Problemen in der Hauptstadt reduziert werden. Gerade durch die derzeit begrenzten finanziellen Mittel ist die Entwicklung von effektiven Strategien von großer Bedeutung. Die Reduzierung der Armut ist die Voraussetzung damit Freiheitsrechte überhaupt wahrgenommen werden können, die wiederum der Grundpfeiler für eine funktionierende Demokratie sind.

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