Country reports
In den sechs Monaten seit Regierungsübernahme am 1. Dezember 2000 ist die anfängliche Euphorie zunehmender Ernüchterung gewichen. Dies liegt bei näherer Betrachtung jedoch nicht an etwaigen falschen politischen Weichenstellungen bzw. Reforminhalten sondern an handwerklichen Anfangsschwierigkeiten der Fox-Regierung und einer stellenweise selbst geschürten Erwartungshaltung.
In Mexiko fand im Juli 2000 ein wahrhaft spektakulärer Machtwechsel statt: nach über 70 Jahren Machtmonopol der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) wurde Vicente Fox vom konservativen PAN zum Präsidenten Mexikos gewählt. Seit November letzten Jahres regiert er das mit 100 Mio. Einwohnern größte spanischsprachige Land der Welt.
Die Euphorie und Erleichterung bei großen Teilen der mexikanischen Bevölkerung nach der Wahl ist wohl nur mit den Vorgängen im Rahmen der Vereinigung Deutschlands zu vergleichen. Vielerorts wurden schnelle Veränderungen zum Besseren in einer Vielzahl von Bereichen des täglichen Lebens erwartet.
Dies um so mehr, als der designierte Präsident selbst in seinem Regierungsprogramm Großes ankündigte:
- Wichtigste Aufgabe sei es, mehr Gerechtigkeit in Mexiko herzustellen. Durch eine Steuerreform solle der Abstand zwischen Arm und Reich verringert werden.
- Durch eine strikte Ausgabendisziplin und die verstärkte Ausschöpfung des auch mit Europa unterzeichneten Freihandelsabkommens solle die Gesundung und das Wachsen der Wirtschaft gefördert werden.
- Eine Bildungsreform solle in Gang gebracht werden, um die regionale Entwicklung Mexikos voranzutreiben.
- Im Bereich der inneren Sicherheit wurde der Kampf gegen Drogenmafia und Korruption propagiert.
- Und der Chiapas-Konflikt wurde mehr oder weniger zur Chef-Sache erklärt.
So wurde Jorge Castañeda als bekanntester Linksintelektueller zum Außenminister ernannt, Fernando Gil Diaz, ehemaliger Finanzstaatssekretär in der Regierung von Präsident Salinas de Gortari ist der neue Fiananzminister. Die unkonventionelle Zusammensetzung des Kabinetts wird auch durch die Ernennung des Generals Rafael Macedo zum Generalstaatsanwalt deutlich - alles im übrigen Ernennungen, die im PAN nicht unumstritten waren und sind.
Sowohl das Regierungsprogramm wie auch die Zusammensetzung der Regierungsmannschaft beförderten bei vielen Mexikanern die eh schon vorhandene Erwartungshaltung in Richtung schneller Veränderungen zum "Besseren".
Nach nunmehr fast sechs Monaten Regierungstätigkeit ist politischer Alltag eingekehrt. In einer Meinungsumfrage der Tageszeitung "Reforma" vom Mai wurde Präsident Fox auf einer Bewertungsskala von 0 bis 10 mit 6,8 beurteilt, einen für ihn bisher eher schlechten Wert. Als "anständig" bezeichnen seine Politik 64 % der Befragten, lediglich 48 % halten eine Lösung des Chiapas-Konflikts durch Initiative des Präsidenten für möglich, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit trauen ihm nur 32% zu.
Ernüchterung ist in Mexiko eingetreten. Die wichtige Frage in diesem Zusammenhang lautet - Warum? Liegt die Ernüchterung in überzogenen Erwartungen begründet, in handwerklichen Mängeln, in falschen Konzeptionen bzw. Weichenstellungen? An den zwei wichtigsten Politikbereichen der letzten sechs Monate wird der gegenwärtige Zustand der mexikanischen Regierungspolitik deutlich.
Nachdem am Neujahrstag 1994 sich in Chiapas die maoistisch beeinflusste nationale zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) erhoben hatte und einen jahrelangen Untergrundkampf für mehr Rechte der indianischen Bevölkerung führte, ohne dass der PRI-Präsident Zedillo letztendlich wirkungsvolle politische Lösungskonzepte umsetzen wollte bzw. konnte, machte Präsident Fox die schnelle Lösung des Chiapas-Konflikts mehr oder weniger zur Chefsache. Nach Regierungsübernahme wurde eigens ein dem Präsidenten direkt unterstelltes Büro fúr Indianerangelegenheiten geschaffen.
