Dr. Ralf Altenhof, Leiter des Politischen Bildungsforums Bremen, leitete in die Veranstaltung ein und begrüßte Ehrengäste wie Thomas Röwekamp, Carsten Meyer-Heder und Wiebke Winter, welche dieser Rede ebenfalls beiwohnten. Obwohl Karl Carstens viele hohe Ämter inne hatte und stets zur Stelle war, wenn es um seine Heimatstadt Bremen ging, bleibt er in Bremen oft außen vor, so Altenhof. Deswegen möchte die Konrad-Adenauer-Stiftung dazu beitragen, Carstens Wirken in Erinnerung zu rufen und zu behalten. Das Thema der 5. Karl-Carstens-Rede hätte kaum aktueller sein können, denn während im linken politischen Spektrum die sogenannte „cancel culture“ Einzug hält, bilden sich am rechten Rand immer mehr Echokammern, führte Altenhof aus. Beide Seiten sprechen konträren Positionen die Legitimität ab und verhindern damit jeglichen Austausch. Altenhof erläuterte, dass Carstens im Streit einerseits kämpferisch, schonungslos und verletzend sein konnte, andererseits musste er als Bundestagspräsident auch ausgleichend und integrierend agieren. So stritt man seinerzeit unter anderem um seine Mitgliedschaft bei der NSDAP. Sowohl Carstens als auch Wulff bekleideten das Amt des Bundespräsidenten, außerdem wurde beiden Juristen eine Art „norddeutsch-bürgerliche Steifheit“ zugeschrieben, erklärte Altenhof.
Seine erste Begegnung mit Carstens machte Wulff im CDU-Bundesvorstand, während dort ein heftiger Streit tobte. Trotz des Streites wurde die persönliche Würde der Beteiligten nie verletzt und zweifellos wollten alle zu einer guten Lösung kommen, erinnerte sich Wulff.
Er charakterisierte Carstens als jemanden, der die drei Wurzeln der Union - konservative, christlich-soziale und liberale Interessen - stets in Einklang brachte, ohne dabei jemals ungerecht zu werden.
Wulff mahnte, es sollte wieder mehr auf die junge Generation gehört werden, wie es auch zu Carstens Zeiten der Fall war, denn das verspreche Aufbruch und viele ambitionierte und tiefgreifende Veränderungen. Er prophezeite, dass verfeindete Staaten den Streit beiseitelegen und zusammenarbeiten müssen, um eine lebenswerte Zukunft für alle zu schaffen.
Die große Aufgabe dieser Generation sei es, den Zusammenhalt der Gesellschaft, während des Aufbruchs in eine neue digitalisierte Zeit, zu sichern und zu garantieren.
Wulff erklärte, dass dank der Digitalisierung jeder zu einem Journalisten werden kann, was zur Folge hat, dass das Deutungsmonopol der Qualitätsmedien an Einfluss verliert und sich das Meinungsspektrum unkontrollierbar weitet. Im schlimmsten Fall leiste das einen Beitrag zur „Unterhöhlung der Demokratie“.
Es gehe heute nicht mehr um sachliche Berichterstattung, sondern lediglich darum möglichst viele Klicks und Aufrufe zu generieren. Dazu werden oft reißerische und polarisierende Überschriften verwendet, so Wulff, die weiter zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. Eine Demokratie lebe vom Streit und der Auseinandersetzung, denn das bedeute, es gäbe ein Ringen um die beste Lösung, eine Autokratie hingegen, fürchte sich davor, betonte er. „Eine Streitunkultur gefährdet tatsächlich die Stabilität einer Demokratie“, war die These, die Wulff diesen Abend aufstellte und anschließend mit einigen Beispielen belegte.
So sei dieses Jahr das erste seit zehn Jahren, in dem die Zahl der Demokratien weltweit abnehme. Er plädierte dafür, die Demokratie nicht untergehen zu lassen, eine Kultur des einander Zuhörens, der Unterstützung und der Anerkennung zu schaffen und die Welt nicht nur in „Schwarz und Weiß“ einzuteilen. Folgend zitierte er Karl Carstens, der bereits 1982 erkannte: „Es gilt für jeden in einer Demokratie zu erkennen, worauf es in einer Demokratie ankommt“. Es komme laut Wulff darauf an, sich eine eigene Meinung zu bilden und die Mehrheit trotzdem, oder gerade deswegen zu akzeptieren. Es sei an uns allen gelegen, die fortlaufende Polarisierung unserer Lebensbereiche zu stoppen und die „Trägheit unserer Herzen“ zu überwinden, denn jede Generation müsse neu lernen sich zur Vielfalt zu bekennen, erklärte Wulff. Die Streitunkultur stärke die Gegensätze und sorge damit für Instabilität. Problematisch sei außerdem, dass immer mehr Leute streiten, um Recht zu haben und nicht um eine Lösung oder einen Kompromiss zu finden. Er bat um mehr Zivilcourage, darum, den politisch extremen Rändern nicht das Feld zu überlassen und darum, sich für die Demokratie verantwortlich zu fühlen. Man müsse hingucken und Stellung beziehen. Wulff schloss seine Rede mit den drei Einsichten, die Carstens schon hatte. „Wer frei ist, trägt Verantwortung, wer Rechte hat, hat auch Pflichten und wer Ansprüche stellt, soll bereit sein, Leistungen zu erbringen.“
Anschließend gab es ein kurzes Podiumsgespräch mit Luisa Braun, in dem unter anderem erklärt wurde, inwiefern sich die Streitkultur in den letzten Jahren verändert hat. Von den großen Internetplattformen, wie Google oder Facebook, forderte Wulff endlich Verantwortung zu übernehmen. Außerdem widersprach er der Aussage, dass die Meinungsfreiheit in Gefahr sei, denn man habe mehr Gegenwehr für problematische Aussagen zu erwarten, würde jedoch nicht daran gehindert, diese trotzdem zu treffen. Daraufhin beantwortete Wulff Fragen aus dem Publikum, zum Beispiel, welche Rolle der politisch radikale Islam spielt, oder, wie man mit Personen umgeht, die sich von Argumenten nicht mehr überzeugen lassen wollen. Ralf Altenhof bedankte sich bei allen für das zahlreiche Erscheinen und betonte noch einmal die Wichtigkeit des einander Zuhörens. Anschließend wurde zum festlichen Empfang eingeladen.