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Event reports

Die zehnte Ausgabe von „Politik auf zwei Rädern“: Innovation Tour 2019

by Robin Schenk
Von Weltraumschrott und Zyklopen

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Eine Idee allein schafft noch keine Innovation. Klingt richtig. Eine Vielzahl von Forschungszentren, Start-ups und anderen Institutionen schaffte es während dieser Woche, zu überzeugen. Und zwar nicht nur mit Ideen, sondern mit Produkten. Die Jubiläumsreise des Zweiradformats fand in Kooperation mit dem Politischen Bildungsforum Nordrhein-Westfahlen statt und begann auch in dessen Gefilden – um im Ländle ihren Abschluss zu finden.

Tag 1. Man konstituierte sich am Sonntag, dem 5. Mai, im Dormero-Hotel in Bonn-Windhagen. Klassentreffen-Atmosphäre dominiert. Gespräche über das Programm, das inhaltliche Konzept dahinter und natürlich auch die Erste Hilfe sind Teil der Agenda. Alles schon mal gehört? Eine Auffrischung schadet hier sicherlich nicht.

Tag 2. Ein erstes Mal in bereits zuvor aufgeteilten Gruppen, gemeinsames Aufsatteln. Routine pur, wohl kaum wie an einem „ersten Tag“.                  Die Harmonie ist von Minute eins an zu spüren. Wir fahren auf den Petersberg, eine nahezu ungewöhnliche Idee, denn sonst sind wir es gewohnt, zielstrebig immer direkt das inhaltliche Ziel anzusteuern. Die am Morgen klare Sicht hinein in das Rheintal um Bad Honnef vermag zu überzeugen.

Weiter geht es in Richtung des Europäischen Raumfahrtzentrums in Köln-Porz. Hier trainiert die ESA. Freundlich werden wir während der Führung im Foyer daran erinnert, dass wir zu Gast und nicht in der Position sind, NASA-Trainierende an deren Gesprächslautstärke zu erinnern. Wir starten an einem Modell der ISS, deren enorme Konzentration auf geringem Raum sehr deutlich wird. Anschließend zeigt man uns große Hallen, gefüllt mit verschiedensten Simulationscontainern der internationalen Trainingstrupps. Trainiert wird auch unter Wasser, mit einem 140 Kilogramm schweren Anzug, aus dem man sich niemals selbst befreien könnte. Wenn Wasser eindringt, wird es gefährlich, wie der Italiener Luca Parmitano vor einigen Jahren erfahren durfte. Zuversichtlich ist man, in dem Konzept eines Trainingszentrums mit globalem Einzugsbereich ein probates Mittel gefunden zu haben, um Anschaffungen auch einer sinnvollen und lohnenden Nutzung zu unterziehen.

Ein starker Auftakt. Weiter geht es mit einer wettermäßig erstmals – und gewiss nicht zum letzten Mal – etwas regnerischen Etappe durch das Bergische Land. Ziel ist Wuppertal, genauer die Firmenzentrale des Werkzeugherstellers Wera. Der Eingang für uns: im Hinterhof. Niemandem wird in diesem Moment klar sein, was sich hinter diesen Toren für uns verbergen wird. Denn wir erleben eine Präsentation voller Rock’n’Roll. Daniel Waurich erklärt uns, frei nach dem Motto „Be a tool rebel“ das Marketingkonzept des Unternehmens: man setze nicht auf das „What“, auch nicht auf das „How“, sondern auf das „Why“ des Produktes, also auf die emotionale Kaufbereitschaft des Kunden. Rockmusik und die tätowierten Mitarbeiter im Imageclip gehören da natürlich dazu. Man müsse in die Köpfe – und genau das gelinge Wera auch mit erkennbarem Design und Eigenbegriffe etablierenden Produktbezeichnungen wie dem „Wera-Zyklopen“. Es müsse einem beim Öffnen der edel anmutenden Textil-Werkzeugtasche eben dieses entscheidende „Oh, geil!“ entweichen. „Tausendmal Nein für ein Ja“ lautet übrigens die fachliche Entwicklungsphilosophie des Herstellers. Wir sagen: Tausendmal „Gerne wieder!“ zu diesem Besuch.

