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Reformen für eine krisenfeste Währungsunion

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Die Einigung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg war eine politische Vision. Zu Recht gelten Frieden und Stabilität als die größten Errungenschaften der Europäischen Union (EU). Ein Schrittmacher der Einigung Europas war nicht zuletzt die Integration der europäischen Volkswirtschaften. Wirtschaftliche Integration kann den Wohlstand auf vielfache Weise steigern: Der freie Handel erlaubt, dass sich jeder auf das spezialisiert, was er am besten kann. Größenvorteile können besser genutzt werden. Außerdem bedeutet ein größerer Markt mehr Wettbewerb, und dieser fördert wiederum Innovation und Produktivität. Verbraucher profitieren von niedrigeren Preisen und erweiterter Produktvielfalt.

Die Wirtschafts- und Währungsunion war bislang der mutigste Schritt hin zu stärkerer wirtschaftlicher Integration. Mit ihr wurde insbesondere das Versprechen stabiler Preise gegeben. Zwanzig Jahre nach seiner Einführung ist der Euro eine nach innen und außen stabile Währung. Die durchschnittliche Teuerungsrate im Euroraum beläuft sich seit 1999 auf 1,7 Prozent. Das Versprechen einer stabilen Währung für Europa konnte also gehalten werden.

Die Finanz- und Staatsschuldenkrise hat den Euroraum jedoch in seinen Grundfesten erschüttert. Millionen von Menschen wurden arbeitslos. Für einzelne Mitgliedsländer wurden umfangreiche Rettungspakete geschnürt, deren Auflagen dort zum Teil als sehr hart und als Einmischung in nationale Angelegenheiten wahrgenommen wurden. In den Hilfe gewährenden Ländern wurde die Unterstützung mitunter als Einstieg in eine Transferunion erachtet. Dabei darf nicht aus dem Blick geraten, dass die Finanzkrise ihren Ursprung in den USA nahm und auch andere Länder traf, etwa das Vereinigte Königreich. Sie verband sich später mit der Staatsschuldenkrise, die Fehlentwicklungen in einzelnen Mitgliedsländern, aber auch Schwachstellen im Ordnungsrahmen der Währungsunion offenlegte.

Das sollte nicht die Wohlfahrtsgewinne der wirtschaftlichen Integration insgesamt vergessen lassen. Studien belegen, dass Europa durch das Zusammenwachsen seiner Volkswirtschaften wohlhabender geworden ist – mit einem geschätzten Anstieg der Wirtschaftsleistung von fünf Prozent bis über 25 Prozent (siehe Harald Badinger: „Growth Effects of Economic Integration: Evidence from the EU Member States“, Review of World Economics 141, 2005, S. 50–78. Nauro F. Campos, Fabrizio Coricelli, Luigi Moretti: „Economic Growth and Political Integration: Estimating the Benefits from Membership in the European Union Using the Synthetic Counterfactuals Method“, in: IZA Discussion Paper Nr. 8162, 2014. Andrea Boltho und Barry Eichengreen: „The Economic Impact of European Integration“, CEPR Discussion Paper Nr. 6820, 2008).

Dabei ist der zusätzliche Wohlstand in Europa verhältnismäßig breit verteilt. Gemäß Eurostat-Daten ist der Gini-Index, ein oft genutztes Maß für wirtschaftliche Ungleichheit, weder in Deutschland noch in Frankreich, Spanien, Italien oder Griechenland heute höher als zu Beginn des gemeinsamen Binnenmarktes.

Wegfall des „Überdruckventils“

Klar ist: Der Wegfall des Wechselkurses als eine Art „Überdruckventil“ zur Anpassung stellt höhere Anforderungen an Flexibilität und Widerstandsfähigkeit der nationalen Volkswirtschaften. Wenn zum Beispiel die Löhne stärker als die Produktivität steigen und die Wirtschaft dadurch an Wettbewerbsfähigkeit verliert, lässt sich diese Schere nicht mehr einfach durch ein Abwerten der nationalen Währung schließen. Notwendig sind dann langwierige und vielfach schmerzhafte Anpassungen, etwa über Lohnkürzungen oder Stellenabbau (vgl. Deutsche Bundesbank: „Lohndynamik bei hoher Arbeitslosigkeit im Euro-Raum“, Monatsbericht Dezember 2016).

