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In einem Kurzvortrag stellte die Kuratorin Sigalit Meidler-Waks das erstes ‚Ghetto‘ in Venedig vor. 1516 als das ‚Gheto Novu‘ im venezianischen Stadtviertel Cannaregio formiert, wohnten auf Anweisung der Regierung 700 venezianischen Juden umzäunt auf engstem Raum. Jüdische Einwohner waren zahlreichen Restriktionen unterworfen: Sie mussten bestimmte Kennzeichen tragen, durften nur als Händler oder Geldverleiher tätig werden. „Daraus entwickelten sich große Banken“, so Sigalit Meidler-Waks. Trotz Ausgrenzung, diktierter Lebensbedingungen und Diskriminierung florierte die Gemeinschaft und wuchs stetig auch durch den Zuzug ausländischer Juden an. Diese Welt wird durch die Fotografien des Künstlers Lino Sprizzi in der Ausstellung sichtbar. In lebendigen und beeindruckenden schwarz-weiß Aufnahmen fängt er das Spannungsfeld zwischen Tradition, Historie und Moderne ein, wobei die Bilder von Kontrasten aus Licht und Dunkelheit, von Bewegung und Stillstand leben. „Straßenfotografie heißt für mich daher auch eher, ein soziales Verhalten einzufangen und nicht nur eine einzelne Person. Straßenfotografie heißt zu sehen, wie der Einzelne sich in ein soziales Umfeld einpasst, wie er auf andere reagiert und auf deren Verhalten in einem bestimmten Moment.“, so Sprizzi. Mit seinen Bildern versucht er, „Verbindungspunkte zu dokumentieren, die zwischen dem Horror der jüngeren jüdischen Geschichte und dem völlig anderen Leben heute bestehen“.
Eben diesen Verbindungspunkt findet man auch im heutigen Shanghai. Das Gebiet des früheren Ghettos im Shanghaier Bezirk Hongkew, das früher 20.000 europäische Juden vor der Vernichtung durch das NS-Regime rettete, ist auch heute noch sichtbar jüdisch geprägt. Als 1938 zunehmend antisemitische Ausschreitungen und planmäßige Diskriminierungen das jüdische Leben in Deutschland und Europa unmöglich machten, versuchten viele sich ins Ausland zu retten. Als die meist mittellosen Emigranten im japanisch besetzten Shanghai eintrafen, fanden sie eine Szenerie aus Armut und Elend vor. Inmitten von Ruinen schufen sie sich in kürzester Zeit zusammen mit zahlreichen Hilfsorganisationen eine eigene kleine Wirklichkeit. Kindergärten, Cafés, Krankenhäuser und Schulen bezeugten den „Willen, unter widrigsten Umständen leben zu wollen“, so Eva Haller. Unter diesen „Shanghailändern“ waren auch die Eltern von der Zeitzeugin Sonja Mühlberger, geborene Krips. Durch eine glückliche Fügung gelang es der schwangeren Mutter und dem Vater das -wie er schreibt- „düstere Deutschland zu verlassen“. In Shanghai angekommen erblickte kurz darauf Tochter Sonja das Licht der so exotischen Welt, die trotz der Ferne immer noch von Ausgrenzung und Diskriminierung geprägt war. Um seine Familie durchzubringen, arbeitete ihr Vater als Übersetzer, Bäcker und Eierverkäufer und lernte auch fließend Chinesisch.
Nach dem Krieg kehrte Familie Krips aus ihrem Exil in Shanghai zurück nach Deutschland, um beim Wiederaufbau zu helfen. Nicht alle ihre Mitexilanten konnten diesen Wunsch verstehen. "Man hat mich angespuckt und dafür beschimpft, dass meine Eltern in das Land zurückgehen, in dem unsere Würde mit Füßen getreten wurde“, sagt Sonja Mühlberger heute über die Reaktionen, die sie bekam, als sie anderen von dem Plan erzählte. Für sie war Deutschland ein unbekanntes Land. In einem „Brief an die Kinder“ schrieb 1947 Hedy Neufeld aus Shanghai einen Artikel über die so ferne Heimat als Sehnsuchtsort, der genau diese Problematik aufgreift. Kiefernwälder, gänseblumenüberzogene Wiesen, knallrote Mohnblumen- das alles ist für sie Deutschland. Fast schon entschuldigend versucht sie den Kindern, die Deutschland nie gesehen haben, eine Brücke zu schlagen zwischen den Erfahrungen der deutschen Elterngeneration und den in Shanghai Geborenen, „denn ihr habt die Kornblumen nie gesehen“. Trotzdem sollen die Kinder Shanghai nicht vergessen und die Erlebnisse bewahren.
Die Ausstellung wurde von der Europäischen Janusz Korczak Akademie in Kooperation mit dem Museo Ebraico di Venezia, dem Konfuzius Institut Hannover und dem Konfuzius Institut München erstellt. Die Schautafeln wurden in Zusammenarbeit mit dem Jewish Refugees Museum Shanghai konzipiert.