Rüdiger Giebler stellt erwartungsgemäß seine Rolle als „Tourguide daselbst“ unter Beweis und hat für jede Etappe, auch für die nun anstehende Rückreise nach Windhagen, bis zu drei Alternativrouten vorprogrammiert, aus denen die Gruppen je nach Leistungsbereitschaft – und, natürlich, Regenradar – auswählen können. Möchte man die Definition von Souveränität und Exaktheit suchen – bitteschön, there you are.

Tag 3. Abfahrt aus Windhagen, diesmal endgültig. Hinunter geht es über Bad Honnef nach Linz, wo wir per Fähre die Überquerung der Donau, Verzeihung, des Rheins, unternehmen. Vorbei an einer aus der Ferne sichtbaren Roadside Attraction – den weit über alle Wipfel hinausragenden Förderanlagen des Hambacher Tagebaus – geht es schnellstmöglich nach Aachen. Wir planen mit einem weiteren Highlight. Olaf Wendt von eGO empfängt uns am Stammsitz. Eines vorweg: man verschweigt uns, dass einen Tag später Ministerpräsident Armin Laschet als Kunde des ersten ausgelieferten Serienmodells dieselben Gefilde beehren würde. Das Start-up hat es sich zur Mission gemacht, Tesla-Ideen in die bezahlbare Klasse der Elektromobilität zu bringen und baut daher nun in Kooperation mit Bosch eigene Kleinwagen. On-the-air-Updates, Service – whereever, whenever. Kritische Nachfragen lassen nicht auf sich warten. Und das Einverständnis ebenfalls nicht: natürlich wird man getrackt, plant aber genauso, die Daten schnellstmöglich wieder zu neutralisieren. Außerdem möchte man baldmöglichst „im Umfeld des Fahrzeugs“ Geld verdienen – soll heißen: der geplante Bus muss mit interaktiven Fenstern ausgestattet sein, der die Tagesangebote im Café des aktuellen Blickfeldes bewirbt. Klingt futuristisch? Lassen wir doch einfach noch ein paar (wenige) Jahre ins Land gehen. Auch wenn wir während dem Rundgang durch die Produktion noch „einen kleinen Super-GAU“ (eine geplatzte Bremsleitung) erleben, bleibt das Bewusstsein, dass Versuche, in die von Platzhirschen geprägte Automobilbranche mit einem neuen Konzept einzusteigen, durchaus auch in Deutschland unternommen werden können.

Es folgt eine trockene Fahrt durch die Eifel, egal ob auf deutscher Seite oder auch partiell durch Belgien mit Exkursion zum Europadenkmal am Dreiländereck. Next Stop: Das Kloster Himmerod bei Großlittgen. Wir werden, um es möglichst simpel zu halten und trotzdem die zwei Seiten der Medaille klar zum Ausdruck zu bringen, von Friedhelm Maier erschlagen mit einem ausgedehnten Vortrag über die Geschichte des Klosters und des Ordens, die leider in Himmerod 2017 mit der Auflösung vorläufig zu Ende ging. Heute lebt noch ein Abt hier. Einen Rundgang auf dem wunderschönen Gelände schließen wir direkt an, inklusive jeder Menge Fachsimpelei zu der in Zisterzienser-Tradition bewusst nüchtern gehaltenen Architektur der erst Anfang der 1950er Jahre wiederaufgebauten Klosterkirche. Innovation gab es auch schon im Mittelalter? Aber sicher, allein die Gründung des Klosters sei eine Innovation, geradezu eine Rebellion gegen die Benediktiner gewesen. Unterschätzt werde heute die zentrale Rolle der mittelalterlichen Klöster als Arbeitgeber und Ernährer des Volkes. Gerade die Herausforderungen beim Ackerbau brachten oft pragmatische und problemorientierte Erfindungen hervor. Wenn man nur in Hygienefragen ähnlich fortschrittlich gedacht hätte: man ist sich uneinig, in welcher Reihenfolgte das Wasser verwendet wurde. Zuerst die Mühle, dann die Latrine, dann der Bedarf für das Brauwasser?

