Ein entscheidendes Momentum für eine Reform der Finanzarchitektur?
Clara Menke
Ende Juni 2023 trafen sich auf Einladung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Finanzwelt und Zivilgesellschaft zum „Gipfel für einen neuen globalen Finanzpakt“. Ziel des Gipfels war es, die Grundlage für einen Konsens zur Reform des internationalen Finanzsystems zu schaffen, um den Herausforderungen des Klimawandels, der sozialen Ungleichheit und des Biodiversitätsschutzes besser begegnen zu können und einen neuen Pakt zwischen dem Globalen Süden und dem Globalem Norden zu finden. Das Medieninteresse war entsprechend groß. Doch wie sind die Ergebnisse des Gipfels zu bewerten?
Kein Land sollte zwischen Armutsreduzierung und Klimaschutz wählen müssen
Aktuelle Studien zeigen auf, dass eine wachsende Zahl von Entwicklungs- und Schwellenländern kritisch verschuldet ist.[i] Grund dafür sind die multiplen Krisen der letzten Jahre, die zu einer bereits bestehenden Staatsverschuldung hinzukommen. Hierzu zählen die Covid-19-Pandemie sowie steigende Preise für Düngemittel, Öl sowie Grundnahrungsmittel als Folge des russischen Krieges in der Ukraine. Darüber hinaus führen die jüngsten Zinserhöhungen im Globalen Norden dazu, dass auch die Zinsen für bestehende Kredite mit variablem Zinssatz steigen und die Aufnahme neuer Kredite teurer wird.[ii] Nach Angaben der NGO Debt Justice beläuft sich der Auslandsschuldendienst der 91 ärmsten Länder in diesem Jahr auf durchschnittlich 16,3% ihrer Staatseinnahmen.[iii] Die finanzielle Belastung vieler Staaten führt dazu, dass sie kaum Möglichkeiten haben, notwendige Investitionen in Armutsbekämpfung, Klimaschutz und Klimaanpassung zu tätigen. Dies behindert die Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) und der globalen Klimaziele.[iv] Gleichzeitig sind Umschuldungen schwer durchzusetzen, da verschiedene Gläubiger, insbesondere China und westliche Staaten, nur begrenzt miteinander kooperieren.
In den letzten Jahren müssen zudem zunehmend Ausgaben für die Beseitigung von Klimaschäden getätigt werden: Nach Angaben des United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR) hat sich die Anzahl an Extremwetterereignissen in den letzten 20 Jahren im Vergleich zum Zeitraum 1980-1999 verdoppelt.[v] Die Folge ist, dass sich viele Staaten zwischen Schuldentilgung, Investitionen und Anpassung an den Klimawandel entscheiden müssen.[vi] Gleichzeitig stellen die Industrieländer als Verursacher des Klimawandels aus Sicht der ärmeren Länder bisher zu wenig Kapital für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung.
Vor diesem Hintergrund gibt es seit längerem Forderungen aus dem Globalen Süden und von zivilgesellschaftlichen Initiativen, Schuldenkrise und Klimafinanzierung gleichzeitig zu adressieren. Viel Aufmerksamkeit hat in diesem Kontext die im vergangenen Jahr vorgestellte Bridgetown Initiative gefunden.[vii] Benannt nach der Hauptstadt des von Extremwetterereignissen gefährdeten Karibikstaates Barbados, ist sie ein umfassender Vorschlag zur Reform der internationalen Finanzarchitektur. Veröffentlicht von der Premierministerin des Karibikstaates, Mia Mottley, und dem Ökonomen Avinash Persaud, wird die These aufgestellt, dass die Finanzierungsfrage der Hauptgrund dafür ist, dass die Klimaziele im Globalen Süden nicht erreicht werden.[viii] Darüber hinaus geht die Bridgetown Initiative davon aus, dass die internationalen Finanzinstitutionen, die Teil des Bretton-Woods-Systems sind, immer noch auf die Bedürfnisse der USA und Europas ausgerichtet seien, den heutigen Realitäten der multiplen Krisen nicht gerecht werden und Länder des Globalen Südens benachteiligten.[ix] Das Bretton-Woods-System war ein internationaler Währungsrahmen, der 1944 geschaffen wurde, um die wirtschaftliche Stabilität zu fördern und den Welthandel nach dem Zweiten Weltkrieg zu erleichtern. Die Initiative macht eine Reihe konkreter Vorschläge, wie die Schuldenkrise gelöst und die Finanzierung von Klimamaßnahmen ermöglicht werden kann, ohne die Steuerzahler anderer Länder zu belasten oder Direktzahlungen zu fordern.[x]
Staats- und Regierungschefs und andere Führungspersönlichkeiten wie UN-Generalsekretär António Guterres und IWF-Direktorin Kristina Georgieva haben sich bisher offen für die Vorschläge der Initiative gezeigt. Auch Macron knüpfte mit der Ankündigung des „Gipfels für einen neuen globalen Finanzpakt“ anlässlich der COP27 an die Forderungen der Bridgetown Initiative an. In seiner Eröffnungsrede forderte er, dass kein Land zwischen der Reduzierung der Armut und dem Schutz des Planeten wählen müssen sollte.
