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Country reports

Wenn Liebe ins Gefängnis führt

by David Robert

Das andere Gesicht von Präsident Bouteflika

Staatspräsident Bouteflika wird in Europa grundsätzlich wohlwollend beurteilt. In der Regel besteht ein Bild, das den Präsidenten im Kampf gegen Islamismus und die undurchsichtigen Kreise des algerischen Militärs zeigt. Grundsätzlich unterstellt wird dabei, dass Bouteflika sich trotz seiner Vergangenheit als Mann des Systems für eine Demokratisierung und Modernisierung einsetzt. Ob dieses Bild der Wirklichkeit entspricht, daran kann man zunehmend Zweifel haben.

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Im Monat März wurden im Park Magan Echahid zweiundzwanzig junge Liebespärchen aufgegriffen. Die jungen Leute wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen, da sie nicht verheiratet sind und händchenhaltend oder sich küssend im Park gesehen wurden. Die Polizeiaktion, welche auf ein schon seit Jahren nicht mehr angewendetes Gesetz beruht, schockte Algerien. Die jungen Leute wurden in einer Klinik untersucht, ob sie sexuellen Kontakt hatten und anschließend von der Polizei festgenommen. Das Gericht von Sidi M´hamed, einem Stadtteil von Algier, verurteilte die jungen Leute, wegen unsittlichen Verhaltens zu einer Woche Gefängnis.

Die Folgen dieses staatlichen Vorgehens müssen vor dem Hintergrund einer muslimischen Gesellschaft gesehen werden. Insbesondere für die Mädchen bzw. jungen Frauen, sind die Folgen drastisch. Ausgehen mit jungen Männern ist grundsätzlich von der Familie her nicht erlaubt. Viele dürften sich deshalb mit einer Notlüge von zu Hause weg in den Park gestohlen haben. Diese Notlüge, der intime Kontakt zu einem Mann, selbst wenn dieser nur in einem Kuss besteht, sowie die peinliche Behandlung durch medizinische Untersuchung bzw. Gefängnis, dürften drastische Folgen für die jungen Frauen in ihren Familien haben.

Unabhängig von diesem persönlichen Schicksal der betroffenen jungen Leute, sind mit dieser Polizeiaktion neue moralische Restriktionen in der Gesellschaft wieder gestärkt worden. Seit diesem Vorfall, der ein Einzelfall war, da es große Proteste in der Presse gab, sind junge Paare aus den Parks verschwunden. Zu groß ist die Angst, wegen eines harmlosen Flirts gesellschaftlich geächtet zu werden. Diese Polizeiaktion, welche auf Präsident Bouteflika zurückgeht, ist Indiz, dass eine Liberalisierung der algerischen Gesellschaft nicht das erste Ziel des Präsidenten ist.

Kritiker des Präsidenten, wie der vor einem halben Jahr zurückgetretene Ex-Premierminister Ahmed Benbitour, warnen gar vor einem neuen diktatorischen System in Algerien. Im Gegensatz zum Bild in der deutschen Presse, in der Bouteflika beim Staatsbesuch in Deutschland Anfang April 2001, noch als Hoffnungsträger, bzw. als glückloser Präsident am Gängelband der Generäle dargestellt wird, sehen viele algerische Beobachter den Staatspräsidenten selbst als Problem.

Bisher hat Bouteflika wenig zur Liberalisierung des Landes beigetragen. Zunehmend werden wieder alte Kader aus der Zeit des Staatssozialismus und der FNL ins Umfeld des Präsidenten befördert. Die Zulassung neuer Parteien wird verhindert. Beispielsweise bekam die islamische Warfa, die Partei von Ahmed Taleb-Ibrahimi, einem Mitbewerber um das Präsidentenamt, keine Zulassung.

Diese Entscheidungen werden von der Exekutive gefällt, ohne dass ein Gericht darüber entschied bzw. es eine öffentliche Debatte über die Verfassungskonformität dieser Bewegung gegeben hätte. Bei der Nichtzulassung dieser und anderer Parteien drängt sich der Verdacht auf, dass aussichtsreiche politische Mitbewerber verhindert werden sollen. Bis auf die sozialdemokratische FFS sind alle Parteien in der Regierung vertreten.

Die Bildung neuer Parteien mit sozialer Basis, wie die Warfa - Bewegung, welche sich bei späteren Wahlen nicht in die Regierung einbinden lassen, ist offensichtlich nicht erwünscht. Ibrahimi gilt als Intimfeind von Präsident Bouteflika. Beide kennen sich gut, da sie jahrzehntelang gemeinsam in der Regierung waren. Ibrahimi war von 1965 bis 1970 Erziehungsminister und dann von 1970 bis 1977 Kulturminister. Später dann, als Bouteflika längst als Außenminister abgesetzt war, übernahm Ibrahimi von 1982 bis 1988 diese Amt.

Ebenso wird die Zulassung von neuen Zeitungen und Zeitschriften häufig verhindert. Das Parlament spielt eine untergeordnete Rolle bei den im Lande stattfindenden politischen Diskussionen. Die geplante Befriedung mit den islamistischen Gruppen wurde von der Regierung verordnet, aber nicht in der Gesellschaft diskutiert.

