Country reports
Weder der allseits erwartete Wahlsieg Alejandro Toledos noch die Tatsache, dass es zu einer Stichwahl um das höchste Staatsamt kommen wird, bildeten dabei die Schlagzeile, sondern der Triumph Alan Garcías über die einzige weibliche Präsidentschaftskandidatin, Dr. Lourdes Flores Nano, im Rennen um den zweiten Platz.
Diesem dramatischen Finish waren spannende Tage und Wochen vorausgegangen. Ende Januar begannen sich vier aussichtsreiche Bewerber um das höchste Staatsamt von den restlichen 13 Konkurrenten abzusetzen:
- der mittlerweile in aller Welt bekannte Fujimori-Herausforderer der Betrugswahlen 2000 Alejandro Toledo mit seiner Bewegung "Perú Posible",
- der schon Ende Januar bei seiner Rückkehr aus dem politischen Asyl vielfach umjubelte ehemalige sozialistische Staatspräsident Alan García (APRA),
- der Veröffentlicher des ersten Montesinos-Bestechungsvideos Fernando Olivera (Chef der "Frente Independiente Moralisador" FIM - Unabhängige Moralfront) und schließlich
- die ebenso bekannte wie unbescholtene christdemokratische Politikerin Lourdes Flores Nano, Leitfigur der Wahlallianz "Unidad Nacional" (Nationale Einheit).
Die eigentliche Überraschung der damaligen Umfragen aber versteckte sich hinter der Frage, wie die einzelnen Kandidaten gegen den quasi "gesetzten" Toledo im zweiten Wahlgang abschneiden würden: Hier hätte einzig die 41-jährige ledige Anwältin und ehemalige Kongressabgeordnete Lourdes Flores die reelle Chance gehabt, Toledo zu bezwingen und erster weiblicher Staatspräsident Südamerikas zu werden.
Der erneute Umschwung zeichnete sich erst wenige Tage vor dem Wahltermin ab, als Alan García sich immer weiter an Lourdes Flores heranarbeitete und einige Umfragen ihr nur noch einen hauchdünnen Vorsprung von einem Prozentpunkt einräumten. Dennoch: niemand glaubte ernsthaft an die Möglichkeit einer Wiederkehr des 1990 mit nationalem Schimpf und internationaler Schande aus dem Präsidentenamt geschiedenen Sozialisten García, der das Andenland in seine tiefste Wirtschaftkrise mit 7600% Inflation gestürzt und kein probates Mittel gegen den alles zerstörenden Terrorismus eines Sendero Luminoso gefunden hatte. Die Entscheidung der rund 15 Millionen peruanischen Wahlpflichtigen fiel dann auch zwar knapp, aber dennoch deutlich genug aus:
(Stand: Zwischenergebnis der nationalen Wahlbehörde ONPE vom 13. April, 18.00 Uhr, beim Auszählungsstand von 97,91% aller abgegebenen Stimmen)
Bei den gleichzeitig durchgeführten Wahlen zum 120 Sitze umfassenden Kongress traten auch Bewegungen und Parteien an, die keine eigenen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen geschickt hatten. Das neu eingeführte Wahlkreissystem ersetzte das bisher übliche System nationaler Listen und gewährleistete in dem stark zentralistisch geprägten Land erstmals eine zumindest quantitativ bessere Vertretung der Provinzen gegenüber der alles beherrschenden Metropole Lima.
De facto hätten im alten System alle 120 Abgeordneten aus Lima stammen bzw. in Lima ansässig sein können. Das neue Wahlkreissystem teilt allen Provinzen eine bestimmte, von der Höhe der Einwohner abhängige Zahl an Kongresssitzen zu (Lima wird künftig von 35 Abgeordneten vertreten werden).
(Zwischenergebnis der nationalen Wahlbehörde ONPE vom 13. April, 18.00 Uhr, beim Auszählungsstand von 96,72% aller abgegebenen Stimmen)
Analyse eines Umschwungs
So unerwartet der Erfolg Alan Garcías auch gewesen sein mag, so können die Gründe hierfür dennoch recht klar ausgemacht werden. Obwohl natürlich verschiedene Faktoren Hand in Hand gingen, profitierte García in erster Linie von dem Umstand, dass zum Ende des Wahlkampfes die beiden Spitzenkandidaten und ihre Umfelder sich vor allem auf gegenseitige Attacken und Angriffe konzentrierten.
