1961 hat Herbert Wehner für die Sozialdemokratie bekannt: „Wir sind alle Bürger dieser Bundesrepublik; die [gemeint war die CDU] müssen schon einen besonderen Begriff von Bürgerlichkeit konstruieren, um uns auszuschließen.“ Nimmt man noch die „Grünen“ als eine ganz wesentlich aus Bürgerinitiativen entstandene Partei hinzu, so wird deutlich, dass dem Attribut „bürgerlich“ eine strikt lagerbeschreibende Kraft fehlt. Während sich Konservative tendenziell eher auf ein affektiv-kulturalistisches Verständnis von „gutbürgerlich“ zurückziehen – auf traditionelle Werte wie Familie, Religion, Heimat –, scheint das linksliberale Lager eher den aktiven Bürger im Sinn zu haben, der die zivilgesellschaftliche Arena nutzt, um seine Interessen demokratisch zu vertreten. Und natürlich möchte jeder gern „bürgernah“ Politik machen – womit allerdings noch wenig über inhaltliche Leitlinien ausgesagt ist. So kann es passieren, dass diejenigen, die Basisdemokratie und plebiszitäre Elemente programmatisch vertreten, sich in der Freien und Hansestadt Hamburg von dem Ergebnis eines Volksentscheids an der Durchführung ihrer Schulreformpolitik gehindert sehen.
Daraus lässt sich ersehen: Vordergründig ist Bürgerlichkeit kaum als gehaltvoller Begriff zur Kennzeichnung politischer Richtungen im Sinne eines Linksrechts-Schemas zu verwenden.
Liberale Bürgerlichkeit – drei Vordenker
Dieser Eindruck ändert sich, wenn man die Perspektive der politischen Theorie einnimmt. Zwar war es in den frühen Jahren der Bundesrepublik lange umstritten, ob sich tragfähige Konzepte politischer Bürgerlichkeit überhaupt begründen ließen. Die Vertreter eines technokratischen Konservatismus wie die Soziologen Arnold Gehlen und Helmut Schelsky oder der Staatsrechtler Ernst Forsthoff wähnten sich im nachbürgerlichen Zeitalter. Für sie glich der Staat der modernen Industriegesellschaft einer technischen Apparatur, die von kompetenten Eliten mit dem nötigen Know-how zu bedienen war. Gegen die Sachgesetzlichkeiten ökonomischer und wohlfahrtsstaatlicher Erfordernisse fiel die demokratische Willensbildung freier Bürger kaum ins Gewicht. Auch die Mentoren einer Neuen Linken entdeckten dieses standfeste technokratische Modell für sich und hielten es für eine zutreffende Beschreibung der Wirklichkeit, die sie vehement kritisierten. Eine von den Bürgern entkoppelte Elitenherrschaft und die dadurch verursachten Legitimitäts- und Rationalitätsverluste wurden in den bekannten Analysen von Jürgen Habermas und Claus Offe Anfang der 1970er-Jahre zum Signum einer Krise des Spätkapitalismus – und für diese war, wie man auf den Spuren des Historischen Materialismus wusste, eine zu überwindende bürgerliche Ideologie verantwortlich.
Es ist demgegenüber daran zu erinnern, dass im Schatten dieser diskurshegemonialen Gruppen ganz unterschiedliche Denker wie Helmuth Plessner, Dolf Sternberger und Wilhelm Hennis – neben anderen – reflektierte, moderate und durchaus konstruktive Vorschläge erarbeiteten, um eine liberale und eben auch bürgerliche Demokratie neu zu begründen.
