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Über die Theologie an deutschen Universitäten

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Die Theologie gehört zur Tradition der europäischen Universität. Sie etablierte sich dort zur Ausbildung von kirchlichen Berufen und zugleich als Teil eines umfassenden Bildungskonzeptes. So ist es bis heute. Deshalb lässt sich die Bedeutung der Theologie nicht allein aus einem binnenkirchlichen Kontext heraus erklären. Theologische Expertise und Kompetenz kann nicht auf Berufe in den Kirchen beschränkt werden. Außerdem sind die verschiedenen Beziehungen bedeutsam, in denen die Theologie steht: innerhalb der Universität zu den anderen Wissenschaften, in die Kirche hinein und innerhalb heutiger, religiös-pluraler Gesellschaften.

Die Theologie ist – davon bin ich überzeugt – ein attraktiver Gesprächspartner für andere Wissenschaften. Warum? Theologische Reflexion weitet den Blick und zeigt Widerständigkeit gegenüber dem partiellen Blick auf den Menschen. Wolfgang Frühwald formuliert es so: „Theologische Fakultäten setzen dem allgegenwärtigen, wirtschaftlich bedingten Bio-, Info- und Nanoenthusiasmus allein durch ihre Existenz einen notwendigen Kontrapunkt. Durch dessen Widerständigkeit wird sich die ‚andere‘ Perspektive in den Ökonomismus und Szientismus der Zeit einmischen.“ Deshalb gewinnen theologische Spezialstudien für andere Berufe in der Medizin, in den Kultur-, Rechts-, Natur- und Lebenswissenschaften, in der Psychologie und in sozialen Berufen an Bedeutung. Die Interdisziplinarität der Theologie bietet hierzu beste Ansätze. Theologische Spezialstudien sind auch ein Thema für die kreative Weiterentwicklung bestehender Vereinbarungen zwischen Kirche und Staat. Mir scheint, dass hierzu gerade ein gutes Zeitfenster existiert.

Theologie braucht das gelebte Bekenntnis. Objektivität, Rationalität und die Bedingungen wissenschaftlicher Reflexion stehen in einer Bindung, in der sich christlicher Glaube als Botschaft mitteilt. Diese Bindung unterscheidet die Theologie von der Religionswissenschaft. Sie beschränkt nicht kritische Reflexion, sie erschließt die Botschaft des christlichen Glaubens. Sie erklärt damit eine geglaubte Wahrheit über Gott und den Menschen, die vor Verengungsgeschichten bewahrt.

Glaube braucht das Denken

In dem bekannten Dialog zwischen dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger und dem Philosophen Jürgen Habermas fordert der Kardinal „eine Verantwortung der Wissenschaft um den Menschen als Menschen, und besonders eine Verantwortung der Philosophie, die Entwicklung der einzelnen Wissenschaften kritisch zu begleiten, voreilige Schlussfolgerungen und Scheingewissheiten darüber, was der Mensch sei, woher er komme und wozu er existiere, kritisch zu durchleuchten“. Zu den Scheingewissheiten hat über lange Zeit die verbreitete Auffassung gehört, Religion werde in Zukunft relevant für den Menschen, nicht aber für Zivilgesellschaften oder Staaten sein. Religion ist ein Grund der Hoffnung von Menschen und eine Quelle von Haltungen und Werten. Sie ist ein Teil des kulturellen Gedächtnisses und damit verbundener Bilder und Deutungsmuster. Für manche sind Religionen ein Ärgernis, an dem sie sich zumindest reiben. Auch daraus sind schon interessante Debatten entstanden. Verwunderlich ist, wie lange sich in Europa der Eindruck gehalten hat, dass von einer öffentlichen oder gar politischen Bedeutung der Religionen in Zukunft nicht mehr auszugehen sei. Wie anders hat sich die Geschichte entwickelt! Wie sehr hat Europa ignoriert, was sich in anderen Teilen der Welt tut. Unsere Debatten über Menschenrechte, über Wege zu Versöhnung und Frieden, über den Wert von Freiheit und Demokratie sind in einer globalen Welt von heute nicht erfolgreich ohne die Religionen und ein fundiertes Wissen über sie und die Reflexion über den Glauben von Menschen.

So, wie die Theologie im Verhältnis zu den anderen Wissenschaften den Blick weitet, so gilt das auch im Verhältnis zur Kirche. So, wie Theologie der modernen Welt nützlich sein kann beim Verständnis ihrer selbst, ihrer Herkunft, ihrer Modernisierungsprozesse und damit verbundener Lebensfragen, so ist sie auch der Kirche hilfreich. „Die Kirche braucht die Anstrengung des Glaubensdenkens, wenn sie der Welt jederzeit verantwortlich das Evangelium vermitteln will.“ Die Anstrengung des Denkens und der kritischen Reflexion bewahrt vor Aberglauben und jeder Versuchung der Instrumentalisierung, der Religion sich zu allen Zeiten ausgesetzt sieht. „Der Glaube braucht das Denken, wenn er sich selbst treu bleiben will.“

Genau hier liegt der Wert der Theologie im Haus der Wissenschaft. Das Denken hat der Theologie im deutschsprachigen Raum zu ihrer internationalen Anerkennung verholfen, zu den hohen Qualitätsstandards, die im Haus der Wissenschaft Geltung beanspruchen. Ihre intellektuelle Ausstrahlungskraft hat hier ihren tiefen Grund. Sie bewahrt den christlichen Glauben vor Vereinnahmung und Verkürzung, vor sektiererischen Tendenzen und fundamentalistischer Instrumentalisierung. Sie ermöglicht die aufklärerische Kraft, die der Theologie zu eigen ist. In Zeiten, in denen die Religion auf der Bühne der Zeitgeschichte sich auch bedrohlich, weil vereinnahmt für Gewalt und Terror präsentiert, ist dieser aufklärerische Impuls nicht groß genug einzuschätzen.

