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Versuch eines differenzierten Blicks

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Joachim Klose, geboren 1964 in Eberswalde, war Gründungsdirektor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, ist Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für den Freistaat Sachsen, Leiter des Politischen Bildungsforums Sachsens und Moderator der AG „13. Februar der Stadt Dresden“.

 

 

In der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit scheint Pegida ein lokales Dresdner Phänomen zu sein. Für internationale Medien[1] handelt es sich dagegen um eine Gruppe, „die die Uhren im modernen Deutschland stoppen will“. Man höre „Parolen, die an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte erinnern“, weil „der Wutbürger fürchtet, sein Land zu verlieren“. Wissenschaftliche Institute und Kultureinrichtungen in Dresden fürchten um den Ruf ihrer Stadt. Ganz Deutschland steht vor der Frage, wie es zu verstehen ist, dass bis zu 25.000 Menschen auf die Straße gegangen sind und dabei auch rechten „Rattenfängern“ folgten. Was wird hinter den vielen Sprechblasen und Stereotypen eigentlich zum Ausdruck gebracht?

Die „Patriotische(n) Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ wurden nicht aufgrund der Asyldebatte gegründet. Stein des Anstoßes waren Solidaritätskundgebungen für die in Deutschland verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und deren bewaffneter Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Lutz Bachmann, mehrfach mit dem Strafrecht in Konflikt geratener Erfinder von Pegida, beschrieb es so: „Nach einer Aktion von PKK-Anhängern auf der Prager Straße wollten wir etwas tun. Dort wurden Waffen für die verfassungsfeindliche und verbotene PKK gefordert – da bin ich dagegen. Also gründeten wir eine Facebook-Gruppe.“ [2] Der Begriff der „Islamisierung“ richtet sich nach Darstellung der Namensgeber nicht gegen den Islam, sondern gegen den islamistischen Terror, von dem man befürchtete, dass er nach Deutschland hineingetragen würde.

Die stark in Gang gekommene Asyl- und Flüchtlingsdebatte in Deutschland führte dazu, dass die seit Mitte Oktober organisierten montäglichen „Spaziergänge“ wachsende Resonanz fanden und medial wahrgenommen wurden. So stieg die Teilnehmerzahl nach Polizeiangaben von etwa 350 am 20. Oktober 2014 auf mehr als 25.000 am 12. Januar 2015 an, was die Höchstzahl markierte. Am 17. März 2015 sind es nach Polizeiangaben wiederum 7.700 Demonstranten gewesen.

 

Wer demonstrierte mit Pegida?

Drei Studien über die Demonstrationsteilnehmer liegen vor. [3] Obwohl ihre Aussagekraft zu Recht infrage gestellt wurde, da die Ergebnisse aufgrund der geringen Auskunftsbereitschaft der Demonstranten nicht als repräsentativ gelten können, [4] stimmen die Studien in bemerkenswerter Weise miteinander überein. So ergibt sich am Ende ein zumindest charakteristisches Profil der Pegida-Demonstranten. Demnach beträgt das Durchschnittsalter 46 bis 48 Jahre. Circa achtzig Prozent der Demonstranten sind männlich, höher qualifiziert und finanziell besser situiert als der sächsische Durchschnitt. Auch sind sie durchschnittlich stärker politisch engagiert – immerhin 82 Prozent gehen zur Wahl (die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl im September 2014 lag bei 49 Prozent). Religionssoziologisch bilden sie exakt die Verhältnisse im Freistaat Sachsen ab: eine klare Mehrheit besitzt keine Religionszugehörigkeit, 25 Prozent bekennen sich als Christen. Erstaunliche 77 Prozent der Befragten geben nicht den Islam als Grund ihres Engagements an. Der Autor einer der Studien, Werner Patzelt, geht davon aus, dass ein Drittel der Teilnehmer rechtsnational-xenophob eingestellt ist, aber zwei Drittel durchaus die Mitte der Gesellschaft repräsentieren. Die teilnehmenden Hooligans, zu der die Mehrzahl der Demonstranten zunehmend auf Distanz geht,[5] werden auf 500 bis 800 Personen geschätzt.[6]