Helmuth Plessner und die Grenzen der Gemeinschaft
Helmuth Plessner hatte sich bereits frühzeitig gegen die marxistische Kritik an der Entfremdung in der bürgerlichen Gesellschaft gewandt. Die Sehnsucht nach Authentizität und Identität, wie er schon in seiner Schrift über die Grenzen der Gemeinschaft (1924) argumentierte, ließ die Vorzüge der modernen, auf Arbeits- und Gewaltenteilung beruhenden Zivilisation vergessen. Für Plessner boten gerade die verschiedenen Rollen und Masken in der modernen Gesellschaft die nötigen Freiheitsräume. Das Individuum kann nur durch vielfältig wahrgenommene, repräsentative Rollen existieren, denn in abstrakten und künstlichen Funktionszuschreibungen liegen die Bedingungen zur Freiheit. Sozialpsychologisch wichtig ist dabei, dass der selbstbewusste Bürger vermeidet, sich mit einer Rolle vollständig zu identifizieren. Der Bürgerstatus und die ihm inhärenten Rechte lassen den Einzelnen die „Arbeit als austauschbar, als Job, und seine soziale Rolle als bloße Maske“ betrachten lernen. Nur im „entfremdeten“ Dasein wird der Mensch vor sich selbst geschützt, weil es ihm möglich ist, die Romantik der Ursprünglichkeit und „Reinheit“ zugunsten der „bunten Wirklichkeit“ hinter sich zu lassen. Die Öffentlichkeit ist hingegen der Raum, in dem Konventionen und Repräsentationen aus einem pluralistischen Selbstverständnis heraus ohne exklusive Geltungsansprüche aufeinanderstoßen. Darin gibt es keine unvermittelte Existenz, sondern nur praktische Bewältigung komplexer Wirklichkeit. Soziale Ordnung findet also keinen kohärenten Ausdruck, sie kann lediglich im Zusammenspiel von Konventionen, Rollen, Repräsentationen und Institutionen gedacht werden, in denen die Individuen agieren, ohne die „Heterogenie der Zwecke“ durchschauen zu müssen. Stattdessen sollten sie über die geistige Unabhängigkeit verfügen, um die der bürgerlichen Gesellschaft inhärenten Rollen virtuos mitspielen zu können.
Dolf Sternberger und die Herrschaft der Freiheit
Drei Aspekte bestimmen indessen das emphatische Bürgerlichkeitsmodell Dolf Sternbergers: Erstens die Vorstellung von der „Herrschaft der Freiheit“, die sich als aktives und wehrhaftes Prinzip in der Bürgerschaft verwirklicht – Sternberger artikuliert diese Auffassung in den viel zitierten Formeln: „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit! Kein Kompromiss mit den Feinden des Kompromisses! Kein gleiches Recht für die Feinde des gleichen Rechts!“ Zweitens betont Sternberger die Bedeutung von „demokratischer Sitte“ und „geselligem Anstand“ als unerlässlichen Tugenden zwischen Freiheit und Gesetz. Bürgerlich-republikanische Verhaltensformen werden als moralische „Anstandslehre“ zum „Anfangsgrund der Politik“. Drittens gibt Sternberger deutlich die normative Bindung seines Politikbegriffs zu erkennen, denn „alle Politik ist Friedenspolitik“, und „der Frieden ist das eingeborene Ziel der Politik“. Damit setzt er einem auf Machtgewinn und Konflikt beschränkten Politikverständnis ein explizit bürgerliches entgegen, das sich nicht mehr allein an Zwecken orientiert, sondern den bürgerschaftlich-kooperativen Modus der Entscheidungsfindung ins Zentrum stellt. Vereinbarung statt Herrschaft, so bringt er später sein republikanisch-kontraktualistisches Legitimitätsverständnis auf den Punkt. Seine Begriffsschöpfung „Verfassungspatriotismus“ ist nur eine folgerichtige Übersetzung seiner aristotelischen Überzeugungen und unterstreicht – wie eine zweite bedeutsame Wortprägung: „Staatsfreundschaft“ – das institutionelle Moment seines politischen Denkens. Bürgersein hieß für ihn stets der Wille zum verantwortlichen Handeln und die Loyalität zur freiheitlichen Verfassung. Jeder Bürger sollte in Sternbergers Idealvorstellung ein potenzieller Mandatsträger sein können, doch neben der rein politischen Ebene wusste Sternberger auch um die kulturellen Gehalte der Bürgerlichkeit, die er als Form der Sittlichkeit, der Bildung und der Fähigkeit zur praktischen Lebensführung begriff.
