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Am späten Abend des 30. Juni verhaftete Ägyptens Staatssicherheitsdienst den Direktor und Gründer des Ibn Khaldoun-Zentrums für Entwicklungsstudien und Professor für Soziologie an der amerikanischen Universität in Kairo - Saad Eddin Ibrahim. Zusammen mit der nächtlichen Festnahme des renommierten Menschenrechtlers wurde dessen Forschungszentrum durchsucht und das Gebäude auch für Mitarbeiter geschlossen.
Die Verhaftung des prominenten Wissenschaftlers ereignete sich genau zu einer Zeit, in der ein Gesetz zur Kontrolle der Annahme ausländischer Mittel an ägyptische Nichtregierungsorganisationen (NROs) in Kraft treten sollte. Das ägyptische Verfassungsgericht hat jedoch das Gesetz wegen formaler und inhaltlicher Mängel für ungültig erklärt.
Der 61 Jahre alte Professor hat einen ausgezeichneten Ruf als Wissenschaftler, er lehrt seit 1971 Soziologie an der amerikanischen Universität in Kairo. Ibrahim war ein Gesprächspartner von Bundestagspräsident Thierse bei dessen Ägypten-Besuch im Februar 1999. Das von ihm gegründete Ibn Khaldoun-Zentrum startete 1988 mit einem Projekt zur Wiedereingliederung reumütiger islamischer Fundamentalisten, das von mehreren europäischen Staaten unterstützt wurde.
Parlamentswahlen werfen Schatten voraus
Die Hauptbeschuldigungen gegen Ibrahim stehen in Zusammenhang mit den für November geplanten Parlamentswahlen. Im Kern handelt es sich dabei um zwei Vorwürfe: zum einen hat Ibrahims Ibn Khaldoun-Zentrum von der Europäischen Union Geld angenommen, mit dem ein Film finanziert werden sollte. Der geplante Kurzfilm sollte die Bürger zum Wählen ermutigen. Nach der Verhaftung Ibrahims wurde die Fertigstellung des Films unterbrochen. Die ursprünglich 30 Minuten Filmmaterial sollten auf 6 Minuten gekürzt werden.
Was die Regierung wirklich beunruhigt haben könnte, so ein Mitglied des Kamerateams, mag der Umstand gewesen sein "wie leicht Ibrahim Zugang zu relevanten Informationen aus der Datensammlung der Regierung gehabt hatte, inklusive der Wählerverzeichnisse". Da Unregelmäßigkeiten bei Wahlen in Ägypten Tradition haben, ging es Ibrahim vor allem um mehr Transparenz. Die rund 8.000 Richter sollen während der Wahlen rund 140.000 Wahllokale überwachen, was aber Kritiker des Systems kaum überzeugt.
Zum anderen wird dem Soziologen vorgeworfen, er habe durch den Kauf und das Ausfüllen von Stimmzetteln ausländische Gelder mißbraucht. Wie die Staatsanwälte behaupten, habe Ibrahim die Stimmzettel für rund 150 DM pro Stück gekauft, finanziert durch Mittel der EU, welche für ein Programm zur Aufklärung der Bevölkerung über ihre Bürgerrechte gedacht waren. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm außerdem vor, die restlichen ausländischen Gelder veruntreut zu haben und will ihn wegen "Fälschung, Betrug, Annahme ausländischer Zuwendungen sowie Beschädigung der Landesinteressen" anklagen.
Ibrahim selbst, so wurde aus einer Quelle der Staatsanwaltschaft berichtet, hatte die Wissenschaftler seines Instituts für die Manipulation an den Wahlkarten verantwortlich gemacht und jede Schuld von sich gewiesen. Zwei Wochen nach der Inhaftierung Ibrahims wurden weitere 15 Mitarbeiter verhaftet. Nach weiteren Untersuchungen erklärte die Polizei, sie habe mittlerweile 17.000 manipulierte Stimmzettel gefunden.