Die Reformen in den von der Schuldenkrise betroffenen Mitgliedstaaten waren daher unausweichlich, um verlorene Wettbewerbsfähigkeit zurückzuerlangen und die Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften dauerhaft zu erhöhen. Hier wurden durchaus Fortschritte erzielt (vgl. Deutsche Bundesbank: „Anpassungsprozesse in den Ländern der Wirtschafts- und Währungsunion“, Monatsbericht Januar 2014), jedoch es bleibt noch viel zu tun. Handlungsbedarf besteht zudem in Ländern, die vergleichsweise gut durch die Krise gekommen sind – man denke nur an den demografischen Wandel, der Deutschland in ganz besonderer Weise betrifft.

Die Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, mit der gemeinsamen Geldpolitik zurechtzukommen, auch wenn sie von länderspezifischen Schocks getroffen werden. Daher sind in einer Währungsunion flexible Güter- und Arbeitsmärkte unverzichtbar. Doch genauso wichtig ist ein effizientes und widerstandsfähiges Finanzsystem. Schließlich sind Verschuldungskrisen nur dann möglich, wenn Kreditgeber Risiken falsch einschätzen oder leichtfertig Mittel vergeben.

Wie können wir sicherstellen, dass Anreize zu sorgfältiger Kreditvergabe gewahrt werden? Um mit Walter Eucken zu sprechen: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“ Dass Finanzinstitute Verluste selbst tragen und im Extremfall auch abgewickelt werden können, ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern Bedingung für nachhaltiges Wirtschaften. Deshalb war die Schaffung der Bankenunion ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer stabilen Architektur der Währungsunion. Sie legt unter anderem fest, dass für Verluste von Banken zunächst die Eigentümer und Gläubiger haften und erst in einem allerletzten Schritt auch gemeinschaftliche Gelder zur Sanierung oder Abwicklung herangezogen werden dürfen.

Antworten auf die Krise

Eine weitere Antwort auf die Krise war die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Seine Finanzhilfen erlauben den Staaten eine gestreckte und geordnete wirtschaftliche Anpassung. Dadurch wird der Gefahr begegnet, dass aus einer Krise in einem Mitgliedsland eine Bedrohung für das Finanzsystem im Euroraum insgesamt wird. Im Gegenzug verpflichtet sich der Staat zu Wirtschaftsreformen.

Die Regeln des ESM sehen vor, dass er nur vorübergehend illiquiden, nicht aber insolventen Mitgliedstaaten helfen darf. Ob ein Mitgliedsland nur vorübergehend illiquide oder zahlungsunfähig ist, lässt sich in einer akuten Notlage aber kaum abschließend feststellen. Die Bundesbank schlägt vor, die Anleihebedingungen für neu begebene Staatsanleihen im Euroraum dahingehend zu ergänzen, dass automatisch eine dreijährige Laufzeitenverlängerung in Kraft tritt, sobald ein Staat ein ESM-Programm erhält (vgl. Deutsche Bundesbank: „Ansatzpunkte zur Bewältigung von Staatsschuldenkrisen im Euro-Raum“, Monatsbericht Juli 2016). Auf diese Weise blieben die Altgläubiger im Fall eines Hilfsprogramms in der Verantwortung. Entscheidungen über eine Restrukturierung können dann im weiteren Verlauf bei einem gesicherteren Ausblick auf die Schuldentragfähigkeit getroffen werden. Das „Pulver“ des ESM wird trocken gehalten, weil weniger Mittel zur Ablösung fällig werdender Titel benötigt werden. Die Steuerzahler der Hilfe gebenden Staaten werden geschont.

Für den Überschuldungsfall sollte ein Mechanismus zur effektiven Krisenbewältigung die Möglichkeit zur Restrukturierung der Schulden beinhalten. Die Staatsund Regierungschefs haben sich im Dezember darauf geeinigt, dass der ESM bei Bedarf und auf Anfrage eines Mitgliedslandes eine koordinierende Rolle für den Fall einer Restrukturierung von Staatsanleihen übernehmen kann. Zudem sollen die Klauseln vereinfacht werden, die Probleme, wie etwa den Erwerb von Sperrminoritäten im möglichen Fall einer Restrukturierung, verhindern sollen. Das sind notwendige Schritte auf dem Weg hin zu einem geordneten Verfahren der Restrukturierung von Staatsanleihen.

Eine solche Restrukturierung darf nicht das Finanzsystem in die Knie zwingen. In diesem Zusammenhang spielt insbesondere die regulatorische Privilegierung von Bankforderungen gegenüber Staaten eine Rolle. Bisher dürfen Banken Anleihen des heimischen Staates in unbegrenzter Höhe erwerben und müssen diese kaum oder gar nicht mit Eigenkapital unterlegen. Das kann zu einer starken Verflechtung der Banken mit der fiskalischen Situation ihres Heimatlandes führen – ein Zustand, der sich ändern muss, wenn die Währungsunion dauerhaft stabil sein soll.

Voraussetzungen für eine europäische Einlagensicherung

Die Beendigung der regulatorischen Vorzugsbehandlung von Forderungen gegenüber Staaten ist auch aus einem anderen Grund wichtig. So wird als zusätzliche Säule der Bankenunion eine gemeinsame europäische Einlagensicherung diskutiert. Sie kann das Risiko eines „Bank Run“ verringern und würde damit zu einem stabileren Finanzsystem beitragen.

Die regulatorische Privilegierung hat ermöglicht, dass ein großer Teil der Staatsanleihen im Euroraum in den Büchern der Banken des jeweiligen Sitzstaates liegt. Eine regulatorische Verpflichtung zu einer adäquaten Behandlung der damit einhergehenden Risiken besteht aber gerade nicht. Versichert man in solch einer Situation im Euroraum Bankenrisiken, versichert man indirekt fiskalische Risiken. Es bestünde die Gefahr, dass künftig fiskalische Risiken in das nationale Bankensystem verschoben und über die Einlagenversicherung vergemeinschaftet würden.

Darüber hinaus müssen die bestehenden Risiken in den Büchern der Banken aus Zeiten nationaler Eigenverantwortung hinreichend abgebaut sein, bevor eine gemeinsame Einlagenversicherung eingerichtet werden kann. Zu diesen Altlasten zählen neben den Staatsanleihen die Bestände an notleidenden Krediten. Dabei sind einige Mitgliedsländer von diesem Problem nach wie vor sehr viel stärker betroffen als andere.

Wie die Diskussion über weitere Schritte in der Bankenunion zeigt, muss das Ziel der Reformen für eine krisenfestere Währungsunion sein, Handeln und Haften wieder stärker in eine Hand zu legen. An diesem Prinzip sollten wir uns auch orientieren, wenn wir die fiskalische Architektur der Währungsunion diskutieren.

Gleichgewicht von Handeln und Haften

Die Staatsschuldenkrise hat die grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob eine Währungsunion mit gemeinsamer Geldpolitik, aber mit dezentralen Wirtschafts- und Finanzpolitiken dauerhaft funktionieren kann. Eine solche Konstruktion kann verstärkt Anreize zur Verschuldung setzen, insbesondere dann, wenn die Aussicht besteht, die Kosten der Verschuldung zumindest zum Teil auf andere Mitgliedstaaten zu verlagern.

