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Country reports

Terror in Moskau und die öffentliche Reaktion

by Dr. Markus Ingenlath
Im Laufe von acht Jahren, die der erste und zweite Tschetschenienkrieg nunmehr dauert – das umfasst im übrigen fast die gesamte Dauer des Afghanistan-Konflikts – hat man sich in Russland nahezu an alles gewöhnt. Es gab echte militärische Kämpfe mit Flächenbombardements nach Art der Operation „Wüstensturm“, es gab abscheuliche Säuberungen und schreckliche Geiselnahmen. Auch in Moskau erlebte man schon lange keine Ruhezeit mehr: Terroraktionen ereigneten sich in den letzten Jahren zwar nicht so häufig, dafür aber regelmäßig – die spektakulärsten waren ein Anschlag auf die Metro im August 2000 und die Sprengung von Wohnhäusern im Jahr 1999.

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Doch war man erschreckender Weise auf den jetzt stattgefundenen Terrorakt im Zentrum Moskaus mit knapp 800 Geiseln weder moralisch noch technisch vorbereitet. Im Verlauf von zwei Tagen hat ein Gedanke die Moskowiter und viele Russen vereinigt: Alle bisherigen angeblichen Fortschritte im Krieg – etwas verharmlosend „Antiterroraktionen“ genannt - waren umsonst; die Gefahr Tschetschenien ist nicht kleiner geworden. Die Terroristen, die wohl kaum ernsthaft mit einer sofortigen Beendigung des Krieges rechnen konnten, haben eines ihrer Ziele bereits in den ersten Stunden erreicht, egal welchen Ausgang sie für die Terroraktion erwarten konnten: Tschetschenien ist in das Bewusstsein zurückgekehrt.

Es war schwierig, die Stunden des Schrecken zu erleben – in einer kollektiven Einmütigkeit wurden praktisch alle öffentlichen Lustbarkeiten wie Preisverleihungen, Galadiners, Konzerte o.ä. und auch öffentliche Konferenzen abgesagt, die Menschen waren nur schwer ansprechbar. Doch es ist offensichtlich noch schwieriger, diese Ereignisse aufzuarbeiten und daraus die Schlussfolgungen für die Zukunft zu ziehen. Bereits zwei Tage nach dem Ende ist die öffentliche Meinung sehr geteilt und die politische Diskussion sehr ambivalent.

Generell wird die Geiselnahme als Erniedrigung Russlands gesehen – so kann man die aktuelle Stimmung in Moskau und Medien definieren. So klar die Notwendigkeit einer Befreiungsaktion vor allem während der letzten Stunden der Geiselnahme erschienen war, so mühsam verkraftet die russische Öffentlichkeit die Enttäuschung über die Ergebnisse einer zunächst als Erfolg dargestellten Rettungsaktion.

Auch wenn noch Freude über die gebannte Gefahr – die Explosion des Kulturhauses auf der Uliza Dubrovskaja – mitschwingt, so stimmt die auch noch zur Stunde steigende Bilanz der eigenen Seite mit inoffiziell über 160 toten Geiselopfern, die beim Einsatz eines Nervengases starben, deprimierend. Ein „Pyrrhus-Sieg“ ist denn auch der Tenor der meisten Reportagen (www.polit.ru), ein Gewinn, „der zu zwei Dritteln Verlust bedeutet“, so bewertet es ein berühmter Theaterregisseur.

Viele Zeitungen interessieren sich dafür, was für ein Gas für die Rettungsoperation benutzt wurde und ob seine Nutzung zu rechtfertigen ist. Von der Bewunderung für die meisterhaften Spezialeinheiten ist wenig übrig geblieben. Alle Zeitungen sind darin einig, dass mit dem Gas experimentiert wurde. Die Frage, wer für alles verantwortlich ist, ist schwer zu beantworten, da eine Nachrichtensperre verhängt wurde (die auch praktisch alle Krankenhäuser betrifft und an manche Mediziner nur zu spät gelangte).

Es war Präsident Putin, auf den die Terroraktion indirekt zielte. Er hatte seinen kometenhaften Aufstieg nicht zuletzt der Hoffnung auf eine rasche Beendigung des „tschetschenischen Problems“ zu verdanken. Jetzt war er 50 Stunden unter der Lupe der Medien, blass, auf sich konzentriert. Die Operation, die zwar nicht als blendender Erfolg zu bewerten ist, hat ihm doch Gewinn gebracht: Das Ansehen Russland und seines Präsidenten ist wiederhergestellt, der Staat ist vor den Terroristen im konkreten Fall nicht zurückgewichen. Insgesamt ist aber die gesamte Tschetschenien-Politik in Frage gestellt worden. Das Land hat sich um dem Präsident gesammelt; in Trauer, nicht in Hoffnung.

Nur langsam beginnt man, politische Konsequenzen aus den Vorgängen zu ziehen. Als einer der ersten äußerte sich Gleb Pawlowski, einflussreicher Medienberater Putins, am Donnerstag Abend, also ungefähr 24 Stunden nach Beginn des Dramas, anlässlich eines Roundtables der KAS: Er sprach von einer „Wende für die Selbstbestimmung der Leute in diesem Land“ und kündigte an, dass „jetzt ganz andere Maßnahmen“ gebraucht würden. Er scheute sich auch nicht, den direkten Vergleich mit dem 22. Juni 1941 zu bemühen, ein Datum das gemeinhin auch heute noch den Beginn des Überlebenskampfes des „Vaterlandes“ markiert.

Die Konsequenzen im Denken werden also wohl tief greifend sein. Am weitesten geht der politische Analytiker B. Makarenko:„Versuchen wir auf den Tschetschenienkrieg wie auf einen Kolonialkrieg zu schauen“ – so seine überraschende Sichtweise, die nichts mehr von der früher oft bemühten „Einheit der russischen Erde“ übrig lässt. Diese Sicht ist nur mühsam in die Köpfe zu bringen. Es sind zwar derzeit kaum tschetschenische Politiker für Verhandlungen in Sicht - der Politiker Maschadov ist - nach den Bekenntnissen der Terroristen vor laufenden Kameras - diskreditiert, seine Politik gescheitert – dennoch sieht man in Russland kaum mehr Sinn in einer Verstärkung der Härte.

Man denkt an Verstärkung der Sicherheitsmassnahmen in der Stadt Moskau, aber es ist bereits jetzt schon klar, dass ein Mehr an Sicherheit in der schon jetzt von schwer bewaffneten Sicherheitsorganen belagerten Stadt kaum zu erwarten ist. Die Maßnahmen gegen Einwohner Moskaus und anderer russischer Städte, die aus Tschetschenien oder anderen Kaukasus-Republiken stammen, werden verstärkt – in den vergangenen 36 Stunden konnte sich praktisch jeder Angehörige dieser Bevölkerungsgruppe auf eine Hausdurchsuchung und stundenlange Verhöre einstellen.

Und bereits am vergangenen Donnerstag und Freitag – während der noch laufenden Geiselnahme - rief der oberste Schulaufseher Moskaus das gesamte Lehrpersonal dazu auf, tschetschenische und kaukasische Schüler vor Übergriffen der russischen Mitschüler zu schützen. Keine guten Aussichten für ein gedeihliches Miteinander der Volksgruppen.

Dies alles kann natürlich nicht heißen, dass das russische Bewusstsein der Krise nicht auch kleine positive Bedeutungen abgewinnen konnte, so die Überzeugung, gemeinsam mit den Industrieländern in der antiterroristischen Solidarität zu stehen oder jetzt erst recht eine moralische Begründung für die Notwendigkeit des militärischen Vorgehens zu sehen. Aber dennoch werden selbst diese kleinen „Fortschritte“ von der Aussicht auf die Aussichtslosigkeit des „ewigen Krieges“ mit Tschetschenien verdunkelt.

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Claudia Crawford

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