Autorität – was verbinde ich damit? Vorbild, autoritären Erziehungsstil, Macht, Werte, Regeln, Aufgaben, Gehorsam, Chancen und Grenzen, Respekt, Respektlosigkeit, Bestimmtheit, Bindung, Beziehung, Authentizität, Erklärungen, Rechte, Unrecht. Und was hat das mit meinem Berufsfeld und mit mir als Erzieherin zu tun?
Ich will versuchen, diesen Fragen nachzugehen: Vierzig Jahre Erfahrung als Erzieherin kann ich selbst einbringen. Ich leite seit 1987 eine Kindertageseinrichtung und ein Familienzentrum und kenne die Wahrnehmung vieler Kolleginnen und Kollegen. Darüber hinaus engagiere ich mich ehrenamtlich als Referentin für Erzieher und Erzieherinnen im Elementarbereich im Verband Bildung und Erziehung Nordrhein-Westfalen.
Die meisten von uns berichten, dass der Berufsalltag immer anstrengender wird – durch die wachsenden Aufgabenstellungen wie Dokumentation, Beratung, neue Konzepte zur Partizipation, Kindesschutz, Inklusion, Erziehungspartnerschaft mit Eltern, Vorgaben durch die Kitaträger, Flexibilisierung, Vernetzung; die sich stetig verändernden Rahmenbedingungen wie den unzulänglichen Erzieher-Kind-Schlüssel, den Fachkräftemangel; immer mehr Vorschriften, die in den Bereichen Arbeitsschutz, Gesundheit zu beachten sind, ständig neue Gesetzesvorgaben, Verordnungen; die steigenden Anforderungen, die Eltern an uns herantragen, aber auch immer mehr Erziehungsunsicherheiten bei den Eltern selbst, immer mehr Belastungen in den Familien, Erschöpfung und auch Themen wie Vernachlässigung, Desinteresse und Gleichgültigkeit – „Hauptsache, ich habe einen Kitaplatz“ – und Respektlosigkeit bei Anfragen oder in Gesprächen.
Doch der Fokus sollte sein, die Kinder auf ihrem Bildungsweg und in ihrer Entwicklung zu begleiten und es ihnen zu ermöglichen, die Welt zu entdecken, zu erforschen, zu begreifen. Auch hier ist ein großer Wandel zu beobachten, denn das, was unter Kindheit verstanden wird, hat sich massiv verändert. Davon wird der Alltag geprägt, es sind die Grundbedingungen, um umreißen zu können, wie wichtig „Autorität“ von Erzieherinnen und Erziehern in der Kita ist.
Wir leben in einer Zeit, in der alle am Kitaleben Beteiligten einen enormen Wandel erleben. Wissen und Informationen zum Thema Erziehung stehen immer und überall zur Verfügung. Erziehungsstile haben sich verändert. Die Wissenschaft zur Erforschung der kindlichen Entwicklung, der Wirksamkeit von Erziehungsstilen und therapeutischen Möglichkeiten und noch vieles mehr gewinnt rasant an Bedeutung. Gleichzeitig sind wir selbst durch unsere Erziehung, unsere Entwicklung, Erfahrungen und unsere Haltung geprägt. Wenn heute Eltern Beratung suchen, stehen ihnen ungefiltert Bücher, Informationen und Foren im Internet zur Verfügung.
Entschiedenes „Nein“ wäre oft klarer
Man könnte eigentlich davon ausgehen, dass sich dadurch die Erziehungsqualität verbessert. Doch weit gefehlt: Einerseits begegnet uns in der Erziehungspartnerschaft mit Eltern, dass diese insgesamt sehr bewusst und reflektiert den Blick auf die Entwicklung ihrer Kinder richten. Sie erklären ihren Kindern alles, egal, wie alt das Kind ist; und jeder kann sich vorstellen, wie es manchmal ausgehen kann, wenn man mit einem anderthalbjährigen Kind diskutiert, dass wir unser Gegenüber nicht beißen dürfen, wobei hier ein entschiedenes Nein durchaus klarer wäre und das Wahrnehmen von Erziehungsverantwortung in den Mittelpunkt rücken würde. Andererseits erleben wir unreflektiertes Erziehungsverhalten, Unentschiedenheit bei Eltern, Abschieben von Verantwortlichkeit auf Erzieherinnen respektive Erzieher und damit verbunden das Ablehnen von Beratungs- und Unterstützungsangeboten sowie eine Vernachlässigung von Kindern. Und immer sprechen wir davon, Eltern seien Fachleute für ihr Kind. Eltern stellen hohe bis gar keine Ansprüche an die Professionalität von Erzieherinnen und Erziehern in den Kitas. Die Erziehungsunsicherheit bei vielen Eltern steigt, da sie all die verfügbaren Informationen nicht filtern können. Daher ist es wesentlich, Erzieherinnen gut auszubilden und sie in ihrer Gesprächskompetenz zu stärken. Gute Beispiele dafür sind das Projekt des Bundes zur Zusatzqualifikation von Elternbegleiterinnen und Elternbegleitern und der Ausbau von Familienzentren, um die Erziehungskompetenz von Eltern von Anfang an auf Augenhöhe vertrauensvoll zu stärken. Denn Erziehung geschieht immer und zu jeder Zeit, reflektiert, spontan, überlegt, unüberlegt. Sie hat viele Auswirkungen, kann viel erreichen, aber auch viel zerstören.
