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Abschied der Lodenmantelfraktion

Landwirtschaft und Kommunikation

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„Fleisch ist ein Stück Lebenskraft.“ Der Slogan wirkt wie aus der Zeit gefallen. Und vielleicht ist er es auch. Die einstige Centrale Marketing Gesellschaft der Agrarwirtschaft (CMA) hat über Jahre mit ihm geworben. Es ging darum, den Absatz von Fleisch anzukurbeln. Das traut sich heute nicht jeder.

Die CMA ist wie der Slogan Vergangenheit. Der Marketinggesellschaft wurde höchstrichterlich der Geldhahn zugedreht. Im Jahr 2009 verkündete das Bundesverfassungsgericht, dass die Regelungen des sogenannten Absatzfondsgesetzes verfassungswidrig und damit nichtig seien. Die CMA stand damit ohne finanzielle Grundlage da. Lange Zeit waren ihre Mittel an „Flaschenhalsbetrieben“, wie etwa Molkereien und Schlachtereien, erhoben worden; beispielsweise rund 1,20 Euro pro 1.000 Kilogramm angelieferte Milch und etwa 50 Cent pro geschlachtetem Schwein.

Es kamen beachtliche 100 Millionen Euro Jahresetat zusammen. Davon entfielen etwa neunzig Prozent auf die CMA; den Rest erhielt die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft GmbH (ZMP). Der Name der ZMP war Programm: Sie ermittelte und veröffentlichte die Preise aller relevanten Agrarprodukte. Die „grüne Branche“ machte auf eigene Kosten den landwirtschaftlichen Rohstoffmarkt für jedermann transparent. Unternehmertum sieht anders aus.

 

„Markenqualität aus deutschen Landen“

 

Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes war 2002 ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vorausgegangen, das die CMA inhaltlich und organisatorisch an die kurze Leine legte. Die Marketinggesellschaft durfte fortan nicht mehr in der bisherigen Weise („Markenqualität aus deutschen Landen“) die Herkunft der Produkte bewerben, weil das Erzeugnisse aus anderen Staaten der Europäischen Union diskriminiere. Übrig blieb die Möglichkeit, Produkte einer Gattung zu bewerben, wie Fleisch „als Lebenskraft“. Derartige Werbung förderte zugleich den Absatz deutscher und ausländischer Ware. Geld an den „Flaschenhalsbetrieben“ einzusammeln, war der CMA aber wiederum nur erlaubt, um mit diesen Mitteln deutsche Produkte zu promoten. Juristen sahen die „Gruppennützigkeit“ der Sonderabgaben nicht mehr als gegeben. Dieser wenig klangvolle rechtliche Terminus war ein Kernelement des Absatzfonds samt CMA.

Ob Gattungswerbung wirklich zieht? Geschenkt. Ob die Beitragshöhe der CMA angemessen war? Darüber lässt sich lange diskutieren. Dass Tier- und Verbraucherschützer in der Spätphase im Absatzfonds mitreden durften, ohne zu zahlen? Verständlicherweise keine gute Idee aus Sicht der Land- und Ernährungswirtschaft. Darauf kam es aber nicht mehr an.

Mit dem Abgang der CMA war für die werbetreibenden Medien ein Etat samt Ansprechpartner verschwunden – von heute auf morgen. Die Agrar- und Ernährungsbranche war als Gesamtheit vom mächtigen Partner zum zahn-, sprich mittellosen Tiger mutiert. Wie das, bei allem Respekt vor unabhängigen Redaktionen, das Standing der Land- und Ernährungswirtschaft gegenüber Medienhäusern veränderte, möge ein jeder selbst reflektieren.

Der Untergang der Marketinggesellschaft läutete en passant das Ende eines Milieus ein, das heute nur einen Schatten seiner früheren Stärke aufweist. Träger politischer Mandate und Funktionäre der Agrarverbände repräsentierten und organisierten über Generationen, was heute unter „landwirtschaftlicher Kommunikation“ etwas sperrig daherkommt. Im Habitus wie im Denken konservativ-liberal geprägt, hat dieses spöttisch als „Lodenmantelfraktion“ bezeichnete Milieu bis heute nicht ganz erkannt, dass es sich politisch einem fundamental gewandelten Lager verbunden fühlt. Es kommen jedoch erste Zweifel auf. Oder um es wie ein langjähriger Unions-Mandatsträger zu formulieren, der als Landwirt und Funktionär unlängst die Frage stellte, ob die CDU noch die Partei der Bauern sei: Er ließ sie unbeantwortet, zog aber seine Konsequenzen.

