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Wie die rechte Szene auf steigende Asylbewerberzahlen reagiert

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Gegen Ende des Jahres 2014 gingen in Dresden immer mehr Asylgegner unter dem Banner „Für Euch. Für Eure Familie. Für Euer Vaterland“ auf die Straße. Sie demonstrierten gegen „Glaubenskriege auf deutschem Boden“. Zur Jahreswende fanden sich nach Polizeiangaben circa 17.500 Menschen beim zehnten Protestmarsch des Bündnisses „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) ein. Die Feindbilder der „Patrioten“ waren zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr allein auf Islamisten beschränkt. Vielmehr schossen sich die Demonstranten auf Politik, Medien, Islam oder Asylbewerber allgemein ein. Wer die Sprechchöre hörte, konnte kaum glauben, dass sich die Hetze einzig und al lein gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ richtete, wie seinerzeit ein Pegida-Papier glauben machen wollte.

2015 hat Pegida zunächst merklich an Anziehungskraft verloren. Verantwortlich hierfür sind nicht zuletzt die Führungsquerelen im Organisationsteam des Bündnisses. Nachdem rassistische Kommentare und eine Adolf-Hitler-Parodie des Bündnis-Gründers Lutz Bachmann auf Facebook öffentlich bekannt geworden waren, sagten sich gemäßigtere Pegida-Mitglieder von ihrem bisherigen Engagement los. Eine Gruppe um Kathrin Oertel, die zeitweise öffentlich als Gesicht von Pegida in Erscheinung trat, gründete einen neuen Zusammenschluss, welcher aber bald in der Versenkung verschwand. Geblieben sind die Hardliner um Bachmann. Selbst nachdem die Behörden Ende Juli 2015 in der Elbmetropole eine Zeltstadt für Flüchtlinge über Nacht aus dem Boden gestampft hatten, zogen nur noch knapp 3.500 Demonstranten durch die Straßen der sächsischen Landeshauptstadt und machten ihrem Unmut mit lautstarken Parolen Luft.

Die Pegida-Macher haben die Grenzen ihrer Bewegung erkannt. Als reine Demonstrationskultur verliert sie stetig an Attraktivität, zumal sich keine sichtbaren Erfolge einstellen. Deshalb schickte Pegida bei der Dresdner Oberbürgermeisterwahl mit Tatjana Festerling eine frühere AfD-Frau ins Rennen. Gut jeder zehnte Wähler gab der von der NPD unterstützten Hamburgerin seine Stimme (9,6 Prozent). Beflügelt von diesem Ergebnis, kündigte das Bündnis Einzelkandidaturen für die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern an. Da die Personaldecke dünn ist und wahlkampffähige Strukturen fehlen, ist zu vermuten, dass die Resultate überschaubar bleiben werden. Mittlerweile ist sogar die Gründung einer eigenen Partei im Gespräch.

Trotzdem erfordert die Situation weiter Aufmerksamkeit. Sie erinnert stark an die frühen 1990er-Jahre, als viele, einschließlich der Medien, in den simplifizierenden Slogan „Das Boot ist voll“ mit einstimmten. Ihr Hass entlud sich in einer rassistischen Gewaltwelle, die bis heute unerreicht ist. Die Bilder eines grölenden Mobs, der Brandsätze auf das „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen warf, haben sich tief in das Gedächtnis der jüngeren Bundesrepublik eingebrannt. Nach wie vor sind rassistische, antisemitische und homophobe Ressentiments und Vorurteile in der Gesellschaft weit verbreitet; das belegen die „Mitte“-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung jedes Jahr auf erschreckende Weise.1

 

Straßenkampf als Agitationsfeld

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres zählte das Bundesinnenministerium 202 Angriffe auf Unterkünfte von Asylbewerbern. 22 Übergriffe waren Gewaltdelikte wie Körperverletzungen oder Brandstiftungen. Damit ist schon jetzt das Niveau des Vorjahres erreicht. Es zeichnet sich ein Trend ab, denn bereits 2014 waren die Zahlen dramatisch angestiegen – sie hatten sich im Vergleich zu 2013 verdreifacht.

Die unabhängigen Opferberatungsstellen registrierten im letzten Jahr eine besorgniserregende Zunahme rassistischer Gewalt. Ihre gemeinsame Statistik weist 782 Fälle für die fünf ostdeutschen Bundesländer und Berlin aus. Das entspricht einem Anstieg um sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2013: 737 Angriffe). Dabei wurden mindestens 1.156 Personen verletzt oder massiv bedroht. In sechzig Prozent der erfassten Fälle waren die Taten rassistisch motiviert. „Ein Ende der Welle rassistischer Gewalt ist nicht absehbar“, fasst Antje Arndt, Vorstandsmitglied des Bundesverbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die Einschätzung der Beratungsprojekte zusammen.2

In den letzten Jahren hielt sich die Neonaziszene bedeckt. Insbesondere in den ostdeutschen Ländern schien aufgrund günstiger Gelegenheiten die politische Strategie der NPD erfolgversprechend. Mit einem ausgeprägten „Kümmerer-Image“, das das vorgebliche soziale Engagement der Rechtsextremisten in den Mittelpunkt rückte, wollten die führenden Köpfe der Partei die gesellschaftliche Stigmatisierung unterlaufen. Allerdings ist der kleine Höhenflug der NPD, basierend auf dem Einzug in die Landesparlamente von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sowie dem Gewinn von einige n Hundert kommunalen Mandaten in der gesamten Bundesrepublik, mittler weile vorbei. Skandale, leere Kassen, ausbleibende Wahlerfolge und anhaltende Flügelkämpfe haben dazu beigetragen, dass sich viele Neonazis von der Partei abgewandt haben. Die Abtrünnigen suchen heute verstärkt den von der NPD derzeit ihrer Meinung nach vernachlässigten „Kampf um die Straße“.

 

Hass und Gewalt statt Dialog

Anfang Juli 2015 wühlte ein Brand in leerstehenden Flüchtlingswohnheimen im sächsischen Meißen die Öffentlichkeit auf. In der Stadt mit knapp 28.000 Einwohnern macht seit geraumer Zeit die „Initiative Heimatschutz“ Stimmung gegen Flüchtlinge. Der Besitzer der Unterkunft wurde zuvor bedroht und sprach nach dem Übergriff von einem „Anschlag mit Ansage“.3 In Freital, einem Ort unweit von Meißen, stehen sich seit Wochen rassistische Gruppen und Flüchtlingsunterstützer gegenüber. Die Stimmung in dem kleinen Ort ist aufgeheizt. Auf das Auto des Fraktionsvorsitzenden der Linken im örtlichen Stadtrat verübten mutmaßlich Neonazis einen Anschlag. An einer Diskussion oder einer Lösung der Problematik sind die Initiative und ihre Unterstützer nicht interessiert. Dies beweist eine Bürgerversammlung zum Thema „Asyl“ mit Sachsens Innenminister Markus Ulbig, bei der es zu tumultartigen Szenen kam.4 Der Initiative geht es allein darum, ihren Hass zu artikulieren. Zunächst wurde Freital zum Sinnbild für ein feindliches Klima. Den vorläufigen Höhepunkt fremdenfeindlicher Auseinandersetzungen erreichte man Ende August im sächsischen Heidenau.

 

Neonazi- und NPD-Demos machen Asyl zum Leitthema

Anders als die Demonstrationen von Pegida wurden die früheren rassistischen Demonstrationen von Neonazis ins Leben gerufen. Vom Berliner Stadtteil Marzahn-Hellersdorf ausgehend, organisierte beispielsweise eine vermeintliche Bürgerinitiative, in deren Hintergrund Rechtsextremisten die Strippen ziehen, Aktionen gegen ein Asylbewerberwohnheim.

Bei den sogenannten „Schneeberger Lichtelläufen“ zogen um die Jahreswende 2013/2014 mehr als 1.500 Personen durch Schneeberg, darunter neben Einwohnern der sächsischen Kleinstadt zahlreiche eigens angereiste Neonazis. Der NPD-Kommunalpolitiker Stefan Hartung hatte zum Protest aufgerufen. Diese „Nein zum Heim“-Kampagnen nahmen ihren Beginn vor ungefähr drei Jahren, jedoch mit mäßiger Resonanz. Erst mit dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen erhielten die Gruppen, die sich schnell in Deutschland verbreiteten, neue Impulse. Zunächst agierten die Gruppen insbesondere in den sozialen Netzwerken, später auf der Straße. Das gemeinsame Ziel und der gemeinsame Feind – „die Asylanten“ und die zuwanderungsfreundliche Politik – vereinen alle Schattierungen des rechten Randes, die sich sonst oft ablehnend gegenüberstehen – von nationalkonservativen „Wutbürgern“ über Pegida-Anhänger, Verschwörungstheoretiker und neu rechte Ideologen bis hin zu militanten Neonazis.

Die NPD ihrerseits erklärte das „Ausländerthema“ prompt zu ihrem Schwerpunkt. Zunächst hatte der damalige Parteichef Holger Apfel auf die Eurokrise und die weitverbreiteten Ressentiments gegen die Europäische Union gesetzt, blieb damit aber erfolglos. Die Kurskorrektur zahlte sich am Ende nicht aus. Aggressive Plakate wie „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ sorgten zwar für mediale Aufmerksamkeit, doch der erhoffte Wählerzuspruch blieb nicht nur aus, er nahm sogar ab. Bei den Landtagswahlen in Sachsen scheiterte die NPD erstmals seit 2004 an der Fünf-Prozent-Hürde.

Der Führungsriege der NPD war bewusst, dass sie in einer Sackgasse steckte. Für sie muss das Aufkommen der Pegida-Bewegung wie ein Silberstreif am Horizont gewesen sein. Während in den meisten Städten NPD-Vertreter selten über die Rolle von Zaungästen hinauskamen, war die Partei in Mecklenburg-Vorpommern nicht nur auf den sich damals noch in voller Fahrt befindenden Pegida-Zug aufgesprungen, sondern stand mit an der Spitze. Landeschef Stefan Köster reihte sich genauso in die „Spaziergänge“ ein wie der Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs. Gleichzeitig dirigierte ein Fraktionsmitarbeiter den Demonstrationszug, während weitere Kader zum Mikrofon griffen. Diese Dominanz schreckte Pegida-Sympathisanten aus dem nicht ex trem rechten Milieu ab. In Mecklenburg-Vorpommern teilte die Bewegung das Schicksal der meisten anderen „Giden“: Die Aktivitäten wurden eingestellt.

Jüngst gaben 62 Prozent der Befragten im ZDF-Politbarometer an, Flüchtlinge seien für sie das wichtigste Thema.5 Gleichzeitig steigt die Ablehnung in der Bevölkerung, weiterhin so viele Menschen aufzunehmen. 38 Prozent der Befragten in der Bundesrepublik machten sich an anderer Stelle für eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen stark, in den ostdeutschen Bundesländern sogar 47 Prozent. Im Januar waren noch 21 Prozent dieser Meinung.6

Trotzdem konnte die extreme Rechte aus dieser Stimmung bislang kein Kapital schlagen. Die NPD scheiterte bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg und Bremen deutlich an der wichtigen Ein-Prozent-Marke, die zur Teilnahme an der staatlichen Parteienteilfinanzierung berechtigt. Die Anzahl der Anhänger an Kundgebungen vermeintlicher Bürgerinitiativen gegen geplante oder bestehende Asylbewerberwohnheime bleibt überschaubar. Dafür agieren die Demonstrationsteilnehmer umso aggressiver. Einzig die AfD, die im letzten Jahr mit ihren wohlstands-chauvinistisch-fremdenfeindlichen Wahlkämpfen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Erfolge verbuchte, konnte aus der Situation Profit schlagen. Nach dem Abgang ihres Gründers Bernd Lucke und seiner marktliberalen Anhänger dürfte die AfD künftig noch mehr auf diese Karte setzen.


Marc Brandstetter, geboren 1978 in Ottweiler (Saar), Politikwissenschaftler, seit 2011 Redaktionsleiter der Informations- und Beteiligungskampagne ENDSTATION RECHTS.


[1] Andreas Zick / Anna Klein (Hrsg.): Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Ralf Melzer, Bonn 2014.
[2] Gemeinsame Pressemitteilung der Unabhängigen Opferberatungsprojekte: 782 Fälle politisch rechts motivierter Gewalt in Ostdeutschland und Berlin: www.lobbi-mv.de/nachrichten/782-faelle-politisch-rechts-motivierter-gewalt-in-ostdeutschland-und-berlin/ [3. August 2015].
[3] SPIEGEL ONLINE: Asylbewerber in Meißen: Besitzer spricht von „Anschlag mit Ansage“: www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/brand-in-asylbewerberheim-in-meissen-brumm-spricht-von-anschlag-mit-ansage-a-1041099.html [3. August 2015].
[4] Vgl. Cornelius Pollmer: Auftritt der pöbelnden Schaummünder (Süddeutsche Zeitung): www.sueddeutsche.de/politik/freital-ausdauernd-aufgeheizt-1.2554805 [3. August 2015].
[5] ZDF-Politbarometer: Mehrheit sieht Flüchtlinge als wichtiges Problem: www.heute.de/politbarometer-fuer-mehrheit-der-buerger-sind-fluechtlinge-das-wichtigste-thema-39414776.html [3. August 2015].
[6] ARD-DeutschlandTrend vom August 2015: www.tagesschau.de/multimedia/bilder/crbilderstrecke-215.html [3. August 2015].

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