Folgendes lässt sich nach meiner Einschätzung sagen: Die Asyldebatte ist eher eine Art Katalysator für eine bisher übersehene, tief empfundene Krisenstimmung. Was Pegida nun deutlich werden lässt, ist eine Verunsicherung, die man vor allem als Heimatverlust beschreiben kann. Sie wurde verursacht durch die demografische Schrumpfung, durch gänzlich veränderte Sehgewohnheiten aufgrund baulich-struktureller Veränderung und den Verlust sinnstiftender Bilder. Hinzu kam ein Gefühl der Ungerechtigkeit: So wird es auch 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution als ungerecht empfunden, dass sich aus der ehedem egalitären Gesellschaft Gewinner und Verlierer herauskristallisiert haben und der Abstand zu den Gewinnern trotz individueller Anstrengungen nicht kleiner, sondern größer wird.

 

Motive: Neid und Angst

Zwei Begriffe sind prägend für das Klima im Umfeld von Pegida: Neid und Angst – Neid gegenüber diesen asymmetrischen Entwicklungen sowie Angst, zu den Verlierern zu gehören und den mühsam erarbeiteten Lebensstandard nicht halten zu können. Hinzu kommen Krisen, die die individuelle Wahrnehmung verändern – wie die Finanzkrise und die internationalen Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten sowie die Zunahme der Kriminalität im grenznahen Raum in Sachsen.

Dresden ist prädestiniert, um dieser Krisenstimmung Anknüpfungspunkte zu bieten: Zwar floss seit 1990 viel öffentliches und privates Geld nach Dresden. Das hat die Schönheit der Stadt wieder zum Tragen gebracht. Allerdings profitieren nicht alle davon: Siebzehn Prozent der Haushalte in den Plattenbauvierteln sind inzwischen aufgrund von Konsumkrediten überschuldet. Die Menschen dort können mit der gesellschaftlichen Entwicklung oft nicht mehr mithalten. Am sächsischen Dialekt wird deutlich, wer heimisch und wer hinzugezogen ist. So wird täglich offenbar, dass die Personen auf der oberen gesellschaftlichen Ebene meist aus den alten Bundesländern stammen. Arme „Wessis“ kommen aber fast gar nicht vor. Dass sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit den Migranten zuwendet, nicht aber den Benachteiligten im Osten Deutschlands, wird als erneute Zurücksetzung empfunden. Dabei erzeugt die Zuwanderung, selbst wenn sie vergleichsweise gering ist, neue Verunsicherung, neuen Neid und neue Ängste. Das geschieht unabhängig davon, ob diese Wahrnehmungen den objektiven Tatsachen entsprechen. Das Gegenteil ist richtig: Gefühlte Bedrohungen erscheinen größer als reale.

Im Grunde ist Pegida kein wirklich politischer Protest, da ein Diskurs verweigert wird.[7] So wirken Pegida-Demos eher wie kultische Handlungen, bei denen Unzufriedenheit pauschal, aber gemeinschaftlich zum Ausdruck gebracht wird. Da man sich tabuisiert und in ungerechtfertigter Weise in die nationalsozialistische Ecke gestellt fühlt, entladen sich die Emotionen bei den Demonstrationen umso heftiger.

Durch die seit Jahren immer am 13. Februar, dem Datum der Zerstörung der Stadt 1945, stattfindenden Auseinandersetzungen hat sich die Öffentlichkeit stärker polarisiert als anderenorts. Gewaltbereite Hooligans und Rechtsextreme treffen auf eine vor Gewalt nicht zurückschreckende linke Szene. Im vergangenen Jahr ist es erstmalig gelungen, die Rechtsextremen am 13. Februar aus dem Stadtbild zu verdrängen. Die „AG 13. Februar“, ein runder Tisch in der Stadt Dresden, an dem Vertreter der Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und der jüdischen Gemeinde, Vereine und Verbände teilnehmen, organisierte eine Menschenkette, die den Stadtkern umschloss und zum Ausdruck brachte, dass der Missbrauch dieses Datums durch „Rechte“ nicht hingenommen wird. Der linksextreme Flügel aber, der sich nicht auf Gewaltfreiheit und Rechtsstaatlichkeit einigen kann und sich im Aktionsbündnis „Dresden nazifrei“ sammelt, wirft diesem bürgerschaftlichen Engagement vor, untätig und vor allem unwirksam zu sein. Dieses Aktionsbündnis sieht sich selbst als Retter der Stadt.