Wie dem auch sei: Fahrt zum Hotel, Abendessen, nach und nach Umparken der Motorräder auf die sichere Hinterseite des Gebäudes, Planungs- und andere Gespräche, Nachtruhe.

Tag 4. Die morgendlichen Ausblicke verheißen bereits nichts Gutes. Die ersten Kilometer verlaufen trocken, doch dann geht es los: Überquerung des Hunsrücks bei strömendem Regen. Brauchen Motorräder Unterbodenwäsche? Wohl kaum. Gibt’s trotzdem, kostet ja nichts.

Ein neuer Tag, ein neuer Ausflug in die risiko- und vor allem chancenreiche Welt der Künstlichen Intelligenz. Und wo, wenn nicht hier, könnte man diesem Thema gerecht werden? Wir sind zu Gast für einen Vortrag beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern. Man präsentiert uns, wie könnte es sein, jede Menge stolzer Zahlen: das DFKI ist die global größte reine Forschungsinstitution zum Thema und beschäftigt mehr als 1000 Mitarbeiter. Zahlen sind auch in Bezug auf Finanzen interessant: die globalen Aufwendungen im KI-Bereich steigen massiv, während bezüglich der zu erwartenden Fördersummen der Bundesregierung in Deutschland Diffusität das Wort der Stunde ist. Dies sieht man jedoch nicht mit Verdruss, wir können spüren, dass der Eifer stärker ist. Dr. Heiko Maus zeigt uns anhand einer Live-Demo sein Personal Information Model (PIMO), das einen Mehrwert durch die intelligente Vernetzung und Synchronisation von Mails, Notizen, Terminen etc. erbringt. Hier wird also über die Zukunft nachgedacht, und das auch noch praxisorientiert. Gäbe es Schadstoffgrenzen für rauchende Köpfe, in Kaiserslautern würden die Alarmpegel zuallererst ausschlagen.

Kurze Weiterfahrt, einmal mehr über die Autobahn (in Running-Gag-Manier wiederkehrend scharf kritisierte Vorgehensweise) in Richtung Hockenheim. Ein Problem beschäftigt uns, das keinen Individualcharakter auf dieser Art Reisen darstellt – Zeitmangel. Natürlich haben wir am letzten Programmpunkt überzogen, sodass wir verspätet ankommen. Angst liegt in der Luft. Muss das echte Highlight am Hockenheimring gestrichen werden? Eines vorweg: man arrangiert alles zu unserem größtmöglichen Wohl. Zuerst nehmen wir uns etwa 20 Minuten für das Mittagessen, um anschließend auf die Strecke eskortiert zu werden und dort im „Besichtigungstempo“ eine (oder auch zwei) gemütliche Runden auf den eigenen zwei Rädern absolvieren zu dürfen. Über unser Safety Car wird man später sagen: „Der Kollege hat das mit dem Besichtigungstempo wohl falsch verstanden.“. Uns soll es recht sein, und so darf sich mancher Drehzahlmesser nun auch in der etwas angestaubten rechten Hälfte seines Zirkels austoben. Anschließend sind wir in Panoramalage über dem Ring zum Gespräch mit Thomas Reister, CEO des Betreibers emodrom group, eingeladen. Der Infrastrukturaufbau rund um das eigentliche Thema Motorsport sei aufgrund der wachsenden Problematik im Kontext des letzteren – vornehmlich wegen der Nachhaltigkeitsfrage – unumgänglich. Und so darf man gespannt sein, was dem neuen Hotel und dem Porsche-Zentrum für Kundenveranstaltungen noch nachfolgen wird. Nur so viel: man hat große Pläne.

