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Groll gegenüber Europa und Deutschland

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Italien ist heute das schwache Glied in der Kette der europäischen Staaten – in einer westlichen Staatengemeinschaft, die die schwerste politische und geistige Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchlebt. Die Tatsache, dass das Land von einem neuartigen, populistischen rotbraunen Bündnis regiert wird, stellt nicht nur eine Gefahr für die italienischen liberal-demokratischen Institutionen, sondern auch eine ernsthafte Bedrohung für den europäischen Einigungsprozess dar.

Was das „seltsame Paar“ der Regierungskoalition zusammenhält, ist ein weltweit einzigartiges Paradoxon, nämlich das Zusammenwirken zweier entgegengesetzter populistischer Parteien: einer nationalistischen Rechten auf der Suche nach Identität, fremdenfeindlich und „putinistisch“, verwurzelt in den reichen und produktiven Regionen des Nordens, und ihr gegenüber eine linke, auf naive Weise egalitäre Partei, die im Grunde jedoch freiheitsfeindlich, anti-aufklärerisch und totalitär ist und mit der hoffnungslose junge Bürger und die Mittelschicht des Südens sympathisieren. Dieses widersprüchliche Zusammenspiel beruht auf einer primitiven souveränitätssuchenden Ideologie, die sich nur wenig von der freiheitsfeindlichen Demokratie einiger osteuropäischer Staaten unterscheidet.

Hinzu kommt eine polemische Anti-Haltung gegenüber den sogenannten kosmopolitischen Eliten und den „eurokratischen Abgeordneten ohne Seele in Brüssel“, die im populistischen Jargon als „Feinde des italienischen Volkes“ bezeichnet werden – eine Polemik, die sich in einem systematischen Verstoß gegen die auf europäischer Ebene vereinbarten Regeln äußert.

„Rendezvous mit der Globalisierung“

Sicherlich stellt der Erfolg populistischer Bündnisse in Italien chronologisch betrachtet das letzte Kapitel einer wahrhaftigen „Zerstörung der Vernunft“ dar, die heute das politische Leben diesseits und jenseits des Atlantiks kennzeichnet. Sie wird beherrscht von der „Demokratie der Ablehnung“ oder „Gegen-Demokratie“, wie es der französische Historiker Pierre Rosanvallon charakterisiert hat (La contre-démocratie. La politique à l’âge de la défiance, Seuil, Paris 2006, in Deutschland unter dem Titel Die Gegen-Demokratie erschienen,Hamburger Edition, 2017).

Selbst in Italien – wie beim Brexit, bei der antiliberalen Wende der Visegrád-Länder oder dem Wahlsieg Donald Trumps – haben die populistischen Bewegungen das Trauma der Finanzkrise des vergangenen Jahrzehnts, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen und die Regierungen zutiefst erschüttert hat, zu ihrem Vorteil ausgenutzt.

Ebenso begünstigen die negativen Konsequenzen einer wirtschaftlich-produktiven Globalisierung, die zu einer Verarmung des Mittelstands in den fortschrittlichen Industrieländern geführt hat, auf geistiger Ebene die Bejahung eines „kulturellen Pessimismus“, der von der Dystopie einer radikal negativen Zukunft dominiert wird. Und last, but not least: Durch die Auswirkungen des Phänomens epochaler Migrationsbewegungen auf die kollektive kulturelle Identität – oder, wie Wolfgang Schäuble es fulminant formuliert hat, „das Rendezvous mit der Globalisierung“ – nahm ein Zeitalter voller Angst und Schrecken seinen Anfang.

Zunehmend euroskeptische Haltung

Im Fall Italien kommt erschwerend hinzu, dass es im Gegensatz zu allen anderen Ländern, in denen sich populistische Bewegungen etablieren konnten, tatsächlich das einzige Land ist, das 1957 zu den Gründungsstaaten der Europäischen Gemeinschaft zählte und dem als Mitglied der Eurozone zusammen mit den anderen achtzehn Ländern eine gemeinsame Souveränität zu eigen ist, die als „Gemeinschaftswährung“ bezeichnet wird. Daher sorgen sich die anderen Protagonisten der Gründung eines vereinten Europa selbstverständlich um die derzeitige Situation Italiens: Ein Land, das gemeinsam mit Deutschland jahrzehntelang überzeugter Verfechter der europäischen Einheit war, hat im Laufe der Zeit eine immer euroskeptischere Haltung eingenommen, und aktuell gerät die italienische Regierung nahezu täglich mit der Europäischen Kommission aneinander.