 

Deklassierte „Agrarlobby“

 

Der Einfluss klassischer Agrarverbände wird nicht zuletzt im Vergleich zu mächtigen Nichtregierungsorganisationen (NRO, englisch: Non-governmental organization, NGO) überschätzt. Umweltorganisationen, teils mit fragwürdigen internen Machtstrukturen und hohen Budgets, genießen fast unwidersprochen den Glorienschein des Guten. Landwirtschaftliche Interessenvertretungen mit ihren demokratischen Strukturen werden hingegen als „Lobby“ deklassiert.

Die NGOs sind favorisierte Gesprächspartner, gerade der öffentlich-rechtlichen Medien, zu landwirtschaftlichen Fragen. Sie konnten sich erfolgreich als führende Meinungsmacher etablieren. Während die NGOs im vorpolitischen Umfeld flächendeckend Stellung zur Landwirtschaft beziehen, besetzen die Grünen das Thema weitgehend in der Legislative. Sind sie an einer Regierung beteiligt, geht das Agrarressort meist an sie. Derzeit findet das nur auf Länderebene statt. Selbst wenn grüne Politiker kein entsprechendes Regierungsamt mehr innehaben, ist ihre Expertise in den Redaktionen weiterhin gefragt. Renate Künast, vor weit mehr als einer Dekade erste grüne Bundeslandwirtschaftsministerin, wird zu jeweils aktuellen Fragen rund um Landwirtschaft und Ernährung interviewt. Davon können ehemalige Agrarminister anderer Parteien, einschließlich der Union, nur träumen. Spätestens mit dem Ende ihrer Dienstzeit sind sie lediglich noch in Fachzirkeln präsent. In dieser Situation mit immer weniger belastbaren Informationskanälen in die Politik attestiert sich die Landwirtschaft seit Jahren ein Problem mit den Medien. Von „Skandalisierung“ ist die Rede, und es wird eine „ausgewogene Berichterstattung“ gefordert. Was Letztgenannte sein soll, kann niemand akzeptabel definieren, doch manche Skandalisierung ist nicht zu übersehen. Verstöße einzelner Landwirte gegen Tier- und Umweltschutz werden als systemimmanent dargestellt. Für die Bündnisgrünen kommt mit der „Agrarwende“ die (Er-)Lösung. Millionenschwere Umweltorganisationen verstärken diesen öffentlichen Druck durch ihre Kampagnen. Die Bio-Landwirtschaft wird als Heilsbringer dargestellt und wohlweislich zweierlei ausgeblendet: Innerhalb der Landwirtschaft sind die Grabenkämpfe zwischen „bio“ und „konventionell“ weitgehend beendet. Beide Wirtschaftsformen müssen sich einem Markt stellen, auf den einzelne Erzeuger so gut wie keinen Einfluss haben. Unter den Bio-Erzeugern verbreitetet sich Skepsis, ob ihr Geschäftsmodell für eine steigende Anzahl von Anbietern tragfähig sein kann. Je stärker Discounter in die „Bio-Linie“ einsteigen, desto schneller ist es vorbei mit hohen Gewinnmargen.

Bemerkenswert ist das wenig ausgeprägte Sensorium landwirtschaftlicher Interessenvertreter für kommende Themen. Nach der frühzeitig absehbaren und für die Befürworter inzwischen verlorenen Diskussion über das Pflanzenschutzmittel Glyphosat sollten die Antennen endlich auf Empfang stehen. Weit bedeutendere, grundsätzliche Auseinandersetzungen zeichnen sich am Horizont ab: Wer in Städten privaten Wohnraum enteignen will, hat vermutlich ebenso wenig Hemmungen, das land- und forstwirtschaftliche Eigentum zu „sozialisieren“. Niemand soll später sagen, er sei nicht gewarnt gewesen: Rund achtzig Prozent der Fläche der Bundesrepublik Deutschland werden land- und forstwirtschaftlich genutzt. Ein Bruchteil der Bevölkerung besitzt daran Eigentum. Weitere Grundbesitzer sind der Staat, die Kirchen und sonstige Körperschaften. Kurzgefasst: Wenigen gehört fast die gesamte Landesfläche. Daraus könnten interessierte Kreise schnell eine Story mit ökologisch begründeter Enteignung stricken.

