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Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz

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Die Corona-Pandemie zeigt, dass tragfähige Lösungen für weltweite Probleme nicht in nationalen Alleingängen liegen, sondern in einem auf Fakten basierten Dialog gefunden werden müssen. Dies gilt auch für die globale Herausforderung des Klimawandels. Wir wissen, dass wir in allen Lebensbereichen Änderungen benötigen, um mit den vorhandenen Ressourcen nachhaltig zu wirtschaften. Aber wie gestalten wir diese Transformation? Wie etablieren wir nachhaltige Produktions-, Finanzierungsund Ernährungssysteme, die von gesellschaftlicher Akzeptanz und politischer Mehrheit getragen werden? Vor allem auch: Wie stellen wir sicher, dass das Leben im globalen Norden nicht auf Kosten der Menschen im globalen Süden geht? Die internationale Gemeinschaft hat sich bis 2030 die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) gesetzt, die allerdings nur noch schwer zu erreichen sind. Notwendig ist eine neue Dynamik, die bisherige Errungenschaften anerkennt und aktuelle Erfordernisse in den Blick nimmt.

Klimaschutz benötigt einen faktenbasierten Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte mit dem Ziel, einen verbindlichen Konsens und Handlungsempfehlungen zu generieren. Die Welthungerhilfe erfüllt hier eine klare Aufgabe: Sie kooperiert mit der Zivilgesellschaft in den Programmländern, um die Regierungen daran zu erinnern, wozu sie sich verpflichtet haben oder sich verpflichten sollten. Dabei haben Nichtregierungsorganisationen nicht die Aufgabe oder den Anspruch, Staat oder regionale Behörden zu ersetzen, sondern nehmen eine anwaltschaftliche und vermittelnde Rolle ein. Sie stellen ihre Erfahrungen aus dem globalen Süden der Öffentlichkeit und Entscheidern auch hierzulande zur Verfügung.

 

Stimme des globalen Südens

 

Die Welthungerhilfe versteht sich als Stimme der Menschen des globalen Südens. Erfahrungen aus der täglichen Projektarbeit in 36 Ländern spielen ebenso eine Rolle wie standardisierte Fortschrittsberichte. Eine wichtige Publikation der Welthungerhilfe ist der Welthunger-Index (WHI), der jährlich die weltweite Hungersituation analysiert, Fortschritte erfasst, Forderungen formuliert und Handlungsfelder aufzeigt. Der WHI regt einen Dialog nicht nur innerhalb Europas, sondern auch mit Ländern des globalen Südens an und ermöglicht somit eine faktenbasierte, partizipative und vertrauensbildende Debatte mit Entscheidern in Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Der Welthunger-Index 2019 unterstreicht den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Hunger und Klimawandel und zeigt, wie die Klimakrise die Ernährungssysteme schädigt. Wer den Hunger langfristig besiegen will, muss die Ursachen für den Klimawandel in den Blick nehmen. Ein erfolgversprechendes Beispiel für einen funktionierenden Dialog zwischen der Zivilgesellschaft und Regierung hat die Welthungerhilfe in Indien mit „Community Score Cards“ durchgeführt. Mit lokalen Partnern informiert die Welthungerhilfe die Bevölkerung darüber, was ihnen aufgrund staatlicher Beschlüsse zusteht, und fördert damit einen Dialog in einem schwierigen Umfeld. Die Ziele des Projekts sind die Förderung der Bewusstseinsbildung der armen und ausgegrenzten Gruppen, die Unterstützung der Menschen bei der Durchsetzung ihrer Rechte und die Schaffung lokaler Mechanismen zur Kontrolle der Verwaltung durch die Bürger.

Das gegenwärtige Konsumverhalten und das Ernährungssystem haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Umwelt. Das zweite Nachhaltigkeitsziel, den Hunger zu beenden, ist bei Weitem nicht erreicht: 690 Millionen Menschen leiden an chronischem Hunger, zugleich sind zwei Milliarden Erwachsene weltweit übergewichtig oder fettleibig.1 31 Prozent aller CO2-Emissionen werden durch Landwirtschaft und Landnutzung verursacht. Rechnet man Verarbeitung, Transport, Kühlung, Erhitzung und Entsorgung von Lebensmitteln hinzu, hängen über vierzig Prozent aller CO2-Emissionen davon ab, wie wir uns ernähren und Landwirtschaft betreiben. Es gibt ausreichend Ressourcen, alle Menschen nachhaltig und gesund zu ernähren und zugleich die negativen Folgen des Klimawandels zu bremsen, wenn wir etwa eine Umstellung auf tierproduktarme Ernährung in Kombination mit einer Umstellung auf diversifizierte Produktionssysteme angehen.2

