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Abgründe tun sich auf: Nach dem Attentat auf Walter Lübcke setzten sich die üblen Beschimpfungen gegen ihn fort. Auf direkte und indirekte Todesdrohungen folgte Genugtuung über die Tat. Seine Familie sah sich genötigt, an die Medien zu appellieren, „dass ein nicht respektvoller Umgang mit seinem Tod, insbesondere in den sozialen Netzwerken, von Ihnen nicht toleriert wird“. Tagelang hatte die Hetze freien Lauf.

Inwieweit der Hass im Netz den Attentäter zum Mord angestachelt hat, lässt sich noch nicht sagen. Dennoch geraten die Sozialen Medien auf der Suche nach den Ursachen der Tat zu Recht ins Visier. Sie waren Foren eines enthemmten Diskurses, der die Ausübung von Gewalt verbal vorwegnahm und später sogar den Mord zur Nachahmung an weiteren Politikern empfahl.

Die zuständige Staatsanwaltschaft bekräftigt, dass die strafbaren Postings „nicht stiefmütterlich behandelt“ werden. Derartige Rechtsverstöße zu verfolgen, erfordert enormen Aufwand, jedoch gilt die Aufklärungsrate als relativ hoch. Beklagt wird vor allem eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Plattformbetreiber. Ihrer Verpflichtung, Hass-Posts zügig zu löschen, sind sie offenkundig nicht genügend nachgekommen.

Das ungeheuerliche Geschehen schreit geradezu nach Konsequenzen, möglicherweise auch nach gesetzgeberischen. Aber der empörte Ruf, Hass und Hetze nun endlich aus dem Netz zu verbannen, birgt zugleich die Gefahr von Übersprungshandlungen, die zwar zunächst beruhigend wirken, am Ende aber wenig erreichen. Jedenfalls lässt sich hasserfülltes Denken auch im digitalen Raum nicht allein durch Verbote zurückdrängen.

#BringBackOurGirls, eine weltweite Initiative zur Befreiung verschleppter Schülerinnen in Nigeria, zeigt beispielhaft, dass der digitale Diskurs selbst gewaltige Gegenkräfte zu Hass und Gewalt birgt. Diese Energien gilt es mit überraschenden Konzepten weit mehr freizusetzen – auch wenn das in den weiten und verworrenen digitalen Kommunikationsräumen besonders schwierig erscheinen mag.

„Das Glas war aus seiner Sicht immer halbvoll“, sagte Christoph Lübcke bei der Trauerfeier über seinen Vater. Aufgaben nicht defensiv, sondern aktiv anzugehen, ist eine Grundhaltung, die wegweisend bleibt.

 

Bernd Löhmann, Chefredakteur

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