Event reports
Die Lausitzer Rundschau berichtet:
"Schulrat und Psychiater äußern auf Forum Sorge und Zweifel an gegenwärtiger Umsetzung
Lübben Ausgesprochen gut besucht war die Veranstaltund der CDU-nahen Adenauer-Stiftung im Hotel "Spreeblick". Das Thema "Inklusion – Hoffnung oder Illusion" zog am Dienstagabend betroffene Eltern, Großeltern und Lehrer sowie Politiker an.
Aus der Lübbener Stadtverordnetenversammlung waren Abgeordnete gekommen; von den Schulleitern Ulrich Haase (Paul-Gerhardt-Gymnasium) und Andreas Kurzhals (Spreewald-Schule), von den Schulträgern Dieter Freihoff (SPD). Landtagsabgeordneter Jürgen Maresch (Die Linke) war ebenfalls dabei.
Kinderpsychiater Dr. Wolfram Kinze eröffnete den Abend mit seinem Vortrag, der sich in erster Linie mit den Unterschieden der Menschen beschäftigte. Er ging dabei auf die individuelle Konstitution ebenso ein wie auf entwicklungsbiologische Komponenten und Umwelteinflüsse. Gewürzt mit feiner Ironie und der ein oder anderen sarkastischen Bemerkung hob er vor allem darauf ab, dass die Menschen sehr verschieden sind und dass nicht alle Kinder immer und gleichermaßen daran interessiert sind, Schwächeren zu helfen und Stärkeren zu vertrauen. Ihm mache vor allem Sorgen, dass der Inklusions-Gedanke an Schulen umgesetzt werde, ohne dass es dafür klar definierte Rahmenbedingungen gebe – Lehrpläne, Weiterbildung für Lehrer, Richtlinien für Schulen.
Von der ganz anderen Seite beleuchtete Werner Weiss, Kreisschulrat a.D., die aktuellen Bestrebungen. Er verglich die Herangehensweise in Brandenburg mit der in Bayern und kam zu dem Schluss: Während in Bayern eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe zunächst die Realität geprüft hätte, dann mit den Betroffenen gesprochen und schließlich ein Eckpunktepapier geschrieben hätte, in der Förderschulen als Teil des Systems festgeschrieben worden seien, hätte Brandenburg die Abschaffung der Förderschulen verkündet, verbunden mit einer eng gestrickten Terminliste und Forderungen an die Schulen. Letzteren werde "nicht gesagt, wie es geht, sondern es wird ihnen hinterher erzählt, was falsch war". Dieser Bemerkung Weiss' folgte bitteres, zustimmendes Auflachen im Publikum.
Auch mit zusätzlichen Lehrerstellen werde in den Bundesländern sehr unterschiedlich umgegangen, nannte Weiss Zahlen: Während in Bayern in den Jahren 2011 und 2012 jeweils 100 zusätzliche Lehrerstellen im Haushalt verankert worden wären, sei die selbe Anzahl in Brandenburg "vor allem im Windschatten der Schulzeitverkürzung aus den Gymnasium herausgequetscht" worden.
Ordnung und gleichzeitig eine sehr persönliche Komponente brachte Jürgen Maresch in die Debatte. Der Linken-Politiker ist Vater eines 20-jährigen Sohnes mit mehrfacher Schwerstbehinderung, "weil er eine Nabelschnur um den Hals hatte". Maresch verdeutlichte einerseits, wie viel Freude und Qualität sein Sohn in sein Leben bringt und dass er vom gemeinsamen Unterricht sehr profitiert habe. Andererseits trennte Maresch fachlich exakt zwischen gemeinsamem Lernen und Inklusion. "Inklusion bedeutet gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben", sagte er, und umfasse damit viel mehr als die gegenwärtige Bildungsdebatte, auf die das Thema reduziert werde. "Ich möchte mit meinem Sohn mal gemeinsam Zugfahren oder den Fernsehturm besteigen – das ist so nicht möglich", so Maresch. Die gegenwärtige Umsetzung des Inklusionsgedankens sei zwar kritikwürdig, "aber man muss es Frau Münch hoch anrechnen, dass sie die Diskussion angestoßen hat", betonte Maresch in Bezug auf Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD).
Bei aller Kritik und Sorge, die viele der Gäste teilten, einte sie am Ende die Frage einer Zuhörerin: "Es ist fünf Minuten vor Zwölf, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Was können wir tun?", wandte sie sich an alle. Während Eckhard Ruminski von der Adenauer-Stiftung in seiner Antwort darauf auf die Informationspflicht hinwies, die sich die Stiftung auf die Fahnen geschrieben hat, zählte Maresch seine Versuche und die anderer Landtagsabgeordneter auf, Position zu beziehen.
Werner Weiss deutete auf Wolfram Kinze und sagte: "Was wir persönlich tun, haben Sie heute Abend erlebt. Wir wollen die Allgemeinheit informieren. Ich glaube aber nicht, dass in Potsdam jemand auf uns hört." "Das ist ja das Problem", gab die Zuhörerin zurück. Ruminski daraufhin die Gäste, an ihre Landtagsabgeordneten heranzutreten und sie zu bitten, ihre Sorgen nach Potsdam zu tragen."
I. Schirling