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Country reports

Vorwahlfieber in Buenos Aires

by Frank Priess
Kein Thema beherrschte die Medien und die öffentliche Meinung in der ersten März-Hälfte so wie die näherrückende Wahlentscheidung über den Bürgermeisterposten der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, der angesichts der Kräfteverhältnisse und der handelnden Personen landesweite Bedeutung zugemessen wird. Zugespitzt wurde die Debatte durch eine wichtige Vorentscheidung: Die lange Zeit getrennt marschierenden Politiker Domingo Cavallo (Ex-Wirtschaftsminister unter Carlos Menem und Chef der Partei "Acción por la República") und Gustavo Beliz (Ex-Innenminister unter Carlos Menem und Chef der Partei "Nueva Dirigencia) einigten sich auf eine Wahlallianz und wollen am 7. Mai als Tandem gegen das "Allianz"-Ticket Anibal Ibarra/Cecilia Felgueras (FREPASO/Radikale Bürgerunion) antreten.

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Beispiellos aber war die Art der Entscheidung darüber, wer von beiden als Bürgermeisterkandidat und wer als Vize antreten sollte: Vom 10. bis zum 12. März konnten Angehörige der beiden Parteien, Sympathisanten, aber auch Unabhängige und Anhänger der Peronisten per Telefon und in Wahlkabinen ihre Stimmen abgeben. Vorausgegangen war ein intensiver, wenn auch kurzer interner Wahlkampf, inklusive mehrerer Fernsehdebatten.

Cavallo mit Chancen

Domingo Cavallo setzte sich schließlich mit 54 zu 34 Prozent durch, 12 Prozent der Stimmen waren ungültig. 67.370 Bürger hatten dabei ihre Stimme abgegeben, 44,4 Prozent in den Wahllokalen, 44,6 Prozent über die häusliche Telefonleitung und 11 Prozent über ihr Handy. Darüber, ob diese Wahlbeteiligung nun besonders hoch oder besonders niedrig war, gingen die Meinungen auseinander. Im Vergleich zu früheren Vorwahlen anderer Parteien scheint das Ergebnis für die beiden Neu-Parteien, die jetzt unter dem gemeinsamen Logo "Encuentro por la Ciudad" antreten werden, nicht schlecht zu sein, angesichts der rund 1,5 Millionen möglicher Wähler bei dieser "interna" aber ist es auch keineswegs berauschend. Immerhin ist es gelungen, das neue Doppel fest im Bewußtsein der Bürger zu verankern und die Gegner in die Defensive zu drängen. Schon jetzt ist dabei klar, daß es einen Zweikampf mit Ibarra/Felgueras geben wird, ohne das andere Parteien eine nennenswerte Rolle spielen werden.

Bei den Peronisten hält nach wie vor der ehemalige Justizminister im Kabinett von Carlos Menem, Raúl Granillo Ocampo seine Kandidatur aufrecht, die er bei recht umstrittenen Vorwahlen innerhalb seiner Partei erreicht hatte. Parallel aber gibt es ein zweites peronistisches Angebot um die ehemalige Abgeordnete und Schauspielerin Irma Roy. Beiden wird aber, sollte es bei den Kandidaturen bleiben, ein Wahldesaster vorausgesagt; für Granillo Ocampo etwa rechnet man mit kaum zehn Prozent der Stimmen.

So ist der Druck nicht verwunderlich, den Parteifreunde inzwischen ausüben, um ihn zum Rückzug zu bewegen. Ganz unverhohlen rief der Gouverneur der Provinz Santa Fe und einer der Hoffnungsträger der Peronisten, Carlos Reutemann, zur Wahl des Doppels Cavallo/Beliz auf und zeigte sich demonstrativ mit den beiden bei dieser Proklamation. Etwas zurückhaltender, aber doch eindeutig fällt die Unterstützung aus, die die beiden von den Gouverneuren de la Sota (Córdoba) und Ruckauf (Buenos Aires) erhalten. Bedeckt hält sich lediglich der Parteivorsitzende Carlos Menem selbst, dem eine Unterstützung von Cavallo und Beliz angesichts der persönlichen Vorwürfe der beiden gegen seine Person und seine Regierungsarbeit sicher besonders schwer fallen dürfte.

