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Zur Bedeutung des „C“ im Parteinamen von CDU und CSU

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In der Union wird im Zuge der Aufarbeitung des schlechten Bundestagswahlergebnisses eine Diskussion über die künftige Gestalt und Rolle der Partei geführt. Es geht um die Frage, wie sowohl wichtige Traditionen bewahrt als auch neue Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft gemeistert werden können. Welche Rolle spielt dabei das „C“? Ist es überlebt? Soll es nur einfach aus Gewohnheit beibehalten werden? Oder müsste es im Gegenteil aktuell neu in den Blick genommen, neu bedacht werden?

Die CDU/CSU war, als sie 1945 ins Leben trat, eine Nova am deutschen Parteienhimmel. Sie brachte – kühn genug – zwei neue Worte in ihrem Namen in Umlauf, die bis dahin im politischen Spektrum unseres Landes nahezu unbekannt waren: das Wort „christlich“ und das Wort „Union“.

Christlich: Das sollte daran erinnern, dass nach einer „Staatsund Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und Achtung vor der Würde des Menschen“ – so die Bayerische Verfassung von 1946 – nun eine andere, neue Zeit gekommen sei. Und Union: Das sollte nach dem Willen der Gründer und Namengeber daran erinnern, dass künftig Protestanten und Katholiken in einer gemeinsamen Partei zusammenarbeiten wollten – vereint und nicht mehr getrennt und gegeneinanderstehend wie vierhundert Jahre lang zum Unheil der deutschen politischen Kultur.

 

Was der Politik fehlen würde

 

Von den neun Bundeskanzlern der Bundesrepublik Deutschland waren fünf Unionspolitiker: Adenauer, Erhard, Kiesinger, Kohl, Merkel. Die Soziale Marktwirtschaft, der Lastenausgleich, die europäische Integration, die Hinwendung zum Westen, der postnationale Internationalismus, die Wiedervereinigung, die Hilfe für Flüchtlinge und Migranten – das alles darf sich die Union auf ihr Erfolgskonto schreiben. Der deutschen Politik fehlte, wenn es die Union in der überlieferten Form nicht mehr gäbe, eine starke, bewegliche und richtunggebende Kraft. Der Zerfall des Parteiensystems in kleinere Einheiten würde sich ohne eine starke Union fortsetzen. Bonn und Berlin würden sich am Ende Weimar nähern, entgegen dem lange Zeit gültigen und oft zitierten Spruch „Bonn ist nicht Weimar“. Regierungsbildungen könnten dann noch schwieriger, noch zeitraubender werden, als es die letzte und die vorletzte bereits waren. Der Wirtschaftsriese Deutschland würde politisch noch mehr ins Taumeln geraten als schon in der Gegenwart.

Es schwände auch ein Stück überlieferter Christlichkeit in unserem Land. Oft sind ja christliche Antriebe auch außerhalb der Kirchen wirksam. Woraus nähren sich die Hilfe für Schwache, die Sorge um die Menschenwürde, das Eintreten für die Verfolgten, wenn nicht aus den Antrieben der Zehn Gebote und der Botschaft Jesu? Wäre unser Sozialstaat ohne den Antrieb der Nächstenliebe entstanden? Ist unser Asylrecht historisch ohne Bezug zu dem Schutz, den Kirchen als Räume des Friedens seit jeher gewährten?

Nein, die christlichen Überlieferungen bleiben aktuell, mögen säkulare Gegenströmungen noch so mächtig sein. Auch die gewaltigen Anstrengungen, die zur Milderung der Klimakrise notwendig sind, werden, meine ich, ohne Antriebe aus der Mitte des Christentums nicht zum Erfolg führen.

 

Einwände gegen das „C“

 

Zwei Einwände werden im Augenblick gegen die Forderung nach Beibehaltung des „C“ erhoben. Sie besitzen Gewicht. Da ist einmal der gegenwärtige Zustand vor allem der katholischen Kirche, der Ansehensverlust infolge des Missbrauchsskandals, die wachsende Kritik auch an höchsten Amtsträgern. Und da ist die fortschreitende Säkularisierung, welche die Christen in Deutschland, Katholiken wie Protestanten, in zunehmendem Maße in eine Minderheitsposition versetzt. Bildeten die christlichen Kirchen vor Jahrzehnten noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit, so fielen sie im Jahr 2021, wohl endgültig, unter die Fünfzig-Prozent-Schwelle. Und neben den Christen stehen Angehörige anderer Religionen, an der Spitze die Muslime, inzwischen mehr als fünf Millionen in Deutschland.