 

Traktorsternfahrten sind erst der Anfang

 

Die politisch-mediale Gemengelage nagt am Selbstverständnis der Landwirte. Haben sie sich jahrelang mit einer rechtfertigenden Gegenargumentation begnügt, zeichnet sich jetzt eine ganz eigene „Agrarwende“ ab. Nicht vom grünen politischen Lager und dessen Hilfstruppen getrieben, sondern aus der Landwirtschaft selbst. Die Bauern fühlen sich als Opfer einer überregulierten und (land)wirtschaftsfeindlichen Politik. Die Traktorsternfahrten nach Berlin und in andere deutsche Großstädte Ende 2019 waren erst ein Anfang. Sie zeigen eine neue Art des Selbstbewusstseins. Als Aktionen ein Hingucker, bringen sie aber zunächst weniger, als von den Demonstranten erhofft. Die Bauern werden sich wohl nicht schnell zufriedengeben. Die Einladung zum Dialog mit der Bundesregierung ist fraglos ernst gemeint und klingt nach einem (ersten) Sieg für die Bauern, aber sie wissen, es ist auch der Versuch, den Protest einzuhegen. Für die Landwirte war es ein symbolträchtiger Auftakt, hilfreich ist es jedoch, wenn der Dialog nicht in Berlin, sondern auf den Höfen fortgesetzt wird. Dort, wo die Landwirte leben und arbeiten, müssen sich Bauern ohnehin nach weiteren Verbündeten umschauen. Mit ihrem niedrigen Anteil an der Gesamtwählerschaft können sie kaum etwas erreichen. Selbst wenn sie wirtschaftlich und sozial die ländlichen Räume wesentlich stärker prägen, als ihre Macht an der Wahlurne vermuten lässt.

Weite Teile der Bevölkerung nehmen die Protestaktionen positiv auf. Dies kann ein Hinweis sein, dass Wertschätzung für die Landwirtschaft sehr wohl existiert, jedoch durch laute Kritik einzelner gut organisierter Gruppen, verstärkt durch mediale Zerrbilder, unzureichend wahrgenommen wird.

Die Zeit ist reif für eine Land-Allianz. Alle, die auf dem Land mehr erreichen wollen, als zur Sommerfrische das ländliche Idyll zu suchen, müssen sich finden. Aus den Bauernprotesten kann eine Bewegung entstehen, die Schluss macht mit vermeintlich oder tatsächlich abgehängten Regionen. Ja, es gibt Probleme, von der Infrastruktur über die kommunale Selbstverwaltung bis zum ländlichen Arbeitsmarkt. Diese betreffen nicht nur die zahlenmäßig relativ kleine Gruppe der Landwirte. Handwerker, die regionalen Banken und der gesamte Dienstleistungssektor sind in ländlichen Regionen auf lebendige Dörfer angewiesen. Die Liste ließe sich leicht erweitern. So wünschenswert diese Allianz ist, so schwierig wird ihre Formierung sein. Bereits die Landwirte selbst sind sich in ihren Zielen und Methoden nicht einig. Umso aufwendiger wird es sein, Mitstreiter zu gewinnen und nach außen gemeinsam aufzutreten.

Die Landwirtschaft könnte zu dieser wirtschaftlich-sozialen Bewegung die kommunikativ besten Plots beitragen. Es beginnt mit der unternehmerischen Tradition. In Deutschland existieren nicht wenige landwirtschaftliche Betriebe mit einer über Jahrhunderte währenden (Familien-)Geschichte. Dagegen muten die in anderen Branchen gefeierten Jubiläen von wenigen Jahrzehnten wie das Event eines Start-ups an. In der eigenen Lebens- und Arbeitswelt gebunden, womöglich zu bescheiden, haben die Landwirte bislang zu wenig gezeigt, wo sie herkommen und was ihre Ziele sind – historisch, gesellschaftlich und ökonomisch.