In die Öffentlichkeit gelangte außerdem eine Erklärung, die der Wissenschaftler unmittelbar nach seiner Verhaftung im Gefängnis bei den Verhören abgab. So sagte Ibrahim, der ägyptische Staat gebe wahrscheinlich bei den jetzigen Untersuchungen mehr Geld aus, als der jährliche Finanzrahmen seiner Einrichtung ausmache. Wenn das Zentrum Geld von ausländischen Gebern annehme, so der Soziologe, komme dies letztlich auch wieder dem ägyptischen Staat zugute- die Summen lagerten auf einheimischen Konten und würden schließlich auch versteuert. Jene ausländischen Mächte schließlich, mit denen sein Zentrum - laut Anklage - zusammenarbeite versorgten auch die Regierung mit Hilfslieferungen oder kooperieren mit ihr in gemeinsamen Militärmanövern.
Die Kopten als Tabuthema
Ein weiterer, offiziell nicht genannter Grund mag die Staatsanwaltschaft bewogen haben, Ibrahim zu verhaften. Der Soziologe hatte sich in der Vergangenheit durch die Unterstützung von Konferenzen über Minderheiten in der arabischen Welt einen Namen gemacht. Kritik erntet Ibrahim in Ägypten deshalb, weil er die ägyptischen christlichen Kopten zusammen mit Kurden oder Südsudanesen zu einer Minderheit erklärt habe.
Die Kritiker halten Ibrahim entgegen, sowohl Muslime als auch Kopten seien integraler Bestandteil der ägyptischen Gesellschaft. Dass hier jedoch tatsächlich Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen, wird gern übersehen. Zwei koptische Organisationen aus den USA haben nun Ibrahims Verhaftung verurteilt und seine Freilassung gefordert. "Es ist offensichtlich", so schreiben sie, "dass die Verhaftung etwas mit seinem Engagement in Flüchtlingsfragen zu tun habe".
Der Fall Ibrahim erinnert stark an die Inhaftierung des Generalsekretärs der ägyptischen Organisation für Menschenrechte, Hafez Abu Saada, im Dezember 1998. Abu Saada saß genauso wie jetzt Ibrahim im Tura-Gefängnis ein, weil er mit ausländischem Geld das ägyptische Ansehen habe beschädigen wollen, so die damalige Anklage. Dennoch gibt es zwischen diesen beiden Fällen einige deutliche Unterschiede.
Ibrahim ist einer der weltweit bekanntesten ägyptischen Wissenschaftler und damit für die Regierung viel schwieriger im Gefängnis zu halten als Abu Saada. Jener war letztlich nur einige Tage inhaftiert und weitere Mitarbeiter waren nicht betroffen.
Pressekampagne Pro und Contra
Nach Meinung der halbamtlichen Zeitung "Al- Ahram" "würden manche Zeitungen mit Ibrahim umgehen, als sei er schon verurteilt". Außerdem handele es sich um die größte ägyptische Schmutzkampagne, die jemals gegen eine Person in Gang gesetzt worden sei, welche sich noch in Untersuchungshaft befände.
Die harschesten Töne zu der Verhaftung kommen nicht aus Ägypten selbst, sondern aus dem Nachbarland Jordanien. Dort werden die Aktivitäten von NROs und ausländischen Einrichtungen schon seit längerem kritisch beobachtet. Jordanische Kommentatoren begrüßten denn auch die Verhaftung und warfen dem Wissenschaftler vor, er habe sich persönlich bereichert und für Israel spioniert.
Doch im Vergleich mit allen bisher vor ihm aus ähnlichen Gründen Verhafteten, hat der Fall Ibrahim nur wenig gemein. Der Soziologe ist kein Regierungsangestellter, und das seit 1988 von ihm geleitete Ibn Khaldoun-Zentrum arbeitete bisher völlig legal. Seit dessen Gründung war die Kooperation des Zentrums mit ausländischen Organisationen (u.a. auch mit der Konrad-Adenauer-Stiftung) bekannt.
