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Angriffskriegsbedingt wollen Rechts- wie Linkspopulisten nichts mehr von ihren erschreckend engen Verbindungen zu ihrem Idol, Russlands Wladimir Putin, wissen. Doch wird die peinliche Anlehnung an Putin die Populisten in aller Welt tatsächlich dauerhaft schwächen, wie es etwa der notorisch zukunftsfreudige Francis Fukuyama erwartet? „Dank der mutigen Ukrainer“ verflüchtige sich der „Blues vom Niedergang der globalen Demokratie“.

Verfrüht ist der Jubel über die neu gefundene Einigkeit in und unter den westlichen Demokratien. Der Preis der Kriegsfolgen und Sanktionen – noch schlägt er nicht vollständig durch – bietet überreichlich brisantes Potenzial für Konflikte und Spaltung. Schon jetzt ließen sich die Franzosen nicht davon abhalten, in großer Zahl die Rechtspopulistin Marine Le Pen und den Altlinken Jean-Luc Mélenchon zu wählen, und das, obwohl diese über Jahre eine Pro-Putin-Linie gefahren hatten. Zusammen erreichten sie im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl weit mehr Stimmen als der spätere Wahlsieger Emmanuel Macron.

Dass vor der Stichwahl Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die sozialistischen Ministerpräsidenten von Spanien und Portugal in Le Monde implizit zur Wahl des Amtsinhabers aufriefen und die Franzosen ermunterten, ein Frankreich zu wählen, „das unsere gemeinsamen Werte verteidigt“, gehört zu den ungewöhnlichen Details eines Wahlkampfs, in dem nicht allein die Populisten polarisierten und die Wahl als Wahl ohne substanzielle Optionen erschien. Gestützt auf ihre überlegene Autorität, wirkten die auswärtigen Regierungschefs auf das Wahlverhalten der europäischen Nachbarn ein und setzten sich noch dazu dem altbekannten Vorwurf aus, dass die politische Mitte erneut nur mit Moralisierung auf den Populismus reagiere.

Der unausgesprochene Wahlaufruf verdeutlicht, wie problematisch es ist, etwas Allgemeines wie „unsere gemeinsamen Werte“ für sich in Anspruch zu nehmen. Vermittelt das doch den Anschein, dass die Angesprochenen vernünftigerweise gar nicht anderer Ansicht sein könnten. In dieser Herangehensweise liegt ein entpolitisierendes Moment, auf Dauer sogar eine antipluralistische Gefährdung.

Wer das Politische zurückdrängt, sollte sich über Distanz- und Frustrationsmehrheiten, die – wie kürzlich in NRW – vorerst nur den Wahlen fernbleiben, nicht wundern. Der Verweis auf das Allgemeine vermag ein profiliertes politisches Programm nicht zu ersetzen. Die gerade für Volksparteien so wichtige Bündelung von Interessen geschieht nicht bloß durch Konsens- und Dialogorientierung. Mehr Gemeinsamkeit entsteht – so paradox es erscheint – auch im Streit und Widerstreit.

 

Bernd Löhmann, Chefredakteur

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