Vicente Fox zog die Soldaten aus dem Krisengebiet ab, schloß Stützpunkte, sagte Ja zu einem international stark beachteten Marsch der Zapatisten im März dieses Jahres nach Mexiko-Stadt,zum "Zocalo", den zentralen Platz der Stadt und das "Herz" des Landes. Der Präsident begrüßte ebenso die Möglichkeit, die Vertreter der EZLN im mexikanischen Parlament sprechen zu lassen, und brachte ein zuvor mit den Rebellen im "Prinzip" abgestimmten Entwurf für ein "Indianergesetz" in den Kongress ein.
Inzwischen ist das überarbeitete Gesetz sowohl durch den Senat als auch durch die Abgeordnetenkammer vor allem durch die Mehrheit von PAN und PRI angenommen worden. Dem erzielten Ergebnis hat die Guerrilla jedoch nicht zugestimmt. Sie hat den Kontakt mit der Regierung abgebrochen und angekündigt, zur Rebellion zurückzukehren. Begründung: Das Gesetz garantiere weder echte Autonomie noch erkenne es "Indianergemeinden" als Körperschaften des öffentlichen Rechts an, gebe ihnen also nicht die gleichen Rechte wie staatsrechtlich definierten Kommunen. Es wird außerdem vorgeworfen, dass das Indianergesetz lediglich den verfassungsrechtlichen Rahmen für eine Selbstbestimmung der IndÃgenas schaffe, jedoch keine detaillierten Vorgaben enthalte.
Im Ergebnis ist die Ernüchterung sowohl beim Präsidenten, dem Parlament und einem Großteil der Mexikaner groß. Und dies trotz der erwähnten Zugeständnisse des Präsidenten an die Guerrilla, trotz eines Gesetzes, das insgesamt substantielle Fortschritte für die indianische Bevölkerung bringt.
Hintergrund der Ernüchterung ist zum einen die Tatsache, dass nicht zuletzt Präsident Fox die hundertprozentige Planerfüllung im Wahlkampf schon vorgegeben hatte: "Der Konflikt lässt sich in einem 15-minütigen Gespräch zwischen mir und Marcos (dem Führer der ELZN) lösen". Zum anderen beförderte die Regierung selbst einen Zeitdruck im Gesetzgebungsverfahren, der nicht zuletzt die eigene Regierungspartei PAN überforderte und dringend erforderliche Abstimmungsprozeße zwischen Regierung und Parlament unmöglich machte. Die Folge waren letztendlich Änderungen durch das Parlament, so auch durch den PAN, die zum Teil relativ weit hinter den Regierungsentwurf zurückgingen.
Letzter Höhepunkt in der Chiapasdiskussion war eine Mahnung des Papstes gegenüber dem neuen mexikanischen Botschafter im Vatikan, die Indianer in Mexiko gleich zu behandeln bzw. ihnen die gleichen Rechte wie allen Mexikanern zuzugestehen. Der Präsident hält sich in der Zwischenzeit mit öffentlichen Äußerungen zur Chiapasthematik zunehmend zurück.
In einem anderen Bereich, der Wirtschaftspolitik, kämpft Präsident Fox gegenwärtig mit seinem Projekt einer Steuerreform ebenfalls einen Kampf gegen viele Fronten. Besonders umstritten, auch bei der Regierungspartei PAN, ist die Erhebung einer Mehrwertssteuer von bis zu 15% auf Medikamente und Nahrungsmittel, die bisher abgabenfrei sind. Sämtliche Oppositionsparteien blockieren im Moment noch das Vorhaben, selbst bei nicht wenigen PAN-Abgeordneten werden Zweifel laut.
Nach einer großen PR-Kampagne zu Beginn seiner Präsidentschaft wird der Präsident auch in diesem Politikbereich zunehmend ruhiger, und dies obwohl die Notwendigkeit einer Steuerreform unter Fachleuten unstrittig ist. In Mexiko zahlt bis dato nur jeder zweite Beschäftigte Einkommensteuer. Innerhalb der OECD ist Mexiko mit einer Steuerquote von 11,6% das Schlußlicht. Durch die Steuerreform werden jährliche Mehreinnahmen von 12 Millarden Dollar erwartet.