Der Gipfel als Plattform für Forderungen des Globalen Südens
An dem Gipfel, der von Barbados und Indien mitorganisiert wurde, nahmen rund 40 Staats- und Regierungschefs sowie die Chefs von internationalen Organisationen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und von Entwicklungsbanken teil. Der Gipfel bot insbesondere den Staats- und Regierungschefs des Globalen Südens die Gelegenheit, ihre Standpunkte klar zu äußern und Forderungen zu stellen. Dabei wurde die Enttäuschung afrikanischer Länder über die mangelnde Unterstützung wohlhabenderer Länder in den letzten Jahren deutlich. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa kritisierte das Verhalten reicher Staaten während der Covid-19-Krise und der Bereitstellung von Impfstoffen und betonte den Wunsch nach gleichberechtigter Behandlung in multilateralen Institutionen. Er forderte den Westen auf, das globale Finanzsystem zu reformieren und in Infrastrukturprojekte in Afrika zu investieren.[xi] Der kenianische Präsident William Ruto kritisierte das bestehende Finanzsystem scharf und forderte ein neues Finanzmodell, bei dem die Macht nicht in den Händen einiger weniger liege, sowie eine Verlängerung der Schuldenrückzahlungsregelungen.[xii]
Konkrete Ergebnisse
Erstens kündigte der neue Präsident der Weltbank, Ajay Banga, die Einführung von „Climate Resilient Debt Clauses“ an, um Entwicklungsländern vorübergehende Entlastung bei der Rückzahlung von Schulden nach Extremwetterereignissen zu ermöglichen.[xiii] Solche Klauseln sind auch Bestandteil der Bridgetown Initiative. Sie führen zwar nicht zu einer langfristigen Verbesserung der finanziellen Situation, verschaffen den betroffenen Staaten aber eine vorübergehende Entlastung und damit Liquidität, um Wiederaufbaumaßnahmen einzuleiten.[xiv] Allerdings bezieht sich Bangas Ankündigung nur auf neue Kredite und es bleibt unklar, welche Staaten in den Genuss dieser Klauseln kommen werden.[xv] Auch Großbritannien hat angekündigt, solche Klauseln in bestehende Kreditverträge aufzunehmen, jedoch nur für 12 Staaten aus Afrika und der Karibik. Frankreich und die USA kündigten an, künftig ähnliche Klauseln zu verwenden, daher scheint es möglich, dass auch andere kreditgebende Staaten folgen werden.