Orientierung und Sinn stiften

Hinzu kommt, dass die Theologie im Haus der Wissenschaft zu den Disziplinen gehört, die jenes Wissen generieren, das weder Lebens- und Naturwissenschaften noch die Technik oder die Ökonomie zur Verfügung stellen können. Wissen, das der Mensch jenseits einer durch Technik und Naturwissenschaft geprägten Welt verstehen lässt und Orientierung stiftet. Franz Kardinal König hat bei einer Jahrestagung der von ihm mitbegründeten Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste 1994 festgestellt: „Es ist die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach Glück, Leid und Tod, die eine technische Welt allein nicht beantworten kann.“ So imposant die Erfolgsgeschichte der Technik ist, so wenig kann sie die eschatologischen Fragestellungen beantworten beziehungsweise Orientierung und Sinn stiften. Die Frage etwa, was bestimmte Erkenntnisse der Hirnforschung für das Selbstverständnis des Menschen als freiheits- und verantwortungsfähiges Subjekt bedeuten, ist nicht mehr eine Frage der Hirnforschung. Die normativen Grundlagen unserer Kultur werden weder von der Technik noch von den Naturwissenschaften oder der Medizin beantwortet.

Theologie des interreligiösen Dialogs

Christoph Markschies hat in seiner Antrittsvorlesung zur Übernahme des Lehrstuhls für Ältere Kirchengeschichte und Patristik an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin dafür plädiert, die Theologie stärker als Lebenswissenschaft zu bewerten. Er spricht davon, dass bereits in der Antike „ein eher naturwissenschaftlich geprägter und ein eher geisteswissenschaftlicher Zugang zum Leben nebeneinander standen und es weder der antiken Theologie noch der Medizin oder einer anderen Naturwissenschaft gelungen ist, diese Zugänge als eine Art ‚Überwissenschaft‘ wirklich zu synchronisieren“. Schon in der Antike sei deutlich geworden, dass es beider Zugänge bedürfe. „Konkrete Aussagen über das Leben unter den Bedingungen seiner natürlichen und künstlichen Umwelt machten und machen Medizin und Biologie; konkrete Aussagen über ein gelebtes Leben im Horizont des Lebens an und für sich machen Philosophie und Theologie. Eine Gesellschaft, die sich einen der beiden Zugänge sparen würde, wäre plötzlich sehr arm.“

Der Wissenschaftsrat hat in seinen „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften“ im Jahre 2010 wichtige Impulse gesetzt. Gerade für die bereits genannte Aufgabe der Entwicklung von theologischen Spezialstudien kann auch darauf zurückgegriffen werden. Die Stellungnahme hilft auch zur Klärung der Beziehung zwischen Theologie und religionsbezogenen Wissenschaften. Sie stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Sie sollten in eine dialogische Beziehung treten. Schließlich ist jetzt die richtige Zeit, um neben das klassische Modell der Fakultät und kleineren Instituten Konzepte für Forschungszentren zu setzen, in denen die Theologie federführend in Kooperationen zu zentralen Forschungsthemen wirkt.

Kooperationen zu zentralen Forschungsfragen

Ich nenne hierfür zwei Beispiele: Die Theologie an Universitäten im Ruhrgebiet eignet sich besonders für Forschungskooperationen der Katholischen Soziallehre und der christlichen Gesellschaftswissenschaften. Solche Kooperationen zu zentralen Forschungsfragen erleichtern auch die Internationalisierung der Theologie in Deutschland. Ein anderes Beispiel ist die aktuelle Debatte in Berlin. „Mischfakultät“ ist ein ungeeigneter Begriff für ein zukunftsfähiges Konzept. Berlin braucht ein Forschungszentrum, das theologische Spezialstudien ermöglicht, ganz besonders solche, die von internationalem Interesse sind. Dazu gehören zum Beispiel die vielen Fragen zu der Beziehung von Religion und Politik.

Schließlich werden Kooperationen zwischen den Theologien verschiedener Religionen bedeutsam. Dazu gehört ganz besonders der Trialog zwischen Judentum, Christentum und Islam. Ein wichtiges Forschungsthema ist die Entwicklung einer Theologie des interreligiösen Dialoges, auch deshalb, um von manch oberflächlichen Debatten wegzukommen, die kaum rückbezogen sind in die jeweilige Kirche beziehungsweise Religionsgemeinschaft. Die ersten Institute für islamische Theologie an einigen Universitäten waren ein wichtiger Schritt, um Voraussetzungen für diesen Trialog in Deutschland zu schaffen.

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Annette Schavan, geboren 1955 in Jüchen, Altstipendiatin der Konrad-Adenauer- Stiftung, Bundesministerin a. D., Botschafterin der Bundesrepublik Deutsch-land beim Heiligen Stuhl und Gastprofessorin an der Shanghai International Studies University.

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