Hinweis: Der Text erschien am 04.03.2023 als Gastbeitrag bei n-tv und ist hier abrufbar: Link zu n-tv
An diesem Wochenende beginnt in Peking die Tagung des Nationalen Volkskongresses. Vor dem Hintergrund zunehmender Konflikte und Probleme wird Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Machtfülle dort ausbauen.
Wachsende internationale Spannungen, eine dramatische Immobilienblase und grassierende Jugendarbeitslosigkeit: Beim Nationalen Volkskongress, der an diesem Sonntag in Peking beginnt, wird sich Xi Jinping für eine dritte Amtszeit zum Präsidenten der Volksrepublik bestimmen lassen.
Mehr noch: Nach seiner Machtdemonstration beim 20. Parteitag der Kommunistischen Partei im Oktober 2022 wird Xi nun eine Truppe getreuer Gefolgsleute in die Regierung seines designierten Ministerpräsidenten Li Qiang berufen können. Chinas Staatschef zementiert inmitten der aktuellen weltpolitischen Herausforderungen und interner Krisen seine Macht. Dennoch markiert die erste Sitzung des 14. Volkskongresses in mehrfacher Hinsicht eine historische Zäsur.
"Hunderte Millionen Menschen lieben ihren Führer!", mit diesen Worten zitierte die Partei-Zeitschrift "Qiushi" ("Suche nach Wahrheit") Mitte Januar Delegierte des örtlichen Volkskongresses der Provinz Jiangsu. Diese hatten kurz zuvor einstimmig für die Entsendung von Staats- und Parteichef Xi Jinping als Abgeordneter für den 14. Nationalen Volkskongress gestimmt. Trotz der Erwartbarkeit des Ereignisses bezeichneten die Staatsmedien das Abstimmungsergebnis als "historisch": Es habe tosenden Applaus gegeben.
Zeit der kollektiven Führung ist beendet
Staatschef Xi ist einer der rund 3000 Delegierten, die in der Großen Halle des Volkes in der chinesischen Hauptstadt zusammenkommen werden. Der Nationale Volkskongress tagt einmal im Jahr und gilt als die größte gesetzgebende Versammlung der Welt. Doch geht es bei der mehrtägigen "Demokratie-Show" in Peking nicht um freie Wahlen oder kontroverse Beratungen. Weder sind die Abgeordneten demokratisch gewählt, noch sind sie frei in ihren Entscheidungen.
Eine historische Zäsur ist der diesjährige Volkskongress schon deshalb, weil Xi seit Mao der erste Politiker sein wird, der mehr als zwei Amtszeiten als Staatspräsident bestreitet. Eine entsprechende Begrenzung war auf Betreiben Xis bereits 2018 vom Nationalen Volkskongress abgeschafft worden. Auch ist das Zeitalter der kollektiven Führung innerhalb der Partei spätestens seit dem Parteitag im Oktober beendet. Eiskalt wurde die wirtschaftsliberale Gruppierung um Ex-Präsident Hu Jintao und den bisherigen Premierminister Li Keqiang, die sogenannte "Fraktion der Jugendliga", abserviert.
Unter Hu Jintao, Xis direktem Vorgänger, wurden Entscheidungen innerhalb des Führungsgremiums der Partei, dem Ständigen Ausschuss, per Mehrheitsentscheid herbeigeführt. Doch Xi ist es gelungen, sämtliche innerparteiliche Widersacher zu verdrängen. Sinnbild hierfür waren auch die Fernsehbilder, die zeigten, wie Hu Jintao beim Parteitag im Oktober vor laufenden Kameras aus dem vollen Sitzungssaal geleitet wurde.
