Die Euphorie ist verflogen
Die Zeit seit der Entmachtung des langjährigen Autokraten Robert Mugabe wird in Simbabwe als eine Periode der vertanen Chancen in die Geschichte eingehen. Nachdem im November 2017 eine unvergleichliche Euphorie innerhalb und außerhalb Simbabwes herrschte, ist inzwischen Ernüchterung eingetreten, was die Zukunft des Landes betrifft. Die „neue“ Regierung wurde international zwar skeptisch, doch mit Offenheit begrüßt, versprach sie doch von Beginn an einen radikalen Wandel und die Abkehr der unter Mugabe allgegenwärtigen Korruption sowie von Verstößen gegen Menschen- und Bürgerrechte.
Die mit Spannung erwarteten Wahlen im Juli 2018 stellten dann eine erste Zäsur dar. Auch diese Wahl war begleitet von Unregelmäßigkeiten, die lokale und internationale Beobachter gleichermaßen bemängelten. Die oppositionelle MDC-Alliance focht das Ergebnis vor dem Verfassungsgericht an – und verlor. Was jedoch im Gedächtnis blieb, waren die Szenen des 1. August 2018. Als Demonstrationen gegen das Wahlergebnis in gewaltsamen Ausschreitungen, Vandalismus und Plünderungen mündeten, reagierte die Regierung mit dem Einsatz des Militärs, das mit scharfer Munition das Feuer eröffnete. Sieben Zivilisten verloren ihr Leben. Videos und Bilder kursierten, in denen Soldaten auf Zivilisten schossen und internationale Berichterstatter gewaltsam von der Dokumentation der Ereignisse abgehalten wurden. Noch während die EU- Beobachtermission, unter Führung von MdEP Elmar Brok, ihren vorläufigen Bericht zum Ablauf er Wahl vorstellte, hörte man außerhalb Gewehrfeuer und das Motorengeräusch vorbeifahrender Panzer.
Schon damals wurde vermutet, dass es politische Kräfte innerhalb der regierenden ZANU-PF gibt, die den Kurs des Präsidenten nicht unterstützen und die Öffnung gegenüber dem Westen kritisch bewerten. Wie hat sich die Situation seitdem entwickelt?
Wer übt die Macht im Staat aus?
Präsident Mnangagwa scheint nicht den politischen Rückhalt zu haben, den er zur Umsetzung dringend benötigter Reformen benötigt. Es wird deutlich, dass der Flügelkampf innerhalb der Partei, welcher letztlich zur Entmachtung Mugabes führte, noch nicht beendet ist. Die Auseinandersetzung wird zwischen den progressiven Kräften auf der einen Seite, und den reaktionären Kräften andererseits geführt. Zu letzteren zählen hohe Vertreter des Militärs, die die Präsidentschaft Mnangagwas erst ermöglichten und nun erneut aufbegehren könnten.
Zwischen der Absetzung Mugabes und den Wahlen 2018 war das Kabinett stark vom Militär geprägt und der Präsident in seiner Entscheidungsgewalt eingeschränkt. Die allgegenwärtige Korruption, der Mnangagwa den Kampf angesagt hatte, bestand fort. Sie reicht in höchste Kreise des Partei- und Regierungsapparates.
Nach den Wahlen 2018 verschob sich dieses Bild. Der Präsident ernannte Minister ohne signifikanten Rückhalt in der Partei oder den einflussreichen Regionalverbänden, welche ihm gegenüber zu Loyalität verpflichtet sind. Er entließ Mitglieder der „Alten Garde“ aus der Regierung, welche bereits unter Mugabe hohe Ämter innehatten. An dieser Stelle zeigte sich jedoch, dass der Präsident auch hier in seiner Entscheidungsgewalt limitiert ist. Die Entlassenen erhielten zumeist hohe Positionen in der Parteizentrale, da sie noch immer über Einfluss in der Partei verfügen. Man musste diese Personen „versorgen“, um den fragilen Frieden innerhalb der Partei zu wahren. Die Probleme, mit denen Mnangagwa konfrontiert ist, sind in ZANU-PF tief verwurzelt. Seit jeher streiten Fraktionen innerhalb der Partei um Einfluss. Der öffentliche Sektor ist bis in die obersten Ebenen militarisiert – Ausdruck der Geschichte der Partei als ehemalige militante Befreiungsbewegung. Ferner ist die Partei in einem Maße korrumpiert, das wirtschaftliches Wachstum und Stabilität erschwert.
