Die militärische Rolle der USA im Syrienkonflikt
Die USA engagieren sich seit September 2014 militärisch im Syrienkonflikt, als die amerikanische Luftwaffe im Rahmen der primär von Washington ins Leben gerufenen „Internationalen Koalition gegen den Islamischen Staat“ Luftangriffe auf Stellungen der islamistischen Terrororganisation in Nordsyrien aufnahm. Im Oktober 2015 autorisierte US-Präsident Barack Obama mit der Entsendung mehrerer dutzend Spezialkräfte (Special Forces) in die von der Kurdenmiliz YPG kontrollierten Gebiete in Nordostsyrien zudem erstmals den Einsatz von fest stationierten Bodentruppen in dem Konfliktland. Diese erhielten die Aufgabe, lokale kurdische und arabische Kräfte auszubilden und sie in beratender Funktion im Bodenkampf gegen den IS zu unterstützen.
In der Folge weiteten die USA den Einsatz von Bodentruppen stetig aus. Im November 2016 wurden mehr als 300 Special Forces in Syrien eingesetzt. Zur Unterstützung der kurdischen und arabischen Verbündeten[1] bei deren Bemühungen, den IS aus der Stadt Rakka – dem wichtigsten militärischen Stützpunkt der Terrororganisation – zu vertreiben, orderte US-Präsident Trump im Frühjahr 2017 darüber hinaus die Entsendung von rund 400 US-Marines an. Diese beteiligten sich im Rahmen von Artillerieunterstützung aktiv an den Kampfhandlungen gegen den IS und stellten den erstmaligen Einsatz konventioneller amerikanischer Truppen in Syrien dar.
Nach der Eroberung Rakkas im Herbst 2017 entschied die amerikanische Regierung, die Präsenz von Bodentruppen auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten. Die Überlegung bestand darin, sowohl den Kampf lokaler Verbündeter gegen die verbliebenen Strukturen des IS weiter zu unterstützen, als auch ein Druckmittel[2] gegenüber dem Assad-Regime zu besitzen und den iranischen Ambitionen im Nahen Osten entgegenzuwirken. Die USA verstetigten folglich die Stationierung amerikanischer Einheiten in der kurdischen Einflusszone in Nordostsyrien sowie in der Wüstenregion al-Tanf an der syrisch-irakischen Grenze in Ostsyrien.[3] Ende 2018 befanden sich etwa 2.000 US-Soldaten – die überwiegende Mehrheit davon Special Forces – in Syrien.
Widersprüchliche Signale aus Washington
Bereits im Frühjahr 2018 hatte Trump den Abzug der amerikanischen Truppen aus Syrien und eine deutliche Reduzierung der zivilen Unterstützung für die kurdischen und arabischen Verbündeten vor Ort angekündigt. Im September 2018 rückte der US-Präsident hingegen von der Überlegung eines schnellen Abzugs ab und kehrte zu der Ende 2017 beschlossenen Strategie zurück, ein zeitlich unbegrenztes Engagement in Syrien zur nachhaltigen Bekämpfung des IS und Eindämmung des iranischen Einflusses zu verfolgen. Die Ernennung von James F. Jeffrey zum Sondergesandten des amerikanischen Außenministeriums für Syrien im Sommer 2018 konnte dabei als deutliches Zeichen für eine anhaltende Präsenz der USA in Syrien gedeutet werden.
Vollkommen überraschend kam folglich am 19. Dezember 2018 Trumps Ankündigung eines sofortigen Abzugs der US-Truppen aus Syrien. In Washington traf dies auf Unverständnis und heftige Kritik aus allen politischen Lagern: Mehrere Senatoren und Kongressabgeordnete bezeichneten den geplanten Truppenabzug als schweren Fehler und warnten vor den Folgen – auch für die Sicherheit der USA. Verteidigungsminister James Mattis reichte aus Protest über die Entscheidung seinen Rücktritt ein.[4] Selbst enge Vertraute des US-Präsidenten drückten ihr Missfallen aus. So erklärte der Nationale Sicherheitsberater John Bolton Anfang Januar 2019 öffentlich, dass ein baldiger Abzug trotz der Aussage Trumps unwahrscheinlich sei. Erst wenn der IS komplett besiegt sei und die Türkei garantieren würde, die kurdischen Kräfte in Nordsyrien nicht anzugreifen, könnten die US-Truppen laut Bolton nach Hause beordert werden.[5]
Trump und US-Außenminister Mike Pompeo widersprachen Bolton kurz darauf und verwiesen auf die ursprüngliche Entscheidung des US-Präsidenten. Trump, der zunächst einen Abzug innerhalb von 30 Tagen vorgesehen hatte, scheint jedoch auf die Ratschläge des US-Militärs eingegangen zu sein, das einen Zeitraum von vier Monaten für eine „geordnete“ Rückbeorderung empfohlen hat.[6] Sofern es nicht weitere Änderungen an diesem Zeitplan gibt, dürften die USA bis Mai dieses Jahres damit ihre Truppen aus Syrien abgezogen haben. Möglich ist jedoch, dass ein kleines Kontingent von US-Soldaten aufgrund der strategischen Bedeutung der Basis in al-Tanf verbleiben wird.
