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Der WM-Gastgeber aus einer Binnensicht

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„Falls uns erlaubt wird, die Weltmeisterschaft auszutragen, würden wir sie so durchführen, wie es noch nie in der FIFA-Geschichte geschehen ist“, erklärte Russlands Vize-Regierungschef Igor Schuwalow am 2. Dezember 2010 in Zürich vor dem FIFA-Exekutivkomitee. Die russischen Argumente waren offenbar überzeugend, Russland erhielt den Zuschlag.

Moskau misst der Fußball-WM höchste Priorität zu. Die Ausrichtung der Weltmeisterschaft soll vor Augen führen, dass Russland nun souverän als Großmacht auftritt und sich seine politische und wirtschaftliche Position in der Welt gefestigt hat.

Das Fußballturnier wird in elf Städten ausgetragen. Mit Blick auf die Infrastruktur werden Moskau und Sankt Petersburg am ehesten den Anforderungen der WM gerecht. Letzteres gilt mit seinen historischen Gebäuden und „Weißen Nächten“ als Touristenmagnet. Dort gab es Kritik am Bau des Sankt-Petersburg-Stadions, wo 2017 das Finale des FIFA Confed Cup ausgetragen wurde und unter anderem ein WM-Halbfinale stattfinden wird. An der Arena wurde zehn Jahre gebaut; die offiziellen Baukosten in Höhe von 43 Milliarden Rubel überschritten den ursprünglichen Kostenvoranschlag von sieben Milliarden Rubel erheblich und brachten dem Stadion den Ruf eines „Denkmals der Korruption“ ein. Immerhin würdigen Experten es als eines der besten Stadien der Welt. So sollen vier Spiele der über den Kontinent verteilten Europameisterschaft 2020 in Sankt Petersburg stattfinden.

WM-Stadien für Zweitligisten?

In welchem Maße sind die anderen Spielorte auf die Ankunft von Zehntausenden Fußballfans vorbereitet? Zurzeit treffen die Spielstätten die letzten Vorbereitungen. Man verspricht, dass alle Stadien im April fertiggestellt seien. Die meisten Spielstätten der WM befinden sich in den sozioökonomisch fortgeschrittenen Regionen Russlands: Moskau, Sankt Petersburg, den Republiken Tatarstan, der Region Krasnodar und den Gebieten Swerdlowsk, Nischni Nowgorod, Rostow und Samara. In der obersten Fußball-Liga Russlands spielen jedoch nur zwei Clubs aus diesen Regionen. Mit Blick auf die künftige Auslastung werfen daher einige neue Stadien Fragen auf. Der lokale Fußballverein in Wolgograd „Rotor“ spielt in der zweiten Liga; 2018 droht gar der Abstieg in die dritte Liga. Dennoch wurden für die Errichtung des Stadions mit 45.000 Plätzen umgerechnet rund 240 Millionen Euro ausgegeben.

Die Entscheidung, Kaliningrad als Austragungsort zu nominieren, ist in erster Linie auf seine Lage zurückzuführen: Fußballfans aus Europa können es am bequemsten erreichen. Daher soll dort eines der Schlüsselspiele der Gruppenphase zwischen Belgien und England stattfinden, das zahlreiche Fans aus diesen Ländern anlocken dürfte. Allerdings bietet die Arena nur für 35.000 Zuschauer Platz. Die Mindestvorgabe der FIFA war eigentlich 45.000, doch wurden für Kaliningrad und Jekaterinburg Ausnahmen gemacht. Ähnlich wie in Wolgograd spielt der lokale Fußballclub „Baltika“ in der zweiten Liga, die durchschnittliche Besucherzahl in der Spielzeit 2016/17 betrug 2.251 Personen.

Fraglich ist die Standortwahl deshalb, weil es wohl sinnvollere Kandidaten gegeben hätte – etwa Krasnodar, das als Fußballmetropole Südrusslands gilt. Dort gibt es nicht nur einen stärkeren Fußball-Club, sondern auch ein modernes Stadion.

In einigen Austragungsorten wie etwa Rostow, Samara, Wolgograd und Nischni Nowgorod könnte es zu einem Mangel an Hotelplätzen kommen. Ohnehin werden Hotels ihre Preise während der Weltmeisterschaft verzehnfachen, obwohl die russische Regierung die Hotelpreise für jede WM-Region gedeckelt hat. Wie die Zeitung Kommersant mitteilt, bieten Wohnungseigentümer in den WM-Austragungsstädten zusätzlich rund 10.000 Wohnungen zur Miete an – allerdings bisweilen zu abenteuerlichen Preisen.

Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew hat die Gewährleistung der Sicherheit während der Fußballweltmeisterschaft zur obersten Priorität erklärt – zuweilen auf Kosten der heimischen Bevölkerung und der WM-Gäste, wie Kritiker meinen. Die russische Ministerin für Bildung und Forschung Olga Wassiljewa hat im November 2017 bestätigt, dass etwa Studentenwohnheime teilweise den Beamten des Innenministeriums und der Russischen Garde zur Verfügung gestellt werden. Kundgebungen und Demonstrationen werden während der WM verboten sein, was der russischen Verfassung widerspricht.