Doch standen hierbei auch die ureigensten Interessen der beiden Spitzenkandidaten im Widerstreit: Lourdes Flores musste unter allen Umständen verhindern, dass Alejandro Toledo bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit aller gültigen Stimmen erhielt, und dieser wiederum kämpfte vor allem gegen sich selbst bzw. gegen die eines Bill Clinton würdigen Anschuldigungen hinsichtlich diverser Begebenheiten aus seinem früheren Privatleben.
Die peruanischen Analysten sind sich einig, dass diese Art der Wahlkampfgestaltung große Teile der immerhin 20 Prozent umfassenden Wählergruppe der Unentschlossenen dazu bewogen hatte, in letzter Minute für Alan García zu votieren. Wer aber waren diese Unentschlossenen?
In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass etwa 40% (!) aller Wähler, nämlich diejenigen, die noch in den Wahlen 2000 einem Präsidenten Fujimori die Treue gehalten hatten, nun eine neue politische Heimat suchten, denn der einzige Kandidat aus dem Dunstkreis des ehemaligen Fujimoriregimes, der ehemalige Wirtschaftsminister Carlos Boloña, stellte keine ernstzunehmende Alternative dar, kam daher in allen Umfragen über drei Prozentpunkte nicht hinaus und landete schließlich bei für ihn ernüchternden 1,68%.
Dieser Umstand jedoch veranlasste offenbar weder die beide Spitzenkandidaten noch deren Wahlkampfberater zu einschneidenden Konsequenzen im Rahmen der jeweiligen Wahlkampfstrategie. Nur so kann auch erklärt werden, warum einerseits das Toledo-Lager permanent Lourdes Flores und ihre Bewegung als die "politische Ultrarechte" und Fortsetzung des Fujimorismo mit anderen Vorzeichen zu brandmarken versuchte und dabei der einen ehemaligen Wählergruppe Fujimoris - den wohlhabenden und wirtschaftlich aktiven Bevölkerungskreisen - die neue politische Heimat sozusagen oktroyierte.
Auf der anderen Seite vernachlässigten beide Spitzenkandidaten in sträflicher Weise, die Teile der armen Bevölkerungsschichten, die das eigentliche Gros der ehemaligen Iwähler ausmachten, für sich zu gewinnen.
Das Ausmaß der Rückwanderung dieser Wählergruppe zur APRA und zur Lichtgestalt Alan García wurde von "Perú Posible" wie von "Unidad Nacional" gleichermaßen dramatisch unterschätzt. Der Vergleich mit den Vorjahresergebnissen bestätigt diese Einschätzung: Während Toledo und seine Bewegung "Perú Posible" de facto keine Stimmengewinne verzeichneten, konnte sich in den Kongresswahlen Garcías APRA von 5 auf 20 Prozent hocharbeiten.
Die Allianz "Unidad Nacional" wiederum, die jetzt knapp 14% erhielt, besteht im wesentlichen aus der christdemokratischen Traditionspartei PPC, die im vergangenen Jahr nicht einmal die notwendigen 450.000 Unterschriften für die Einschreibung ins Wahlregister vorlegen und deswegen nicht an den Kongresswahlen teilnehmen konnte. Der gesamte ehemalige Regierungsblock, vertreten durch die beiden Bewegungen "Cambio 90 - Nueva Mayoría" und "Solución Popular", erzielte gerade einmal 8%; auch dies ein bemerkenswertes Ergebnis dieser Wahlen!
Um diese taktische Fehleinschätzung der beiden Spitzenkandidaten hinsichtlich des Wahlverhaltens bestimmter Gruppen quasi zu vervollkommnen, blieben in deren Analysen anscheinend auch die ungebrochene Ausstrahlung und enormen rhetorischen Fähigkeiten, über die Alan García ohne Zweifel verfügt, weitestgehend unberücksichtigt (es hat schon seine Gründe, warum er nicht nur von seinen Fans mit einem gewissen Respekt "Alan Perú" genannt wird).
So brillierte García als sympathischer Politiker mit einfachen, klar verständlichen Botschaften und wurde nicht müde, sich in Funk und Fernsehen als d a s Opfer einer 10-jährigen Lügen- und Verleumdungskampagne durch Fujimori und dessen Geheimdienstchef Montesinos zu präsentieren; eine offensichtlich erfolgreiche Taktik, die insbesondere auf die vielen Jungwähler abgezielt hat, die sich sowieso kaum mehr an die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse während ihrer frühen Kindheit erinnern können.