 

Schluss mit drögen Formaten

 

Apropos „Gesellschaft“: Die Forderungen nach einer „gesellschaftlich akzeptierten Landwirtschaft“ oder der Wunsch, „Landwirtschaft und Gesellschaft“ mögen wieder „näher zusammenrücken“, gehen inzwischen sogar Agrarfunktionären und konservativen Politikern mühelos über die Lippen. Was Landwirtschaft ist, lässt sich rasch definieren. Schwieriger wird es, „die Gesellschaft“ zu beschreiben. Es spricht einiges dafür, dass dabei die (urbanen) Meinungseliten mit „Gesellschaft“ gleichgesetzt werden. Respekt vor einem solch erfolgreichen Framing dieser Eliten!

Selbst mit einem weiter gefassten Gesellschaftsbegriff sind diese Absichten absurd und stellen für die Agrarwirtschaft kontraproduktive Worthülsen dar. Die Landwirtschaft, mit all ihren Stärken und Schwächen, ist doch seit jeher Teil der Gesellschaft. Sie außerhalb der Gesellschaft zu verorten, schließt eine konstruktive Debatte aus.

Eingedenk dieser Prämisse lohnt der Blick auf die zahlreichen Initiativen für landwirtschaftliche Öffentlichkeitsarbeit. Eine jede ist vermutlich irgendwie gerechtfertigt, obschon ihre Effizienz oft nur wenig überzeugt. „Modern“ soll die Landwirtschaft sein, „digital“ ebenfalls, und der Begriff „Nachhaltigkeit“ fehlt nie. Das verschafft den Verantwortlichen das gute Gefühl, etwas getan zu haben, und mag in Einzelfällen die Zielgruppen erreichen. Agrar-Kommunikation ist bislang eine humorfreie Zone. Höchstens unfreiwillig komisch sind die Protagonisten des unsäglichen TV-Formats „Bauer sucht Frau“. Anstelle gestandener Bauern beeinflussen in der Dokusoap bemitleidenswert trottelige Gestalten als Bauerndarsteller das Image der Landwirte. Bloß nicht zu lange darüber aufregen!

Vielmehr sollte die Landwirtschaft das Interesse am Leben auf dem Land nutzen – aber lässiger als in der Vergangenheit. Dröge Formate, gern als Debatten mit NGOs, sind Zeitverschwendung, weil die Rollen bereits vorab feststehen: Landwirte wahlweise als Tierquäler, Subventionsempfänger und Umweltverschmutzer. Naturschutzaktivisten als ökologische Lichtgestalten, die selbstlos für eine bessere Welt streiten. Auch der Schlagabtausch zwischen Landwirten und deren professionellen Kritikern in den sozialen Medien ermüdet auf Dauer. Breite Massen erreicht man so nicht – Follower und Freunde sind trügerische Kategorien der sozialen Medien. Nach „Faves“ oder „Likes“ zu heischen, bringt den Dopaminstoffwechsel der Beteiligten auf Touren – gestillte Eitelkeit ist als Kommunikationsziel aber zu klein gefasst.

Eine Kommunikationsoffensive für die Landwirtschaft muss Macher, und natürlich Macherinnen, zeigen, darf sich nicht in der Etappe aufhalten. Die gegenwärtig in Projekten mit überschaubarem Erfolg verteilten Mittel gilt es zu bündeln. An Ideen mangelt es nicht. Der mögliche Arbeitstitel für ein zentrales Vorhaben könnte „Agrar-TV“ lauten – ein Mix aus Doku, Serien, News über die Landwirtschaft und das wahre Dorfleben. Selbstbewusst verpackt und professionell produziert. Die Zielgruppe ist weit größer als die Landwirtschaft und deren direktes Umfeld. Denn es gibt weit mehr Menschen, als manche denken, die Fleisch für ein Stück Lebenskraft halten und sich noch dazu dafür interessieren, woher es kommt.

 

Dietrich Holler, geboren 1966 in Herborn, Agrarwissenschaftler, Journalist, Redaktionsbüro „vox viridis“ („Grüne Stimme“), Berlin.

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