Neben Widersachern in den eigenen Reihen, sieht sich Mnangagwa außerdem mit einer Opposition konfrontiert, welche die Legitimität seiner Regierung nicht anerkennt und bislang zu keiner konstruktiven Oppositionspolitik bereit ist. Dies kann man ihr, angesichts andauernder Verhaftungen und Prozesse gegen ihre Mitglieder und Funktionäre, kaum verdenken.
Die humanitäre Krise spitzt sich zu - 5,3 Millionen Menschen von Hunger bedroht
Während die politische Krise andauert, verschärft sich von Tag zu Tag die humanitäre Situation. Es fehlt am Nötigsten. In den öffentlichen Krankenhäusern fehlen Medikamente. Es wird von Personen berichtet, die mangels Beatmungsgeräten nach ihrer Diagnose im Krankenhaus versterben. Infektionen verbreiten sich, da das Personal nicht über genügend sterile Handschuhe verfügt und Verbände müssen mehrfach verwendet werden. Angesichts dieser Entwicklungen nimmt die Kritik an der politischen Führung zu. Die Abgaben für die Gesundheitsversorgung stehen in der Kritik, können sie doch offensichtlich den Bedarf nicht decken. Gleichzeitig wird auch hier der Verdacht laut, dass Mittel zweckentfremdet werden.
Im Jahr 2018 erlebte Simbabwe den zweitgrößten Choleraausbruch der jüngeren Geschichte. Die Krankheit breitete sich seit September in zwei Bezirken Harares rapide aus. Man verzeichnete 10.000 Fälle und 65 Tote. Gleichzeitig grassiert eine Typhusepidemie, die seit 2017 bereits 17 Tote gefordert hat und in deren Zuge noch immer Fälle auftreten. Zusätzlich verschlimmert die akute Not im Gesundheitswesen die Situation der von HIV betroffenen Simbabwer, die mehr als 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das unterfinanzierte Gesundheitswesen, das Fehlen essentieller Medikamente und die Versorgungsengpässe sind Ergebnis der wirtschaftlichen Krise und erschweren die Lebensbedingungen der verwundbarsten Gruppen noch weiter. Umwelteinflüsse und Katastrophen, über Dürreperioden bis hin zu tropischen Wirbelstürmen wie dem kürzlich im Osten des Landes wütenden Zyklon Idai, verstärken diesen Trend und erhöhen das Risiko für zukünftige Ausbrüche lebensgefährlicher Krankheiten.
Gleichzeitig hat sich die Versorgungslage verschlechtert. Die Vereinten Nationen veröffentlichten Anfang März einen sogenannten „Flash Appeal“ in Höhe von 234 Millionen US-Dollar, um Simbabwe bei der Bewältigung der anhaltenden Dürre sowie der Wirtschaftskrise zu unterstützen. Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderungen sind besonders gefährdet. Die UN gehen davon aus, dass 2,9 Millionen Menschen in ländlichen Regionen, und 1,5 Millionen in den urbanen Zentren, von Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Dies droht ferner weiteren 900.000 Menschen, wenn bereits bereitgestellte Hilfen nicht fortgesetzt werden.