Wilhelm Hennis und die politische Verantwortung
Wilhelm Hennis wiederum sah es als seine Aufgabe an, die aus seiner Sicht falsche Vorstellung von einer sich direkt selbst regierenden Bürgerschaft zu zerstören. In einer hochgradig komplexen arbeitsteiligen Gesellschaft hielt er diese Demokratiefiktion für unangemessen. Andererseits warnte er vor der „Entlastung des Bürgers von Bürgersinn und politischer Verantwortung“ im planenden Wohlfahrtsund Vorsorgestaat. Insofern hielt er die Bildungsanstrengungen und die Pflicht zur politischen Anteilnahme für weitaus dringlicher als je zuvor, um den aus vermeintlichem Erfahrungsverlust und Attentismus hervorgehenden Entpolitisierungserscheinungen vorzubeugen. Anstelle des selbstgewissen Aktivisten entspricht das reduktionistische Modell des Bürgers bei Hennis einem informierten, kognitiv geschulten und urteilsfähigen Individuum, das sich für die Belange des Gemeinwesens nicht nur interessiert, sondern sich auch nach den institutionell vorgegebenen Möglichkeiten für sie engagiert. Bürgerlichkeit und Bürgersinn bleiben für Hennis Begriffe der Praxis und Ziel von Erziehungsarbeit. Darum sei Bürgersinn – hier doch wieder gut aristotelisch – „in aller Regel dort, wo er vorhanden ist, auch das Werk der Einübung, der Initiation in eine als vorbildlich empfundene vorgefundene Tradition“.
Es lassen sich unübersehbare gemeinsame, wenn auch verschieden intonierte Motive finden, die für die Konzeptualisierung liberaler Bürgerlichkeit von Bedeutung sind. Erstens: Freiheit und Gleichheit. Eine Philosophie der politischen Bürgerlichkeit wurzelt normativ in der Aufklärung. Zum Bürgerstatus gehören die Freiheit und Unabhängigkeit des Einzelnen, der zugleich als mündiges Mitglied der politischen Gemeinschaft die Fähigkeit besitzt, sich für sein eigenes Tun zu verantworten. Unabhängig von materiellen Unterschieden herrscht Gleichheit vor dem Gesetz. Reichtum, Besitz und Bildung können zwar zu einer sozialen Sonderstellung, aber nicht zu einer politischen Privilegierung führen.
Zweitens: Individualität und Pluralismus. Zu den Voraussetzungen einer bürgerlichen Gesellschaft gehören die Anerkennung des Mitbürgers in seinen Auffassungen und Lebensweisen sowie die Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen. Zur bürgerlichen Welt gehören Vielfalt, Heterogenität und Buntheit, die zugleich konstitutiv für ihre Verfassung sind; nur in friedlicher Konkurrenz von Kultur- und Lebensformen können Fortschritt und Verbesserungen stattfinden.
Drittens: Institutionen und Regeln. Einerseits wird die persönliche Freiheit durch Institutionen und Regeln begrenzt, andererseits helfen die Einrichtungen des liberalen bürgerlichen Verfassungsstaates nicht nur, die Freiheit des Individuums zu sichern; sie tragen einen Zweck in sich, nämlich das Bewusstsein der Freiheit im Gemeinwesen zu verankern und zu erhalten. Gleichzeitig bleibt das Element der Einübung in demokratische Praxis konstitutiv für den Common-Sense-erprobten Bürger.
Viertens: Antiutopismus. Eine politische Philosophie der Bürgerlichkeit verortet sich „diesseits der Utopie“ (Plessner) und bleibt skeptisch gegenüber allen geschichtsphilosophisch inspirierten Ideologien. Die Politik muss von der prinzipiellen Offenheit geschichtlicher, das heißt immer auch sozialer, kultureller, technischer und ökonomischer Entwicklung ausgehen.