Geteilte Macht bei den Peronisten

Die unterschiedlichen Strategien für die Wahl in Buenos Aires am 7. Mai sind nicht die einzigen Zeichen dafür, daß sich die Peronisten (PJ) derzeit kaum als Einheit präsentieren. Vergeblich hatte der bis 2003 gewählte Parteivorsitzende Carlos Menem bereits direkt nach der Präsidentschaftswahl versucht, Ordnung in die eigenen Reihen zu bringen und vor allem selbst kraftvoll die Führung zu übernehmen.

Insbesondere die Gouverneure, die sich nun als Haupt-Bindeglied zwischen Oppositionspartei und neuer Regierung sehen, gehen eigene Wege. Dabei mischen sich persönliche Ambitionen im Hinblick auf künftige Kandidaturen mit den Interessen der von ihnen vertretenen Regionen: Angesichts hoher Schuldenlasten, sozialer und wirtschaftlicher Probleme sind diese nur erfolgreich zu regieren, wenn ein auskömmliches Verhältnis zur Zentralregierung herrscht. Dabei kann man einen Konfrontationskurs natürlich ebenso wenig brauchen wie gegenüber den eigenen Abgeordnetenhäusern ihrer Provinzen, in denen nicht alle PJ-Gouverneure über eine Mehrheit verfügen.

So liegt es nahe, daß in bilateralen Verhandlungen mit der Zentralregierung oder aber im Gouverneurs-Verbund versucht wurde, zu Ergebnissen zu gelangen. Bei Präsident de la Rúa stieß dies auf offene Ohren, nicht zuletzt, weil durch einen daraus resultierenden "Pakt der Regierbarkeit" seine Schwäche balanciert werden kann, die aus der Tatsache resultiert, daß die Peronisten im Abgeordnetenhaus über eine starke Minderheit und im Senat noch bis mindestens 2001 über eine Mehrheit verfügen. Auch die mehrheitlich peronistisch regierten Provinzen und die Zusammensetzung wichtiger Institutionen, zum Beispiel des Obersten Gerichtshofes, lassen Kooperation angeraten erscheinen.

Den eigenen Parteivorsitzenden in diesem Interessengeflecht zunächst einmal links liegen zu lassen und in einigen Fällen auch persönliche Rechnungen für empfangene Zurücksetzungen in vergangener Zeit zu begleichen, schien dabei für manche Gouverneure sowohl politisch rational als auch verlockend. Letzteres gilt sicher für den Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Menems ehemaligen Vizepräsidenten Carlos Ruckauf. Der machte sich, im Bündnis mit dem unterlegenen Präsidentschaftskandidaten und erklärtem Menem-Gegner, Eduardo Duhalde, zur Speerspitze derer, die die Macht Menems in der Partei begrenzen wollen. Kontinuierlich wurde dessen Versuch boykottiert, die Führungsgremien der Partei unter seiner Leitung zu versammeln. Erst, nachdem Menem Ruckauf in dessen Provinzhauptstadt La Plata aufsuchte und sich bemühte, durch zurückhaltendere Töne und die Auflösung des nach der Wahl installierten "Schattenkabinetts" die verhärteten Fronten aufzulockern, kam Bewegung in die innerparteiliche Blockade, die jetzt mit einem Treffen der Gouverneure am 20. März mit ihrem Parteivorsitzenden vorerst aufgehoben zu sein scheint.

Dafür allerdings zahlte Menem nicht nur einen symbolischen Preis: Die Partei, so vereinbarte man bei dem Treffen, soll künftig von einem vierzigköpfigen Gremium geführt werden, dem neben den Gouverneuren auch die Vorsitzenden der Parteidistrikte - unter ihnen Eduardo Duhalde - und die Fraktionsvorsitzenden der Partei in Abgeordnetenhaus und Senat angehören sollen. Den Vorsitz behält Carlos Menem. Daß aber auch künftig den Gouverneuren die Suche nach Vorteilen auf heimatlichem Terrain wichtiger sein wird als die innerparteiliche Geschlossenheit, davon kann getrost ausgegangen werden.

Dilemma für de la Rúa

Präsident Fernando de la Rúa steht angesichts der neuen Schlachtordnung gerade in der Hauptstadt, die er selbst bis zur Präsidentenwahl als Bürgermeister führte, vor einem Dilemma: Wie stark soll er sich im Wahlkampf engagieren? Zwar sehen Umfragen nach wie vor das Doppel Ibarra/Felgueras vorn, dies aber, so der Journalist und Analytiker Mariano Grondona, sei eben eine Momentaufnahme. Im Zeitverlauf sehe man die Aufholjagd von Cavallo/Beliz, die am 7. Mai durchaus mit deren Sieg enden könne.