Bildung durch sichere Bindungen
Kinder wachsen in Deutschland unter sehr unterschiedlichen Bedingungen auf. Dies bedeutet, dass die Kindertageseinrichtungen die Erzieher-Kind-Beziehung mehr in den Mittelpunkt stellen müssen. Neben allen Förderungs- und Bildungsangeboten für Kinder müssen die konkreten Bedürfnisse der Kinder in den Fokus gerückt werden. Dies muss Leitlinie für das Handeln der Erzieherinnen und Erzieher sein, damit Kinder positive Bindung und Bestärkung erfahren. Bildung gelingt nur durch gute und sichere Bindungen.
Das Erziehungsverhalten muss geprägt sein von Beobachtung, Partizipation, Glaubhaftigkeit, Wertschätzung und der Ermöglichung von Freiräumen. Dadurch erfahren Kinder ihre eigenen Stärken, und wir Erwachsenen können sie dabei begleiten. Wir Erwachsenen sind Vorbild, das heißt allerdings nicht, dass wir niemals etwas falsch machen dürfen. Wir müssen unser Handeln immer wieder reflektieren, uns auch bei Kindern entschuldigen, wenn etwas nicht gut gelaufen ist. Kinder brauchen eine echte Teilhabe, die sie entsprechend ihrer Entwicklung und ihren Möglichkeiten einlädt, mitzuentscheiden. Wir Erwachsenen ermöglichen ihnen dies, indem wir immer wieder unser Handeln darauf ausrichten, dass Kinder, die uns genau beobachten und daraus lernen, uns vertrauen, dadurch selbstbewusst und stark heranwachsen und langsam, aber stetig eigene Entscheidungen treffen.
Dies erinnert mich an eine Begebenheit, als ein kleiner Junge nachmittags in Begleitung seiner Mutter die Kita verließ. Mein Büro liegt neben dem Eingang, das Fenster war offen, und so hörte ich, wie er sagte: „Du, Mama, heute hatte ich Streit mit Barbara, aber dann haben wir geredet, und jetzt ist alles gut und es war gerecht.“ Ja, er und sein Freund hatten ein anderes Kind sehr geärgert, und ich hatte mich mit den Kindern hingesetzt, ihnen zugehört und gemeinsam mit ihnen nach einer Lösung gesucht, die ihre Vorschläge berücksichtigt hat und dann umgesetzt werden konnte. Die Mutter schaute in Richtung Büro und schmunzelte, genauso wie ich, es war eine stumme Verständigung. Am nächsten Tag haben wir uns kurz dazu ausgetauscht, und die Situation war von gegenseitigem Vertrauen geprägt.
Erzieherinnen und Erzieher müssen in ihrem Handeln glaubhaft für ihr Gegenüber sein, denn sie prägen frühzeitig neben dem Elternhaus die Lebenswirklichkeit von Kindern und können Halt und Orientierung geben.
Viele Erzieherinnen und Erzieher berichten auch von Anfeindungen, Beschimpfungen, Ignoranz und damit verbundener Resignation. Diese Situationen nehmen zu, denn die Rahmenbedingungen in den Kitas sind sehr unterschiedlich, und die Personalsituation wird immer angespannter. In der deutschen Kitaleitungsstudie wird deutlich, wie massiv sich der Fachkräftemangel aus Sicht der Kitaleitungen auf die Arbeit und das Gefühl der Wertschätzung durch Politik, Gesellschaft, Trägerorganisationen und so weiter auswirkt. Die daraus resultierenden Ziele liegen auf der Hand:
- für die Politik, die gute Bildung und Erziehung will und dafür die Kitaplätze weiter ausbauen muss,
- für die Träger, die eine gute Bildungslandschaft vor Ort bereitstellen und damit eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherstellen wollen,
- für die Eltern, die sich eine gute Erziehung und Bildung sowie eine sichere Betreuung für ihr Kind wünschen,
- für die Erzieherinnen und Erzieher, die Kinder und Familien auf ihrem Weg begleiten und unterstützen wollen.
Erzieherinnen und Erzieher sind in gewisser Hinsicht Autoritätspersonen. Wenn wir selbst in unserer Biographie zurückblicken, dann können wir selbstbewusst feststellen, dass uns vieles besonders gut gelungen ist, wir immer gut lernen konnten, Freude hatten, selbstbewusst waren, wenn wir uns angenommen, uns sicher gefühlt, uns gestärkt und geliebt gefühlt haben. Oft wurden solche Empfindungen von jemandem vermittelt, der oder die neben unseren Eltern ein Vorbild für uns war. Erzieherinnen und Erzieher sind Begleiter und Vorbilder für Kinder und Familien, und sie brauchen die Anerkennung und Wertschätzung zur Erfüllung ihrer Tätigkeit. Dies bedeutet die Weiterentwicklung ihrer Professionalität. Sie sind Tag für Tag konfrontiert mit vielfältigen Anforderungen und Sorgen, aber auch mit kleinen und großen Herausforderungen, die die Kinder und Eltern an sie stellen. Um diesen vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden, brauchen sie eine gute Ausbildung, Fort- und Weiterbildung und vor allem Zeit für ihre Kernaufgaben Bildung, Erziehung und Betreuung.
In unserer pädagogischen Arbeit geht es bei dem Thema Autorität um Partizipation, Vorbild, Miteinander, Akzeptanz sowie echte Wertschätzung in der Gesellschaft und Politik für das Berufsbild der Erzieherinnen und Erzieher – verbunden mit Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung und -stärkung.
Barbara Nolte, geboren 1962 in Paderborn, Referentin für Erzieher und Erzieherinnen, Verband Bildung und Erziehung Nordrhein-Westfalen (VBE NRW), Leiterin Kindergarten und Familienzentrum Schatenstraße (Hövelhof, Kreis Paderborn).