Fünftens: Öffentlichkeit und politische Partizipation. Grundlegend bleibt die Trennung von Privat und Öffentlich; im liberalen Sinne ist die Öffentlichkeit die transparente und für alle Bürger (potenziell) zugängliche Bühne der Politik. In der politischen Partizipation verwirklicht sich die Bürgerlichkeit, die zwar vorpolitische – habituelle und kulturelle – Eigenschaften besitzt, zu der aber die tatsächliche Inanspruchnahme von bürgerlichen Rechten und Pflichten untrennbar gehört.
Citoyen und bourgeois
Die Ambivalenz des unübersetzbaren deutschen Bürgerlichkeitsbegriffs, der citoyen und bourgeois vereint, wird in dieser Tradition nicht als Nachteil empfunden: Beide Elemente – ökonomische Eigenverantwortung sowie politische Partizipation – werden als Zielnorm idealerweise zusammengedacht. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit wird an die bürgerliche Gesellschaft selbst delegiert, die im freien Diskurs und in Selbstorganisation immer wieder neue politische Entscheidungen treffen muss, um eine gewisse Chancengleichheit der Bürger zu gewährleisten. In dieser Delegierung sozialer Fragen ist weniger Ratlosigkeit oder Indifferenz zu sehen als vielmehr die Einsicht, dass die bürgerliche Gesellschaft durch keine philosophische Vorleistung von eigenverantwortlicher moralischer und politischer Entscheidung über Fragen der Gerechtigkeit erlöst werden kann. Sollten jedoch alle Bürger die Möglichkeit haben, ihre Interessen unabhängig von ihrer materiellen und sozialen Stellung zu artikulieren, bleibt die Chance gewahrt, zu gerechten Entscheidungen zu gelangen, die die jeweils aktuellen politisch-sozialen Lagen widerspiegeln.
Mit einem politischen Begriff von Bürgerlichkeit lassen sich die Ansprüche von Staat und Bürger gegeneinander, aber auch ihre wechselseitige Angewiesenheit aufeinander beschreiben. Der Politikwissenschaftler Peter Graf Kielmansegg hat einmal treffend von der notwendigen „Chancengleichheit zwischen Staat und Bürger“ gesprochen. Die Bürger brauchen einen Staat, der ihre Beteiligung ermöglicht und fördert, denn die Bürgerschaft macht, um Sternbergers aristotelische Formel zu wiederholen, den Staat aus. Der Staat wiederum braucht Bürger, die an sich hohe Maßstäbe für ihr eigenes politisches Verhalten stellen; er bleibt Adressat, Repräsentant und in seinen Institutionen auch umsetzende Instanz des Gemeinwohls.
Bürgerlichkeit ist deswegen ein essenzieller Begriff für die Belange der liberalen Demokratie, weil sie das Medium einer sich verständigenden, beweglichen, sich stetig erneuernden Mitte ist. Zugleich ist sie aber das Remedium gegen jede falsche Ideologisierung der Mitte. Politische Bürgerlichkeit wird nie im negativen Sinne einer homogenitätsfixierten Ideologie der Mitte Vorschub leisten, weil sie auf Pluralität, Toleranz, Common Sense und Verständigung beruht.
Insofern hat politische Bürgerlichkeit nichts mit einer Ideologie der Mitte zu tun, die ihre Gutbürgerlichkeit, ihre Weltsicht und ihr Statusdenken verabsolutiert und sich in ihrer Bequemlichkeit einrichtet, sondern sie versteht sich als Maßstab des Politischen in einer liberalen Demokratie. Es wäre deswegen falsch, das Eintreten für Bürgerlichkeit lediglich auf ökonomische Liberalisierung und die Reduktion von Staatlichkeit zu beschränken. Politische Bürgerlichkeit ist keinesfalls eine Absage an solidarische Sozialbeziehungen und keine Verhüllungsvokabel für Individualisierung, sondern leitet als normativer Leitbegriff zur Verständigung über die gerechte Ordnung, das gute Leben und das Gemeinwohl an. Es handelt sich um einen klassischen Begriff der liberalen Demokratie, mit dessen Hilfe das normative Gerüst des Gemeinwesens immer wieder neu justiert und gesellschaftliche Integrationsleistungen erbracht werden können.