Mögliche Folgen für den Kampf gegen den IS
Das bevorstehende Ende des Bodeneinsatzes der USA in Nordsyrien könnte sich nach Meinung der überwiegenden Mehrzahl von Sicherheitsexperten vor allem im Hinblick auf den Kampf gegen den IS als großer Fehler und Trugschluss mit weitreichenden Konsequenzen erweisen. Denn: Auch wenn die Terrorgruppe militärisch geschlagen ist, ist sie noch lange nicht zerschlagen. In Ostsyrien verfügt der IS weiterhin über Rückzugsgebiete, aus denen die Organisation jederzeit Vorstöße vornehmen kann. Die Schwierigkeiten, mit denen sich die SDF bei der Eroberung dieser letzten Hochburgen trotz der Unterstützung der USA konfrontiert sieht, zeigen dabei eindrücklich die noch vorhandene Schlagkraft des IS auf. In anderen Teilen Syriens und weiten Teilen des Irak hat sich die Organisation zudem von einer quasi-staatlichen Struktur (dem „Kalifat“) hin zu einem „klassischen“ Terrornetzwerk entwickelt, das unabhängig von höheren Hierarchieebenen weiter in der Lage ist, Anschläge zu verüben und die Region zu destabilisieren. Hierzu verfügt der IS vielerorts weiterhin über eine große Zahl von Unterstützern und potentiellen Kämpfern, die sich momentan überwiegend in den Untergrund zurückgezogen haben.[7]
Ein vollständiger Truppenabzug der Amerikaner würde der Terrororganisation neuen Raum zur Entfaltung geben. Die grundlegenden Organisationstrukturen, die ein großflächiges Wiedererstarken ermöglichen könnten, bestehen nach wie vor. Gleichfalls läuft die Propagandamaschinerie des IS weiterhin auf Hochtouren. Aufgrund der anhaltenden Marginalisierung weiter Teile der syrischen Gesellschaft durch das Assad-Regime bestünde für den IS beachtliches Potential, neue Unterstützer anzuwerben. Der Abzug der US-Truppen könnte folglich die im Kampf gegen den IS bisher erzielten Erfolge stark gefährden und ein Erstarken der terroristischen Bedrohungen in Syrien und im Irak ermöglichen.
Auswirkungen auf die Machtverhältnisse in Syrien
Großer Verlierer der Entscheidung des US-Präsidenten ist aller Voraussicht nach der wichtigste Verbündete Washingtons im Kampf gegen den IS, die Kurden in Nordsyrien. So ist es zum einen unwahrscheinlich, dass diese ihre Autonomiebestrebungen in einem zukünftigen Syrien ohne anhaltende Unterstützung der USA durchsetzen können. Zum anderen fühlen sich die Kurden von der Türkei bedroht, welche die YPG als Ableger der von Ankara als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK betrachtet. So ordnete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bereits im Januar 2018 eine Militäroperation gegen die von der YPG kontrollierte kurdische Region Afrin in Nordwestsyrien an. Ankara missfällt die Ausbreitung der Kurden mit amerikanischer Hilfe seit geraumer Zeit und könnte daher den Abzug der US-Truppen als Chance wahrnehmen, auch die kurdischen Kräfte in Nordostsyrien anzugreifen. Wie ernst es Erdogan ist, beweist die Tatsache, dass die türkischen Truppen an der Grenze zu Syrien bereits in Alarmbereitschaft versetzt wurden.