Als die Pegida-Demonstrationen im Oktober 2014 starteten, fanden sie zunächst relativ unbeobachtet von Medien und Öffentlichkeit statt. Einzig die linke Szene organisierte Gegendemonstrationen mit Plakatparolen wie „Gegen Rassismus“, „Gegen Fremdenfeindlichkeit“ und „Gegen Heimat“. Eine erste Zuspitzung erfolgte am 15. November 2014, als die „Besorgten Eltern“, eine Initiative gegen die Lehrplanänderungen beim Sexualkundeunterricht in Baden-Württemberg,[8] eine Veranstaltung auf dem Theaterplatz anmeldeten und den Rechtspopulisten Jürgen Elsässer auftreten ließen, der sogleich die Brücke zu den Montagsdemonstrationen von Pegida schlug.[9] Oberbürgermeisterin Helma Orosz bat im Vorfeld dieser Veranstaltung darum, dass sich die „AG 13. Februar“ des Themas Zuwanderung und Migration annehme, auf rechte Provokationen reagiere und Pegida im Blick behalte. So unterstützte die AG den Aufruf zur Gegendemonstration, informierte die Presse über Pegida und half, den Sternmarsch am 9. Dezember 2014 zu organisieren. Dieser war das erste sichtbare Zeichen, das von einer breiten Bürgerschaft getragen wurde und für einen bürgerschaftlichen Konsens gegen Pegida steht. An diesem Tag sahen sich 9.000 Bürger 10.000 Pegida-Demonstranten gegenüber.[10] Als aber auf der Seite der Pegida-Gegner ein Vertreter von „Dresden nazifrei“ zuerst das Wort ergriff und den Anspruch erhob, dass dieses Bündnis die Gegenveranstaltung organisiert habe, war es mit dem Konsens wieder vorbei. Von den folgenden Montagsdemonstrationen hat sich die Bürgergesellschaft wieder zurückgezogen und den Extremen die Straße überlassen. Das Aktionsbündnis „Dresden für alle“, welches sich im Anschluss formierte, blieb ein Deckmantel für linke Aktivitäten, die die Mitte der Gesellschaft nicht erreichen und nicht integrativ wirken.

 

Stigmatisierung von Gesprächsangeboten

So kritisiert das Bündnis Initiativen, die einen Dialog mit Pegida-Demonstranten versuchen wollen. Ein montäglicher Kehraus, bei welchem mit Besen und Warnweste der „Pegida-Dreck“ symbolisch weggekehrt wird, markiert das Gegenteil von Dialogbereitschaft. [11] Alle vorsichtigen Gesprächsversuche mit Pegida-Befürwortern, wie sie etwa vom Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung angestrengt werden, oder analytische Ansätze, die das Phänomen zu verstehen versuchen, wie sie der Politikwissenschaftler Werner Patzelt vornimmt, werden beispielsweise mit anonymen Flugblättern[12] diskreditiert.

Dialog in einem solchen gesellschaftlichen Kontext ist schwierig. Nachdem die Pegida-Demonstrationen nach Weihnachten wieder eingesetzt hatten und der Konflikt um den 70. Jahrestag der Zerstörung der Stadt drohte, organisierte die Konrad-Adenauer-Stiftung zwei Veranstaltungsreihen: „Pegida ausbuchstabieren“ [13] und „Pegida hinterfragen“[14]. Zu den Abenden der ersten Sequenz kamen jeweils mehr als 500 Personen, um miteinander in offener und fairer Weise zu diskutieren.[15] Es zeigte sich, dass die Mitte der Gesellschaft anwesend war und durchaus dialogfähig ist: Die Hälfte des Publikums entsprach dem gewohnten Bild einer abendlichen Bildungsveranstaltung, ein Drittel waren bekennende Pegida-Demonstranten und etwa ein Sechstel konnte dem linken Spektrum zugeordnet werden.