Die derzeitige Situation ist demnach das Produkt einer Art „negativer Dialektik“ zwischen verschiedenen Aspekten und historischen Verzögerungen, ständig falschen politischen Entscheidungen sowie langfristigen wirtschaftlichen Schwächen und strukturellen Dynamiken. Seit der letzten Jahrtausendwende hat Italien einen progressiven wirtschaftlichen und produktiven Niedergang erlitten, den einige, vielleicht übertrieben, mit dem des Bel p6aese im 17. Jahrhundert am Ende der Renaissance vergleichen – einen Verfall, den die finanzielle und wirtschaftliche Krise im Jahr 2008 und die darauf folgende Staatsverschuldung auf höchst gewaltsame Weise beschleunigt haben.

Auswirkungen der Finanzkrise

Man denke nur daran, dass die Rezession, die in Italien auf die Krise folgte, ähnliche Auswirkungen wie die eines Krieges hatte: Das Land verlor ein Viertel der verarbeitenden Industrie, die Arbeitslosigkeit stieg auf dreizehn Prozent an, und die Jugendarbeitslosigkeit lag über 42 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt sank um etwa zehn Prozentpunkte, und auch heute noch, zehn Jahre später, ist Italien ärmer als in den Jahren vor der Krise.

Verbreitete Phänomene wie administrative Ineffizienz und Korruption sowie strukturelle Verzögerungen führten zu einem wachsenden Misstrauen der öffentlichen Meinung gegenüber den Eliten und den Parteien. Entsprechend sind antipolitische, extremistische und nihilistische Positionen in der Bevölkerung weit verbreitet, die vor allem den Partito Democratico (PD, Demokratische Partei), der das Land von 2013 bis 2018 unangefochten mit guten Ergebnissen regiert hat, stark zurückgeworfen haben.

Fehlender Gemeinsinn

Wie ist das Paradox zu erklären, dass Italien, das Land, welches objektiv betrachtet den größten finanziellen und wirtschaftlichen Vorteil aus der Mitgliedschaft in der Eurozone zieht – einer Mitgliedschaft, die anfangs stark von den anderen europäischen Partnern abgelehnt und von den Italienern ebenso stark gewünscht wurde –, heute von politischen Kräften regiert wird, die sogar den Abschied Italiens von der gemeinsamen Währung nicht ausschließen oder ihn zum Teil sogar für notwendig halten? Unterschätzen oder ignorieren diese Kräfte das Risiko, dass eine solche Entscheidung zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen kann, die den Zerfall des Landes sowie einen wirtschaftlichen Schock für ganz Europa bedeuten könnte? Wie lässt sich die schizophrene Politik erklären, die die Italiener in ihren Klauen zu halten scheint und sie dazu bringt, vermehrt Europa zu hassen und gleichzeitig den Euro zu lieben?

Sicherlich war es noch nie leicht, Italien zu verstehen, und heute fällt es schwerer denn je. In der Tat wurzelt „la lunga notte dell’Italia“, die „lange Nacht Italiens“, auf uralten Übeln, angefangen mit der „Südfrage“ und mit historischen Schwächen, vor allem die der Unternehmer-Bourgeoisie des Nordens. Die Schuld der herrschenden Klassen, aber auch das Fehlen eines kollektiven Gewissens, einer „zivilen Religion“ und eines Zusammengehörigkeitsgefühls verhinderten die Schaffung einer gemeinsamen Identität, wie sie Massimo d’Azeglio mit dem berühmten Satz angemahnt hatte: „Abbiamo fatto l’Italia. Ora si tratta di fare gli italiani.“ („Wir haben Italien gemacht. Jetzt geht es darum, Italiener zu machen.“ Anmerkung der Redaktion: Dieser Satz gilt allgemein als Aufruf zur Schaffung einer italienischen nationalen Identität im Sinne der Französischen Revolution, also die Vereinigung des „Volkes“, das sich bewusst ist, durch Merkmale wie eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Religion geistig vereint zu sein, in einem Staat, der durch den kollektiven Willen der Menschen geschaffen wurde.)