Aus Angst vor einer Offensive der Türkei hat die YPG unmittelbar nach Trumps Ankündigung Damaskus um Hilfe gebeten, einem türkischen Angriff durch die Entsendung syrischer Truppen in die kurdischen Gebiete vorzubeugen.[8] Für die Kurden ist die Entscheidung, sich Assad wieder zu unterwerfen, jedoch auch aus historischen Gründen alles andere als einfach.[9] Dieser Schritt stellt sich aus realpolitischer Sicht (Überlebenskampf gegen die Türkei) allerdings als alternativlos dar. Denn selbst wenn sich der amerikanische Truppenabzug länger hinziehen sollte, ist für die Kurden klar, dass sie sich längerfristig nicht mehr auf Unterstützung aus Washington verlassen können.[10]
Für Baschar al-Assad, dessen Regime dank der Hilfe Russlands, des Iran und Iran-naher schiitischer Milizen wie der libanesischen Hisbollah mittlerweile wieder mehr als 60 Prozent des syrischen Staatsgebietes unter seine Kontrolle gebracht hat, kommt die Entscheidung des US-Präsidenten hingegen mehr als gelegen. Nicht nur verlieren die USA ohne militärische Präsenz vor Ort ein Druckmittel gegenüber dem syrischen Machthaber. Auch würde das Assad-Regime seine territoriale Kontrolle über Syrien weiter ausdehnen und damit zusätzlich an Legitimität in dem Konfliktland hinzugewinnen. Die Rehabilitierung Damaskus auf internationaler Ebene würde damit begünstigt; so zeichnet sich eine Rückkehr Syriens in die Arabische Liga ab.[11] Zu diesem geostrategischen Gewinn kommt außerdem hinzu, dass Assad von einer Rückeroberung der an fossilen Rohstoffen (Erdöl, Gas) reichen Gebiete in Nordostsyrien auch wirtschaftlich mit Blick auf den Wiederaufbau Syriens profitieren würde.
Große Gewinner sind zudem die Schutzmächte des syrischen Regimes. So überlassen die USA das „Spielfeld Syrien“ nun weitestgehend Russland, dessen Bedeutung im Land weiter zunehmen wird. Erwartungsgemäß reagierte Moskau daher positiv auf die Entwicklungen: In seiner traditionellen Jahrespressekonferenz bezeichnete ein sichtlich erfreuter Präsident Wladimir Putin die Entscheidung Trumps als „richtig“. Zudem ließ der Kreml nicht unerwähnt, dass sich die amerikanischen Truppen bislang ohnehin ohne eine entsprechende Aufforderung der syrischen Regierung und ohne UN-Mandat in Syrien aufhalten würden.[12]
Auch der Iran wird künftig seinen machtpolitischen Einfluss weiter ausbauen können. Zwar war die amerikanische Präsenz in Nordostsyrien entgegen mancher Vorstellungen in Washington bislang kein zentraler Eindämmungsfaktor für das iranische Vorgehen in dem Konfliktland.[13] Dennoch vergrößert ein Abzug der US-Truppen Teherans Handlungsspielraum in Syrien und verschiebt das Machtgleichgewicht im Nahen Osten weiter zu Gunsten der Islamischen Republik.
Damit steigt das Potential eines Konfliktes zwischen Israel und dem Iran. Tel Aviv greift bereits heute durch gezielte Luftschläge regelmäßig iranische oder Iran-nahe Kräfte in Syrien an, die eine direkte Bedrohung für die israelischen Sicherheitsinteressen darstellen. Derartige Operationen werden unabhängig von der Entscheidung der USA weiterhin verfolgt werden. Israel könnte sich von einer vergrößerten Präsenz des Iran in Syrien jedoch nun gezwungen sehen, sein militärisches Vorgehen gegen die Kräfte Teherans deutlich auszuweiten.
Ohnmacht des Westens
Für den Westen stellt Trumps Entscheidung zum Truppenabzug eine weitere Zerreißprobe dar. Die europäischen Verbündeten der USA reagierten überrascht. Es herrscht große Ratlosigkeit, vor allem hinsichtlich der Frage, welche Folgen der Abzug für die Strategie der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition haben wird. Interpol warnte vor Weihnachten bereits vor einer neuen Welle des islamistischen Terrors, die durch die Entscheidung Trumps zusätzlich begünstigt werden könnte.[14] Zudem werden die Zweifel an der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit der Trump-Administration weiter wachsen.[15]
Insgesamt verliert der Westen – und dabei insbesondere Europa – weiter an Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklungen in Syrien. Die europäischen Verbündeten Washingtons sind nicht in der Lage und auch nicht bereit, das von den USA hinterlassene Vakuum in dem Konfliktland militärisch oder politisch zu füllen. Damit sind die Interessen der europäischen Staatengemeinschaft, die mehrheitlich eine politische Transition in Syrien mit einer Ablösung Assads verfolgt, noch schwerer durchsetzbar.
Geir O. Pedersen, der seit Anfang dieses Jahres als Nachfolger von Staffan de Mistura als Sondergesandter der Vereinten Nationen (UN) für Syrien wirkt, steht damit vor einer noch größeren Herausforderung, die UN-Resolution zum Friedensprozess in dem Konfliktland (United Nations Security Council Resolution 2254) umzusetzen.