 

Lebensstil ändern

 

Das Verhalten des Nordens wirkt sich negativ auf den Süden aus, was weder ethisch noch aus eigennützigen Motiven, zum Beispiel zur Vermeidung klimawandelbedingter Migration, hinzunehmen ist. Die Industriestaaten tragen als wesentlicher Verursacher des Klimawandels eine historische Verantwortung. Darum müssen sie ihren besonders emissionsreichen Lebensstil verändern: anders essen, anders transportieren, anders reisen und auch anders arbeiten. Anders bedeutet nicht immer nur Verzicht, sondern kann auch Gewinn und Gesundheit sein: Entschleunigung, neue Dienstleistungen und mehr Ruhe und Genuss. Die Politik hat die Aufgabe, diese notwendige Transformation gesellschaftlich akzeptabel zu gestalten und Alternativen für die von Veränderungen betroffenen Lebensbereiche zu unterstützen, die auch Schaffung neuer Arbeitsplätze, neuen Wohlstand und eine Gestaltungsfrage für eine klimagerechte Welt bedeutet.

Der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer (und ehemaliges Mitglied des Präsidiums der Welthungerhilfe) hat es so formuliert: „Es ist die entscheidende Bemühung, mit größter Dringlichkeit einen Prozess des Handelns gegen den Klimawandel auf den Weg zu bringen und nicht zu resignieren vor nicht erreichbaren Zielen. Entscheidend wird sein, dass der Prozess in Zukunft verbindlich und überprüfbar ist. Dann wird er zu einer sich stets verstärkenden, dynamischen Klimapolitik führen.“3

Die Entwicklungsländer sind existenziell und am stärksten vom Klimawandel bedroht, obwohl ihr direkter Beitrag zum Klimawandel gering ist. Neben den Industrienationen müssen auch aufstrebende Länder wie China als gegenwärtige Hauptverursacher des Klimawandels Verantwortung übernehmen. Eine ambitionierte und verbindliche Klimapolitik der Industrie- und Schwellenländer ist daher unverzichtbar.

Social Business-Kooperationen – Kooperationen zwischen Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen – sind innovative Möglichkeiten für eine neue Art des Dialogs und der Kooperation. In Uganda zum Beispiel unterstützt eine solche Kooperation der Welthungerhilfe die Vermarktung lokal gefertigter Wasserfilter aus Ton, die für Einsparungen im CO2-Bereich sorgen, da für das Abkochen von Wasser kein Brennholz mehr benötigt wird. Die Firma kann deshalb sogar CO2-Zertifikate nach Goldstandard veräußern. In Simbabwe hat die Welthungerhilfe eine App mitinitiiert, die als mobiler landwirtschaftlicher Berater fungiert. Sie enthält speziell auf die Region abgestimmte Handbücher und Videos zu Anbaumethoden und Viehzucht, inklusive Mustern für Finanzpläne, Preisentwicklungen, Informationen zu historischen Wetterdaten, und zeigt die Regenzeiten an, die sich in den letzten Jahren bereits erheblich verschoben haben. Ebenso enthalten sind praktische Tipps zur Verbesserung von Nährstoffversorgung, Hygiene und Zusammenarbeit im Familienbetrieb. Mit diesen Beratungsleistungen werden Inhalte verbreitet, um Verständnis für die Auswirkungen des Klimawandels bei den Kleinbauern zu schaffen sowie Strategien vorzustellen, besser mit den Folgen des lokalen Klimawandels umzugehen. Es werden Beratung und Kompetenz vermittelt, die wissenschaftlichen Forschungen zufolge zu den wichtigsten politischen Instrumenten im Kampf gegen Hunger und Klimawandel zählen.4

 

Prävention und Frühwarnsysteme

 

Neben der Umsetzung innovativer Ideen ist ein Paradigmenwechsel in der Finanzierungsarchitektur der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und der globalen Klimapolitik in Richtung Prävention notwendig. Schon aus eigenem Interesse sollten wir, wo immer möglich, diese Veränderungen initiieren und fördern. Rund 300 Milliarden US-Dollar kosten Schäden durch Naturkatastrophen durchschnittlich pro Jahr. Der Aufwand für Vorbeugungsmaßnahmen ist um ein Vielfaches günstiger als die Schadensbeseitigung. Die Mittel für Prävention und Ausbau von Frühwarnsystemen sollten daher gerade in Entwicklungsländern weiter aufgestockt werden. Risikomanagement und Early Warning / Early Action sind dabei entscheidend. Der Idee der Versicherung kommt für die Unterstützung humanitärer Maßnahmen eine Schlüsselrolle zu. Doch derzeit ist das humanitäre System zu langsam und zu reaktiv, weil die Suche nach Hilfsgeldern erst nach einer Katastrophe oder dem Eintritt einer Krise beginnt und es Monate dauern kann, bis die Hilfe ankommt.