Maßnahmen zur Stärkung der Zivilgesellschaft, wie eine Reform des Vereinsgesetzes, stehen immer noch aus. In einer Gesellschaft ohne Vereinstradition sind 15 Personen für eine Vereinsgründung ein nennenswertes Hindernis. Findet trotzdem eine Gründung statt, gibt es noch Gummiparagraphen wie "dass die Vereinsgründung nicht gegen den Geist des Unabhängigkeitskampfes verstoßen darf". Wie dieser Geist definiert wird, obliegt der jeweiligen Regierung.

Mit einem neuen Strafgesetzbuch soll vor allem die Pressefreiheit eingeschränkt werden. Vielen Regierungsanhängern ist sie seit langem ein Dorn im Auge, da sie sehr offen das Versagen Bouteflikas in den verschiedensten Bereichen anprangert. Die Politik Bouteflikas ist seit mindestens einem halben Jahr eindeutig auf "Deliberalisierung" eingeschwenkt. Die Verhaftung der jungen Pärchen war nur ein auffälliges Ereignis von vielen. Die Entfaltung der Zivilgesellschaft soll gezielt verhindert werden. Algerische Organisationen und Institutionen, welche gesellschaftliche Tabuthemen ansprechen, bekommen Schwierigkeiten und werden eingeschüchtert.

Offen muss vorerst die Frage bleiben, ob die Anzeichen einer Deliberalisierung mit dem Militär abgestimmt stattfindet oder entgegen deren Interessen. Viele algerische Gesprächspartner glauben, daß die neuesten Entwicklungen nicht im Interesse der Armeezirkel sind. Die einflußreichen Generäle wollen eine politische Erneuerung und keine Reetablierung der alten FNL Kader, welche Algerien Ende der 80er Jahre in die politische und soziale Sackgasse geführt haben. Diese Überlegungen dürften weniger aus demokratischer Überzeugung, als aus klarem Kalkül entstanden sein.

Die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Generäle dürften stärker Schaden nehmen, wenn es in Algerien zu einer sozialen Explosion kommt. Die Unruhen vor einigen Monaten bei der Wohnungsvergabe sowie die gewaltsamen Ausschreitungen in der Kabylei Ende April / Anfang Mai 2001, dürften der Auftakt einer Reihe von Unruhen sein, falls die politische Stagnation nicht überwunden wird.

Selbst können die Militärs die Regierungsgeschäfte nicht übernehmen, da dies weder von der Gesellschaft akzeptiert würde, noch ins Internationale Umfeld passt. Bis Ende 2001 will Algerien mit der EU Abkommen unterschreiben, um noch auf den Barcelona- und Meda- Zug der europäischen Mittelmeerpolitik aufspringen zu können. Der einzige Erfolgsposten der zwei Jahre Bouteflika, eine Verbesserung des außenpolitischen Ansehens, würde ein Putsch der Generäle wieder zunichte machen.

Die Äußerungen führender Militärs gingen in der letzten Zeit auch eher in die entgegengesetzte Richtung. Erstmals wurde öffentlich das Primat der Politik anerkannt und dem Präsidenten klar gesagt, dass zur Lösung gesellschaftlicher Probleme die Armee nie wieder die Kasernen verlassen werden. Die Armee beschränkt ihre Rolle somit eindeutig, auf die Landesverteidigung und die Bekämpfung des Terrorismus von islamistischer Seite. Manche Algerier glauben gar, dass die Generäle aus Eigeninteresse heraus, Bouteflika wieder zu mehr Liberalisierung drängen wollen.

Ob Bouteflika seine Amtszeit zu Ende führen wird, oder vorher von "Reformkräften" abgesetzt wird, dürfte zur Zeit offen sein. Feststellen kann man lediglich, dass sich zur Zeit die Stimmung im Lande auf dem Tiefpunkt befindet und eine Frustration und Hoffnungslosigkeit breitgemacht hat, die jederzeit zu unkontrollierbaren Reaktionen führen kann. Die Desillusionierung der jungen Intelligenz, welche vor zwei Jahren mit viel Engagement den Aufbau eines neuen Algeriens vorantreiben wollte, könnte zu einer erneuten Entfremdung einer Generation mit ihrem Land führen. Das Ergebnis wäre Auswanderung oder verzweifelter Widerstand gegen das, was man in Algerien "pouvoir", Macht nennt.

Noch ist Algerien allerdings nicht in der gleichen Situation wie Ende der 80er Jahre, als das alte System zerbrach und der FIS seinen Aufstieg nahm. Die vorhandene Zivilgesellschaft und die Presse, werden sich nicht einfach gleichschalten lassen, dafür musste man zu viele Opfer im Kampf gegen den Islamismus erbringen, zu viele Algerier, um sich Allmachtsgelüsten eines Präsidenten einfach zu unterwerfen.

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Dr. Holger Dix

Dr. Holger Dix

Head of the Regional Programme Political Dialogue Sub-Saharan Africa, Interim Head of the Foundation Office South Africa

holger.dix@kas.de +27 11 214 2900 +27 11 214 2914

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