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"Das Schöne der uns fremden Religion"

Plädoyer für den interreligiösen Dialog

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Heinrich Mussinghoff: Gott ist der Gott und Vater aller Menschen. Zur interkulturellen Begegnung mit Muslimen, einhard verlag, Aachen  2019, 111 Seiten, 14,80 Euro.

 

Es gibt gute Bücher, und es gibt schöne Bücher. Die guten beeindrucken durch die Relevanz des Themas, den außergewöhnlichen Stoff, den überragenden Sachverstand oder den brillanten Stil des Autors; die schönen durch die Aufmachung, die aufwendige Verarbeitung, die Opulenz der Farben und der Bilder. Für Heinrich Mussinghoffs Gott ist der Gott und Vater aller Menschen gilt beides: Es ist gut und schön. Gut, weil ein relevantes Thema kompetent und verständlich behandelt wird und zugleich auf eine ebenso dezente wie nachdrückliche Weise illustriert ist, die zweifellos schön und ganz gewiss mehr als dekorativ ist.

Heinrich Mussinghoff, zwanzig Jahre lang Bischof von Aachen, will mit dieser Publikation nach dem Ausscheiden aus dem hohen kirchlichen Amt einen sehr persönlichen Beitrag zum notwendigen Dialog zwischen Christen und Muslimen leisten: „Mit dieser kleinen Schrift möchte ich Augen und Ohren öffnen, um das Gute und Schöne der uns fremden Religion und Kultur zu erfahren und ein besseres Zusammenleben zu fördern.“ Das gelingt ihm auf eindrucksvolle Weise unter Verwendung von Predigten, Meditationen, Vorträgen und Texten aus seiner langjährigen Amtszeit sowie zwei Reden von Papst Johannes Paul II.

 

In kritischer Sympathie

 

Passenderweise beginnt Mussinghoff sein Werk mit einer Meditation über die erste Sure des Koran – Al-Fātiha, arabisch für „die Eröffnende“. Es handelt sich dabei um Mussinghoffs Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Gottespoesie“ in St. Peter zu Aachen in 2007; eine bemerkenswerte Ausstellung – schon allein unter dem Gesichtspunkt, dass in einer katholischen Kirche islamische Kunst zu besichtigen war. Gezeigt wurden Kalligraphien des Künstlers Shahid Alam, der im pakistanischen Lahore geboren ist, aber seit fast fünfzig Jahren in Deutschland lebt. „Kalligraphie ist die Schönschrift Gottes, die an uns gelangt ist“, schreibt Mussinghoff. Zum Beleg ist sein Buch durchzogen von zehn ganzseitigen Kalligraphien einschließlich eines Triptychons über Grundtexte der drei monotheistischen Religionen.

Mussinghoff setzt sich mit den Gemeinsamkeiten und Parallelen von Islam und Christentum auseinander: dem Ruf des Muezzin und den Glocken der Kirche, die beide zum Gebet rufen; Waschung, Gebetsteppich, Gebärden und Kreuzzeichen mit geweihtem Wasser – Christen und Muslime haben vergleichbare „Glaubenszeichen“. Dabei ist in seinen Texten förmlich spürbar, wie sehr Mussinghoff die „geistliche Kraft und Schönheit“ des Korans schätzt, wie sehr er dem Leser zu vermitteln sucht, was ihn am Islam fasziniert. Ebenso deutlich benennt er wichtige Unterschiede; er betont, dass gerade die Rolle von Jesus als Sohn Gottes (Christologie) und die Dreifaltigkeit (Trinität) besondere Merkmale des christlichen Glaubens sind, obschon es für „Juden und Muslime gleichermaßen unverständlich ist und vielleicht gotteslästerlich scheint“. Diese Unterschiede ließen sich nicht auflösen, sondern müssten vielmehr „in einer kritischen Sympathie“ getragen von Respekt und Achtung ausgehalten werden.

Unter Verweis auf das Zweite Vatikanische Konzil sowie auf Äußerungen von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. lässt Mussinghoff die Entwicklung des interreligiösen Dialogs aus katholischer Sicht Revue passieren. Darauf aufbauend legt er die Erwartungen eines christlich-muslimischen Dialogs aus der Perspektive der katholischen Kirche dar: „Dialog entsteht nur dann, wenn ein aufrichtiges wechselseitiges Interesse besteht und die Freiheit und Würde des Gesprächspartners geachtet werden. Ein wirklicher Dialog setzt Offenheit voraus.“ Damit bringt Mussinghoff die Grundlagen eines jeden produktiven Dialogs auf den Punkt: Das Ziel besteht nicht darin, Unterschiede zu verringern, sondern das gegenseitige Verständnis zu vergrößern; gegenseitiger Respekt und Toleranz sind dafür die Grundvoraussetzungen.

 

Universelle Lehren

 

Das trifft sicherlich auf den interreligiösen Dialog zu, der aus verschiedenen Gründen wohl zu den sensibelsten Formen der Auseinandersetzung gehört; es lässt sich aber genauso auf den gesellschaftlichen Dialog im Ganzen übertragen. Die von Mussinghoff eingeforderte aktive Toleranz, die eben nicht nur die schlichte Kenntnisnahme oder Duldung des Anderen meint, sondern vielmehr die Akzeptanz des Mitmenschen mit seinen Interessen, Meinungen und Bedürfnissen, ist anstrengend; sie fordert uns, und gelegentlich schmerzt sie uns sogar. Insofern leistet Mussinghoffs Buch nicht nur wichtige Impulse für den interreligiösen und interkulturellen Dialog.

Dennoch gibt es einen Wermutstropfen: Denn bei dem Band handelt es sich um eine Zusammenstellung verschiedener Texte; daher ist es kein Werk aus einem Guss. Zentrale Gedanken des Autors werden mehrfach aufgegriffen, weshalb es zu bedauerlichen Überschneidungen und Wiederholungen kommt. Sicherlich hätte es dem Werk und den belangvollen Gedanken Mussinghoffs gutgetan, die verschiedenen Texte zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verschmelzen.

Trotz mancher unnötiger Überschneidungen und Wiederholungen, die ein sorgfältiger Lektor bei der Zusammenstellung verschiedener Texte aus jeweils konkreten Anlässen gewiss hätte vermeiden können, sei das Buch bedenkenlos allen anempfohlen, die der interreligiöse Dialog zwischen Christentum und Islam umtreibt. Der Leser gewinnt durch Heinrich Mussinghoffs Band einen Eindruck vom Stand des theologischen Dialogs auf Basis der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie wichtiger Äußerungen von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Das Buch besteht aus gelehrten Texten mit hohem intellektuellem Anspruch zum Selbstverständnis der christlichen und der islamischen Religion. Mussinghoff zeichnet sich dabei durch tiefgehende Kenntnisse und demonstrativen Respekt aus – auch und gerade vor den Unterschieden von Islam und Christentum. Gleichzeitig ist ihm eine beinahe ansteckende Empathie eigen, die leider weder für die katholische Amtskirche noch für die Mehrheit der Gläubigen repräsentativ ist – aber schön ist es, und gut tut es auch.

 

Nobert Lammert, geboren 1948 in Bochum, Sozialwissenschaftler, 1998 bis 2002 kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 2005 bis 2017 Präsident des Deutschen Bundestages, seit 2018 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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