Instrumente wie parametrische (indexbasierte) Versicherungen, so etwa die Drought Financing Facility (DFF) oder die African Risk Capacity (ARC) Rep​​​​​​​lica, können Unterstützungsgelder zur Verfügung stellen, wenn bestimmte Indikatoren (zum Beispiel bestimmte Hurrikangeschwindigkeiten oder eine kritische Abnahme der Bodenfeuchtigkeit) erreicht werden.5 Zu erwartende Schäden können vorherberechnet und die Versicherungssumme unmittelbar nach Eintreten des Ereignisses ausgezahlt werden. Die ARC arbeitet mit dem NRO-START-Netzwerk, in dem die Welthungerhilfe neben weiteren Nichtregierungsorganisationen „implementation agency“ ist. Der Einsatz moderner Finanzinstrumente, wie gemeinschaftlicher Versicherungssysteme und Risikotransfers, ist ein wichtiger Baustein, aber kein Allheilmittel. Noch immer ist die Vermeidung von Katastrophen die günstigere Variante.

Die Welthungerhilfe betreibt aktuell ein Forecast Based Financing​​​​​​​-Pilotprojekt in Madagaskar, Kenia und Simbabwe, das Leitlinien, Indikatoren, Schwellenwerte und Notfallpläne entwickelt, auf deren Basis Hilfsgelder bereits unmittelbar vor Eintritt eines Extremereignisses bereitgestellt werden. In diesem Projekt werden bestehende Frühwarnsysteme und Katastrophenschutzpläne geprüft und verbessert. Politische Strukturen und Entscheidungsabläufe werden ebenso erfasst wie die Lebensbedingungen der Menschen, insbesondere bedrohter Bevölkerungsgruppen vor Ort. Klimaforscher werden mit staatlichen Behörden vernetzt und in den Prozess eingebunden.

Es ist wichtig, in dem Diskurs über Nachhaltige Entwicklung bestehende Vereinbarungen und Gesetze in den Blick zu nehmen. Hilfreich sind ebenfalls Selbstverpflichtungen von Regierungen oder Unternehmen. Diese reichen nur zu oft nicht aus – erheblich mehr ist notwendig, und Innovationen im Mix aus diesen Instrumenten sind zentral.

Gerade wenn Selbstverpflichtungen keine hinreichenden Erfolge generieren, muss der Gesetzgeber ordnungsrechtliche Festlegungen beschließen. Hierfür bedarf es einer politischen Emanzipation, die klare Grenzen und Anreize setzt, wenn Soft Law-Ansätze nicht helfen. Auch finanzielle Anreize und Berichtserfordernisse (wie etwa der Nachhaltigkeitskodex) können ergänzende Instrumente für den faktenbasierten Dialog sein.

 

Marlehn Thieme, geboren 1957 in Lübeck, Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe (WHH), Bonn.

 

1 Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO): The State of Food Security and Nutrition in the World (SOFI): Safeguarding against economic slowdowns and downturns, Rom 2019, www.wfp.org/publications/2019-state-food-security-and-nutrition-world-sofisafeguarding-against-economic [letzter Zugriff: 30.03.2021].

2 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration. Hauptgutachten, Berlin 2020, www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/landwende#sektion-downloads [letzter Zugriff: 30.03.2021].

3 Klaus Töpfer: „Klimaschutz: Jahr der Entscheidungen“, in: Das Parlament, Nr. 31–32, 27.07.2015.

4 Joachim von Braun (ZEF) / Bezawit Beyene Chichaibelu (ZEF) / Maximo Torero Cullen (FAO) / David Laborde (IFPRI) / Carin Smaller (IISD): Den Hunger bis 2030 beenden. Kosten und empfohlene politische Maßnahmen. Policy Brief, Oktober 2020. Ceres 2030 ist eine Partnerschaft zwischen Cornell IP-CALS, dem International Food Policy Research Institute (IFPRI) und dem International Institute of Sustainable Development (IISD), https://ceres2030.org [letzter Zugriff: 29.03.2021].

5 START Network: Drought Financing Facility, 07.11.2017.

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