Der Tag nimmt kein inhaltliches Ende. Staffelstab-Wechsel vom Büro NRW nach BaWü, nachdem wir nun auch schon den zweiten Programmpunkt im Ländle ansteuern. Ab jetzt wird gespart, lautet die Devise (und das in Baden!). Volocopter heißt das nächste Objekt der Begierde. Wir kommen nach kurzem und – die Irrelevanz der Bemerkung ignorierend – nassem Transfer in Bruchsal an. Unsere Städte werden enger, was Urbanisierungstendenzen keinen Abbruch tut. Hier zieht man eine logische Konsequenz: da auch autonomes Fahren das Verkehrsproblem nicht lösen wird, sei es sinnvoll, einen Teil der Mobilität in die Luft zu verlagern. Die Lösung ist der Volocopter, ein elektrisches „Flugtaxi“ mit momentan zwei Sitzplätzen und Gepäckfach, zunächst mit Piloten, baldmöglichst vollautonom. Übrigens: Angetrieben wird das Gerät von vier Rotoren, unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeiten machen dabei Richtungsänderungen möglich. Neben technischen Details spricht man auch offen über die politische Frage der Förderung von Innovationskraft: Es sei fragwürdig, ob Airbus die EU-Fördergelder für die Branche einstreichen sollte, nur weil es im Gegensatz zu Volocopter eine gesicherte Fünf-Jahres-Finanzierung präsentieren könne. Für ein Start-up, dessen Finanzierungsrunden in wesentlich kürzeren Zyklen und mit naturgemäß weniger Sicherheiten stattfinden, schlicht unmöglich. Alexander Zosel, Mitgründer und zentrale Person des Projektes, nimmt sich dankenswerterweise auch noch ein paar Minuten für uns: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen! Ich war viel beim Arzt, scheinbar hat das geholfen!“. Eine Lehrstunde in puncto Unternehmensphilosophie.

Den Abschluss macht eine interessante und wieder einmal feuchte Fahrt zur Burg Windeck, unserem unumstrittenermaßen perfekt gewählten Domizil für die nächsten beiden Nächte.

Tag 5. Aufsatteln! Wir kommen erneut in den Genuss der Situation, das Gepäck einen Tag lang in der Unterkunft verbleiben zu lassen. Es geht quasi einen Teil der gestrigen Strecke zurück, und zwar nach Karlsruhe, wo wir für den Vormittag am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) angemeldet sind. Die ganze Tour ist wunderbar organisiert. Wir kommen in Bereiche, die offensichtlich nicht täglich Besucher zu Gesicht bekommen und werden von Koryphäen mit auf die Reise in die Welt der – nehmen wir es mal ganz oberflächlich – sehr kleinen Teilchen mitgenommen. „Mitnehmen“ wird spätestens an dieser Stelle zu einem nicht unwesentlichen Kriterium: wenngleich man sich an verschiedene Erklärungsmuster und Beispiele klammert, ist auch nicht zu übersehen, woher eine immer weiter klaffende Lücke zwischen der großen Wissenschaft und Menschen, die sich auch daher abgehängt fühlen, rührt: die Sachverhalte sind in den letzten Jahren schlichtweg noch ein Stück komplizierter geworden. Mit einer gymnasialen Oberstufen-Physikausbildung kommt man hier keinen Schritt weiter. Dennoch: diese Welten von innen zu sehen, stellt nicht zuletzt deshalb einen großen Reiz dar.

