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Angesichts der Anzahl der aktuell nach Deutschland einreisenden Menschen überbieten sich die Versuche, das Ausmaß der Flüchtlingsproblematik zu beschreiben. Der Bundespräsident wählte die Bezeichnung „epochales Ereignis“ und blieb damit noch zurückhaltend. Unbestritten wird der Flüchtlingszuzug für Deutschland von enormer Tragweite sein. Nur sollte diese Erkenntnis die globalen Dimensionen der Krise nicht verwischen. Es rückt aber die wahren Verhältnisse wieder zurecht, wenn man sich klarmacht, dass weit weniger wohlhabende Staaten weit mehr Flüchtlinge aufgenommen haben. 2013 lagen sechs der zehn Länder mit der größten Flüchtlingsaufnahme in Afrika.

Große Integrationsanstrengungen sind in Deutschland spätestens seit Beginn der 1990er-Jahre, als die Asylbewerber und Aussiedlerzahlen drastisch anstiegen, nicht unbekannt. Damals sorgte der mühsam erstrittene „Asylkompromiss“ dafür, dass die Situation nicht aus dem Ruder lief. Ähnliches steht heute an: helfen in einer akuten Notlage! Aber dann auch die not wendigen Konsequenzen ziehen, damit Helfer Hilfsbedürftigen weiterhin wirksam beistehen können!

Trotz aller Schwierigkeiten, vielleicht auch Rückschläge: Die Integrationsaufgaben für die Menschen, die jetzt zu uns kommen, sollten niemanden irremachen. Dagegen beunruhigt besonders die Aussicht, dass sich nicht mehr – wie bisher – „nur“ ein kleiner Teil der Flüchtenden aus den Krisenregionen weiter auf den Weg nach Europa machen könnte. Rupert Neudeck hat es mit Blick auf den afrikanischen Kontinent plastisch ausgedrückt:

„Das dicke Ende kommt noch!“ Ausgerechnet dieser pragmatische Humanist, der Zehntausende „Boatpeople“ vor dem Tod bewahrt hat, kritisiert Fehlanreize in Deutschland – beispielsweise, dass anerkannte Asylbewerber gleich auf Hartz-IV-Niveau gehoben werden oder dass die Praxis aus dem Asylparagrafen ein „Totalzugangsrecht“ gemacht hat.

Die Menschen brauchen in ihren Ursprungsregionen Sicherheit und Perspektiven. Darin liegt die wirkliche Herkules-Aufgabe. Es könnte die große Stunde der auswärtigen Politik sein, doch sie wirkt in der aktuellen Flüchtlingskrise bisher seltsam unbeteiligt. Gewiss sind die deutschen Möglichkeiten in Syrien sehr begrenzt. Aber auf dem Balkan, in der Zusammenarbeit mit der Türkei, selbst in Afrika könnte Deutschland deutlicher initiativ werden. Ohne neue außenpolitische Ansätze droht die Entwicklung auf ein Szenario zuzusteuern, das die Bezeichnung „epochales Ereignis“ niedlich erscheinen ließe.


Bernd Löhmann, Chefredakteur

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