Bildung als Medium bürgerlicher Selbstverständigung
Um nicht zu einem kraftlosen Konsensbegriff zu degenerieren, muss sich die Vorstellung von politischer Bürgerlichkeit mit Leitbildern und Normen verknüpfen. In diesem Kontext darf ruhig an eine vermeintlich anachronistische, sehr deutsche Hervorbringung erinnert werden: an das Bildungsbürgertum. Bildung war in Deutschland das zentrale Merkmal bürgerlicher Identität; sie stellte nicht nur ein Leistungsethos bereit, sondern sorgte für bürgerliches Selbstbewusstsein – in ihr war neben einer beruflichen Zweckgerichtetheit auch ein normatives Leitbild eingebaut. Es war kein Zufall, dass die revisionistische Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Weimarer Republik stets die Emanzipation des Arbeiters zum Bürger im Sinn hatte. Man sollte aber nicht verschweigen, dass die Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungsbürgertums im ausgehenden 19. Jahrhundert im Windschatten des Politischen stattfand, nämlich in einer Selbstbeschränkung auf kulturreligiöse und ökonomische Wertschöpfung. Thomas Manns Formel von der „machtgeschützten Innerlichkeit“ markiert das Dilemma bürgerlicher Politikferne.
Von einer solchen obrigkeitsstaatlichen Fixierung und der damit einhergehenden Verachtung der Politik sind wir heute zwar weit entfernt. Aber es lässt sich schwer übersehen, dass sich im Blick auf die Schul- und Universitätspolitik der letzten Jahre andere Tendenzen zeigen, die einem Verständnis von politischer Bürgerlichkeit, deren Medium nur die Bildung sein kann, zuwiderlaufen. Apolitische Sachzwanglogiken machen uns glauben, dass die konstitutiven Werte bürgerlichen Zusammenlebens romantische Schimären geworden sind. Statt Bildung wird immer mehr auf Ausbildung gesetzt, eine Ausbildung, die danach strebt, die Anforderungen künftiger Arbeitsmärkte zu antizipieren, und die Qualifikation für Erwerbsarbeit – möglichst früh, möglichst zügig, möglichst effizient – ins Zentrum stellt. Im Sinne medien- und kommunikationsaffiner Lehr- und Lernpraxis, die vor allem Flexibilität und Anpassung an ökonomische Erfordernisse zum Ziel haben, drohen die Inhalte verloren zu gehen. Auch die Verschulung der Universität setzt eher auf Konformismus als auf Individualität und Eigensinn. Dabei werden die Räume für zweckfreie, aber in hohem Maße kreative und persönlichkeitsbildende Beschäftigungen eng. Der Sinn für die eigenen Möglichkeiten und Optionen schärft jedoch das Verständnis für die Umwelt, für die Gesellschaft in ihren Konflikt- und Kooperationsfeldern. Bildung zum selbstständigen Bürger – so sollte man Bildungsbürgerlichkeit zeitgemäß auffassen – zielt keineswegs nur auf die Qualifizierung des Einzelnen im Hinblick auf seine beruflichen Chancen, sondern beinhaltet ganz wesentlich eine Befähigung zur gesellschaftlichen Verantwortung und zur eigenen sinnerfüllten Lebensgestaltung.
Bildung bleibt deshalb auch heute das Kernelement einer wohlverstandenen Bürgerlichkeit. Nur durch Bildung können wir Orientierung und so etwas wie Lebenssinn generieren. Nur durch Bildungsanstrengungen und Maßnahmen der Kulturförderung, auf allen sozialen Ebenen und in allen Altersstufen, kann der freiheitliche, säkularisierte Staat seine sittlichen Voraussetzungen pflegen und kräftigen. Der Staat der bürgerlichen Gesellschaft sollte darum stark bleiben, wenn es um den Schutz seiner geistigen Grundlagen, seiner Werte geht.
Jens Hacke, geboren 1973 in Bonn, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung.