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Zur Diskussion über die sinkende Wahlbeteiligung

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Die Wahlbeteiligung sinkt. Dieser Trend ist nicht nur bei „Second order elections“1, wie Wahlen zum Europäischen Parlament oder Kommunalwahlen, sondern auch bei Bundestagsund Landtagswahlen festzustellen. Bei den letzten Bürgerschaftswahlen in Bremen (50,2 Prozent) und Hamburg (56,5 Prozent) Anfang 2015 gab nur noch die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Damit erreichte die Wahlbeteiligung auf Länderebene einen historischen Tiefstand. Ein ähnlicher Trend zeichnet sich bei Bundestagswahlen ab. Bei der Bundestagswahl 2013 machten nur 71,5 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Auffallend ist insbesondere die geringe Wahlbeteiligung in den ostdeutschen Ländern, die deutlich hinter der Wahlbeteiligung in Westdeutschland liegt.

In Deutschland hat jeder Bürger das Recht, sich auch gegen die Wahlteilnahme zu entscheiden und der Wahl fernzubleiben. Eine niedrige Wahlbeteiligung ist daher nicht zwangsläufig ein Menetekel für den Fortbestand unserer Demokratie. Schließlich fällt sie in europäischen Nachbarstaaten weit niedriger aus. Allerdings lebt Demokratie vom politischen Wettbewerb, von Auseinandersetzungen und Diskussionen, vor allem von der Partizipation ihrer Bürger. Wenngleich eine niedrigere Wahlbeteiligung nicht schädlich für die Demokratie sein muss, kann das Fernbleiben der Wähler von der Wahl die Legitimität der Regierung auf eine recht schwache Grundlage stellen. Je mehr Wahlberechtigte die Regierung durch ihre freie Wahlentscheidung unterstützen, desto eher wird das politische Handeln legitimiert. Deswegen kann eine hohe Wahlbeteiligung wünschenswert sein.

Studien zur „Nichtwählerforschung“ belegen, dass die Nichtabgabe einer Wahlstimme auf ein Desinteresse gegenüber der Politik und den Politikern zurückzuführen ist. Ein Großteil der Nichtwähler zeichnet sich zudem durch eine geringe Parteiidentifikation sowie durch eine deutlich geringere „Wahlnorm“, dem Pflichtgefühl, sich an einer Wahl zu beteiligen, aus. Zudem spielt für die Motivation zum Urnengang die Kandidatenorientierung eine große Rolle.2

 

Wählen im Supermarkt

Die bisherigen Vorschläge, wie beispielsweise die Einführung einer Wahlpflicht, die Verlängerung der Öffnungszeiten von Wahllokalen, das Aufstellen von Wahlurnen in Supermärkten oder auch eine Reform des Wahlrechtes, sind fragwürdig, weil sie wohl nur minimale Auswirkungen haben würden. Im Falle der „Supermarkt“ Wahl sind sogar negative Effekte zu befürchten, weil eine solche Wahl im „Vorbeigehen“ beim Einkauf ein zentrales bürgerliches Beteiligungsrecht banalisieren würde.

Allen diesen Vorschlägen ist gemeinsam, dass sie nur die Rahmenbedingungen einer Wahl verändern, aber die Problemursachen nicht angehen. Die immer wieder diskutierte Einführung einer Wahlpflicht wäre hingegen ein rigoroser Schritt. Ihm stehen massive verfassungsrechtliche und demokratietheoretische Hürden und Bedenken entgegen. Eine Wahlpflicht ist mit dem Gedanken der freien Wahl unvereinbar.

Die Annahme, dass die Kandidatenorientierung zunehmend ausschlaggebend für die Wahlteilnahme ist, lässt Politikerprofile in den Fokus rücken, die Bürgerinnen und Bürger aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Milieus integrieren und für Politik begeistern können. Insofern ist Gewinnung, Förderung und schließlich die Kandidatenaufstellung von solchen integrierenden Persönlichkeiten eine zentrale Antwort auf den Trend der nachlassenden Wahlbeteiligung. Sie sind aufgefordert, den Wählern die Mitgestaltungschancen, die sich mit einer gültigen Stimmabgabe verbinden, immer wieder ins Bewusstsein zu rufen und deutlich zu kommunizieren, inwiefern die Bürger von den politischen Entscheidungen persönlich betroffen sind, wie sie sich in Entscheidungsfindungsprozesse einbringen und in welcher Form sie die Entscheidungen mitgestalten können.