Untragbare soziale Unterschiede, aber auch ein weitverbreitetes und weitreichendes illegales Handeln (jährlich werden fast 100 Milliarden Euro Steuern hinterzogen!) bestätigen ein strukturelles Defizit an öffentlicher Moral. Hinzu kommen Zynismus und Egoismus der politischen Klasse und auch der „Besitzindividualismus“ der Italiener, ewig schwankend zwischen anarchischem Aufstand und unterwürfigem Opportunismus, als weitere Belege eines tief verwurzelten Mangels an Staatssinn.

Geteiltes und unvollendetes Land

Italien ist das zweitgrößte Fertigungsland Europas, aber auch das Land, in dem die anti-industrielle Kultur am längsten überlebt hat. Es verfügt über ein global agierendes Unternehmertum, daneben aber auch über einen schwachen Kapitalismus, der eigentlich nie den eigenen wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben gewachsen ist. Das Privatvermögen steht im Vergleich zum Einkommen hinter Japan an zweiter Stelle, gleichzeitig ist der Armutsanteil einer der höchsten unter den OECD-Staaten. Auch aus geografischer Sicht ist die Situation widersprüchlich. Der Norden des Landes steht den produktivsten Regionen Deutschland nicht nach, auch in Bezug auf die Effizienz des öffentlichen Dienstleistungssektors, während einige Teile des Südens kaum mit den weiter fortgeschrittenen Ländern Nordafrikas konkurrieren könnten.

Wir wissen seit Langem, dass Italien ein geteiltes und unvollendetes Land ist, sowohl in materieller als auch in kultureller Hinsicht – ein nur zur Hälfte modernes Land. Und genau dies war der Grund, warum die aufgeklärtesten Vertreter des italienischen „Europäismus“ anfangs dafür gekämpft haben, dass sich das Land an der Geburt des europäischen Projekts beteiligte. Nachdem es dem damaligen deutschen Finanzminister Theo Waigel gelungen war, den starken (und verständlichen) Widerstand auszuräumen, sprach er vom „Kreuz des Südens“: Italien sollte sofort am großen Experiment der Gemeinschaftswährung teilnehmen können, in der Hoffnung, dass eine externe Bindung durch die Maastricht-Kriterien und die von den Regierungen der Eurozone anschließend eingeführten Neuregelungen das Land, seine Bürger, seine politische Klasse sowie seine Eliten dazu zwingen könnten, die notwendigen ethisch-politischen Reformen zu vollziehen, von denen bereits Antonio Gramsci gesprochen hatte. Auf diese Weise hätte es Italien gelingen können, um eine berühmte Formulierung von Giovanni Agnelli zu verwenden, „sich an den Alpen festzuklammern, um nicht in die warmen Gewässer des Mittelmeers abzugleiten“. Es kam jedoch ganz anders. Als Italien in eine komplexere, riskantere und weniger geschützte Welt eintreten und sich globalen Prozessen stellen musste, was sich sowohl als Sprung auf dem Weg der europäischen Integration als auch als Exposition gegenüber dem internationalen Wettbewerb präsentierte, hat sich das Land verloren. Als Italien sich dazu bereit erklärte, am Experiment der gemeinsamen Währung teilzunehmen, hätte es die Mechanismen, auf deren Fundament der politische und soziale Kompromiss in den Nachkriegsjahren während der sogenannten Ersten Republik gründete, radikal reformieren müssen.