Damit verlöre de la Rúa ein halbes Jahr nach seinem Wahltriumph seinen Heimatbezirk, neben dem Prestigeverlust der neuen Regierung auch eine herbe politische Niederlage, zumal die neben der Hauptstadt bedeutendsten Provinzen bereits von politischen Gegnern regiert werden. Engagiert er sich nun stark parteipolitisch, würde ihm eine Niederlage direkt persönlich zugerechnet. Hält er sich zurück, müßte ihm dies starke Kritik aus den eigenen Reihen und vom Bündnispartner FREPASO eintragen, immerhin aber könnte er sein entstehendes Image als Staatsmann oberhalb der Parteien kultivieren. Wie er sich entscheiden wird, ist derzeit völlig offen, zumal er auch an anderen Fronten offene Flanken hat.

So sieht sich de la Rúa just in dem Moment, wo er die ersten 100 Tage seiner Regierungszeit hinter sich gebracht hat, mit zurückgehenden Zufriedenheitswerten der Argentinier konfrontiert. Sieben Prozent der Bürger bezeichnen seine Arbeit als Präsident laut einer Mori-Umfrage im März als sehr gut (Februar: 10 Prozent), 23 Prozent als gut (Februar: 35 Prozent), 41 Prozent weder gut noch schlecht (Februar: 34 Prozent), neun Prozent als schlecht (Februar: vier Prozent), vier Prozent als sehr schlecht (Februar: zwei Prozent) und 15 Prozent äußerten sowohl im Februar als auch im März keine Meinung.

Beunruhigend dabei vor allem, daß die Wirtschaft nicht an Fahrt gewinnt und mittlerweile 34 Prozent der Bevölkerung eine Verschlechterung im Vergleich zum gleichen Vorjahresmonat feststellen. Nach der Situation des Landes insgesamt gefragt, sehen 19 Prozent der Befragten Rückschritte, 22 Prozent Fortschritte und 57 Prozent meinen, es bewege sich gar nichts. Bei der Problemen steht für die Bürger die Arbeitslosigkeit mit weitem Abstand an erster Stelle, gefolgt von Problemen des Bildungssystems, Korruption und Kriminalität.

Die reale Basis für die steigende Unzufriedenheit findet sich nicht zuletzt in der persönlichen finanziellen Situation. Nach dem zu Beginn des Jahres wirksam gewordenen Steuerpaket haben viele Argentinier, vor allem die mit einem Einkommen über 1000 Pesos (=US-Dollar) deutlich weniger Geld in der Tasche. Gleichzeitig reduzieren Firmen weiter ihr Personal oder zahlen verspätet. Die Konsequenzen zeigte jetzt eine Studie des argentinischen Maklerverbandes: Nur noch 60 Prozent der Mieter zahlen ihre Miete wie vereinbart, während 25 Prozent ihren Verpflichtungen nur mit Verspätung oder nach einer Neuverhandlung der Mietsummen nachkommen.

Fünf Prozent der Mietverträge enden mittlerweile vor Gericht. Vor einem Jahr noch, so der Bericht, hätten noch achtzig Prozent ihre Mieten pünktlich gezahlt. Besonders problematisch sei der Sektor der Ladenlokale: Viele Mietverträge würden vor Ende der eigentlichen Laufzeit wegen Geschäftsaufgabe beendet, die Rotation der Mieter werde immer höher. Die positive Seite für die Mieter immerhin liegt darin, daß sich die Preise bei Neuvermietungen fast überall in der Stadt reduziert hätten.

Diskreditierte Gewerkschaften tragen dazu bei, daß sich der Unmut der Bevölkerung mit der sozialen Situation bisher nur begrenzt in Streiks und Unruhen niederschlägt. In der Auseinandersetzung um die Arbeitsgesetzgebung hat sich der Gewerkschaftsdachverband CGT sogar gespalten: Während der Flügel um den bisherigen Generalsekretär Rodolfo Daer mit der Regierung paktierte, setzt der Flügel um den Chef der Lastwagenfahrergewerkschaft Hugo Moyano auf Kampfmaßnahmen. Dieser Teil der CGT führte jetzt einen eigenen Kongreß durch, bei dem Moyano zum neuen Gewerkschaftschef ausgerufen wurde, allerdings nicht anerkannt von weiten Teilen des Verbandes.

