Asset Publisher

Dresden und Berlin

Asset Publisher

In der Gemäldegalerie Alte Meister hängen vier Dresdner Stadtansichten, die der venezianische Künstler Bellotto, genannt Canaletto, um die Mitte des 18. Jahrhunderts gemalt hat. Sie sind zu Ikonen der Selbstwahrnehmung der heutigen sächsischen Landeshauptstadt geworden. Eine der Veduten zeigt die zerstörte Kreuzkirche – im Siebenjährigen Krieg zerschossen von preußischen Kanonen. Die Kugeln trafen Sachsen mitten ins Herz, denn die kriegerischen Ereignisse fügen sich ein in eine Reihe militärischer Misserfolge. Sachsen stand immer auf der falschen Seite, Preußen erwies sich immer als stärker. In der Folge mussten große Territorien an Preußen abtreten werden. Das hat sich bis heute tief ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Ursprünglich wollte Preußen sich ganz Sachsen einverleiben, das früher durchaus noch auf Augenhöhe gestanden hatte und seinerseits um Bedeutung und Aufstieg rang: August II. wurde 1697 König von Polen.

 

Das Gefühl, zurückzubleiben

Die Geschichte prägt das Verhältnis von Sachsen und Berlin noch heute. Auch in Friedenszeiten betrachtet sich Sachsen als Opfer der Berliner Politik. Dass Sachsen nicht mehr an alte Zeiten anknüpfen kann, dafür steht symbolisch die Bahnverbindung zwischen beiden Städten. Vor dem Zweiten Weltkrieg benötigte man neunzig Minuten für die Strecke. Heute braucht man das Eineinhalbfache. Die Entwicklung scheint an Sachsen vorüberzuziehen, zumindest symbolisch und in der Selbstwahrnehmung. Das war schon während der DDR so und ist es – trotz des inzwischen prächtig herausgeputzten Stadtbildes – auch heute noch.

Viel könnte Berlin und Dresden verbinden. Die wiedererrichtete Frauenkirche ist ein Symbol überwundener deutscher Teilung in einem einst von Krieg zerstörten, einigen Europa – vergleichbar dem Brandenburger Tor. Doch finden die Städte nicht so richtig zueinander.

 

Aus Berlin kommt nichts Gutes – die Sachsen tragen nichts bei

Bis heute machen sich die Berliner über den sächsischen Dialekt lustig. Umgekehrt werden die „Berliner Schnauzen“ als schnoddrig und unfreundlich wahrgenommen. Während die Sachsen es lieben, sich bei einem „Tässchen Heßen“ zu unterhalten, erscheinen die Berliner als kurz angebunden, oberflächlich und kalt: Sie sind halt kulturlose Banausen aus dem Norden. Berliner stört es wiederum, dass die Sachsen so sehr von sich eingenommen sind. Dieser überzogen selbstbewusste Anspruch zeige sich schon in der Bezeichnung „Freistaat“. Von Berlin komme nichts Gutes, und die Sachsen trügen nichts bei, auf diesen Nenner ließe sich die gegenseitige Wahrnehmung bringen.

Berlin ist ein großer Schmelztiegel, aus dem anfänglich fast jeder wieder fliehen möchte. Hat man sich aber erst einmal eingerichtet und ist angekommen, schätzt man die pulsierende Stadt und kann sich bald keinen anderen Lebensort mehr vorstellen. Das nehmen besonders die jungen Leute wahr. So zieht es – sehr zum Leidwesen der Nachbarn – die gesamte Kreativszene in die Metropole. Dresden ist der glatte Gegenentwurf. Seine Kreativität basiert eher auf Kontinuität als auf Spontaneität. In Elbflorenz fühlt man sich sofort zu Hause. In sich ruhend und selbstverliebt sieht es Neuerungen skeptisch entgegen. So verbindet beide Städte mentalitätsmäßig relativ wenig. Während die Sachsen gemütlich und „langschemlig“ sind, sind die Berliner unstet und quirlig. Sachsen fühlt sich auch eher den Südländern zugehörig als den nördlichen Nachbarn. Berlin hingegen schaut über Dresden lächelnd hinweg, ignoriert sein etwas störrisches Auftreten und maßregelt die „Sächsischen Verhältnisse“, die wohl aussagen sollen, dass sie die Wirklichkeit nicht so richtig abbildeten und es mit der Ordnung nicht so genau nähmen.

 

PEGIDA – keine spezifisch Dresdner Erscheinung

Verständnislos blickte mancher aus Berlin auf PEGIDA und hielt es zunächst für eine spezifische Dresdner Erscheinung. Inzwischen wird deutlich, dass wirtschaftliche Verlustängste und das Gefühl, gesellschaftlich abgehängt zu sein, weit mehr als lokale Phänome sind. Vielleicht ist Dresden mit seinen besonderen sozialen Spannungen prädestiniert dazu, dieser Krisenstimmung Ausdruck zu verleihen. Aber die stilsetzenden Eliten in den Start-ups der Zentren werden keine gute Zukunft gestalten, wenn sich Menschen anderswo dauerhaft von der Entwicklung ausgeschlossen fühlen.

Werden in Berlin und Dresden nicht zwei Seiten einer Medaille sichtbar? Überzeichnen die Klischees nicht, was jedes Gemeinwesen ausmacht? Einerseits die Bewahrung des Traditionellen – zu viel Bewahrung führt zur Konservierung – und andererseits die forsche Gestaltung der Gegenwart. Aus dem einen entsteht Selbstbewusstsein, das Voraussetzung ist für das Gelingen der Zukunft, aus dem anderen folgt, dass etwas geschieht. Selbstbewusstsein ohne verantwortliches Handeln wirkt arrogant und forsches Handeln ohne Rückbindung überheblich.

Dresden und Berlin gehören zusammen, denn sie profitieren voneinander. Und eines ist auch sicher: Dresden würde mit Berlin nicht tauschen wollen und Berlin nicht mit Dresden.

 

Joachim Klose, geboren 1964 in Eberswalde, Landesbeauftragter für Sachsen und Leiter des Politischen Bildungsforums Sachsen, Konrad-Adenauer-Stiftung.

comment-portlet