„Leistung muss sich lohnen!“ – dieser Satz, der eine zentrale Rolle im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der CDU („In Freiheit leben“) spielt, umschreibt eine zentrale Forderung der Union, insbesondere ihres ordnungspolitisch ausgerichteten Flügels. Der Gedanke, dass individuelle Verantwortlichkeit und Leistungsbereitschaft von Staat und Gesellschaft honoriert werden sollen, gehört zum Kernbestand christlich-demokratischer Identität und ist seit der Gründung in Programmatik und Wahlkämpfen der Unionsparteien nachweisbar. Gleichzeitig steht diese Forderung auch immer in einem Spannungsverhältnis zu einem weiteren, nicht weniger zentralen Grundgedanken christlich motivierter Politik: der Forderung nach innergesellschaftlicher Solidarität.
Die Unionsparteien stehen in weltanschaulicher Hinsicht in einer Traditionslinie zur katholischen Zentrumspartei des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Das Christentum setzt mit seiner Betonung der persönlichen Verantwortlichkeit, die sich aus der Fähigkeit des Menschen ergibt, Gut und Böse unterscheiden und somit auch Schuld auf sich laden zu können, sowie aus dem Verlangen nach Gerechtigkeit klare Vorgaben, die eine Berücksichtigung individueller Leistung verlangen. Die den politischen Vorstellungen des Zentrums zugrunde liegende Katholische Soziallehre wird dem gerecht: Die päpstlichen Sozialenzykliken wie beispielsweise Rerum Novarum (1891), betonen die Sozialbindung des Eigentums, verweisen aber auch auf die Eigenverantwortung des Einzelnen. Besonders die Leistung des Arbeiters muss demgemäß durch einen gerechten Lohn honoriert werden.
Diese offene Haltung, die sowohl sozialdemokratischen als auch liberalen Positionen gegenüber anschlussfähig ist, hat die Wirtschafts- und Sozialpolitik christlich orientierter Parteien seitdem bestimmt. Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik hat zwar der Solidaritätsgedanke, innerparteilich verkörpert durch die christliche Gewerkschaftsbewegung, die tagespolitischen Forderungen des Zentrums stärker geprägt. Die Honorierung individueller Leistung gehörte ebenfalls zu den Grundüberzeugungen, war jedoch weniger präsent. Der Entwurf für ein Sozialpolitisches Programm des Zentrums von 1894 sah etwa die Forderung nach gerechter Entlohnung und angemessener Besteuerung vor, hatte allerdings stärker den Ausbau der sozialen Sicherungssysteme, also den Solidargedanken, zum Schwerpunkt. Dies setzte sich in der Weimarer Republik fort, als die Folgelasten des Ersten Weltkriegs und die Hyperinflation 1923 Millionen Deutsche in Armut stürzten.
KAS / ACDP, 10-007-10 CC-BY-SA 3.0 DE.
Plakat zur Landtagswahl am 1. Dezember 1946 und zugleich Abstimmung über die Hessische Landesverfassung.
„Ahlener Programm“ und „Düsseldorfer Leitsätze“
Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die programmatische Schwerpunktsetzung für die neu gegründeten Unionsparteien. Zuerst dominierten in der CDU planwirtschaftliche Vorstellungen des gewerkschaftsnahen Parteiflügels, die 1947 ihren Ausdruck im „Ahlener Programm“ fanden. Allerdings wandelte sich dies in den folgenden Monaten. Obwohl personell anfangs weitgehend in der Kontinuität zur Zentrumspartei stehend, gab es nun auch eine zahlenmäßig geringe, aber programmatisch wichtige Gruppe evangelischer Wirtschaftswissenschaftler in der Union. Ihnen war gemeinsam, dass sie die Zwangswirtschaft des Nationalsozialismus ebenso wie die sowjetische Planwirtschaft ablehnten und ein marktwirtschaftlich orientiertes Wirtschaftssystem anstrebten. In diesem sollte der Staat lediglich eine Schiedsrichterrolle wahrnehmen, um einen Leistungswettbewerb zu sichern, sich darüber hinaus aber aus dem Wirtschaftsleben heraushalten. Diese später „ordnungsliberal“ genannten Vorstellungen wurden innerhalb der Union von Persönlichkeiten wie dem damaligen Leiter der bizonalen Wirtschaftsverwaltung Ludwig Erhard und dem späteren Bundesfinanzminister Franz Etzel vertreten.
KAS / ACDP, 10-031-724.
Wahlplakat (undatiert).
Spätestens mit der erfolgreichen, von Ludwig Erhard durchgesetzten Freigabe der meisten Verbraucherpreise nach der Währungsreform 1948 war innerhalb der Union die Frage der Wirtschaftsordnung zugunsten der Ordoliberalen entschieden. Unter maßgeblicher Einflussnahme von Franz Etzel entstanden als wirtschaftspolitisches Programm für die ersten Bundestagswahlen 1949 die „Düsseldorfer Leitsätze“, die die Union – und in der Folge die Bundesrepublik – auf die erstmals hier so benannte „Soziale Marktwirtschaft“ festlegten. Der entscheidende Begriff war dabei „Leistungswettbewerb“, der mehrfach in den Leitsätzen auftaucht: Wirtschaftlicher Erfolg soll durch Leistung und nicht durch staatliche Bevorzugung entstehen. Dieser Gedanke gilt auch für den Einzelnen, der verantwortlich für seine Arbeitsleistung ist, die angemessen honoriert werden soll.