Man zeigt uns unter anderem BIOLIQ, „Biomass to liquid“, eine Apparatur zur Herstellung von Kraftstoff aus Biomasse, die sich auf den jeweiligen Einsatz anpassen lässt, ergo auch die Herstellung von Kerosin ermöglicht. Ein Strohballen für 4 Liter Benzin. Für uns klingt das spontan mehr als vielversprechend. Das Zwischenprodukt übrigens riecht wie rauchige Barbecue-Soße. Die Frage ist wie immer, wann eine Technologie ihr jeweiliges „Valley of Death“ durchschritten hat. Ein höherer Ölpreis, hierbei ist man ehrlich, würde selbstverständlich als Katalysator wirken. Den nächsten Stopp machen wir bei KATRIN, einem Forschungsprojekt, das die Masse von Neutrinos – den leichtesten Teilchen unseres Universums – zu bestimmen versucht. Dafür schiffte man einen zeppelinartigen Kessel von Ungarn über Donau, Mittelmeer und Rhein nach Karlsruhe und transportierte ihn schließlich durch Leopoldshafen auf den Campus. Die Genauigkeit der Messung nimmt mit der Größe der Apparatur zu. Limitierendes Kriterium: die Straßenbreiten in Leopoldshafen. Googeln entsprechender Aufnahmen wärmstens empfohlen. „Für die Elektronen ist die Achterbahn spannender als das Karussell!“. Schön, wie man auch bei der Vorstellung des Projektes FLUTE, bei dem es um die Perfektionierung der Röntgentechnik geht, die Dinge nachvollziehbar formuliert.

Mittagessen. Abschlussrunde. Applaus. Aufsatteln! Die Routinen sind einfach drin. Nur so gelingt es uns übrigens auch, die zuallermeist straffen Transferzeiten im Wesentlichen einzuhalten. Next stop: still in town. Heute nicht so viel mit dem Motorrad unterwegs? Naja, zumindest nicht den Tag über. Wir fahren vom Nord-Campus des KIT nur eine kurze Strecke in die Stadt nach Karlsruhe hinein. „House of Living Labs“ nennt das FZI (Forschungszentrum Informatik) seine unlängst eingerichtete Station innovativen Charakters. Das Gebäude fungiert als Showroom und Arbeitsort, in dem zusammen mit kleinen und mittleren Unternehmen Anwendungsforschung (zum Beispiel auf Basis der Grundlagenforschung des KIT) betrieben wird. Dabei geht es etwa um Automatisierung, smartEngergy, smartHome, smartMobility, smartSecurity und Smart… ja genau, um einen autonom fahrenden Test-Smart. Ein weiteres Zeugnis erfolgreicher Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft. Unter zumeist trockenen Bedingungen treten wir die Rückfahrt nach Bühl an. Zumeist trockenen Bedingungen.

Vor dem Abendessen genießen wir im Hotel eine weitere Input-Einheit: Dr. Gerhard Wahlers, stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie selbst begeisterter Motorradfahrer, ermöglicht uns unter dem Titel „The Chinese Way: Innovation ohne moralische Grenzen?“ einen seltenen Einblick in die internationale Arbeit der Stiftung. Es sei langfristig entscheidend, wie sich Deutschland, wie sich Europa im Konflikt zwischen den USA und China positioniere. Über das Mittel einer staatlich gesteuerten Unternehmerkultur sei es in China entgegen der klassischen Modernisierungstheorien gelungen, einen großen Teil der Bevölkerung aus der Armut herauszuführen. Es sei nicht mehr nur „Copy and Paste“, das China voranbringe, sondern zunehmend eine eigene Innovationskraft. Kritisch geht Wahlers auf die Social-Credit-Tests in China ein, die man übrigens auch als Stiftung bereits spüre: ein entsprechendes Rating für internationale Organisationen sei bereits in Planung.

Tag 6. Motorradfahrerisch ist dieser ruhige und trockene Morgen wohl der ziemliche Glanzpunkt dieser Tour. In wechselnden Kurvenradien cruisen wir über schöne Schwarzwaldstraßen in – ein Zugeständnis an alle Schweizer Teilnehmer – zugegebenermaßen manchmal mittelprächtigem Zustand.