Sicherheit beim Fußballfest

In allen Regionen sollen operative Sicherheitsstäbe gebildet werden. Mit der Gesamtkoordinierung der Sicherheitsmaßnahmen wird der russische Inlandsgeheimdienst FSB betraut, dessen Befugnisse über das geltende Recht hinauszugehen scheinen. In den Gastgeberregionen der WM soll der FSB die Arbeit von „schädlichen Produktionen“ einstellen. Darunter könnte ein wesentlicher Teil der russischen Industrie fallen. Unter diesen Umständen würden die Besitzer der Betriebe gezwungen sein, entweder zu beweisen, dass ihre Unternehmen in genügendem Maße vor Terrorgefahr geschützt sind, oder sie müssten fast unmögliche Sicherheitsmaßnahmen einleiten.

Um die Sicherheitslage und das Verhalten der Fußballfans während der WM besser kontrollieren zu können, soll das Fan-ID-System eingeführt werden: Jeder Fan wird eine Identitätskarte besitzen und an den Tagen der WM-Spiele mitführen müssen. Für ausländische Ticketinhaber entfällt die Pflicht, ein Visum zu beantragen, und alle Fans erhalten die Möglichkeit, an den Spieltagen kostenlos die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Beobachter bemängeln, dass diese Vorgehensweise das Recht der Bürger auf Privatsphäre und einige Bürgerfreiheiten einschränkt.

Die Ereignisse der letzten Jahre haben den anfänglichen Enthusiasmus der politischen Führung Russlands gedämpft. Die Olympischen Spiele in Sotschi haben dem Land nicht den erhofften Effekt gebracht, weder in der Politik noch in der Wirtschaft. Im Gegenteil: Russlands Beziehungen sowohl zu seinen Nachbarn, vor allem der Ukraine, als auch zur Weltgemeinschaft befinden sich in einer Krise – insbesondere aufgrund der Krim-Annexion und der Eskalation des Konflikts in der Ost-Ukraine. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die russische Führung ihr Interesse an der WM verloren hat. Zu hoch ist das Risiko, an Ansehen einzubüßen. Russland ist es insgesamt gelungen, den Zeitplan der Arbeiten zum Bau der Stadien, Trainingsanlagen und Infrastrukturobjekte einzuhalten. Das Land verfügt über genügend Erfahrung bei der Austragung großer internationaler Sportwettkämpfe: die Universiade in Kasan 2013, die Olympischen Spiele in Sotschi 2014, den FIFA Confed Cup 2017.

Die neuesten Umfragen zeigen, dass sich drei Viertel aller Russen für Sport interessieren. 41 Prozent der Bevölkerung verfolgen Sportveranstaltungen im Fernsehen oder in Stadien. Rund ein Drittel gibt an, dass Fußball sein Lieblingssport sei; er ist ähnlich populär wie Eishockey. Dabei ist die russische Eishockeyauswahl traditionell sehr stark, was ihr Sieg bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang nochmals bestätigte. Die russische Fußballnationalmannschaft, die bislang keine Trophäe erkämpft hat, wird dagegen kritisiert und oft belächelt. Doch der Sieg über die Niederlande im Viertelfinale der Europameisterschaft 2008 sorgte für echte Furore: Tausende feiernde Russen füllten die Straßen. Mit dem aktuellen Team können die russischen Fußballfans allenfalls darauf hoffen, die Vorrunde zu überstehen.

Impuls für Russlands Fußball

Die russische Fußball-Fankultur ist vielerorts noch im Entstehen. Dennoch hat sie Schattenseiten, selbst wenn in den letzten Jahren immer weniger Aggressionen in den Stadien beobachtet werden mussten. Die zentrale Gefahrenquelle sind die „fußballnahen Bewegungen“, die besonders nach der Europameisterschaft 2016 auf sich aufmerksam gemacht haben und deren Kern nicht die Liebe zum Fußball ist, sondern Gewalt und Aggression. Sie dürften aber das bevorstehende Turnier kaum ernsthaft bedrohen.

Man möchte hoffen, dass die WM 2018 dem regionalen Fußball in Russland Auftrieb geben und zur Festigung der lokalen Identitäten beitragen wird. Weiterhin könnten die neuen Stadien mehr Besucher für die Spiele der russischen Meisterschaften anziehen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Fußballweltmeisterschaft für die Russen vor allem ein symbolisches Ereignis sein wird.

Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Beitrags erklärte Großbritannien, dass es wegen der möglichen Verwicklung Russlands in die Vergiftung des ehemaligen Oberst im russischen Militärnachrichtendienst GRU Sergej Skripal in London auf seine diplomatische und politische Vertretung bei der Fußball-WM 2018 verzichten wird. Dieser Entscheidung Großbritanniens könnten sich auch andere Staaten anschließen. Am 14. März 2018 erklärte der Fußballverband Englands, er werde mit allen Mitteln gegen die Boykottaufrufe Widerstand leisten. Es wäre wünschenswert, dass keine Nationalauswahl auf ihre Teilnahme an der Fußball-WM in Russland verzichtet – trotz aller politischen Spannungen, denn der Sport soll vor allem die Menschen vereinen. Sollten Sie Zweifel haben, WM-Spiele in Russland zu besuchen, können Sie diese beruhigt ablegen: Die WM 2018 wird zweifelsohne spannend sein. Die Russen werden Sie willkommen heißen.

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Sergej Kabatsky, geboren 1997 in Moskau, Politikwissenschaftler, Absolvent der National Research University Higher School of Economics in Moskau, ehemaliger Mitarbeiter im OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte.

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