Darüber hinaus ist die Signalwirkung von Trumps Entscheidung für den Nahen Osten bedenklich. Russland und der Iran sehen sich ermutigt, ihre regionalpolitischen Interessen noch resoluter zu verfolgen. Dies gilt auch für Aufstandsbewegungen wie den IS oder die Taliban in Afghanistan, welche versuchen werden, die Abzugsbestrebungen der USA nachhaltig auszunutzen. Perspektivisch droht der Einfluss des Westens im Nahen Osten angesichts fehlender Verlässlichkeit und dem damit verbundenen Vertrauensverlust bei Partnern in der Region weiter zu sinken.
[1] Die YPG schloss sich im Oktober 2015 mit arabischen und christlichen Milizen in Nordsyrien zu den sogenannten Syrian Democratic Forces (SDF) zusammen, die den primären Verbündeten der USA in Syrien darstellen. Die SDF wird trotz ihrer konfessionellen und ethnischen Vielfalt überwiegend von der YPG kontrolliert.
[2] Im April 2017 und im April 2018 unternahmen die amerikanischen Streitkräfte zudem umfassende Luftschläge gegen militärische Einrichtungen des Assad-Regime als Antwort auf den Einsatz von Chemiewaffen durch den syrischen Machthaber.
[3] Der US-Außenposten in al-Tanf liegt an der Verbindungsstraße zwischen Damaskus und Badgdad und ist damit von besonderer strategischer Bedeutung, um den iranischen Einfluss in Syrien und im Irak einzudämmen.
[4] Das Pentagon zählt zu den stärksten Befürwortern der Allianz mit der kurdischen YPG. Vor diesem Hintergrund kritisierte Mattis in seinem Rücktrittsgesuch vor allem den Umgang Trumps mit den Verbündeten der USA im Kampf gegen den IS.
[5] David E. Sanger, Noah Weiland und Eric Schmitt, „Bolton Puts Conditions on Syria Withdrawal, Suggesting a Delay of Months or Years”, The New York Times, 6. Januar 2019.
[6] Laura Rozen, „Rival fiefdoms emerge in scramble over Trump's Syria withdrawal”, Al-Monitor, 7. Januar 2019.
[7] Der IS verfügt verschiedenen Quellen zufolge noch über etwa 20.000 bis 30.000 Kämpfer und Unterstützer in Syrien und im Irak.
[8] Bereits kurz nach diesem Hilferuf setzte das syrische Regime Truppen in Richtung der westlich des Euphrat gelegenen Region Manbidsch in Bewegung. Obwohl die Türkei weiter alles daran setzen wird, die YPG zu bekämpfen, wird Ankara einem direkten bewaffneten Konflikt mit Assad und/oder Russland vermeiden wollen.
[9] „Jahrzehntelang hatten die Kurden unter dem arabischen Nationalismus der Baath-Partei gelitten. Die kurdisch geprägten Gebiete entlang der Grenze zur Türkei wurden in den 1970er-Jahren zwangsarabisiert [...].“ Die Kurden waren somit historisch gesehen immer „natürliche Feinde“ des Assad-Regimes. Kristin Helberg, Der Syrien-Krieg: Lösung eines Weltkonflikts (Freiburg: Herder-Verlag, 2018).
[10] Am 13. Januar 2019 ergriff Trump jedoch Partei für die Kurden und verkündete auf Twitter, dass die Türkei bei einem Angriff auf die YPG „wirtschaftlich zerstört werden würde“. Zudem forderte er die Schaffung einer 32 Kilometer breiten Sicherheitszone in Nordsyrien zum Schutz der syrischen Kurden. Siehe „Trump droht Türkei bei Angriff auf Kurden“, FAZ, 14. Januar 2019.
[11] Bethan McKernan und Martin Chulov, „Arab League set to readmit Syria eight years after expulsion”, The Guardian, 26. Dezember 2018.
[12] „Putins Jahrespressekonferenz: "US-Truppenabzug aus Syrien ist richtig"“, tagesschau.de, 20. Dezember 2018.
[13] Robert S. Ford, „Trump’s Syria decision was essentially correct. Here’s how he can make the most of it“, The Washington Post, 27. Dezember 2018.
[14] Kim Willsher, „Returning jihadists 'threaten new wave of terror in Europe'”, The Guardian, 19. Dezember 2018.
[15] Im Rahmen eines überraschenden Truppenbesuchs am 26. Dezember 2018 auf einem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt im Westirak bekräftigte Trump noch einmal seine Haltung, dass die USA nicht mehr länger als „Weltpolizei“ agiere können. Die amerikanische Präsenz im Nahen Osten soll jedoch durch die Anwesenheit von etwa 6.000 US-Soldaten im Irak aufrechterhalten werden. Siehe „US not global 'policeman', Trump says on first visit to troops in Iraq”, France 24, 26. Dezember 2018.
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