Zuerst genießen wir Prädestination am Daimler-Standort in Sindelfingen, indem wir auf der großzügigen Eingangs-Platte des Besucherzentrums parken. Es erwartet uns ein – milde formuliert – dick aufgetragener Imagefilm (was die Faszination nicht schmälert) mit entsprechender Soundgestaltung, bevor es mit der Werksbesichtigung weitergeht. Pressen, Stanzen, weiterschieben, schnell, präzise. Überhaupt gilt es, die Signalworte der Führung, geordnet nach Quantität ihres Vorkommens, kurz aufzuzählen: Standort Sindelfingen, nagelneu, WIR, Das Beste, Perfekt. Ach ja, eine echte Smart Factory mit intelligenter und autonomer Logistik in den Hallen hat man natürlich auch. Keine Frage: bei 9,9x1020 verschiedenen Ausstattungsvarianten findet jeder seine Konfiguration. Seltsam erscheint dann aber doch, dass fast nur schwarze Modelle, vornehmlich von der Luxuslinie Mercedes Maybach, auf den Bändern zu sehen sind. Der Grund: 60 % der S-Klassen gehen mittlerweile nach China, und schwarz ist dort eine Selbstverständlichkeit als Statussymbol. China – hatten wir das Thema schon mal?

Wir setzen die Tour nach einem kurzen Stopp kulinarischer Natur im Tower 66 in Böblingen fort und bestehen auf unterschiedlichen Routen vergleichbar schnell die üppigen Herausforderungen des Stuttgarter Stadtverkehrs. Ziel ist nun der „Kolben-Mahle“, Verzeihung, vielmehr die Firma Mahle, die während unseres Besuchs in jeglicher Form bemüht ist, uns glaubwürdig zu vermitteln, weshalb sie so viel mehr verkörpert, als der Volksmund ihr über die Jahrzehnte beigemessen hat. Zwar versteht man sich als Entwicklungspartner der Autoindustrie, der global nahe an den jeweiligen Standorten vertreten ist. Man versucht dennoch, neben dem Kerngeschäft auch ein neues Standbein im Bereich der Mobilität der Zukunft aufzubauen. Es kommt eine lebendige Diskussion auf, die die zahlreich erschienenen Mahle-Vertreter zu angenehm offenen Aussagen verleitet: Natürlich arbeite man weiterhin mit verschiedensten Beschichtungen an der Verbesserung der Kolbentechnik, natürlich sei der eigentliche Knackpunkt bei der Brennstoffzelle – die Traktionsbatterie – interessant für weitere Entwicklung, und natürlich bleibe Erdgas ein Thema. Und was ist nun der Antrieb der Zukunft? „Ich habe keine Ahnung!“ antwortet man uns. Interessant, dass man aber auch hier Zweifel am E-Hype hat und klarstellt, dass die staatlich vorgegebene Strategie Chinas für die Elektromobilität kein Anlass sei, nicht mehr über Alternativen nachzudenken. Ein Kompromissvorschlag von Mahle: im urbanen Bereich rein elektrisch, auf der flexiblen Strecke der Plug-in-Hybrid und bei den Nutzfahrzeugen weiterhin der Verbrenner. Der Besuch bei Mahle entpuppt sich gerade aufgrund des ungemein herzlichen Empfanges und der detailreichen Einblicke in die Unternehmensstrategie als ein wirkliches Highlight.

Auch Dr. Stefan Kaufmann, Stuttgarter MdB, kommt während des Mahle-Besuch noch auf ein paar Sätze vorbei, obwohl er erst kurz zuvor verspätet aus Berlin eingeflogen ist. Als Innovationspolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion ist er hier nicht in einer zufälligen Mission unterwegs. Kaufmann führt uns kurz ein in das Projekt einer neuen bundesweiten Agentur für Sprunginnovationen, die wie auch die beschlossene Schaffung 100 neuer KI-Professuren gezieltere Förderung ermöglichen soll. Informationen aus erster Hand, die wir gerne mitnehmen.