Der Wille zur Reform ist –teilweise- erkennbar
Angesichts der politischen Spannungen, welche die Berichterstattung weiterhin dominieren, treten die Reformbemühungen der Regierung in den Hintergrund und finden nicht die gewünschte Resonanz. Seit dem Amtsantritt Mnangagwas sind durchaus Schritte unternommen worden, die zu begrüßen sind und den Kurs des Landes positiv beeinflussen könnten, sofern sie konsequent durchgeführt würden. Vor allem Reformen im Sicherheitsapparat weckten bereits im vergangenen Jahr Hoffnung. Das Joint Operations Command, welches unter Mugabe eine Quasi Parallelregierung bildete, wurde de-politisiert. Dies hat zur Folge, dass Streitkräfte und Sicherheitsdienste nun von Berufsoffizieren geführt werden, die – zumindest in der Theorie - über eingeschränkte oder keine politischen Kompetenzen verfügen. Sukzessive werden Strukturen aufgebrochen, in denen in der Vergangenheit pensionierte Offiziere direkt in den öffentlichen Dienst wechselten, um dort die Umsetzung präsidialer Anordnungen zu gewährleisten und die Arbeit der Ministerien zu kontrollieren.
Erst kürzlich verkündete die Regierung, dass zwei der umstrittensten Gesetze, eines zur Informationsfreiheit sowie eines zur Versammlungsfreiheit, ersetzt werden würden, um die von der Verfassung garantierten Freiheiten zu schützen. Dieser Schritt wurde seitens der Zivilgesellschaft begrüßt.
Als wichtigstes Ziel gibt Mnangagwa seit seinem Amtsantritt im November 2017 an, die Wirtschaft des Landes wiederzubeleben. Hierzu ernannte er nach der Wahl 2018 Mthuli Ncube, einen anerkannten Wirtschaftsexperten, zum Finanzminister, um Marktwirtschaft und eine stabile Fiskalpolitik zu fördern. Ncube hat seither ein Reformprogramm vorgestellt, welches das Fiskaldefizit überwinden, Importe liberalisieren und die andauernde Währungskrise überwinden soll.
Zudem wurden erste Schritte auf dem Weg zu einer eigenen Währung, welche das Land im regionalen Vergleich wettbewerbsfähiger machen soll, unternommen. Die Regierung hob die Parität der sog. „Bond Notes“ zum US-Dollar auf und unternahm hierdurch einen ersten Schritt hin zu einer neuen eigenen Währung.
Diese Reformen stellen den Versuch der Regierung dar, das gesamtwirtschaftliche Fundament des Landes zu festigen und die steigende Inflation zu stoppen. Ein freier Handel mit Fremdwährungen würde erlauben, dass sich die Inflation auf einem vertretbaren Niveau stabilisieren könnte und damit eine erneute Hyperinflation vermieden wird. Trotz allem wird es sich nicht vermeiden lassen, eine Abwertung gegenüber dem US-Dollar vorzunehmen, die sich in der Breite der Bevölkerung zunächst negativ bemerkbar machen würde. Bankguthaben würden unweigerlich an Wert verlieren, was vor allem weniger Vermögende träfe. Dies ruft bei vielen Simbabwern dunkle Erinnerungen an das Jahr 2008 hervor, als die Hyperinflation und die darauffolgende Entmonetarisierung des Zimbabwe Dollar, Ersparnisse und Pensionen vernichtete und viele Menschen nahezu mittellos zurückließ.
Die politische Führungskrise: Kann der Reformkurs bestehen?
Die größte Herausforderung des Präsidenten bleibt, die Kontrolle über seine eigene Partei und damit die Staatsführung zu erringen. Dies wird durch die volatile Wirtschaftslage und die Verschlechterung der Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung erschwert.