Bei der Stichwahl gibt es keinen Favoriten
Ob Toledo das Rennen in der Stichwahl machen wird, ist heute fraglicher denn je. Zumindest wagt es in Peru niemand mehr, den Sieg Garcías im zweiten Wahlgang ebenso kategorisch auszuschließen wie noch vor kurzem einen Triumph über Lourdes Flores. Zudem legt die Popularitätsstagnation Toledos im ersten Wahlgang den Schluss nahe, dass dieser es letztendlich nicht geschafft hat, der ihm im letzten Jahr zugefallenen Rolle als verkörperte Fujimoriopposition zu entwachsen und ein eigenes Profil als Staatsmann und möglicher Staatspräsident zu entwickeln.
Wenn er dennoch Ende Mai oder Anfang Juni mit Stimmen der Anhänger von Lourdes Flores und Fernando Olivera zum neuen Staatspräsidenten gewählt wird, dann nicht aus Sympathie, sondern einzig aus Angst vor einem erneuten sozialistischen Fiasko.
Unterdessen hat Alan García die Federführung im politischen Wahlkampagnengeschäft an sich gerissen. Öffentlichkeitswirksam trifft er sich mit Botschaftern und Vertretern der wichtigsten Geberländer sowie internationaler Geberorganisationen, um deren Befürchtungen hinsichtlich einer möglichen APRA-Regierung und ihrem anachronistischen Verhältnis zu marktwirtschaftlichen Prozessen und Privatvermögen zu beschwichtigen.
Zugleich ist er allen Gerüchten schärfsten entgegengetreten, die über seinen baldigen Rückzug und einer Regierungsallianz zwischen ihm und Toledo kursierten. Doch im Kongress, in dem 13 Parteien und Bewegungen vertreten sein werden, wäre eine 72 von 120 Sitze umfassende Koalition zwischen Toledos "Perú Posible" und Garcías APRA die wohl einzige mittel- bis langfristig tragfähige Mehrheitsoption.
Andernfalls wird der neu gewählte Kongress nämlich mit dem gleichen Phänomen permanent wechselnder Mehrheiten zu kämpfen haben, wie es bereits im Kongress 2000/2001 aufgrund des völligen Fehlens von Loyalität des einzelnen Abgeordneten gegenüber seiner Partei bzw. Bewegung der Fall war. Nun bedarf im peruanischen Präsidialsystem der mit allen Kompetenzen ausgestattete Präsident zwar nicht unbedingt des Kongresses, um effizient regieren zu können, doch würde ihm eine eigene Kongressmehrheit das Regieren durchaus erleichtern. Die Verlierer der Wahl zumindest haben ihre Plätze auf den Tribünen der interessierten Beobachter bereits eingenommen.
Der Wahlprozess: fair und transparent
Zieht man ein vorläufiges Resumé des bisherigen Wahlprozesses, so kann als elementares Resultat festgehalten werden, dass die peruanische Demokratie selbst als die wohl größte Siegerin aus den Wahlen hervorgegangen ist.
Die nationale Wahlbehörde ONPE unter ihrem neuen Chef Fernando Tuesta schaffte mit internationaler Unterstützung, was vorher niemand geglaubt hatte: die Durchführung fairer, transparenter und betrugsfreier Wahlen unter der erschwerenden Prämisse der eigenen Neuorganisation und Dezentralisierung in 49 Regionalbüros und 58 regionale Computerzentren, die das neue Wahlkreissystem erfordert hatte. Das Modewort des vergangenen Jahres, "fraude" (Betrug), fand in diesem Jahr kein einziges Mal Erwähnung, und auch die schier unübersehbare Schar der internationalen Beobachter bestätigten den - von erstaunlich wenigen technischen Problemen abgesehen - sauberen Wahlverlauf.
Nicht zuletzt ist dies das große Verdienst der Übergangsregierung unter Präsident Valentín Paniagua, die dem eigenen Volk wie auch der internationalen Gemeinschaft gegenüber im Wort stand, diesen für die Zukunft Perus so wichtigen Wahlprozess im Rahmen der international anerkannten Parameter von Demokratie und Rechtsstaat vorzubereiten. Seine in höchsten Maße transparente Durchführung gewährleistete die Regierung Paniagua dann in ebenso unaufgeregter wie professioneller Art und Weise.