Die Regierung, insbesondere Arbeitsminister Flamarique, versucht ihrerseits, den verhandlungsbereiten Gewerkschaftern den Rücken zu stärken, muß sich allerdings die Kritik gefallen lassen, mit als korrupt und selbstsüchtig geltenden Führern zu verhandeln, denen die Masse der Arbeitnehmer längst nicht mehr folgt. Kritisiert wird auch, daß die Regierung als Preis für die Zustimmung zur Arbeitsgesetzgebung die Sozialkassen der Gewerkschaften unangetastet läßt, die als Haupteinnahmequelle der Arbeitnehmerorganisationen gelten, anstatt den Sektor zur öffnen und den Arbeitnehmern freizustellen, wo sie sich versichern wollen. Der fehlende Wettbewerb öffne nur die Tür zur Korruption und führe zu schlechtem Service und hohen Kosten. Wie es sich auf den sozialen Frieden im Lande auswirkt, wenn sich Teile der Gewerkschaftsbewegung weiter radikalisieren, bleibt abzuwarten.

MERCOSUR und Brasilien als Ziel der Kritik

Für die Wirtschaftslage machen inzwischen nicht wenige Argentinier, auch Politiker mit populistischem Einschlag, Brasilien und die Strukturen im Wirtschaftsverbund MERCOSUR verantwortlich. Fälle, bei denen brasilianische Regionen aktive Industrieansiedlung betreiben und dabei auch argentinischen Firmen attraktive Offerten machen, werden als "feindliche" Abwerbungsversuche gewertet, Protektionsmaßnahmen des grossen Nachbarn im Norden als unfreundliche Akte gesehen, die nicht ohne Auswirkungen auf die regionale Integration bleiben könnten.

Selbst die Frage, was der MERCOSUR Argentinien denn überhaupt noch bringe, wird gestellt. Besonders schrille Töne kommen aus der Provinz Buenos Aires, wo Gouverneur Carlos Ruckauf gerade eine Kampagne zum Kauf nationaler Produkte eingeleitet hat. Einheimischen Firmen, die bei Ausschreibungen der Provinz gegen ausländische Konkurrenz unterliegen, will er eine Bonus-Marge einräumen, um die der nationale Anbieter teurer sein darf. Die Firma Instruequipos S.A., ein Hersteller von Spritzen für den Krankenhausbedarf, war jetzt der erste Nutznießer. Gleichzeitig bringen Politiker wie Kabinettschef Rodolfo Terragno Ausgleichsmechanismen für Währungsverluste innerhalb des MERCOSUR ins Spiel, von einem "Maastricht" für den Cono Sur ist gar die Rede.

Wirtschaftsexperten hingegen sehen diese Versuche allerdings eher als Schaumschlägerei an, der die reale politische Basis und die wirtschaftliche Vernunft fehlten: Der Grund für die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Argentiniens liege, wenn auch durch äußere Umstände wie die Abwertung in Brasilien und den starken Dollar verschärft, im Lande selbst. Zudem erwirtschafte man im Geschäft mit Brasilien nach wie vor einen Überschuß.

Nötig seien also grundsätzliche Reformen, die von der Regierung bisher nur äußerst halbherzig in Angriff genommen seien. Zur Tagesordnung, die beispielsweise das Wirtschaftsforschungsinstitut FIEL (Fundación de Investigaciones Económicas Latinoamericanas) vorschlägt, gehören eine drastische Verbesserung des argentinischen Bildungssystems, eine erweiterte Deregulierung im Arbeits- und Sozialbereich, eine Entrümpelung staatlicher bürokratischer Abläufe, Deregulierung und Privatisierungen auf der Ebene der Provinzen, eine wirkliche Steuerreform mit Entlastungen für Unternehmen sowie mehr Rechtssicherheit durch eine grundlegende Justizreform. "Dies", so Daniel Artana von FIEL, "ist eine politisch schwierige Agenda, gleichwohl eine notwendige, um einen Sprung in der Wettbewerbsfähgkeit zu erreichen und eine neue Etappe hohen Wachstums einzuläuten. Die Zweifel bei der Reform der Arbeitsgesetzgebung, das Sich-Versteifen auf protektionistische Maßnahmen und nicht auf solche, die Produktivitätsfortschritte auf mittlere Sicht bringen, sowie die Versprechen, ausstehende Privatisierungen nicht zu verwirklichen, stellen jedenfalls keinen vielversprechenden Anfang dar."

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Olaf Jacob

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