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Interview: Auf Einladung der Laien

Martin Stauch über die Geschichte, Bedeutung und Aktualität der Katholikentage

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Herr Stauch, weil es manchen nicht so klar ist: Wer lädt zu den Katholikentagen ein?

Martin Stauch: Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, kurz ZdK, also die oberste Laienvertretung katholischer Christen in Deutschland, lädt dazu ein. In der Regel geht das so vor sich, dass ein Bischof oder ein hoher Bistumsvertreter in die Vollversammlung des Zentralkomitees mit ihren 230 Mitgliedern kommt und für eine Stadt in seiner Diözese wirbt. Darüber beschließt dann das Zentralkomitee.


Gilt beim Katholikentag also „umgekehrte Welt“ im Verhältnis von Hirten und Schafen?

Martin Stauch: Das würde ich nicht so formulieren, weil das ja voraussetzt, dass eine solche Abhängigkeit von Hirten und Schafen existierte. Tatsächlich mag es manchem nicht alltäglich erscheinen, wenn der Präsident des Zentralkomitees den Vorsitz über die Katholikentagsleitung führt und der jeweilige Bischof den Platz neben ihm einnimmt. Bisher hat sich aber niemand darüber beschwert – vielleicht auch deshalb nicht, weil es sich im Grunde um ein partnerschaftliches Verhältnis handelt.


Dennoch ist nicht alles Harmonie. Nicht selten waren Katholikentage auch Schauplatz von Kontroversen zwischen Laien und Klerikern – beispielsweise 1922 in München …

Martin Stauch: … als der Katholikentagspräsident, der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, Kardinal Michael von Faulhaber – in dessen Anwesenheit – vor großem Publikum widersprach. Beim Eröffnungsgottesdienst hatte der monarchistisch gesinnte Faulhaber die Gründung der Weimarer Republik in die Nähe von „Meineid und Hochverrat“ gerückt. Daraufhin bezog Adenauer in seiner Schlussrede klar Stellung für die Republik und brüskierte so den Kardinal.

Franz Josef Strauß, der beide Reden gehört hatte, berichtete später, wie Faulhaber voller Zorn seinen Kardinalshut packt und gehen will, aber Adenauer den Eklat listig verhindert, indem er seine Rede mittendrin unterbricht, um Faulhaber um den oberhirtlichen Segen zu bitten. Diesen konnte der Kardinal – wenn auch wutschnaubend – nicht verweigern.

 

Die Würze dieser Anekdote liegt in dem gerade nicht unterwürfigen Auftreten eines Laien gegenüber einem hohen kirchlichen Würdenträger. Wieviel Wahrheit steckt darin? Nimmt der Laienkatholizismus in Deutschland eine besonders selbstbewusste Rolle ein?

Martin Stauch: Im internationalen Vergleich trifft das gewiss zu. Institutionen wie das Zentralkomitee und die Katholikentage sind in Form und Bedeutung weltweit einmalig. Schon wenn Sie beispielsweise nach Frankreich gehen, um Katholiken zum Mitmachen beim Katholikentag zu motivieren, dann merken Sie, dass man dort schon die Konstruktion nicht versteht. Nur in Deutschland hat sich ein starkes, von Laien getragenes katholisches Verbandswesen entwickelt – mit der Konsequenz, dass sich hier auch die meisten Bischöfe an die Mitsprache und Selbstorganisation der Laien gewöhnt haben.

Freilich trifft das nicht auf alle zu. Der jetzt im Ruhestand befindliche Joachim Kardinal Meisner hat beispielsweise sehr stark mit dem Katholikentag gefremdelt.

 

Sie sind Historiker und haben eine Ausstellung zur Geschichte des Katholikentags konzipiert. Welche großen Linien ziehen Sie mit Blick auf fast 100 Katholikentage in über 165 Jahren?

Martin Stauch: Natürlich haben sich die Katholikentage in diesen vielen Jahrzehnten gewandelt – im Verhältnis zu ihrer Kirche wie zur Gesellschaft. Das Erstaunliche ist jedoch, dass sich eine Veranstaltung über einen so langen Zeitraum erhalten hat. Das liegt einerseits an der Wandlungsfähigkeit der Katholikentage, die 1848 als Zusammenschluss von Pius-Vereinen begannen und heute sehr heterogene Veranstaltungen vieler Tausend Christen sind – mit einer riesigen Themenvielfalt und zahlreichen internationalen Bezügen.

Dann aber gilt es, die Konstanten zu sehen – an erster Stelle, dass die Katholikentage immer politisch gewesen sind. Die Wahl des Ortes für den ersten Katholikentag, Mainz, ergibt sich auch aus der Nähe zu Frankfurt, denn dort tagte die Nationalversammlung. Aus der Paulskirche kamen damals zahlreiche Politiker nach Mainz, um das Gespräch zu führen, um sich zu vernetzen, um auf Petitionen einzugehen. Wenn heute die meisten Mitglieder des Bundeskabinetts teilnehmen, wenn zahlreiche Landespolitiker dabei sind, dann hat das durchaus Tradition.

