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Von montags bis freitags die Welt retten

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In der Welt der Wirtschaft wächst das Problembewusstsein, und es scheint eine Art Sinneswandel vor sich zu gehen: Immer mehr Firmen schreiben sich und ihren Mitarbeitern einen höheren sozialen Zweck auf die Fahnen. „We exist to make sustainable living commonplace“ („Wir existieren, um nachhaltiges Leben alltäglich zu machen“), proklamiert etwa Unilever, Produzent von Pfanni-Knödeln und Magnum-Eis.

Immer mehr Arbeitnehmer, besonders junge, umkämpfte Fachkräfte, verlangen einen „Job mit Sinn“, verlangen, dass die Lösung sozialer Probleme Hauptziel der Arbeitgeber sein soll, nicht etwa die Gewinnerwirtschaftung. Eng verknüpft mit diesem Sinndiskurs ist der neue Kontext, in dem sich Unternehmen befinden: Obwohl an vielen Universitäten noch die neoklassische Vorstellung von isolierten Profitmaximierungsmaschinen gelehrt wird, verstehen die echten Wirtschaftsakteure, dass sie in komplexen adaptiven Systemen operieren, wie wir sie aus der Natur kennen. In diesen Systemen werden Ergebnisse durch Interaktionen zwischen Mitgliedern geformt. Lokale Wechselwirkungen führen hier zu unvorhersehbaren globalen Effekten (nicht-lineare Schmetterlingseffekte wie jüngst im Suezkanal). Hier gibt es eine tiefe Einbettung von Geschäftssystemen in Ordnungen lokaler und nationaler Ökonomien, in gesellschaftliche und gemeinschaftliche Systeme, die etwa Legitimitätsforderungen stellen, und nicht zuletzt in das System der Ökologie – Verwobenheiten also, die weit über die immer brüchigeren Marktgrenzen hinausgehen. Dies verlangt eine neue Selbstverortung, die sich in vielen Unternehmen in einem sogenannten Purpose herauskristallisiert, also einem sozialen Anliegen, das gegenüber Mitarbeitern und Bewerbern, gegenüber Politik und Aktionären Werterhellung verspricht.

In solch einem Bewusstsein der Unternehmen für Soziales und für Sinn, jenseits eines Sinnes für Profit, liegt Potenzial für die geforderte sozial-ökologische Transformation: Wenn in Debatten auch der Anschein erweckt wird, dass es leichter wäre, die Bedürfnisse von sieben Milliarden Menschen zu verändern als das Verhalten von einhundert Schlüsselkonzernen, so scheinen doch die Unternehmen geeignetere Hebel zu sein. Dass nämlich eine einzige Organisationsform so viele Funktionen erfüllen konnte, vom Tante-Emma-Laden bis zum Mischkonzern, vom Start-up bis zur öffentlichen Infrastruktur, sollte Hoffnung machen. Auch, dass sich die wandelnde Rolle von Unternehmen in historischer Betrachtung sowohl mit dem Aufkommen von sozialen Problemen als eben auch mit ihrer Bewältigung in Verbindung bringen lässt.

Ebenso wichtig wird hierbei die organisationale Mikroebene der Arbeitenden: Verantwortung versandet oft im Vorstandsbüro oder in spezialisierten Funktionen. Was bringen die Elektrovisionen der Automobil-Vorständin, wenn sich die eigenen Maschinenbauingenieure davon nicht motivieren lassen? Wie kann der Mittelständler attraktiv sein für Menschen mit neuen Perspektiven, statt immer nur bei den gleichen Profilen punkten zu können oder zu wollen? All dies soll eine mit Sinn aufgeladene Arbeitswelt ändern.