 

Die Schwäche der Kirchen

 

Kein Zweifel, dass die Schwäche der Kirche – beider Kirchen – auch eine Partei schwächen muss, die das „C“ im Namen trägt. Dennoch muss man hier sorgfältig unterscheiden – zunächst, was das Verhältnis von Partei und Kirchen angeht.

Die Union, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Erfolgsgeschichte begann, lehnte sich keineswegs an die Kirchen an. Sie war nie eine konfessionelle Partei. Im katholischen Bereich spielte der „politische Prälat“ kaum mehr eine Rolle; mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil verschwand er gänzlich aus der Politik. Im protestantischen Spektrum der Union gibt es heute zwar noch einige kirchliche Amtsträger, aber sie haben keine Dominanz mehr. Den Weg des „Christlich-Sozialen Volksdienstes“ der Weimarer Zeit – einer in der Tat konfessionellen Parteigründung im Stil des Zentrums – ist man im Protestantismus nach 1945 nicht weitergegangen. Das „C“ im Parteinamen der Union bezog sich von Anfang an auf die christliche Tradition im Ganzen, nicht aber auf Kirchen und Konfessionen. Und als „Union“ war die CDU/CSU ihrem Programm und Namen nach von Anfang an überkonfessionell.

Bei aller Wichtigkeit von Kirchen und Konfessionen: Im politischen Raum werden christliche Antriebe in den tragenden Personen und Gruppen unmittelbar wirksam, sie bedürfen keiner kirchlichen Vermittlung mehr. Die Gültigkeit der Zehn Gebote, die Wirksamkeit der Botschaft Jesu, christliche Orientierungen und Verhaltensweisen – sie bleiben bestehen, auch in Zeiten kirchlicher Krisen und nachlassender Kirchenzugehörigkeiten.

 

Verschwinden der Religionen?

 

Und die fortschreitende Säkularisierung? Auch hier muss man sorgfältig unterscheiden, die Situation ist „divers“. Einmal verschwindet Religion in der gegenwärtigen Welt keineswegs; sie verdichtet sich vielmehr auf vielen Kontinenten in neuen Orthodoxien und Fundamentalismen. Europa tanzt hier zwar aus der Reihe, es weist einen „säkulareren“ Zuschnitt auf, obwohl es im Norden und Nordwesten, in Skandinavien und Großbritannien weiterhin – protestantische – Staatskirchen gibt (im katholischen Süden sind sie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil verschwunden). Doch der radikale Laizismus hat sich auch im heutigen Europa nicht durchgesetzt – selbst in seinem Mutterland Frankreich ist er unter dem Druck des Islam auf dem Rückzug. Immer stärker wird „Religionsneutralität“ in Europa in der Rechtstheorie und in Gerichtsentscheidungen in der Mitte zwischen Gottesglauben und Agnostizismus (Laizismus) angesiedelt, während man sie früher einfach mit der agnostischen Position gleichsetzte.

Auch die Religionssoziologie – in Europa lange Zeit fast ausgestorben – ist neu erstanden; und führende Säkularisierungstheoretiker (Charles Taylor, Jürgen Habermas) liefern in jüngsten Veröffentlichungen den Beweis, dass die säkulare Kultur die Religion nicht – wie man früher dachte – zum Verschwinden bringt. Neben den Nichtgläubigen existieren die Gläubigen weiter, manchmal in kleinerer Zahl, oftmals aber auch aktiver und engagierter – und neben der weltlichen ist heute längst eine christliche Säkularität im Entstehen.

Das alles zeigt, dass das Wort „christlich“ im Schild der CDU/CSU nicht für eine tote, sondern für eine höchst lebendige (wenn auch stets umkämpfte) Sache steht. Grund genug, das „C“ im Parteinamen zu bewahren, es neu zu bedenken – und es keineswegs opportunistisch in blindem Zugriff zu „entsorgen“.

Das „C“ überholt? Die Union – am Ende? Zum Glück ist es nicht soweit. Ein Innehalten und eine Besinnung tun not.

 

Hans Maier, geboren 1931 in Freiburg im Breisgau, Professor emeritus für Politische Wissenschaft an der Universität München, ehemaliger Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus sowie 1988 bis 1999 Inhaber des Münchener Guardini-Lehrstuhls.

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