Zweitens verkündete IWF-Chefin Georgieva, dass das Ziel, 100 Mrd. Euro an Sonderziehungsrechten (SZR) für klimaanfällige Länder zur Verfügung zu stellen, erreicht sei. SZR sind eine internationale Währungsreserve, die Staaten im Bedarfsfall bedingungslos zusätzliche Liquidität verschaffen kann. Sie werden durch einen Beschluss der IWF-Länder geschaffen und anschließend entsprechend der IWF-Quote, die sich an der nationalen Wirtschaftsleistung orientiert, an die Mitgliedsstaaten verteilt.[xvi] Bei der letzten Aufstockung der SZR im August 2021 als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie in Höhe von 650 Mrd. USD[xvii] entfielen daher allein 68 Prozent der SZR auf die G20-Staaten[xviii], nur 5 Prozent gingen an die afrikanischen Staaten.[xix] Aus diesem Grund wurde 2021 versprochen, 100 Mrd. USD an ärmere Länder umzuverteilen. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, allerdings wurden hier keine neuen finanziellen Verpflichtungen eingegangen, sondern lediglich bestehende Verpflichtungen erfüllt.[xx] Zudem ist unklar, ob die Zusage der USA, 21 Mrd. USD an SZR bereitzustellen, vom US-Kongress bewilligt wird.[xxi]
Drittens haben die britische und die französische Regierung eine gemeinsame Initiative für Biodiversitäts-Credits angekündigt. Biodiversitäts-Credits sollen Unternehmen helfen, den Erhalt und die Wiederherstellung der Natur durch den Kauf von sogenannten „Credits“ zu unterstützen. Konkret wird ein neues Beratungsgremium eingerichtet, das Überlegungen zu dem Mechanismus aus der ganzen Welt nutzen und bündeln soll, um den Markt zu vergrößern.[xxii] Somit wurde ein Schritt in Richtung Biodiversitätsfinanzierung durch Mobilisierung von Finanzmitteln aus dem Privatsektor getan. Dies ist positiv zu bewerten, da der Schutz der Biodiversität wichtig für die menschliche Gesundheit, die Ernährungssicherheit, die Anpassung an den Klimawandel und auch für die Beschäftigung vieler Menschen ist.[xxiii]
Viertens kann die Zusammenarbeit zwischen China und westlichen Staaten im Rahmen des G20 Common Framework für die Umschuldung Sambias trotz bestehender geopolitischer Spannungen als konstruktiv und erfolgreich bewertet werden. Während des Gipfels rief der chinesische Premierminister Li Qiang dazu auf, die Differenzen zwischen China und Europa zu überwinden und kreative Lösungen in der heutigen konfliktreichen und unsicheren Welt zu finden.[xxiv] Auch aus den USA kamen versöhnliche Töne gegenüber China. US-Finanzministerin Janet Yellen sagte, als größte Volkswirtschaften der Welt habe man die Verantwortung in globalen Fragen zusammenzuarbeiten.[xxv] Dies lässt hoffen, dass in der Klimadiplomatie eine Zusammenarbeit zwischen den USA und China, ohne deren Einbindung die Reduzierung der globalen CO2-Emissionen nicht durchsetzbar ist, weiterhin möglich ist. Auch bedeutet die erfolgreiche Restrukturierung der Staatsschulden Sambias ein positives Signal für andere hochverschuldete Länder wie Ghana oder Äthiopien.[xxvi]
Fünftens haben der Senegal, die EU und westliche Verbündete eine sogenannte Just Energy Transition Partnership (JETP) geschlossen. Senegal verpflichtet sich zu einer Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien auf 40 Prozent bis 2030 und erhält dafür im Gegenzug 2,5 Milliarden Euro. JETPs wurden in der Vergangenheit bereits mit Südafrika, Vietnam und Indonesien vereinbart und sind ein Mechanismus zur Mobilisierung öffentlicher und privater Finanzmittel, um Staaten bei einem sozialverträglichen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu unterstützen.[xxvii] Allerdings wurde in der Vergangenheit kritisiert, dass die Finanzierung der JETPs größtenteils in Form von Krediten erfolgt und somit zu einer weiteren Verschuldung führen könnte.[xxviii] Auch hier wird der Erfolg der Partnerschaft also unter anderem von der genauen Ausgestaltung der finanziellen Unterstützung abhängen.
Offene Punkte und Herausforderungen
Obwohl der Gipfel eine wichtige Plattform für Diskussionen über die globale Finanzarchitektur und die Bewältigung aktueller Herausforderungen bot, konnten in vielen Bereichen keine gemeinsamen Positionen gefunden und somit keine Fortschritte erzielt werden.
Auf dem Gipfel wurde die Einführung einer Emissionssteuer für die Schifffahrt diskutiert, da dieser Sektor zwar 3 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursacht, bisher aber kaum besteuert wird.[xxix] Experten schätzen, dass eine solche Steuer jährlich bis zu 100 Milliarden USD einbringen könnte, um Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels zu unterstützen.[xxx] Während des Gipfels unterstützten jedoch nur 23 Staaten den Vorschlag, darunter Barbados, Frankreich, Kenia und Südkorea.[xxxi] Keine Unterstützung hingegen erhielt der Vorschlag aus Europa, China und den USA. Auf dem jüngsten Gipfel der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) im Juli wurde beschlossen, die Emissionen der Industrie bis 2050 auf null zu reduzieren, aber keine neuen Steuern zu erheben.[xxxii]
Ein weiteres Thema war die Ausweitung des Emissionshandels, für die sich die EU stark einsetzte.[xxxiii] Sie veröffentlichte einen Handlungsaufruf für „an Paris ausgerichtete Kohlenstoffmärkte“ mit dem Ziel, mindestens 60 Prozent der globalen Emissionen durch Kohlenstoffpreismechanismen abzudecken und einen Teil der Einnahmen für die Klimafinanzierung zu verwenden.[xxxiv] Allerdings stehen viele nicht-industrialisierte Länder der Einführung von Kohlenstoffmärkten skeptisch gegenüber, denn sie vermuten, dass diese einen Nachteil für die Industrialisierung bringen und den nur schwach ausgeprägten Exportmarkt weiter einschränken könnte.
Aus Sicht der zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden der Ausstieg aus der Finanzierung fossiler Energien und Fragen der Klimagerechtigkeit nicht berücksichtigt, ebenso wenig Schuldenerlasse für die ärmsten Länder.[xxxv] Streitbar ist ebenfalls die Fokussierung auf private Klimafinanzierung ohne konkrete Vorschläge, wie Gelder aus dem Privatsektor für Klimaprojekte mobilisiert werden sollen.[xxxvi]
Gesamtbewertung – ein entscheidendes Momentum?
Insgesamt hat der Gipfel neben den genannten Vereinbarungen vor allem einen Dialog der relevanten Akteure über mögliche Reformen des internationalen Finanzsystems ermöglicht, was auch dem erklärten Ziel von Präsident Macron entsprach. Die Themen Klimafinanzierung und Schuldenkrise sind im Debatten-Mainstream angekommen, und es besteht ein weitgehender Konsens über die Notwendigkeit des Zusammendenkens von Armutsbekämpfung und Klimawandel. Auch gibt es ein zunehmendes globales Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Reform der multilateralen Finanzinstitutionen. Allerdings fehlt es noch an einem umfassenden Konsens und konkreten Schritten für eine Reform der Finanzarchitektur. Zudem wurde die Abwesenheit wichtiger Staatschefs aus Industrieländern wie etwa Großbritannien, Australien und Kanada als Zeichen möglichen Desinteresses gewertet.[xxxvii]
Ähnlich wie bei den jährlich stattfindenden Klimaverhandlungen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens wird es entscheidend sein, dass den Worten auch Taten folgen. Es ist unbestreitbar, dass mehr Geld für die Klimafinanzierung mobilisiert werden muss, was nur systemisch gelöst werden kann. Gleichzeitig benötigen die ärmsten Länder der Welt genügend finanziellen Spielraum, um ihre eigenen Entwicklungsziele zu verfolgen, die sich an den globalen Nachhaltigkeitszielen orientieren sollten.
Während die Klimafinanzierung zweifellos eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der Klimaziele im Globalen Süden spielt, ist es jedoch wichtig, auch andere Faktoren zu berücksichtigen. Viele Staaten haben nur begrenzte technologische Kapazitäten, eine schwache Infrastruktur und Probleme im Governance-Bereich, was sich negativ auf den Klimaschutz auswirken kann. Obschon langfristig nur eine nachhaltige und klimaresiliente Entwicklung wirtschaftlichen Wohlstand und Sicherheit garantieren kann, können diese Ziele kurz- bis mittelfristig miteinander konkurrieren.[xxxviii]