Die Ereignisse, die durch die Erhöhung der Treibstoffpreise ausgelöst wurden, legen hierüber Zeugnis ab. Das gewaltsame Vorgehen des Militärs ließ die Außenwelt einmal mehr daran zweifeln, ob es sich bei diesem Regime tatsächlich um ein neues handelte, oder die Kurskorrekturen nur rein kosmetischer Natur waren. Die Methoden, welche einmal mehr angewandt wurden und noch werden, rufen doch allzu sehr die Zeiten in Erinnerung, als Mugabe die Sicherheitskräfte regelmäßig zur Unterdrückung der Zivilgesellschaft und oppositioneller Bestrebungen einsetzte, um seine eigene Macht zu festigen. Die Abschaltung des Internets und der sozialen Medien erhärtete diesen Verdacht noch zusätzlich. Seit Januar sind hunderte Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, Gewerkschaften und Oppositionsparteien verhaftet worden, denen man Vergehen bis hin zu Umsturzversuch oder Hochverrat vorwirft. Es scheint, als versuchten Kräfte innerhalb der Regierungspartei, die teilweise gewaltsamen Ausschreitungen dazu zu nutzen, einen finalen Schlag gegen Andersdenkende zu führen und unliebsame Stimmen verstummen zu lassen. Angesichts der internationalen Aufmerksamkeit, die diese Ereignisse erhalten, ist dies für die reformorientierten Kräfte innerhalb der ZANU-PF ein herber Rückschlag, widerspricht sie doch diametral dem Bild, das sie von der eigenen Regierung zu zeichnen versuchen.
Ein Wandel von Innen ist erforderlich
Letztlich ist es für die weitere Entwicklung Simbabwes entscheidend, dass die Regierungspartei ZANU-PF in ihrer Gänze erkennt, dass sich ihr politisches und wirtschaftliches Handeln ändern muss, da es die heutige desaströse Lage erst herbeigeführt hat. Angesichts einer absoluten Mehrheit im Parlament und der Kontrolle über die Exekutive, kann nur sie als politische Kraft Einfluss auf die weitere Entwicklung nehmen. Der Opposition bleibt außer Kritik in den Medien kaum politischer Handlungsspielraum. Jedoch fehlt es ZANU-PF bislang an der nötigen Reflexion und Erkenntnis, dass Korruption in den eigenen Reihen, Amtsmissbrauch auf allen politischen Ebenen und die Zerstörung des Vertrauens in die Institutionen, Ergebnis der eigenen Regierungsführung sind. Die Behauptung, die wirtschaftlichen Probleme des Landes seien lediglich das Ergebnis von Sanktionen, kann langfristig nicht aufrechterhalten werden.
Es ist unzweifelhaft, dass sich das Land aus genau diesen Gründen in einer andauernden Krise befindet, da Korruption und Günstlingswirtschaft die Staatsgeschäfte und die Wirtschaft über Jahrzehnte dominierten. Die Beschaffung von Fahrzeugen für traditionelle Autoritäten als Belohnung für politische Loyalität ist hier ein treffendes Beispiel. Weiterhin stellten in der Vergangenheit Maßnahmen zur Machterhaltung, sowie zur internen politischen Konsolidierung, einen zusätzlichen Faktor für die Verschlechterung der Wirtschaftslage dar. Als bestes Beispiel kann hier die Landreform in den 1990er Jahren herangezogen werden, in deren Verlauf gewaltsame Enteignungen die Landwirtschaft nachhaltig negativ beeinflussten und das Vertrauen in die Rechtssicherheit nachhaltig erschütterten. Nicht zuletzt deshalb sind Investoren der Regierung gegenüber noch immer skeptisch, befürchten sie doch, Investitionen könnten auch zukünftig den politischen Ränkespielen zum Opfer fallen.
Letztlich muss sich ZANU-PF der Tatsache bewusst werden, das die Veränderung von Innen erfolgen muss, um langfristig das Land wieder auf einen Kurs zu bringen, der seiner leidgeprüften Bevölkerung die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bietet. Nur so kann auch das Ziel des Präsidenten erfüllt werden: Die Wiederaufnahme Simbabwes in den Kreis der respektierten Nationen.
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