Inhaltlich war die „soziale Frage“ der Dreh- und Angelpunkt der ersten Katholikentage: Wilhelm Emmanuel von Ketteler, der Gründer der Katholischen Arbeiterbewegung und spätere Bischof von Mainz, hat bereits auf dem ersten Katholikentag gesprochen. Der „Gesellenvater“ Adolph Kolping, Ahnherr des Kolpingwerks, nutzte die Katholikentage dazu, um seine Idee großflächig über Deutschland zu verbreiten. In den 1890er-Jahren gab es große Arbeiterumzüge, bei denen mit Fahnen und allem Drum und Dran durch die Straßen marschiert wurde – der Beginn der großen Teilnehmerzahlen beim Katholikentag. Die „soziale Frage“ stellt sich nicht mehr so wie im 19. und 20. Jahrhundert, aber soziale Fragestellungen spielen bis heute eine wichtige Rolle.

Spätestens mit dem Essener Katholikentag 1968 wurden die Katholikentage zum Ort riesiger Debatten um die Konsequenzen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Von Essen ging ein enormer Reformdruck aus, der schließlich zur Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1971 bis 1975) führte.

 

Wie lässt sich die Gründung der CDU vor siebzig Jahren in den Kontext der Kirchentagsgeschichte einordnen?

Martin Stauch: Selbst wenn es sich bei der CDU um die Neugründung einer Partei nach dem Zweiten Weltkrieg handelt und unmittelbare Anknüpfungspunkte zur früheren deutschen Parteiengeschichte bewusst vermieden wurden, gibt es doch unübersehbare Traditionslinien, die zur Zentrumspartei zurückführen – und das Zentrum und die Katholikentage waren lange quasi ein und dasselbe.

Nicht nur, dass ein früherer Zentrumspolitiker und Katholikentagspräsident, nämlich Konrad Adenauer, die CDU geprägt hat: Ein entscheidender Aspekt ist gewiss auch, dass die Katholische Soziallehre, die nicht zuletzt auf den Katholikentagen propagiert worden ist, Eingang in die Programmatik der CDU gefunden hat.

Unionspolitiker wie Bernhard Vogel oder Hans Maier hatten im ZdK eine bedeutende Rolle gespielt, aber wie Sie auch heute an der Zusammensetzung der Gremiums erkennen können: Das Zentralkomitee ist überparteilich.

 

Warum geht man mit dem 100. Katholikentag nach Leipzig? Man hätte doch auch an den Gründungsort Mainz zurückkehren können.

Martin Stauch: Es wäre gewiss naheliegend gewesen, nach Mainz zu gehen, aber dann wäre es wohl mehr eine Traditionsveranstaltung mit vielen Rückblicken geworden. Der 100. Katholikentag soll aber vor allem in die Zukunft schauen: Wie sieht die Kirche im 21. Jahrhundert aus – angesichts fortwirkender Säkularisierungstendenzen? In Leipzig zeigt sich, dass diese Frage nicht so einfach zu beantworten ist, wie manche glauben. Hier legt man sehr viel Wert auf die Feststellung, dass der „Osten“ nicht das Labor für den „Westen“ abgibt: Der Abbruch von kirchlichen Traditionen unter der SED-Herrschaft war etwas anderes als ein schleichender Säkularisierungsprozess im „Westen“. Die Konsequenz darf also auch nicht sein: So wie im „Osten“ sieht es in fünfzig Jahren im „Westen“ aus!

Trotzdem ist es interessant, mitzuerleben, wie Kirche in der Diaspora aussieht. Denn Diaspora heißt nicht automatisch Schrumpfung oder Niedergang – die Propsteikirche in Leipzig wurde gebaut, weil die alte Kirche zu klein geworden war. Allerdings ist die Diasporasituation nicht einfach, nicht überall gibt es Wachstum. Dennoch ist Diaspora nicht gleichbedeutend mit gesellschaftlicher Randlage. Gerade in Leipzig lässt sich verdeutlichen, dass Kirche der Gesellschaft guttut. Kirche ist selbst dort, wo Christen in der Minderheit sind, ein wichtiger Akteur, der mobilisieren kann, der wichtige Debatten anstoßen, voranbringen kann, die Dinge zum Guten wenden kann. Dafür ist, wenn Sie an die „Friedliche Revolution“ in der DDR denken, Leipzig das Symbol!

 

Dennoch: Nur 4,3 Prozent der Leipziger sind Katholiken, und die übrigen 95,7 Prozent sollen sich auch noch über die Zuschüsse der Stadt an den Kosten des Katholikentages beteiligen. Wie lässt sich das rechtfertigen?

