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„Ich glaubte, es käme nichts mehr“, rechtfertigt sich Hanno, als er im Familienbuch der Buddenbrooks einen Schlussstrich unter seinen Namen zieht. Thomas Manns Roman stand im Kontext einer Geistesströmung, die bereits Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg Endzeitstimmung verbreitete. Ergebt euch dem Niedergang, so lautete die Botschaft, selbst wenn die Konturen neuer Verhältnisse – etwa in Gestalt der vulgären Buddenbrook-Konkurrenten Hagenström – wenig Gutes verhießen.

Heute werden auf Europa und den Westen vorzeitige Nekrologe verfasst. Brexit-Chaos, Shutdown und neue Handelskriege bieten aktuell den Stoff, um die Verfallsthesen zu untermauern. Längst sind politische Hagenströms in Regierungen vorgedrungen. Nach den Europawahlen im Mai droht, dass Europaskeptiker und -feinde zumindest einen mächtigen Block im Europäischen Parlament bilden könnten, der das Einigungsprojekt von innen heraus bekämpft.

Selbst Europa-Enthusiasten geraten in Zweifel. Sind sie, wie Hanno, weltflüchtige Spätlinge einer schon verlorenen Zeit? Manche wollen dem Defätismus mit geübten Beschwörungsformeln oder neuen Narrativen begegnen, merken dabei aber nicht, dass sie damit die Aushöhlung europäischer Fundamente mitbetreiben. Wer nur so auf den Ansturm des Kontrafaktischen und die Militanz der Vorurteile reagiert, begibt sich selbst auf die schiefe Ebene der Vereinfachungen, der es zu entrinnen gilt. Europa darf begeistern, muss aber zunächst einmal überzeugen. Dazu gehört nicht zuletzt, dass sich alle Personen und Institutionen, die in und für die Europäische Union Verantwortung tragen, die Frage stellen: Was könnte der eigene Anteil am Misstrauen sein?

Die von Psychologen vorgetragene These, dass Emotion stets die Ratio schlägt, kann sich eine Politik im Sinne der europäischen Idee nicht zu eigen machen. Denn sie fußt auf dem aufklärerischen Leitbild des „animal rationale“ – selbst wenn die konkrete Anschauung dem allzu oft widersprechen mag. Das „Konstrukt“ des freien, sich vernünftig verhaltenden Bürgers gehört zu den Errungenschaften, die es gegen Irrationalität und Affekte mit allen Kräften zu bewahren gilt.

„Stay“ lässt ein Jungdesigner auf rote Schirmmützen nähen, die wohl nicht zufällig an die Kappen erinnern, wie sie Donald Trump im Wahlkampf trug. So wacklig scheint dieses „Konstrukt“ dann doch nicht zu sein: Wenn sich heute wiederum die Konturen neuer Verhältnisse abzeichnen, gewinnt die Europäische Union an Zustimmung. Sie ist laut dem Eurobarometer so beliebt wie seit 25 Jahren nicht mehr.

Die Wahl im Mai ist eine Schicksalswahl, doch steht das Schicksal – anders als bei den Buddenbrooks – nicht unausweichlich fest. Es ist von nicht geringer Bedeutung, den Bürgerinnen und Bürgern die Vorteile, die Europa auch im Kleinen mit sich bringt, vor Augen zu führen. Doch zweifellos müssen auch die Antworten auf die großen Fragen der Zukunft skizziert werden: Europa? Und ob! Es kommt noch was.

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