Endlich. Wieder. Atmen. Die letzte gemeinsame Motorradetappe führt uns aus Stuttgart heraus in die gute Luft, genauer gesagt nach Bad Boll, noch genauer in die dortige Evangelische Akademie. Diese beziehen wir nicht nur mit der Absicht zu nächtigen, wir finden hier auch die passende Räumlichkeit für unseren letzten inhaltlichen Programmpunkt. Dr. Michael Müller, seines Zeichens „Leib-und-Magen-Referent“ des Stuttgarter Büroleiters und ansonsten Geschäftsführer der Firma magility in Kirchheim/Teck, wagt mit uns den Blick in die Glaskugel der schönen, neuen, digitalen Welt (?). Mit Sätzen wie „Wer keine Remote Diagnostics hat, verschwindet von der Landkarte“ und das Publikum ins Schwitzen bringenden Fragen wie „Wer von Ihnen kennt Baidu und Waymo nicht?“ macht Müller uns auf die unvorstellbare Geschwindigkeit der Entwicklung in der Branche aufmerksam. Vom Internet of Things direkt in das Internet of Brains – es mag sich wie eine Achterbahnfahrt anfühlen, ist aber bisweilen Realität. Diese Interpretation mag auch damit zusammenhängen, dass große Teile dieser Entwicklung anderswo auf der Welt als in Europa stattfinden. Es gelingt Müller, hochkomplizierte technische Zusammenhänge insofern zu verdeutlichen, dass sie sich auf die Ebene digitalethischer und damit eher allgemein diskutierfähiger Angelegenheiten transferieren lassen. Müllers eigentliche Tätigkeit schließlich ist die Beratung der Automobilindustrie in Fragen der Cybersicherheit. Kein Wunder, dass er abschließend die klare Empfehlung ausspricht, beim nächsten Motorradkauf den Händler ausdrücklich nach der Kommunikationspraxis des Vehikels – mit sich selbst, mit zentralen Servern, oder auch darüber hinaus – zu befragen. Schwäbisches Native Engineering mit dem entscheidenden Hauch Valley Spirit – eine goldene Kombination.

Es geht eine Tour zu Ende, die vor allem durch ihre enorm kohärente thematische Struktur bestach und genau deshalb am Puls der Zeit fühlte. Innovationen, gerade auf dem Feld Künstlicher Intelligenz, machen einen gehörigen Anteil dieser Pulsschläge aus. Was haben wir herausgefunden, möglichst objektiv? Das Thema benötigt eine offene, sachliche und vor allem chancenorientierte Debatte. Genau diese ist es, die in Deutschland noch mit erheblichen gedanklichen Barrieren konfrontiert ist. Das soll nicht ausdrücken, dass wir keine Rücksicht mehr auf dem Weg in die Zukunft nehmen sollten. Wenn es ein Thema auf dieser Tour gab, das wichtiger war als die Digitalisierung, dann war es die Digitalethik. Zweifelsohne existieren Chancen und Risiken. Es gilt also, diese abzuwägen. Ein rationales Mittel, das eigentlich nicht gerade neu ist. Manche Dinge ändern sich wohl nie.

Worüber wir ebenfalls dankbar sein dürfen und müssen: es war eine unfallfreie Reise, mitnichten eine Selbstverständlichkeit.

Tag 7. Abschied tut weh. Weniger, wenn man einen Grund hat, diesen als einen solchen „auf Zeit“ zu betrachten. To be continued. Auf diese Art und Weise mutig konnte man im letzten Jahr an dieser Stelle schließen. 10 Jahre „Politik auf zwei Rädern“. Genug ist genug? Wohl kaum!

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Dr. Stefan Hofmann

Dr

Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Baden-Württemberg

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