 

Sinn als Wirtschaftsgut

 

Mein Erkenntnisinteresse gilt einer wirtschaftsethischen sowie einer organisations- und arbeitssoziologischen Einordnung dieses Phänomens. Ist es richtig, von einem natürlichen Sinnbedürfnis der Mitarbeiter zu sprechen? Es mag stimmen, dass Menschen im Innersten nach Sinn streben. Dass aber Konzerne Sinnangebote machen sollen, dass wir gut bezahlte Jobs kündigen, weil sie sinnlos erscheinen, dass selbst eine Müslipackung mich über ihre Werte aufklärt („Integrität, Verantwortung, Nachhaltigkeit“ heißt es da), scheint doch eine sehr zeitgenössische Form der Sinnfrage darzustellen.

Dem Soziologen Andreas Reckwitz zufolge stehen wir an einem Umbruch von einer sozialen Logik des Allgemeinen zu einer Logik des Besonderen. In der industriellen Moderne suchten wir die Antwort auf ein Knappheits- und Ordnungsproblem und fanden sie in Massenproduktion, Mischkonzernen, Matrixorganisationen. Man arbeitete, um sich ein gutes Leben leisten zu können, um „dazuzugehören“. Es ging nicht darum, besonders zu sein oder gar die Welt zu retten. Selbstverwirklichung fand weit außerhalb der Lohnarbeit statt.

Diese rationalisierende Industrieökonomie wandelt sich gemäß Reckwitz nun in eine kulturalisierende Wissensökonomie. Diese antwortet nicht mehr auf ein Knappheits- und Ordnungsproblem, sondern auf das Folgeproblem von Sinn und Motivation. Je mehr die Arbeit zu kreativer Wissensarbeit wird, je mehr die Gesellschaft zu einer Multi-Optionsgesellschaft wird, desto mehr wird intrinsische Begeisterung und eine starke Antwort auf die Frage „Warum arbeite ich gerade hier?“ zum Wirtschaftsgut. Die Wirtschaft ist nun darauf angewiesen, Besonderheiten zu inszenieren: weshalb mir eben das Müsli von seiner Integrität berichtet. Diese Besonderheiteninszenierung wird befeuert von der Digitalisierung, die im Gegensatz zur Industrie-Ära nicht aus Standardisierungsmaschinen besteht, sondern aus Kulturmaschinen, Infrastrukturen für Besonderheiten (selbst Autos werden Plattformen für individuelle Software). Gerade wegen dieser Logik des Besonderen wollen Berufseinsteiger Sinn im Job und reagieren Organisationen darauf, indem sie sich als unvergleichliche Kämpfer für das Gute darstellen. Der Lebensstil der neuen Mittelklasse ist geprägt durch die Authentizitätsrevolution, in der das Individuum seine Individualität stetig zu steigern versucht, in der es gerade nicht dazugehören möchte, sondern authentisch sein will. So fusioniert die subversive Ich-Entfaltung der Hippies mit der bürgerlichen Idee des Statuserhalts und -ausbaus: Wir wollen unser einzigartiges Ich leben, aber trotzdem keine bürgerlichen Privilegien missen, wir wollen sie dadurch sogar mehren. Das stellt drängende Fragen für eine Zukunft der Arbeit.

 

Arbeit im Kulturkampf

 

Etwa danach, wie viel Sinn Arbeit verträgt. Eine (Über-)Beanspruchung der Arbeit durch ihre identifikatorische Aufladung ist nicht nur ein Versuch, Zufriedenheit zu steigern, sondern auch Auslöser einer spätmodernen Tendenz zur Selbstausbeutung. „Gierige Organisationen“ nennt es der Soziologe Lewis A. Coser, wenn Personen mit all ihrer Emotionalität beansprucht werden, wenn Firmen sich plötzlich „Familie“ oder „Stamm“ nennen. Bei dieser Analogie wird vergessen, dass die meisten zum Erwachsenwerden von ihrer Familie wegziehen und wir auch die Stammesstrukturen aus ähnlichen Gründen überwunden haben. Es ließe sich also fragen, ob das Sinnbedürfnis im Job nicht eher ein weiteres Konsumbedürfnis ist. Gibt es Sinn beim Jobwechsel oder im Müsliregal? Lässt sich ein Sinnempfinden mit all seinen körperlichen und überkörperlichen Facetten in eine Managementtechnologie gießen? Oder muss man nicht eher sein eigener Sinnproduzent werden, statt bloßer Konsument zu sein?