Das Ergebnis ist: Die Teilnehmer der Pegida-Demonstrationen fühlen sich mehrheitlich dem bürgerlichen Lager zugehörig, aber nicht mehr von der Politik repräsentiert. Das hat die CDU in Sachsen erkannt und bietet Dialogforen an, um neue Brücken zu diesen Bürgern zu bauen.[16] Dass dieser Dialog und die intensive sowie kritische Auseinandersetzung mit Pegida hilfreich sind, zeigt die Entwicklung: Pegida teilte sich in einen radikalen und einen politikinteressierten Flügel.[17] Das wird zur Folge haben, dass die Bewegung entweder zerläuft oder sich radikalisiert. Sollte der radikale Flügel die Oberhand gewinnen, muss er mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. Die Teilnehmer aus der bürgerlichen Mitte werden sich dann schämen, einst unter dem Label „Pegida“ mit auf die Straße gegangen zu sein. Sie sollten vor allem darin bestärkt werden, weiterhin der von rechts und links propagierten Logik von Gewalt und Gegengewalt zu entrinnen. Dieser Logik müssen starke Bilder entgegengestellt werden. Die Menschenkette am

13. Februar ist ein geeignetes Mittel dazu. Positiv ist jedoch, dass nun in allen gesellschaftlichen Bereichen wieder über Politik geredet wird. Aufgabe ist es nun, dieses Interesse für die politische Gestaltung zu nutzen.

Während die Fragen der Asylproblematik durch Transparenz der Zuwanderungsregeln, integrative Ansätze und klare Positionierung politisch zu lösen wären, sind die Themen des Verlustes von Sicherheit und Geborgenheit innerhalb der Bevölkerung langfristige Aufgaben. Sie sind eine Herausforderung für alle gesellschaftlichen Träger und haben zu tun mit Annahme, Beheimatung und Zukunftsfreude.

 

 

[1] Sächsische Zeitung, 7. Januar 2015, S. 4: Wie die Welt Pegida sieht. Ausländische Medien berichten über die Demokratie in Dresden – nicht nur besorgt und kritisch.
[2] www.bild.de/regional/dresden/demonstrationen/pegida-erfinder-im-interview-38780422.bild.html.
[3] http://tu-dresden.de/aktuelles/newsarchiv/2015/1/pegida_pk, http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/philosophische_fakultaet/ifpw/polsys/for/pegida, www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/Aktuelles/Pegida/Pegida-Report_Berlin_2015.pdf [nicht mehr verfügbar, Stand Oktober 2024].
[4] www.mdr.de/fakt/fakt_pegida_studie_kritik100.html, www.dnn-online.de/dresden/web/dresden-nachrichten/detail/-/specific/Harte-Kritik-an-Pegida-Studie-der-TU-Dresden-3529812757 [nicht mehr verfügbar, Stand Oktober 2024].
[5] FAZ, 30. Januar 2015, Stefan Locke: „Nichts mehr mit Gida – Die Dresdner Bewegung bricht im Streit auseinander“.
[6] www.spiegel.de/sport/fussball/pegida-indresden-fussball-hooligans-sind-bei-demos-dabei-a-1012700.html.
[7] Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18. Januar 2014, Byung-Chul Han: „Zuhören! Pegida ist kein politischer Protest, sondern ein Angstsymptom“.
[8] www.youtube.com/watch?v=0jRiz3WKT64 [nicht mehr verfügbar, Stand Oktober 2024].
[9] www.youtube.com/watch?v=Gnt3dHm59ss.
[10] www.dw.de/dresden-pro-und-contra-pegida/av-18117757 [nicht mehr verfügbar, Stand Oktober 2024].
[11] www.deutschlandradiokultur.de/kuenstlerprotest-in-dresden-mit-besen-und-weste-gegen-pegida.1008.de.html?dram:article_id=307819.
[12] www.addn.me/uploads/2015/01/Kritik-an-Patzelts-Pegida-Analyse.pdf.
[13] www.kas.de/wf/doc/kas_14829-1442-1-30.pdf?150108152531.
[14] www.kas.de/wf/doc/kas_14925-1442-1-30.pdf?150123122322.
[15] www.kas.de/sachsen/de/publications/40118, www.kas.de/sachsen/de/publications/40125, www.kas.de/sachsen/de/publications/40136/.
[16] www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/pegida-forum-diskussion-landesregierung.
[17] www.deutschlandfunk.de/nach-pegidaspaltung-wir-sind-uns-viel-zu-sicher.858.de.html?dram:article_id=310300 [nicht mehr verfügbar, Stand Oktober 2024].

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