„Wäre, wäre – Fahrradkette!“ lautet das jüngste Bonmot von Lothar Matthäus, dem das deutsche Fußballvolk neben dem Weltmeisterschaftstitel 1990 auch eine beachtliche Sammlung denkwürdiger Fußballersprüche verdankt. Seit Sepp Herberger – „Das Runde muss ins Eckige“ – dringt dieses verkannte Genre bisweilen zu ungeahnt tiefen Einsichten vor. Was, wenn nicht die kreative Abwandlung des bekannten Kanzlerkandidatenzitats, brächte besser zum Ausdruck, dass sich in der Fußballwelt nichts wie selbstverständlich zusammenreimt? „Hätte, hätte – Fahrradkette“ würde bedeuten, alle Bedenken trotz offenkundiger Zweifel beiseite zu wischen. Aber das kann es doch nicht sein.
Wohl oder übel findet die Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland statt, und im Countdown zum ersten Anstoß verschlechtert sich das Verhältnis des Landes zum Westen beinahe täglich. Zu Gast bei Freunden? Es war einmal! Im Putin’schen Sommermärchen treffen Macht und Moral hart aufeinander. Party machen und inoffizielle Kriege führen – wie soll das auch zusammengehen? Vielleicht verschafft die Weltmeisterschaft der russischen Zivilgesellschaft mehr Spielraum und Aufmerksamkeit. Kicken, jubeln, wegschauen kann schon deshalb nicht die passende Maxime sein.
Die Fußball-WM in Russland ist fraglos ein präzise durchgeplanter und medial gesteuerter Prestige-Event. Dennoch muss nicht jedes politische Kalkül aufgehen. Den Eigensinn von 265 Millionen aktiven Fußballerinnen und Fußballern weltweit und der ungezählten Fans sollte niemand unterschätzen. Gut möglich, dass am Ende auch in Russland diejenigen die größten Sympathien gewinnen, die auf dem Rasen und um das Stadionrund sportlich erfolgreich und gut gelaunt Weltoffenheit und Freude an Vielfalt verbreiten. Verquält zur WM zu fahren, hilft jedenfalls auch nicht – im Gegenteil.
Angesichts aller Schwierigkeiten wäre zu wünschen, dass der Weltfußballverband FIFA sein „Premiumprodukt“ WM demnächst über die offensichtlich dominierende Sponsorenorientierung hinaus bedachtsamer vergibt. 2018 und 2022 bewegt sich das schillernde Unternehmen schon bedenklich nah entlang von Abgründen.
Die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft wirft kritische Fragen nach der Verflechtung von Sport, Politik und Kommerz auf – international wie auch in Deutschland selbst. Perfekte Antworten wird es angesichts der riesigen Diskrepanzen so schnell kaum geben. Wer ein echter Fußballanhänger ist, wird darüber nicht verzagen, sondern nach Art von Lothar Matthäus gerade zum Eröffnungsspiel ein Hermann-Hesse-Zitat variieren: „Jedem Anpfiff wohnt ein Zauber inne.“
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Bernd Löhmann, Chefredakteur