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Die türkische Irakpolitik

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Für die Türkei ist die Stabilität ihres südlichen Nachbarn Irak seit jeher von entscheidender Bedeutung. Traditionell zielt die türkische Irakpolitik darauf ab, den territorialen Zusammenhalt und die ethnisch-konfessionelle Inklusivität des irakischen Staates zu stärken. Im Rahmen der Zero Problems with Neighbours-Politik unterstützte die Türkei den Wiederaufbau des Irak nach 2003 und schloss mit der Regierung in Bagdad mehr als vierzig Memoranden ab, die von einem strategischen Sicherheitsdialog bis zu einer Kooperation im Bereich Energie und Handel reichten.

Im Zuge der Politik des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki, die auf eine Marginalisierung der sunnitischen Minderheit abzielte, kam es ab 2010 jedoch zu einem Zerwürfnis zwischen Bagdad und der Regierung in Ankara, die die Türkei als Schutzmacht der Sunniten im Nahen Osten betrachtet. Die Beziehungen erreichten einen vorläufigen Tiefpunkt, als Ankara 2011 dem sunnitischen Vizepräsidenten Tariq al-Hashimi Zuflucht gewährte. Gegen ihn ermittelten die irakischen Sicherheitsbehörden wegen angeblicher Verstrickungen in Anschlagspläne auf al-Maliki. 2014 wurde Letzterer mit Unterstützung der türkischen Regierung, die gezielt ihre Kontakte zu einflussreichen schiitischen Führern wie Großajatollah Ali al-Sistani ausgenutzt hatte, durch den reformorientierten Haidar al-Abadi ersetzt. Ankara fördert die Reformpläne Abadis, der auf einen nationalen Aussöhnungsprozess und eine Reform der staatlichen Institutionen hinarbeitet.

 

Antagonisten im Syrienkonflikt

Gleichzeitig wird die türkisch-irakische Annäherung durch regionale Entwicklungen – insbesondere durch den Syrienkonflikt und das Erstarken der Kurden – erschwert. Da die irakische Zentralregierung mit Damaskus, Moskau und Teheran kooperiert, befinden sich Bagdad und Ankara, das auf einen Sturz des Assad-Regimes drängt, im Syrienkonflikt auf unterschiedlichen Seiten. Das wachsende Gewicht der schiitischen Milizen im Irak, die mittlerweile über etwa 100.000 Kämpfer verfügen und nur unzureichend in den irakischen Sicherheitsapparat integriert sind, hat das Misstrauen Ankaras gegenüber Bagdad deutlich wachsen lassen. Zunehmend wird die irakische Zentralregierung als Instrument der iranisch-schiitischen Einflussnahme in der Region wahrgenommen.

Das größte Hindernis in den türkischirakischen Beziehungen stellt heute die wirtschaftliche und politische Annäherung Ankaras an die Autonome Region Kurdistan (ARK) dar. Auf der Suche nach strategischen Partnern in der Region unterstützt die Türkei seit 2010 gezielt die regierende Demokratische Partei Kurdistans ( Partiya Demokrata Kurdistanê, KDP) von ARK-Präsident Masud Barzani, die langfristig das Ziel eines unabhängigen kurdischen Staates im Nordirak hat. Diese Verbindung stellt einen Versuch Ankaras dar, den wachsenden regionalen Einfluss des Iran und das Erstarken der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG) in Syrien auszubalancieren, die enge Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistan, PKK) unterhalten, von der KDP aber mit Misstrauen behandelt werden. Türkische Politiker reisen inzwischen entgegen internationalen Konventionen direkt und nicht über Bagdad in die ARK. 2013 einigten sich die ARK und Ankara auf ein Kooperationsabkommen, das – entgegen den Bestimmungen der irakischen Verfassung – den direkten Erdölexport aus der ARK in die Türkei vorsieht.

 

Einflussnahme im Nordwestirak

Durch eine ohne Zustimmung der irakischen Zentralregierung erfolgte Entsendung von 150 türkischen Soldaten und 25 Panzern in die nordirakische Stadt Bashiqa, in der die Türkei eine Trainingsmission für kurdische Peschmerga und sunnitische Milizen im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) unterhält, haben die türkisch-irakischen Beziehungen Ende 2015 einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die irakische Zentralregierung fasst die türkische Truppenpräsenz als völkerrechtswidrige Einflussnahme Ankaras in den sunnitischen Gebieten im Nordwestirak auf – insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Offensive gegen die vom IS besetzte Großstadt Mosul – und hat offiziell Beschwerde beim UN-Sicherheitsrat eingelegt. Trotz internationalen Drucks hat Ankara seine Truppen bislang nicht vollständig abgezogen.

Insgesamt stellt die Irakpolitik für Ankara einen Drahtseilakt dar. Der anhaltende Konflikt mit der Zentralregierung in Bagdad und der zunehmende Einfluss Teherans drohen den Einfluss der Türkei im Irak zu marginalisieren. Fraglich ist, ob Ankara unter diesen Umständen eine Unabhängigkeit der ARK weiter ablehnt. Gleichzeitig birgt die türkische Parteinahme für die von der KDP dominierte ARK erhebliche Risiken, insbesondere vor dem Hintergrund einer akuten wirtschaftlichen und politischen Krise im Nordirak. Entscheidend wird sein, welches Szenario Ankara inzwischen als größere Bedrohung seiner Interessen betrachtet: einen zunehmend iranisch geprägten Irak oder einen Zerfall des irakischen Zentralstaates.

 

Nils Wörmer, geboren 1978 in Duisburg, Leiter des Auslandsbüros Syrien/Irak der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Beirut (Libanon).

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