Ibrahims Fall, so wird nach mittlerweile einem Monat Haft vermutet, unterscheidet sich deutlich von allen vorherigen Fällen durch die bessere Planung. Der 1998 inhaftierte Abu Saada, heute einer der Anwälte Ibrahims, vermutet: "Jemand hat über diesen Plänen einige Zeit gebrütet, um schließlich den richtigen Zeitpunkt auszuwählen. Dies ist ein kompletter Plan, um die Zivilgesellschaft Ägyptens gezielt anzugreifen". Andere Stimmen geben sich noch drastischer: "Das Vorgehen der Regierung soll die Zivilgesellschaft umbringen oder sie dazu zwingen Selbstmord zu begehen", meinte Mohamed El- Sayed Said, stellvertretender Leiter des "Al-Ahram-Zentrums für Politische Studien".
Aus den vorherigen Fällen läßt sich zumindest ableiten, dass allein die Zusammenarbeit ägyptischer NROs mit ausländischen Organisationen bisher nie zu einer Verurteilung geführt hat und ebensowenig deren finanzielle Unterstützung. Lediglich die Anschuldigung, den nationalen Interessen zu schaden, scheint für die Regierung wie für die Presse jetzt wirklich von Bedeutung zu sein.
Die meisten Zeitungen des Landes übernahmen sogleich die Meinung der Staatsanwaltschaft und berichteten über den Fall auf jenen Seiten, die normalerweise anderen Verbrechen vorbehalten sind. Unter Presseattacken hatte Ibrahim schon seit Jahren zu leiden. Jetzt dürfte der Soziologe für seine doppelte Staatsbürgerschaft wohl dankbar sein- er besitzt einen amerikanischen und einen ägyptischen Paß. Ein Konsularbeamter der amerikanischen Botschaft in Kairo durfte den Verhafteten im Gefängnis aufsuchen und bestätigte, dass Ibrahim "korrekt" behandelt werde. Der amerikanische Botschafter in Kairo, Daniel Kurtzer, intervenierte umgehend beim ägyptischen Ministerpräsidenten und dessen Außenminister.
Nach einem Monat Haft gab die Familie Ibrahims eine Presseerklärung heraus, in der sie der Regierung politische Willkür vorwarf. "Bisher hatten wir immer an die Rechtsstaatlichkeit Ägyptens geglaubt, nachdem nun die Haft weiter verlängert wurde, halten wir ihr Vorgehen jedoch für politisch motiviert". Des weiteren kritisierte die Erklärung die Schmutzkampagne der staatlichen Medien, die nichts weiter im Sinn hätten, als Ibrahim als "Verräter" und "Kollaborateur" zu beschimpfen.
Der Rechtsanwalt und Menschenrechtler Negad El-Borai äußerte sich skeptisch über die Wirkungen des Falles Ibrahim. "Ich sehe für eine wirkliche Zivilgesellschaft Ägyptens keine Zukunft, wenn derartige Vorfälle anhalten. (...) Sicher könnten wir auch ohne ausländische Finanzen tätig bleiben, aber die Frage ist doch, ob die Regierung uns überhaupt erlauben möchte, weiterhin frei zu arbeiten oder nicht.
Auch andere Intellektuelle melden sich nun zu Wort. Said El - Naggar, prominenter Wirtschaftsfachmann und Direktor des New Civic Forum, meinte, es sei nicht Ibrahim, sondern seine Inhaftierung, die Ägyptens Ansehen ruiniere. El - Naggar organisierte ein Gesprächsforum nach der Inhaftierung Ibrahims, auf welchem der Fall diskutiert wurde. Die Teilnehmer verabschiedeten eine Resolution, in der aber der Passus, ihm "vollständige Solidarität" zuzusichern, gestrichen wurde. Stattdessen wurde nur die Freilassung aller Inhaftierten in diesem Fall gefordert.
Mustafa Kamel El- Sayed, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kairo, bezog ebenfalls Stellung in der Presse: "Ich persönlich stimme mit Ibrahims Vorstellungen für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel nicht überein. Auch teile ich seine Meinung zur wirtschaftlichen Liberalisierung nicht ganz. Wie dem auch sei, jeder sollte aber allzeit bereit sein, jede Person zu verteidigen, deren Bürgerrechte mißbraucht werden- unwichtig, ob man nun dieselben Ansichten teilt oder nicht".