Eine andere Frage verbindet diese Sinnsuche mit der größeren Anerkennungskrise der Arbeit. Es lässt sich seit Jahrzehnten, nun in der Pandemie besonders, eine Polarisierung der Arbeitswelt in lovely und lousy jobs diagnostizieren. In der Arbeit am Besonderen (die engagierte Forscherin, der kreative Designer, die vegane Biobäuerin) wird mal eben die Welt gerettet, die andere Arbeit ist nur mehr industrielles Relikt, eher Teil der Malaise als Teil der Lösung. Sie erfährt in der elitären Logik des Besonderen eine Abwertung. So steht heute das Thema Arbeit inmitten eines Kulturkampfes: Kern vieler populistischer Ressentiments ist der Unmut über die Arbeit. Dabei geht es um mehr als um Arbeitsplatzverluste und stagnierende Löhne. Arbeit hat neben ökonomischer eben auch kulturelle Bedeutung, und viele spüren, dass ihre ehrliche Arbeit nicht länger Quelle von Anerkennung ist. Die Verbesonderung des oberen Endes der Arbeitswelt führt dazu, dass in dieser Anerkennungskrise neben einer materiellen nun auch eine kulturelle Entwertung stattfindet. Purpose eröffnet hier also eine weitere Privilegiendimension.

Wie ließe sich die Würde der Arbeit aber umfassend erneuern? Wäre auch hier ein Wechsel von einer Konsumenten zu einer Produzentenperspektive möglich? Noch betrachtet eine konsumistische Vorstellung von unserer Arbeitsgesellschaft vor allem die Maximierung der Wohlfahrt, so der Philosoph Michael Sandel, und zwar typischerweise durch die Maximierung des Wirtschaftswachstums. Wäre das gesellschaftliche Gemeinwohl einfach eine Frage der Befriedigung der Verbraucherpräferenzen, so wären hohe Löhne das Maß für sinnvolle Arbeit. Wie stünde es aber mit einer Produzentenperspektive, in der es nicht einfach darum ginge, Konsumpräferenzen zu addieren und Verbraucherwohlfahrt zu maximieren? Ein Nachdenken über wirklich sinnvolle Arbeit würde erfordern, dass wir unsere (oft umweltschädlichen) Präferenzen kritisch betrachten und gemeinsam darüber beraten, wie wir sie in eine Ordnung überführen können, die auch noch unseren Enkeln gerecht wird. Dies hieße, dass die wichtigste Rolle, die wir in der Wirtschaft spielen, nicht die des (Sinn- und Gehalts-)Konsumenten, sondern die des produzierenden Bürgers ist. Dieser entwickelt und entfaltet seine Fähigkeiten unternehmungsfreudig und sucht seinen eigenen Sinn, um damit die echten Bedürfnisse der Mitbürger zu adressieren. Würde ein solches Arbeitsverständnis nicht auch Wirtschaft, Natur und Gesellschaft wieder mehr zu einem Zusammenspiel der gegenseitigen Anerkennung machen?

 

Hans Rusinek, geboren 1989 in Düsseldorf, Mitglied des Promotionskollegs Soziale Marktwirtschaft der Konrad-Adenauer-Stiftung, promoviert an der Universität St. Gallen zum Thema „Organisational Purpose“, zuvor Organisationsberater und als erster Mitarbeiter beim Aufbau der europäischen Purposeberatung der Boston Consulting Group tätig. Als Autor beteiligt er sich an Debatten zwischen Wirtschaft und Gesellschaft (etwa in „BrandEins“ oder „Deutschlandfunk“), 2020 mit dem Förderpreis des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.

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