In der Ära Adenauer mit Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der als Galionsfigur für die leistungsorientierte Ordnungspolitik stand, war der Leistungsbegriff implizit ein Fundament der CDU-Programmatik. Die Erfolge des „Wirtschaftswunders“, die ein Wachstum von bis zu zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts und ständig steigende Staatseinnahmen bedeuteten, stellten einen zunehmenden Verteilungsspielraum sicher. Erfolgreich konzentrierten sich die Strategen der Unionswahlkämpfe darauf, die positive Wirtschaftsentwicklung mit konkreten Personen zu verbinden. Während Konrad Adenauer als Garant für Sicherheit, Stabilität und die Westbindung präsentiert wurde („Keine Experimente!“ titelte das zentrale Plakat zum Bundestagswahlkampf 1957), wurde der wirtschaftliche Erfolg mit Ludwig Erhard verknüpft. Diese Verbindung von erfolgreicher Wirtschaftspolitik und Amtsbonus erwies sich als unschlagbar.
Der Wissenschaftler Erhard, der vor 1945 mit Politik nichts im Sinn gehabt hatte, zeigte sich überraschenderweise als begnadeter Wahlkämpfer und war für die meisten Deutschen schlechthin die Verkörperung des Erfolgs der Sozialen Marktwirtschaft. Wohlstand für Alle, so der Titel seines Bestsellers, wurde zum Wahlkampfschlager der Union. Der Ausbau der sozialen Sicherung sowie die Einführung der dynamischen Rente 1957 wurden ebenfalls der CDU/CSU gutgeschrieben. Gleichzeitig entschärfte das rasante Wirtschaftswachstum Verteilungskämpfe: Trotz einer prozentual steigenden Belastung durch Steuern und Sozialbeiträge war der Kaufkraftgewinn quer durch alle Einkommensschichten in den ersten zwanzig Jahren der Bundesrepublik so immens, dass sich die Union in Wahlkämpfen darauf konzentrieren konnte, dies als Erfolg der eigenen Wirtschaftspolitik herauszustreichen.
Verteilungsexzesse der sozialliberalen Regierung
Ende der 1960er-Jahre änderte sich das politische und wirtschaftliche Umfeld grundlegend. Zum einen verlor die CDU mit dem Ausscheiden Adenauers und Erhards aus der Politik die Möglichkeit, einen personenzentrierten Wahlkampf zu führen. Ihre Nachfolger an der Parteispitze, Kurt Georg Kiesinger und Rainer Barzel, waren kompetente Politiker, genossen allerdings bei Weitem nicht die Popularität wie der erste Bundeskanzler und sein Wirtschaftsminister. Zum anderen verließ die Wirtschaft der Bundesrepublik in der Mitte der 1960er-Jahre erstmals den Wachstumspfad, an den sich Bevölkerung und Politik seit der Währungsreform 1948 gewöhnt hatten. Schlagartig gerieten Verteilungskämpfe, die zuvor längst nicht in dem Maße die politische Agenda bestimmt hatten, in den Vordergrund. Die SPD genoss mit ihrer Ausrichtung auf soziale Gerechtigkeit in den Augen der Wähler zunächst einen Kompetenzvorsprung, worin einer der Gründe für den Machtwechsel hin zu einer sozialliberalen Koalition 1969 lag. Durch den erstmaligen Wechsel in die Opposition musste sich die Union nach zwanzig Jahren als Regierungspartei inhaltlich und personell neu aufstellen.
Nachdem sich Helmut Kohl 1973 endgültig als neuer CDU-Vorsitzender und 1976 auch als Oppositionsführer etabliert hatte, konnte er die inzwischen sichtbaren Verteilungsexzesse der sozialliberalen Regierung nutzen, um sich mit einem marktwirtschaftlichen, leistungsorientierten Kurs zu profilieren. In den Wahlkämpfen gegen die populären Amtsinhaber Willy Brandt und später Helmut Schmidt musste die Programmatik unter anderem mit einem stärkeren Leistungsgedanken in den Vordergrund treten. Das Berliner Programm greift in seiner zweiten Fassung (1973) an zentraler Stelle die Begriffe „Leistung“, „Wettbewerb“ und „Eigenverantwortung“ auf. Es zeigte sich, dass ein Satz wie „Leistung muss sich wieder lohnen!“ besonders aus der Opposition heraus zugkräftig in den Wahlkämpfen wirkte.
KAS / ACDP, 10-024-5156 CC-BY-SA 3.0 DE.
Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990, Allianz für Deutschland (DA, DSU, CDU), Demokratischer Aufbruch (DA).