„Weniger italienisch, mehr deutsch“

Mit der Anerkennung der europäischen Stabilitätskultur (von wenigen herbeigewünscht, von vielen gefürchtet) hätte Italien so etwas wie eine wirtschaftliche, politische und kulturelle Revolution in Gang setzen müssen. Fast ein halbes Jahrhundert lang hatte das Land nach einem „Inflationsmodell“ funktioniert, das – gekennzeichnet durch eine „schwache Währung“ und „schwache Regierungen“ – das exakte Gegenteil des deutschen Modells ist, das auf „Stabilität der Währung“ und „Stabilität der Regierungen“ basiert. Es hätte sozusagen „weniger italienisch und mehr deutsch“ werden müssen. Aus diesem Grund ist der Vergleich mit Deutschland zu einer Art Lackmustest geworden, mit dem man Freunde und Feinde der europäischen Perspektive unterscheiden kann.

Dieser ethisch-politische Salto mortale ist gescheitert. Der Euro und Europa hätten für Italien nach Risorgimento („Wiedererstehung“) und der Resistenza („Widerstand“) die dritte große Etappe auf dem Weg in eine vollständig demokratische Moderne sein können. Um die Schlacht um den Euro gewinnen zu können, hätte Italien eine Art „Regierung der öffentlichen Gesundheit“ benötigt, die von der historischen Notwendigkeit und der strategischen Reichweite einer solchen Verpflichtung überzeugt ist und die in der Lage hätte sein müssen, die Zustimmung der Nation zu gewinnen.

Stattdessen haben die italienischen Wähler zweimal, erstmalig zu Beginn der 2000er-Jahre unter der Berlusconi-Regierung und zuletzt mit den Wahlen am 4. März 2018, auf unverantwortliche Weise geglaubt, die Probleme und die schwierigen und vielleicht schmerzhaften Reformen umgehen zu können, indem sie sich von den verführerischen Geschichten und falschen Versprechungen der populistischen Parteien überzeugen ließen. Denn eins sollte klar sein: Die heutige rotbraune Regierung ist im Wesentlichen das Ergebnis der moralischen, politischen und sozialen Korruption, die in den Jahren Silvio Berlusconis entstanden ist, den die Lega – damals von Umberto Bossi und heute von Matteo Salvini angeführt, der die aktuelle Regierung dominiert – nicht ganz zufällig entscheidend unterstützt hat.

„Deutsches Europa“ als Sündenbock

Die finanzielle und wirtschaftliche Krise hat die historische Zustimmung der Italiener in Bezug auf Europa zerstört, indem der „Geist einer deutschen Hegemonie“ wieder zum Leben erweckt wurde. Im Allgemeinen ist die dominante Erzählung vorherrschend geworden, dass Deutschland ein Feind Italiens sei, und zwar nicht – und nun das Paradox –, weil es anti-europäisch, sondern weil es Verteidiger der Europäischen Verträge und ihrer genauen Anwendung ist. Das Land, das über ein halbes Jahrhundert lang unbestritten an der Spitze des „Europäismus“ stand, fiel einem ebenso verbitterten wie machtlosen Groll gegenüber Europa und vor allem gegen Deutschland zum Opfer.

Die schleichende Entfremdung, die in den Jahren der Berlusconi-Regierung aufgetaucht ist, beherrscht einen großen Teil der öffentlichen Meinung und einen kleineren der Führungseliten; sie ist in eine offene Feindseligkeit gegenüber dem ehemaligen Verbündeten umgeschlagen. Das „deutsche Europa der strengen Sparpolitik“ dient nun als Sündenbock. Die beiden Länder, die aus historischen und politischen Gründen nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs in enger Zusammenarbeit den Aufbau des „europäischen Hauses“ vorangetrieben hatten und die Protagonisten einer intensiven intellektuellen Osmose waren, bedienten sich nach und nach auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene eines unterschiedlichen Vokabulars. Aus diesem Grund können sie sich nicht mehr verständigen oder verstehen.

Übersetzung aus dem Italienischen: Übersetzungsbüro Perfekt, München

Angelo Bolaffi, geboren 1946 in Rom (Italien), Politikwissenschaftler und Germanist, ehemaliger Direktor des Italienischen Kulturinstituts in Berlin.

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