Die nachlassende Wahlnorm und die sinkende Parteiidentifikation werden sich aufgrund der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Pflicht- und Akzeptanzwerte an Bedeutung verlieren und dass immer weniger feste Bindungen eingegangen werden, nicht zurückgewinnen lassen.

 

Persönlichkeit, Problemlösungskompetenz und politische Bildung

Obwohl Pfadabhängigkeiten politische Entscheidungen einschränken können und die Komplexität der Politik oftmals unterschätzt werden mag, muss es den Parteien dennoch darum gehen, die Unterschiede zu anderen Parteien deutlicher zu definieren. Dabei reicht es nicht aus, allein auf programmatische Unterschiede zu verweisen. Die Politiker müssen vielmehr zeigen, dass sie und ihre Partei im Gegensatz zu anderen politischen Lagern die für die Mehrheit der Gesellschaft wichtigsten Probleme lösen können. Wenn die Wähler den Eindruck gewinnen, dass ihre Wahl tatsächlich über verschiedene Problemlösungsansätze entscheidet, dann stellt dies eine Möglichkeit dar, die Wahlbeteiligung wieder zu erhöhen. Eine solche Wahl würde als eine bedeutende Weggabelung empfunden werden.

Schließlich kommt der politischen Bildung eine bedeutende Rolle zu. Sie muss nicht nur die potenziellen Wähler der Gegenwart, sondern frühzeitig auch die künftigen Wähler in den Blick nehmen und ihnen verdeutlichen, dass die Teilnahme an einer Wahl ein bedeutender und für unsere Gesellschaft grundlegender Teil der Demokratie ist. Der Vorschlag, den Verfassungstag zum Aktionstag für Demokratie zu machen, zeigt eine weitere Möglichkeit auf. Damit könnte insbesondere die junge Generation, die einen Großteil der Nichtwähler ausmacht und die nicht mehr aus Pflichtgefühl wählt, bereits in der Schule für die Bedeutung von Wahlen als wichtiges Element der Demokratie sensibilisiert werden.

Um einen Sturzflug der Wahlbeteiligung abzuwenden, brauchen wir Parteien mit Problemlösungskompetenzen, integrierende Politikerpersönlichkeiten sowie eine verstärkte politische Bildung. Gelingt es, diese drei Bereiche auf einem höheren Niveau als bisher miteinander zu verknüpfen, dann vermeidet man überflüssiges Herumdoktern an Symptomen und packt die Ursachen einer „niedrigen“ Wahlbeteiligung an der Wurzel.
 

Franziska Fislage, geboren 1988 in Ochtrup, Koordinatorin für Demokratie, Parteien und Gesellschaft, Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

1 Vgl. Reif, Karlheinz / Schmitt, Hermann (1980): „Nine Second-order National Elections – A Conceptual Framework for the Analysis of European Election Results”, in: European Journal of Political Research, Nr. 8, S. 3–77, S. 9 und 12.
2 Vgl. Cabarello, Claudio (2014): „Nichtwahl“, in: Falter, Jürgen W. / Schoen, Harald (Hrsg.): Handbuch Wahlforschung, 2. Auflage, Wiesbaden: Springer VS, S. 437–488, S. 454 f. und 463; vgl. Neu, Viola / Pokorny, Sabine (2014): Wählen, wählen, immer wieder wählen. Die Bundestagswahl und Europawahl im Vergleich. Sankt Augustin / Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., S. 14 ff., und Neu, Viola (2012): Dann bleib ich mal weg. Der Mythos der „Partei“ der Nichtwähler. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., S. 36.