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Ratsberichte

Krisendiplomatie und neuer europäischer Wettbewerbs-Deal bestimmen den EU-Sondergipfel

by Dr. Beatrice Gorawantschy, Tom Körner, Stanislav Linchevsky, Domien te Riele, Meike Lenzner

Europäischer Sonderratsgipfel am 17. & 18. April 2024

“Deeskalation als Gebot der Stunde” - so könnte man den ersten Teil des letzten Sondergipfels der 27 europäischen Staats- und Regierungschefs vor den Europawahlen zusammenfassen. Der Gipfel sollte ganz im Zeichen der Wirtschaftspolitik der EU stehen, doch der beispiellose Angriff des Iran auf Israel in der Nacht zum 14. April war nicht nur ein Wendepunkt in der Region, sondern veränderte auch die Choreographie des Gipfels; der Nahe Osten bestimmte die Tagesordnung. Die Diskussion um die Zukunft des europäischen Binnenmarktes auf der Grundlage des mit Spannung erwarteten Letta-Berichts rückte an zweiter Stelle. Der Gipfel verdeutlichte dennoch mehr denn je die Interdependenz von Außen- und Wirtschaftspolitik: Handlungsfähigkeit auf geopolitische Herausforderungen und außenpolitische Krisen setzt eine starke europäische Wirtschaft voraus.

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Der zweitätige EU-Sondergipfel unter der belgischen Ratspräsidentschaft sollte zunächst im Zeichen des Binnenmarkts stehen. Bedingt durch den Wettbewerb mit anderen Märkten wie China und den USA, war der ehemalige italienische Premierminister und Präsident des Jacques-Delors-Instituts in Paris, Enrico Letta, im Juni 2023 von den EU-Staats- und Regierungschefs mit der Erarbeitung eines Berichts zum europäischen Binnenmarkt beauftragt worden. Neben Letta arbeitet Mario Draghi, ebenfalls ehemaliger italienischer Premierminister und Präsident der Europäischen Zentralbank, an einem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit, der nach den Europawahlen im Juni erscheinen soll.[1] Der bei dem EU-Gipfel thematisierte Letta-Bericht reiht sich in den auf europäischer Ebene vollziehenden Narrativ-Wechsel hin zu einem Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit ein.[2] Die Aufmerksamkeit auf den Bericht wurde etappenweise - durch Interviews, gefolgt von einem Leak der 15-seitigen politischen Einleitung und der Veröffentlichung des knapp 150 Seiten starken Gesamtwerks unmittelbar vor Beginn des Gipfels – geschürt.[3]

Die strategischen Beziehungen zur Türkei, die auf der ursprünglichen Gipfelagenda standen, wurden aufgrund aktueller dramatischer politischer Entwicklungen kurzfristig um die Tagesordnungspunkte Nahost und Ukraine ergänzt. Die jüngste Eskalation im Nahen Osten in Form eines nie dagewesenen direkten militärisches Angriffs des Iran auf Israel bestimmt aktuell die internationale Diskussion und schürt die Angst vor einem regionalen Flächenbrand mit unkalkulierbaren internationalen Implikationen. Jegliche weitere Eskalation zwischen Iran und Israel soll verhindert werden.  Vor diesem Hintergrund und der andauernden Krise in Gaza setzte der Europäische Rat das Thema erneut auf die Tagesordnung. Die G7 Gruppe, bei deren Treffen die EU auch vertreten ist, hatte den Angriff des Iran sogleich einstimmig verurteilt. Eine außerordentliche Videokonferenz der EU-Außenminister wurde dem Ratsgipfel vorgeschaltet, bei der bereits über Sanktionen gegen den Iran beraten wurde; parallel zum Gipfel fand das G7-Außenministertreffen auf Capri statt. Neben der Eskalation in Nahost kommt hinzu, dass sich die Ukraine mit einer zunehmenden Knappheit militärischer Mittel und intensiver werdenden russischen Angriffen konfrontiert sieht, wie bspw. durch Angriffe auf die Energieinfrastruktur. Die Lage in der Ukraine wird auch im Mittelpunkt des kurzfristig einberufenen NATO-Ukraine Rates am 19. April stehen. Die Eskalation im Nahen Osten wird Thema beim EU-Außenministertreffen in Luxemburg am 22. April sein.

 

[1] Beide Autoren betonten, dass sie sich zwar ausgetauscht haben, aber die Berichte nicht aufeinander abgestimmt sein werden.

[2] Siehe auch Verweise auf Wettbewerbsfähigkeit in der Rede zur Lage der Europäischen Union der Kommissionspräsidentin im September 2023 und die Antwerpener-Erklärung seitens der Industrie im Februar 2024.

[3] Politico: Time for a European single market ‘with teeth’ to take on China, India, leaders told (16. April 2024)

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