Ökonomen kennen dieses sogenannte Allmendeproblem auch aus anderen Bereichen. Nehmen wir als Beispiel die Überfischung: Überfischung durch einen einzelnen Fischer verringert die Verfügbarkeit von Fischen für andere Fischer und gefährdet langfristig den Fischbestand insgesamt. Sie ist also für die Gemeinschaft der Fischer schädlich. Aus Sicht des einzelnen Fischers ist es jedoch attraktiv, einen möglichst großen Fang zu machen und nicht auf andere Fischer oder künftige Generationen von Fischern Rücksicht zu nehmen. Eine denkbare Lösung für das Allmendeproblem ist eine Zentralisierung: Wenn für gemeinsame Fischgründe verbindliche Fangquoten für jeden einzelnen Fischer festgelegt und durchgesetzt werden, ist der Fischbestand insgesamt gesichert.

In der Tat zeigen die Erfahrungen beispielsweise der USA, dass eine Fiskalunion eine Möglichkeit ist, um fiskalisches Handeln und Haften ins Gleichgewicht zu bringen. Das setzt aber die Bereitschaft der Gliedstaaten voraus, entsprechende Souveränitätsrechte auf eine europäische Ebene zu übertragen. Die vergangenen Monate scheinen eher zu bestätigen, dass die Euroländer ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen weiterhin selbst treffen wollen. Dann müssen sie dafür aber auch haften. Dazu müsste etwa der gegenseitige Haftungsausschluss untermauert werden.

Verteidigung des multilateralen Handelssystems

Über Reformen für eine stabile Währungsunion hinaus steht Europa insgesamt vor weiteren bedeutenden Herausforderungen. Die Krisen der vergangenen Jahre und ihre Bewältigung haben Animositäten und Ressentiments geschürt. Auch außerhalb des Euroraums haben populistische Bestrebungen regen Zulauf erfahren. Die Menschen empfinden tiefgreifende Veränderungen wie Globalisierung und Digitalisierung oft als Bedrohung. Hier ist die Politik gefordert, die Menschen in die Lage zu versetzen, dass sie die Chancen aus diesem Wandel für sich nutzen können. Dabei ist Bildung ein wichtiger Schlüssel. Darüber hinaus wurde einerseits mit der Politik des „America first“ ein neues Kapitel in der internationalen Handelspolitik aufgeschlagen. Andererseits verfolgt China internationale Ambitionen, etwa mit der „Neuen Seidenstraße“. Gerade in dieser Situation benötigen wir Europäer eine starke Europäische Union. Dabei geht es nicht nur um die Wahrung der eigenen Interessen, sondern auch um Sicherung und Weiterentwicklung des multilateralen regelbasierten Handelssystems.

Das ist eine der wichtigen Zukunftsaufgaben der Europäischen Union. Es gibt viele Bereiche, in denen Europa nur gemeinsam vorankommen kann. Das betrifft vor allem die Bereitstellung europaweiter öffentlicher Güter beziehungsweise Politikbereiche mit externen Effekten über Ländergrenzen hinweg. Dazu gehören etwa Verteidigung, Migrationspolitik oder Klimaschutz. Erst nach Klärung der Aufgaben sollte es um die Frage der Finanzierung gehen. Angesichts nach wie vor hoher öffentlicher Schuldenstände in einigen Mitgliedsländern ist darauf zu achten, dass dabei keine neuen Möglichkeiten zur Kreditaufnahme geschaffen werden. Wenn aber Europa weniger über Fragen der Finanzierung oder Verteilung streitet und sich stärker darauf konzentriert, die Probleme der Bürger zu lösen, würde dies den Bürgerinnen und Bürgern den Vorteil europäischer Lösungen verdeutlichen und so das Vertrauen in die EU stärken.

Burkhard Balz, geboren 1969 in Lemgo, 2009 bis 2018 Mitglied des Europäischen Parlaments (CDU), ab 2014 Koordinator (Finanzpolitischer Sprecher) der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, seit 1. September 2018 Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank.

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