Martin Stauch: Ein für alle einsichtiger Grund sind die ökonomischen Vorteile. Der 100. Katholikentag ist eine Großveranstaltung, die kostet, aber auch viel Geld nach Leipzig bringt. Die Stadt investiert eine Million, aber sie erhält – unabhängig von verschiedenen Kalkulationsmodellen – ein Vielfaches dieses Betrages zurück. Nach unserer Berechnung werden etwa neun Millionen Euro in der Region hängen bleiben. Das heißt, die Wirtschaft wird gefördert – und das quasi risikolos, weil es bei einer Veranstaltung keine Nachforderungen gegenüber der Stadt geben wird. Darüber hinaus verweisen wir natürlich auch auf die gesellschaftliche Relevanz von Kirche und kirchlichem Engagement, wie ich es eben kurz angedeutet habe.

Wenn viele Katholikentagsteilnehmer aus ganz Deutschland kommen, werden am Ende insbesondere auch viele Leipziger sagen: Das war eine tolle Sache!

 

Haben Sie den Eindruck, dass sich die Vorzüge bei allen Leipzigern inzwischen herumgesprochen haben?

Martin Stauch: Nach einem holprigen Start mit Finanzierungsdiskussionen und dem am Ende gescheiterten Bürgerbegehren gegen die Mitfinanzierung des Katholikentages hat sich die Lage schnell beruhigt. Insofern haben wir jetzt keine Probleme bei der Vorbereitung, im Gegenteil. Eine sehr kleine Gruppe von Menschen, die komplett kirchenfeindlich gesinnt ist, gibt es immer. Einige schicken regelmäßig unflätige E-Mails und Facebook-Einträge. Die breite Masse stellen aber diejenigen dar, die mit Kirche gar nichts am Hut haben und sagen: Ist mir doch egal. Glaubt doch, was ihr wollt! Ihre Verwunderung über uns ist so groß, dass sie fast wieder neugierig sind und fragen: Was sind das für komische Typen, diese Katholiken oder Protestanten? Und da lohnt es sich, einige Anstrengungen zu unternehmen, um sie zu erreichen. Katholikentag-Fans werden sie gewiss nicht werden, aber vielleicht erkennen sie, was Kirche leisten kann. Auf sie wollen wir etwa mit einem Straßenfest in der Leipziger Innenstadt zugehen.

 

Als Reaktion auf die Krawalle am Jahresanfang sprach Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung von „offenem Straßenterror“. Hat das Einfluss auf den Katholikentag?

Martin Stauch: Das ist schon eine Sache, die uns Sorge bereitet. Die Aufmärsche der Legida-Demonstranten sind offensichtlich rechtsradikal polarisiert, mehr noch als bei Pegida in Dresden. Aber es handelt sich um eine sehr kleine Gruppe, die von der Polizei immer gut abgeschirmt wird und noch dazu an Zulauf verliert. Jetzt wird, statt wöchentlich, nur noch einmal im Monat demonstriert.

Wir beobachten die Entwicklung natürlich sehr genau, aber zurzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Kirchentag davon in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden könnte. Gleichwohl stimmen wir uns eng mit der Polizei und allen einschlägigen Behörden ab. Das gilt im Übrigen auch mit Sicht auf die hiesige linksextreme Szene.

 

Von der aktuellen politischen Lage in Deutschland wird der Katholikentag nicht unberührt bleiben. Vor diesem Hintergrund die Frage: War es Ihrer Meinung nach richtig, die AfD nicht zu beteiligen?

Martin Stauch: Die radikalisierenden Tendenzen in der AfD haben sichtlich zugenommen. Denken Sie nur an die martialischen Sprüche von Frau Petry! Sich jetzt noch im Namen der Katholikentagsleitung mit einem Brief an einen exponierten Repräsentanten dieser Partei zu wenden und freundlich darum nachzusuchen, ob er nicht an einem Podiumsgespräch teilnehmen wolle, wäre missverständlich und verlogen. Bei aller Pluralität, die wir mit unserem Programm beim Katholikentag fraglos abbilden – in diesem Falle ist mehr noch eine feste Haltung und Stellungnahme gefragt.

Wir werden aber natürlich nicht übergehen, dass es Ängste in der Bevölkerung gibt. Im Gegenteil: Diese Ängste müssen hier zur Sprache kommen. Aber wir wollen Vereinfachungen entgegentreten – beispielsweise dem Motto: „Daran, was am Kölner Hauptbahnhof geschehen ist, kann man sehen, was Flüchtlinge uns bringen.“ Da zeigt der Katholikentag glasklar, wo er steht, indem er natürlich alle Aspekte der Flüchtlingsproblematik aufgreift und zugleich Position bezieht mit der Botschaft: Wir sind Christen und wir müssen human mit den Flüchtlingen umgehen.


Martin Stauch, geboren 1965 in Frankfurt am Main, Historiker, Geschäftsführer der Deutschen Katholikentage.

Die Fragen stellte Bernd Löhmann am 19. Februar 2016.

 

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