Ein wichtiger Hintergrund für die momentanen Schwierigkeiten der Regierung liegt auch bei diesem Beispiel eher im taktischen, psychologischen Bereich des Verhältnisses Regierung und Parlament. So wurde selbst der PAN durch den Regierungsentwurf überrascht. Eine zweifelsohne sinnvolle inhaltliche Vorabstimmung zwischen Präsident einerseits und PAN-Fraktionsvorsitzendem, Felipe Calderon, sowie PAN-Chef, Luis Felipe Bravo Mena andererseits, aber auch wichtigen PAN-Persönlichkeiten, wie z.B. dem Senator Diego Fernandez Cevallos, hat es offensichtlich nicht gegeben. Die Folge ist, dass nunmehr - der Entwurf befindet sich in der Parlamentsberatung - die Regierung und die PAN-Fraktion erst noch zueinander finden müssen. Eine erhebliche Anzahl von PAN-Abgeordneten würde dem Gesetzentwurf momentan noch nicht zustimmen, ganz zu schweigen von den Abgeordneten der Oppositionsparteien PRI und PRD.
Anhand der zwei Politikbeispiele wird deutlich, dass nicht die inhaltlichen Ansätze der Foxschen Reformen der Hintergrund für die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Regierung sind. Ebenso ist ein Absinken von Popularitätswerten nach Übernahme von Regierungsverantwortung und Umsetzung von notwendigen Reformen normal. Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Umsetzung der Reformmaßnahmen in Mexiko wird gegenwärtig jedoch noch überdeckt von handwerklichen Fehlern bzw. Defiziten im Managementbereich. Anlaufschwierigkeiten sowohl im Handeln des Präsidenten, seiner Regierung, als auch Kommunikationsmängel zwischen Exekutive und Legislative sind zu bemerken.
Dafür gibt es zusammenfassend mehrere Gründe sowie entsprechende Lösungsansätze:
- Ein großes Plus des Präsidenten zu Wahlkampfzeiten, seine Spontanität, wirkt sich momentan in der Regierungsarbeit eher hinderlich aus. Kritiker fordern ein Umdenken nach dem Motto "Konzepte erst erarbeiten und dann verkaufen".
- Die Abstimmung innerhalb des heterogen zusammengesetzten Kabinetts wird verbessert werden müssen. Zu oft gibt es unterschiedliche Ankündigungen bzw. Bewertungen zu ein und demselben Problem im Abstand von wenigen Stunden bzw. Tagen.
- Nach dem sehr wirkungsvollen Marketing zu Wahlkampfzeiten ist gerade in der Anlaufphase der neuen Regierung zunächst vermehrt Information von Nöten. Dies betrifft sowohl Information des Parlaments wie auch der Öffentlichkeit.
- Ein bedeutsamer Punkt für die Zukunft der Regierung Fox wird auch eine verbesserte Kommunikation sein müssen: zwischen Regierung und Parlament wie auch zwischen Regierung und Regierungspartei PAN. Dies betrifft insbesondere Vorgespräche bei großen Reformvorhaben. So benötigt der Präsident zum Erreichen von Mehrheiten für seine Reformvorhaben neben den Abgeordneten der Regierungspartei PAN immer noch eine erhebliche Anzahl von Abgeordneten aus den Reihen der Oppositionsparteien, insbesondere des PRI.
- Ein weiterer Grund für die Anlaufschwierigkeiten der Regierung scheint auch in der Organisation des Präsidialamtes selbst zu liegen. Es werden zunehmend Stimmen laut, die Fox zur Schaffung einer zentralen Koordinationsstelle raten. Die Funktion eines "Chef des Bundeskanzleramtes" - wie z.B. in Deutschland - bzw. eines "Vizepräsidenten" - wie z.B. in den USA - ist bis dato in der Regierungsstruktur Fox noch auf mehrere Schultern verteilt. Die Folge sind Informationsverluste bzw. Koordinierungsmängel.