Country reports
Wieder einmal zeigte sich, dass in Zeiten wirklicher Krisen Asean ein reiner Papiertiger ist. Mit diplomatischen Formeln und Floskeln tritt man zwar immer wieder schnell ins politische Scheinwerferlicht, ist jedoch einmütiges, entschlossenes Handeln gefragt, geht der Verband lieber auf Tauchstation. Die zehn Mitgliedsländer Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar (Burma), Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam schauten tatenlos zu, als zahlreiche andere Staaten, allen voran Australien, dem Aufruf der Vereinten Nationen folgten und Truppen schickten, um die Gewalt in der früheren indonesischen Provinz zu beenden. International war nicht einmal ernsthaft erwartet worden, dass der Verband südostasiatischer Staaten sich tatkräftig an der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Osttimor beteiligen oder gar mit massiver finanzieller Hilfe dem neuen Ministaat in ihrer Mitte zur Seite stehen würde.
Von großer Unterstützung war in Aseans Hauptstädten nicht die Rede, vielmehr entrüsteten sich einige Mitgliedsländer, angeführt wie fast immer in solchen Situationen von Malaysia, über das schnelle Vorpreschen Australiens - ein angesichts der Greueltaten in Osttimor unglaubliches zynisches Verhalten. Wichtige Zeit wurde so in Osttimor vertan, grausige Tage, in denen Hunderte von Menschen starben, Opfer marodierender Banden, oft mehr oder weniger direkt unterstützt von indonesischen Militärs. Tausende Häuser gingen in Flammen auf, rund 200 000 Menschen flüchteten nach Westtimor. Das volle Ausmaß der Greueltaten kommt erst jetzt langsam ans Licht.
Nur drei Asean-Länder senden Soldaten
Jetzt hat Asean eine neue Chance, Osttimor auf die Beine zu helfen und den politischen Kurs Südostasiens in Richtung auf Frieden, Sicherheit und Entwicklung zu bestimmen. Jedoch sieht es wieder so aus, als sei auf Asean nicht zu zählen. Nur vier der zehn südostasiatischen Länder sind an der UN-Friedensmission beteiligt, aus drei Asean-Ländern kommen Soldaten, die gerade einmal ein Fünftel des gesamten Truppenkontingents für Osttimor ausmachen.
Sicherlich: Südostasien durchlebt nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, die mit dem Fall der thailändischen Währung Anfang Juli 1997 begann, eine schwere Zeit. Auch hat die schnelle Aufnahme weiterer problematischer Mitglieder wie Vietnam, Laos und vor allem Myanmar nicht gerade für grössere Einheit und Durchschlagskraft gesorgt. Das eigentliche Problem liegt aber viel tiefer. Zwar übt man sich in Krisenzeiten gerne vollmundig in politischer Rhetorik, geht es jedoch darum, Farbe zu bekennen und einem in Not geratenen Nachbarn beizustehen, herrscht in den Hauptstädten peinliche Funkstille. Im Falle Osttimors, das Ende August in einem Referendum für die Unabhängigkeit von Indonesien stimmte und wo sich die sich dann entwickelnde Tragödie schon lange vorher abzuzeichnen begann, hatte Asean keine Antwort parat. Das kleine Asean-Sekretariat, in Jakarta beheimatet, war und ist nicht in der Lage, politische Krisenszenarios zu zeichnen und die Hauptstädte der Mitgliedsländer in die Pflicht zu nehmen.
Die internationale Gemeinschaft ist in Sachen Osttimor in der Verantwortung. Rund 8 500 Soldaten aus 23 Ländern stehen bereit, um Frieden und Sicherheit zu garantieren. Die meisten Soldaten außerhalb der südostasiatischen Region kommen aus Australien (1 700), Portugal (880), Neuseeland (760), Pakistan (750), Jordanien (700), Bangladesh (520) und Südkorea (450). Thailand und die Philippinen, sicherlich nicht zufällig die beiden demokratischsten Länder Aseans und Befürworter eines offenen Umgangs miteinander, sind immerhin mit rund 1 700 Truppen vertreten, aus Manila kommt auch der kommandierende General. Singapur schickt 20 Soldaten, eine eher symbolische Beteiligung des kleinen Stadtstaates.
Diplomatische Querschüsse aus Kuala Lumpur
Fehlanzeige meldete Kuala Lumpur. Lautstarke Töne aus Malaysia zur falschen Zeit sorgten sogar noch für ein diplomatisches Debakel. Premierminister Mahathir, eigentlich beseelt von dem Gedanken, dem kleinen Nachbarn beizustehen, verärgerte mit einem höchst eigenwilligen Blick auf die Geschichte Osttimors ausgerechnet diejenigen, die für einen Neuanfang stehen: die politische Führung Osttimors. Damit war dann auch schnell der Plan Mahathirs erledigt, die gesamten UN-Truppen unter malaysisches Kommando zu stellen, um auf diese Weise internationale Lorbeeren zu ernten. Eigentlich hatten sich die Vereinten Nationen schon für den malaysischen Oberbefehl entschieden, dann kippte jedoch die Androhung aus Osttimor, nicht mit einem Oberkommandierenden aus Malaysia zusammenzuarbeiten, den Beschluß. "Wir haben an verschiedenen Fronten gekämpft, um die Entscheidung rückgängig zu machen und den Kampf gewonnen", meinte stolz der designierte Außenminister Osttimors, Jose Ramos-Horta.
Dieser üble Gesichtsverlust für Malaysia führte dazu, dass Kuala Lumpur sofort sein Angebot, 1 700 Soldaten zu senden, zurücknahm. Überdies gab es unter den Nachbarn unnötige Eifersüchteleien und viel böses Blut. Dabei ist der neuen politische Führung in Osttimor klar, dass es aller Hilfe aus der Region bedarf. So war man denn auch in Dili bestrebt, schnell die Wogen zu glätten, strebt man doch innerhalb Aseans einen Beobachterstatus an. Osttimors politischer Führer, "Xanana" Gusmao, brach zu einem Blitzbesuch in sechs Asean-Staaten auf. In Kuala Lumpur schlug er vor, dass man den Oberbefehl der UN-Truppen nach einem Rotationsprinzip vergeben könne. Premierminister Mahathir nahm die Friedensofferte an und hat seinerseits Hilfe versprochen. Dringend benötigt werden Polizisten, Ingenieure und Ärzte.
Osttimor hat noch einen langen Weg zurückzulegen. Über Jahre wird das kleine Land am Tropf der internationalen Geldgeber hängen. Besonders die Nachbarn sind gefordert, dem möglichen elften Asean-Mitgliedsland beizustehen. Allen Asean-Ländern sollte dabei eines klar sein: Im Vergleich zu Osttimor stehen sie trotz ihrer Wirtschafts- und Finanzkrise allemal viel, viel besser da.