Die Stunde der Loyalisten und Hardliner
Es war nicht weniger als ein politischer Paukenschlag: Im Vorfeld des 20. Parteitages war viel über die Machtfülle von Staats- und Parteichef Xi spekuliert worden. Dass er seine Kandidaten in der Partei scheinbar mühelos gegen andere Fraktionen durchsetzen konnte, hat selbst Experten überrascht. So war sein designierter Premierminister Li Qiang als Schanghaier Parteichef für den desaströsen, mehrmonatigen Lockdown in der Millionen-Metropole verantwortlich. Doch Li Qiang war einst enger Mitarbeiter Xi Jinpings und gilt als ausgesprochen loyal gegenüber seinem einstigen Chef. Xi konnte seinen Protegé auf dem Parteitag durchsetzen und ihn direkt hinter sich selbst als "Nummer 2" im Ständigen Ausschuss installieren. Nun soll Li Qiang auf dem Nationalen Volkskongress auch noch Premierminister werden und künftig Chinas Regierung anführen. Für Kritiker ist seine Wahl ein Zeichen dafür, dass ideologische Eignung und Loyalität gegenüber dem Präsidenten wichtiger sind als die Qualifikation der Kandidaten.
Dass China nicht nur innenpolitisch auf treue Gefolgsleute des Präsidenten setzt, zeigen auch weitere Personalien. Bereits Ende Dezember 2022 wurde Qin Gang als neuer chinesischer Außenminister berufen. Er gilt als Hardliner, als sogenannter "Wolfskrieger", und diente zuletzt als Vize-Außenminister sowie als Chinas Botschafter in Washington. Für Spekulationen sorgte unlängst auch eine weitere Personalentscheidung. So wurde Ende Januar bekannt, dass Wang Huning von Staatschef Xi beauftragt wurde, eine neue "Vereinigungs-Strategie" für Taiwan auszuarbeiten. Aus der Sicht Pekings ist Taiwan eine abtrünnige chinesische Provinz. Dass sich mit Huning der Chefideologe der Partei, ein Spin-Doctor, dem Thema annehmen soll, könnte eine Kehrtwende einläuten. Fraglich dabei ist, ob die friedliche Wiedervereinigung weiterhin propagiertes Ziel der chinesischen Führung bleibt und somit das favorisierte Szenario aus der Perspektive Pekings.
Trennung von Staat und Partei verschwimmt
Jenseits von einzelnen Personalentscheidungen ist die Veränderung in den Machtstrukturen interessant, mit der Xi seit Jahren systematisch die Trennung zwischen Staat und Partei aufbricht. Dazu gründete er in der Kommunistischen Partei ein Geflecht aus Kleinen Führungsgruppen und Zentralen Kommissionen, die sich unterschiedlichen Politikfeldern widmen, etwa der Wirtschafts- oder Klimapolitik. Den meisten dieser Kommissionen sitzt Xi persönlich vor und durchbricht beziehungsweise unterläuft damit die formale Trennung zwischen Staat und Partei, die auch in China existiert. Noch ist unklar, ob diese parallelen Machtstrukturen innerhalb der Kommunistischen Partei weiter ausgebaut werden.
Trotz seiner Machtfülle steht Xi Jinping innenpolitisch unter Druck. Die chinesische Wirtschaft leidet weiterhin unter den Folgen der strikten Zero-Covid-Kampagne. Zudem gilt es, die heimische Immobilienkrise zu entschärfen. Ob dies angesichts eines gigantischen Leerstands überhaupt möglich ist, scheint mehr als fraglich. Zugleich ist es den USA unlängst gelungen, gemeinsam mit Japan und den Niederlanden den Export von hochwertiger Halbleiter-Technologie nach China zu begrenzen.
Außenpoltisch wird auch die dritte Amtszeit Xis durch den Systemkonflikt mit den USA geprägt sein und es ist davon auszugehen, dass die Spannungen um Taiwan weiter zunehmen werden. Demzufolge wird die Weltöffentlichkeit genau hinhören, welche Wachstumsziele die Politik beim Nationalen Volkskongress für 2023 vorgeben wird und ob neue Zwischentöne zum Konflikt im Südchinesischen Meer zu hören seien werden. Keine Frage: Chinas künftige Regierung steuert ungewissen Zeiten entgegen.
Johann Fuhrmann ist Leiter des Auslandsbüros China der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Peking.
Quelle: ntv.de