Steigende Steuer- und Sozialabgaben und eine überbordende Staatsverschuldung ermöglichten eine Wahlkampfstrategie, die zu aus heutiger Sicht hervorragenden Wahlergebnissen und 1983 zur Bestätigung der Regierung Kohl in einer christlich-liberalen Koalition führte. Kohls Regierung setzte in den ersten Jahren so erfolgreich wirtschaftspolitische Reformen um, dass die "Allianz für Deutschland" damit bei den ersten freien Wahlen zur Volkskammer 1990 Werbung machen konnte. Allerdings verschoben sich nach 1990 die innenpolitischen Prioritäten hin zu einer Bewältigung der Folgen der deutschen Einheit.
Programmatischer Neuanfang
Infolge der Bundestagswahlen 1998 wurde die christlich-liberale Koalition abgelöst, und die CDU stürzte ein Jahr darauf aufgrund der Parteispendenaffäre in eine schwere Krise. Nachdem sich die aus der ostdeutschen Bürgerbewegung stammende Generalsekretärin Angela Merkel im Jahre 2000 als neue Parteichefin durchgesetzt hatte, stellte sich die Frage nach der wirtschaftspolitischen Neuausrichtung der Partei. Die neue rot-grüne Regierung, anfangs noch mit einem ideologisch sehr weit links stehenden Finanzminister Oskar Lafontaine, machte der CDU den programmatischen Neuanfang in der Wirtschaftspolitik einfach. Neue Steuern sowie Konflikte zwischen SPD und Grünen – beides vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Stagnation der Bundesrepublik – boten der Union und der FDP reichlich Angriffsflächen.
KAS / ACDP, 10-001-29.
Plakat zur 11. Bundestagswahl am 25. Januar 1987.
Die Vorstellung, dass der Staat die Leistungsbereitschaft seiner Bürger honorieren müsse, ließ sich im Wahlkampf gegen rot-grüne Phantasien gesellschaftlicher Transformation einsetzen. Angela Merkel war dafür anfangs offen und steuerte die CDU in Richtung eines wirtschaftsliberalen Kurses, der in den Beschlüssen des Leipziger Parteitages 2003 seinen Höhepunkt fand. Allerdings gab es innerhalb der Partei Widerstand durch den Arbeitnehmerflügel, und aus der eher linksliberalen Presse kam heftiger Gegenwind. Als der Heidelberger Ordinarius Paul Kirchhof ein durchdachtes Konzept der Steuervereinfachung vorstellte, kam es zu höhnischer Kritik von Journalisten. Gleichzeitig war der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder trotz aller linken Rhetorik durchaus wirtschaftsfreundlich; ein Kurs, den er nach dem Abgang seines innerparteilichen Rivalen Lafontaine mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen innerhalb der SPD durchsetzen konnte. Auch deshalb zahlte sich die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Union bei den Bundestagswahlen 2002 nicht aus.
Als die Union 2005 wieder an der Regierung war, kam es in wirtschaftspolitischer Hinsicht zu erstaunlich wenig Veränderungen gegenüber der Vorgängerregierung. Zum einen war Angela Merkel davon überzeugt, dass den Wählern nicht mehr Markt zuzumuten sei als unter Schröder schon geschehen, zum anderen war in drei Großen Koalitionen mit der SPD (2005 bis 2009, 2013 bis 2021) mehr Marktwirtschaft vermutlich nicht durchsetzbar. Die Union konzentrierte sich darauf, die Hartz-Reformen beizubehalten, während es gleichzeitig durch etliche andere Politikbereiche, vor allem die Umwelt- und Energiepolitik, zu einer nicht intendierten, aber deutlichen Zurückdrängung des Leistungswettbewerbs in diesen Sektoren kam. Ein besonderer Einschnitt war die Einführung des Mindestlohns 2014, der zwar in der Bevölkerung populär war, aber dem Leistungsgedanken widersprach und für den Niedriglohnbereich die Tarifautonomie aushebelte. Dass dagegen nur wenig Widerstand in der CDU laut wurde, zeigt, dass die Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft in der Partei längst nicht mehr so präsent wie früher waren.
Als die CDU am Ende der Ära Merkel 2021 als Regierungspartei abgewählt wurde, stand sie wiederum vor dem Problem einer personellen und inhaltlichen Neuaufstellung. Nachdem sich im Januar 2022 unter den Kandidaten mit Friedrich Merz der Vertreter eines ordnungspolitischen Kurses durchgesetzt hatte, entschied sich Merz 2023 mit der Berufung des ihm wirtschaftspolitisch nahestehenden ehemaligen Vorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, zum Generalsekretär für eine deutliche Kurskorrektur. Der unter Linnemanns Leitung erarbeitete Entwurf zum neuen Grundsatzprogramm „In Freiheit leben“ räumt dem Begriff „Leistung“ wieder die Bedeutung ein, die ihr als Kernbegriff der Sozialen Marktwirtschaft zukommt.
Wolfgang Tischner, geboren 1967 in Berlin, promovierter Historiker, Abteilungsleiter Publikationen / Bibliothek, Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Konrad-Adenauer-Stiftung.